8 - Acid
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Um die ganzen Informationen sacken zu lassen, hatte Yoongi den Barkeeper gebeten, ihn einen Moment in Ruhe zu lassen. Seokjin hatte sich daraufhin wieder seiner Arbeit gewidmet und jetzt saß Yoongi noch immer auf dem Barhocker, starrte in das leere Glas vor sich und überlegte, was er nun tun sollte. Klar, er wusste, dass es besser war, mit Jimin persönlich zu reden. Aber wie zum Teufel fing man ein solches Gespräch an? Und überhaupt. Wie sollte er Jimin in dieser Masse an betrunkenen Partyleuten ausfindig machen?
Endlich schaffte er es seinen Blick vom Glas abzuwenden. Langsam drehte er sich auf dem Barhocker vom Tresen weg und schaute sich suchend im Club um. Jimin unter den vielen Personen zu finden, glich der Suche nach der bekannten Stecknadel im Heuhaufen. Selbst seine honigblonden Haare waren da keine Hilfe, obwohl sie sich klar von den vielen dunklen Haarschöpfen abgrenzten. Leider wurde durch die blauen Scheinwerfer alles zu einer unscharfen, monotonen Masse. Angestrengt überlegte er, ob es nicht doch eine Möglichkeit gab, ihn zu finden, als es ihm mit einem Male wie Schuppen von den Augen fiel.
Die Herrentoilette. Wieso war er da nicht sofort drauf gekommen? So wie er Jimin einschätzte, war dieser auf direktem Wege zu einem seiner Stecher geeilt und ließ sich jetzt von ihm den Verstand aus dem Kopf vögeln. So war Jimin nunmal. Oder? Was, wenn er wirklich nicht der war, für den ihn alle hielten? Wenn hinter dem schlechten Image eine zerbrechliche, sensible Persönlichkeit verbarg? Wie auch immer, Yoongi musste jetzt wissen, ob er mit seiner Vermutung richtig lag oder nicht.
Also steuerte er eiligen Schrittes die Herrentoilette an, wobei der Weg dorthin nicht unbedingt leicht war. Viel zu viele Betrunkene kreuzten seinen Weg und machten ein Vorankommen zu einer fast unmöglichen Mission. Aber Yoongi war entschlossen, auch wenn er nicht einmal wusste, was er jetzt zu Jimin sagen sollte. Oder was er machen sollte, wenn er ihn wirklich mit einem anderen Typen erwischte. Diese ganze Situation war einfach so vertrackt. Egal, was er jetzt machen würde, Yoongi konnte nur falsch reagieren.
Nach gefühlt endlosen Stunden des Kampfes hatte Yoongi sein Ziel erreicht. Er sah, dass sich einige Typen vor der Tür versammelt hatten. Als gäbe es keinen schöneren Ort hier. Echt mal, warum standen hier so viele Leute? Er konnte überhaupt nichts erkennen, also tat er das einzige, was in seinen Augen Sinn machte. Er beobachtete aus ein paar wenigen Metern Entfernung die Tür zur Toilette so penibelst genau, dass man meinen konnte, er wäre hier auf geheimer Mission. Naja, irgendwie kam es dem schon sehr nahe, nur mit dem Unterschied, dass Yoongi überhaupt keine Ahnung hatte, was er hier eigentlich tat. Bestimmt dachten die Leute, die ihm skeptische Blicke zuwarfen, dass er sturzbetrunken war, aber das hielt ihn nicht davon ab, die Tür unentwegt weiter anzustarren.
Nichts. Auch nach geschlagenen Minuten tat sich rein gar nichts. Yoongi vermutete, dass er mittlerweile bestimmt eine halbe Stunde dort gestanden haben musste, zumindest waren schon so einige Lieder durchgelaufen. Es war jedes Mal dasselbe. Zahlreiche Männer kamen aus der Herrentoilette, aber keiner davon war Jimin auch nur annähernd ähnlich. Er zweifelte, ob er ihn hier wirklich antreffen würde. Wahrscheinlich machte er sich hier gerade schon wieder völlig zum Deppen und Jimin war schon längst nach Hause getorkelt. Gerade, als er die Hoffnung endgültig aufgeben wollte, erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Das blaue Licht wirkte in diesem Bereich des Clubs nicht ganz so stark, daher konnte er es ganz deutlich sehen. Honigblonde Haare, die ungeniert in alle Richtungen abstanden. Kein Zweifel. Das war Jimin.
