9 - After Rain
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Wie hatte die Situation eigentlich so schnell eskalieren können?
Vor einigen Minuten hatte er mit Jimin noch vor der Blue Lounge Bar gestanden und nicht gewusst, wo sie ihr Gespräch führen sollten, und plötzlich befanden sie sich in Jimins Wohnung. Schuld daran trug der Regen, der unbarmherzig auf die Stadt niedergeprasselt war und sie zu einer schnellen Entscheidung gezwungen hatte. Damit sie nicht völlig durchnässt würden, hatte Jimin angeboten, gemeinsam zu ihm zu gehen. Und obwohl Yoongi befürchtet hatte, dass es eine schlechte Idee war, hatte er schließlich trotzdem zugestimmt.
Keine zehn Minuten später hatten sie auch schon im Taxi gesessen und hatten jeder ihren eigenen Gedanken nachgehangen. Erst, als sie bei Jimin angekommen waren, schaffte der es, Yoongi anzusprechen. Er hatte ihm ein Handtuch gereicht und ihm angeboten, eben duschen gehen zu können, da beide vom Regen doch ziemlich durchnässt waren.
"Handtuch reicht", hatte Yoongi lediglich geantwortet, schon war Jimin im Bad verschwunden und die Stille war wieder eingekehrt.
Nun saß Yoongi auf der Couch und wartete auf die Rückkehr seines Gastgebers, denn im Gegensatz zu ihm wollte der sich kurz unter warmem Wasser wieder aufwärmen. Das Problem war nur, dass Yoongis Nervosität sein Zeitgefühl völlig aus dem Konzept brachte. Auf der einen Seite verging die Zeit überhaupt nicht, auf der anderen Seite brauchte er noch sehr viel mehr Zeit, um sich irgendwie auf ein kommendes Gespräch vorbereiten zu können. Zeit, die er nicht bekam, denn im selben Moment hörte er, wie Jimin sich räusperte.
Yoongi erschrak leicht, auch wenn er sich davon nichts anmerken ließ. Der Gastgeber sah zögerlich zu ihm, wandte seinen Blick aber wieder ab, als er zwei Tassen Tee auf den kleinen Wohnzimmertisch stellte.
"Ich wusste nicht, was du trinken willst. Aber ich dachte, Tee wäre okay."
War das derselbe Jimin, der Yoongi in der Blue Lounge Bar angefeindet hatte? Hier in seiner Wohnung wirkte er so ganz anders. Das indirekte, gelbliche Licht der kleinen Stehlampen in der Wohnung sorgten für eine gemütliche Atmosphäre, der Duft nach grünem Tee für eine gewisse Vertrautheit. Er hatte Jimin bislang nur in dem schummrigen blauen Licht ihrer Stammbar gesehen, das hier, das war ein ganz anderer Jimin. Seine Haare waren noch nass und und einige Strähnen hingen ihm ins Gesicht. Er trug nicht mehr die stylischen Klamotten aus dem Club, sondern eine einfache Jogginghose und ein locker sitzendes Shirt. Wie auch immer das sein konnte, Yoongi fand diesen Anblick fast noch besser.
"Danke", erwiderte er wortkarg, weil er nicht wusste, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Jimin wirkte so verdammt anders auf ihn. Beinahe sanft. Von der verruchten und verletzlichen Seite waren nur noch blasse Silhouetten zu erkennen. War das hier etwa der wahre Jimin? Hatten die anderen vielleicht doch falsch gelegen und nur Seokjin wusste, wer sich hinter der coolen Fassade tatsächlich verbarg? Yoongi war schon wieder völlig in Gedanken versunken, als ihn die Stimme des anderen wieder ins Hier und Jetzt beförderte.
"Ich... ähm. Du wolltest reden."
Leider traf Jimins knappe Bemerkung ihn mehr, als es sollte. Ja, das wollte er. Nur wie? Wo sollte er anfangen?
"Äh, ja", druckste er herum, beugte sich vor und nahm sich einen Schluck Tee. Nach dem ganzen Alkohol und den durchweichten Knochen war es sicher keine schlechte Idee davon zu trinken. "Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll", gestand er, nachdem er seine Tasse zurückgestellt hatte. Jimin nutze die Zeit, um nicht mehr verloren in seinem Wohnzimmer zu stehen, sondern sich mit etwas Abstand zu Yoongi zu setzen.
"Mhmm. Weiß ich auch nicht." Jimin traute sich nicht, seinen Blick nochmal zu heben, sondern starrte auf den schwarzen Bildschirm seines Fernsehers. Yoongi dagegen konnte seinen Blick nicht mehr von dem sanft beleuchteten Gesichtszügen des anderen nehmen. Aber wie auch? Dieser Typ sah in normalem Licht und ohne diesen ganzes Stylingschnickschnack nochmal viel schöner aus. Reiner.
Wieder kehrte Stille ein. Wenn sie so weiter machten, würden sie morgen noch nebeneinander sitzen, ohne schlauer geworden zu sein. Zum Glück schien Jimin das ganz ähnlich zu sehen, denn er startete einen neuen Versuch. "Vielleicht... fängst du da an, was Seokjin alles gesagt hat? Oder... warum du überhaupt mit mir reden willst. Ich meine, du hast schon sehr deutlich gezeigt, dass du kein Interesse mehr hast. Und wahrscheinlich ist das auch besser so. Ich... bin eh nicht so der Typ für sowas."
Kein Interesse? Das war Schwachsinn. Seit sie diese Wohnung betreten hatten, war sein Interesse sogar mehr geworden.
"Das ist es nicht. Ich... es ist nur... weißt du, wie verrückt das alles ist? Erst dachte ich, dass ich der Freak bin, weil ich dir die ganze Zeit hinterher gesehen habe. Und dann erfahre ich, dass du nicht besser bist und mich sogar absichtlich angerempelt hast. Und das gleich zwei Mal. Du warst derjenige, der mich verführt hat und einen Augenblick später servierst du mich wieder ab. Und dann muss ich von Seokjin erfahren, dass das alles einen Grund hat und du... mehr für mich empfindest. Das ist alles so... ja, ich weiß auch nicht, verrückt. Absurd."
Jimin nahm einen tiefen Atemzug, ehe er antworte. "Ich weiß. Das muss alles total bekloppt auf dich wirken. Ich meine, ich weiß ja, welchen Ruf ich habe, und der ist ja nicht umsonst entstanden. Naja, dass sich ausgerechnet so einer dich verlieben soll, ist schon ziemlich abwegig."
Ein Lächeln huschte über Jimins Gesicht, aber es hatte etwas trauriges an sich. Etwas, das Yoongi zeigte, dass die Situation nicht nur für ihn schwierig war. Es drückte die Stimmung und machte ihn wahnsinnig. Aber was hatte er auch erwartet? Er wusste, dass das Gespräch nicht leicht werden würde, trotzdem seufzte er schwer und folgte dem einzigen sprachlichen Impuls, der sich gerade in ihm auftat.
"Beweis mir, dass du besser bist, als dein Ruf."
Urplötzlich schnellte Jimins Blick in Yoongis Richtung. In seinem Gesicht stand die pure Verwirrtheit geschrieben, ja fast schon Entsetzen. "Wie soll ich das denn machen? Du weißt, wie ich bin."
"Seokjin sieht das anders. Er sieht mehr in dir und ich würde das auch gerne tun." Yoongi bemerkte gar nicht, dass er Jimin bei diesen Worten etwas näher kam. Es war verrückt. Aber dieser Kerl schaffte es immer noch, seine Willensstärke verpuffen zu lassen. Wie gerne hätte er ihn in diesem Moment angefasst? Wie gerne hätte er Jimin sagen hören, dass Seokjin Recht hatte. Und ohne es begriffen zu haben, hatte er sich die Antwort auf seine Frage selbst gegeben. Was er sich von ihrem Gespräch erhoffte? Dass Jimin ihm beweisen konnte, anders zu sein. Dass es okay war, für diesen Mann mehr übrig zu haben als bloße Schwärmerei.
"Ich kann nicht", brachte Jimin noch hervor, bevor seine Stimme abbrach. Schmerzlich musste Yoongi feststellen, dass sich in den Augen des anderen bereits wieder Tränen ansammelten. Er musste was tun.
"Jiminie", flüsterte er und wunderte sich selbst darüber, wie er den anderen gerade angesprochen hatte. Ob es nun gut war oder nicht, wusste er nicht, zumindest zeigte es die erhoffte Wirkung. Jimins Tränen versiegten sofort. Yoongi nutze den Moment, in dem Jimin ihn verwundert ansah. "Bitte nicht wieder weinen." Irgendwas schienen die Worte in Jimin auszulösen, denn sein Blick verfinsterte sich urplötzlich. Sie Stimme war ebenso kalt und rau, wie seine Mimik. Diese Narben, wie Seokjin sie genannt hatte, mussten verdammt tief sitzen.
"Du... du verstehst das nicht! Du... wieso bist du so? Wieso kannst du mir nicht einfach wieder sagen, dass ich mich von dir fernhalten soll? Verdammt, Yoongi! Ich kann mich nicht ändern. Sieh es ein. Dieses Gespräch wird zu nichts führen! Ich kann nur das und das wird sich niemals ändern!"