Und scheiße. Yoongi lag anscheinend richtig mit seiner Vermutung. Seine glänzende Haut, die geschwollenen, roten Lippen und die zerzausten Haare sprachen für sich. Er hatte sich also wirklich von dem nächstbesten Typen durchficken lassen, weil Yoongi ihn abgewiesen hatte? Das war doch nicht zu fassen! Dieser Typ war genauso armselig, wie alle behaupteten. Dieser Anblick, diese Gewissheit, schmeckte ihm so gar nicht. Ein Gefühl, als hätte er Säure verschluckt, breitete sich in ihm aus und vereitelte alle Hoffnungen, dass er doch halbwegs korrekt reagieren könnte. Er wollte Jimin anschnauzen; ihn fragen, wie verzweifelt er sein musste, um sowas zu tun. Aber die Worte bleiben ihm im Hals stecken. Das einzige, was er tun konnte, war Jimin weiterhin mit festem Blick zu fixieren.
Dieser zupfte gerade sein locker sitzendes Shirt wieder zurecht, weil es ihm von der Schulter gerutscht war und blickte sich suchend um. Yoongi stand einfach weiterhin da und wartete darauf, dass etwas passierte. Etwas, das ihn dazu befähigte, endlich zu reagieren. Als nur wenig später Jimins Blick in seine Richtung ging, hatte Yoongi endlich was er brauchte. Er ergriff die einmalige Chance, ging ein paar Schritte auf den anderen zu und musterte ihn auffällig von Kopf bis Fuß. "Na, Jimin? Doch noch jemanden gefunden, der es dir so richtig besorgt?" Es war nicht Yoongi, der das sagte, sondern diese widerliche Säure, die sich wie ein Lauffeuer immer weiter in ihm ausbreitete.
Der Angesprochene wirkte zunächst schockiert, fing sich jedoch schnell wieder und grinste den anderen süffisant an. "Kann dir doch egal sein. Yoongi." Allein, wie Jimin seinen Namen betonte, stieß ihm unangenehm auf. Er wusste ja, dass er die Bemerkung nicht lange auf sich sitzen lassen würde, trotzdem wunderte es ihn, dass er so abweisend geantwortet hatte. Aber das war noch nicht alles. Jimin versuchte mit allen Mitteln, Yoongi davon zu überzeugen, wie überlegen er war. Das Lächeln, als er sich durch die Haare fuhr, wirkte künstlich. Aufgesetzt. Gespielt. Jimin versuchte also ein Spiel zu spielen? Das konnte er haben. Yoongi hatte genug Säure in sich, um sich darauf einzulassen. Er glaubte doch nicht ernsthaft, dass Yoongi sich weiter so an der Nase herumführen ließ. Er wollte Gewissheit, ob Jins absurde Behauptung wirklich der Wahrheit entsprach.
"Ist es, Jimin", konterte er trocken, nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, "Aber dir ist anscheinend nicht egal, von mir angewiesen zu werden. Komm schon, ich weiß, dass dich das nicht so kalt lässt, wie du es mir weismachen willst."
Allem Anschein nach hatte Yoongi einen wunden Punkt getroffen, denn Jimin kam schnellen Schrittes auf ihn zu, bis die beiden direkt voreinander standen. Nur wenige Zentimeter trennten die beiden noch, aber diesmal lag kein Verlangen in dieser Nähe, sondern Feindseligkeit. Yoongi ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern. Stattdessen baute sich vor Jimin auf und erwiderte den finsteren Blick.