Yoongi konnte nicht sicher sagen, was es war, das in Jimins Gesichtsausdruck lag. Wut? Verzweiflung? Sein ganzes Gesicht schien bis zum zerreißen angespannt, er konnte genau erkennen, wie fest der andere die Kiefer anspannte. Er wollte so gerne wissen, was in dem Kopf seines Gegenübers vorging. Durch Seokjins Erzählungen hatte er zumindest eine Ahnung, aber mehr auch nicht. Ihm blieb nur eins: alles auf eine Karte setzen. Wenn er wirklich wollte, dass dieses Gespräch für sie positiv endete, musste er diesen Schritt gehen.
"Ich verstehe sehr wohl", antwortete Yoongi, wobei seine Stimme genauso kräftig war, wie die von Jimin, "Seokjin hat mir gesagt, was passiert ist. Und welches Bild du von dir selber hast. Aber das ist purer Schwachsinn. Nur weil so Idioten dich ausgenutzt haben, heißt das nicht, dass du nicht mehr Wert bist. Du MUSST nicht das sein, was andere in dir sehen! Versteh es endlich. Ich... ich würde gerne den wahren Jimin kennenlernen." Yoongis Herz raste. Seine Worte waren nicht nur ein Eingeständnis gegenüber Jimin, sondern auch sich selbst. Aber was sollte er es noch länger leugnen? Seit er Jimin das erste Mal gesehen hatte, hatte es ihn erwischt. Und seine Gefühle wurden mit jedem Treffen, jeder weiteren Information über ihn, intensiver. Er musste der Tatsache ins Auge sehen. Er wollte ihn. So sehr.
Aber letztendlich lag es an Jimin, wie es mit ihnen weitergehen würde. Ob seine Worte ihn erreichen würde.
"Zeig mir, dass du mehr kannst, als alle von dir erwarten", wiederholte Yoongi seine Worte von vorhin und diesmal schienen sie Jimin tatsächlich zu erreichen. Mit großen Augen suchte er nach dem Blick des anderen.
"Wieso?", erklang Jimins leise Stimme. Dieses Gespräch musste für ihn so furchtbar schwer zu ertragen sein, anders konnte Yoongi sich nicht erklären, dass er so viele verschiedene Gemütszustände durchlief. "Wieso willst du das noch? Ich hab dich abgewiesen, ich hab dir dein Date versaut. Und ich kann dir nichts bieten."
In diesem Moment verstand Yoongi, dass Seokjin sehr wohl Recht hatte. Jimin konnte noch so oft gesagt bekommen, dass er mehr Wert war, es änderte nichts an seinem miserablen Selbstbild.
"Natürlich kannst du mir was bieten. Jimin, ich meine es ernst. Ich würde wirklich gerne den wahren Jimin kennenlernen. Ich glaube nämlich, dass er sehr viel mehr kann, als einfach gut im Bett zu sein. Vertrau mir bitte."
Wie so oft an diesem Abend kehrte Stille ein, nur diesmal lag keine angespannte Stimmung darin. Es war auch nicht diese Art der angenehmen Stille, wenn man zusammen im Gras lag und den Himmel beobachtete. Es war eher so, als müsste sie existieren, damit die beiden eine Umgebung hatten, in der sie ihre Gefühle sortieren konnten. Der Wunsch nach Nähe war genauso präsent wie Vorsicht und Zweifel.
Wieder folgte Yoongi einem Impuls, dem er nicht länger widerstehen konnte. Seine Hand suchte vorsichtig nach Jimins, bis sie sich gefunden hatten. Die Berührung ließ in Yoongi eine angenehme Wärme entstehen. Dieselbe Wärme konnte er auch in den Augen seines Gegenübers erkennen, ein Zeichen, dass es okay war, was er tat.
"Weißt du was? Mir ist egal, wie bekloppt das hier alles ist. Oder was andere von uns denken. Ich mag dich wirklich, Jiminie."
Yoongis Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, und doch sorgte es dafür, dass Jimins Augen zu glänzen anfingen. Es war okay. Sollte man ihn halt für verrückt erklären. Das hier war viel zu intensiv, um es sich von dahergelaufenen Spinnern zerreden zu lassen.
Mit dieser neu gewonnenen Erkenntnis, und der daraus resultierenden Sicherheit, fühlte er sich wohl. Es fühlte sich richtig an, diesem Mann näher zu kommen. Und es war die richtig, seine Lippen auf Jimins zu legen. Es sollte so sein, dass sie sich in diesen Kuss das erste Mal so richtig fallen lassen konnten.
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Tut mir Leid, dass das Kapitel so spät kommt :(
Ich bin noch voll im Nachtsachenrhythmus und bis 18 Uhr ging mal so gar nichts außer liegen und Wand anstarren. Vielleicht sind ja noch ein paar Nachteulen wach XD
Btw wie findet ihr die Entwicklung? Zu schnell? Oder doch nachvollziehbar?
Würde mich über ein paar Antworten freuen ^^
1889 Wörter
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