"Bild dir bloß nichts ein, nur weil ich dich geküsst habe. Du bist nur einer von vielen und glaub mir. Ich hab genug andere, ich brauch deine beschissene Aufmerksamkeit nicht." Jimins Worte waren messerscharf, aber bei genauerem Betrachten erkannte Yoongi, trotz der schlechten Lichtverhältnisse, noch etwas ganz anderes in den Augen seines Gegenübers. Er war verletzt, unsicher und verzweifelt. Und irgendwie tat es Yoongi verdammt weh, ihn so zu sehen. Natürlich hatte er keine ernstzunehmenden Gefühle für ihn, das hatte er nie. Es war lediglich Schwärmerei gewesen. Nur, seit Jin diese Behauptung aufgestellt hatte, konnte er nicht mehr sicher sagen, was er nun für Jimin übrig hatte. Ob es mehr war als eine harmlose Schwärmerei. Oder was er sich von diesem Gespräch erhoffte, außer Gewissheit. Auf jeden Fall musste er das heute ein für allemal klären, sonst würde er keine Ruhe mehr finden. Aber er hatte da schon eine Idee.
"Einer von vielen also, ja? Seokjin sieht das aber ein bisschen anders." Yoongi hielt den Blickkontakt aufrecht, während er dies sagte. Jimin hatte anscheinend nicht mit sowas gerechnet, denn er taumelte ein paar Schritte nach hinten. Seine Augen hatten sich schockiert geweitet, auch wenn er seinen Blick nicht von dem anderen lösen konnte. "Du mieser… Was hat dieser Vollhonk dir erzählt?"
"Na na, Jimin. Spricht man so etwa über seinen Ex?" Yoongi grinste überlegen. Er hatte Jimin genau da, wo er ihn haben wollte. Von hier an gab es kein zurück mehr. Sie würden das klären, dem war sich Jimin genauso bewusst wie Yoongi.
"Was… hat er dir erzählt? Sag schon!"
Es war erstaunlich, wie schnell Jimins Selbstsicherheit purer Überforderung gewichen war, aber länger wollte Yoongi ihn nicht zappeln lassen. "Naja, alles. Dass ihr mal zusammen wart, dass ihr noch Freunde seid, dass du dich in mich verguckt hast."
Jimin schluckte. Sein ganzer Körper fiel in sich zusammen, beinahe so, als hätten seine Muskeln vergessen zu arbeiten. Er wirkte nicht mehr nur überfordert, er wirkte schwach. Und furchtbar zerbrechlich.
Und obwohl Yoongi bis vor ein paar Minuten am liebsten noch ausgerastet wäre, tat ihm dieser Anblick nun furchtbar Leid. Egal, welchen Ruf er auch weg hatte, oder was er angestellt hatte, das hatte er nicht verdient. Er sollte nicht weinen, schon gar nicht wegen Yoongi. Aber was sollte er jetzt sagen?
"Stimmt es, Jimin?", fragte er daher, doch diesmal war in seiner Stimme nichts mehr von der widerlichen Säure zu hören. Er klang neugierig, aber auf eine sanfte Art und Weise.
Einige Sekunden lang passierte nichts. Yoongi überlegte, ob er vielleicht zu leise gesprochen hatte und er ihn dadurch nicht gehört hatte. Da aber erkannte er das zaghafte Nicken. Es war eine minimale Bewegung und doch schien sie Jimin alle Kraft zu kosten, die er gerade noch zur Verfügung hatte.
Viel wichtiger aber war, dass er es zugegeben hatte. Jimin hatte sich in ihn verliebt. Derselbe Jimin, der sich durch den halben Club geschlafen hatte, den er seit Wochen rumkriegen wollte und der ihn auf der Herrentoilette eiskalt abserviert hatte.
Yoongi ignorierte den Typen, der ihn gerade anrempelte, bei dem Versuch das Klo aufzusuchen. Er ignorierte das Grölen der jungen Männer, die sich wenige Meter von ihnen angesammelt hatten. Selbst die Musik um sie herum verstummte. Alles, worauf er sich gerade konzentrieren konnte, waren das gedämpfte Schluchzen und die Tränen, die durch das Licht des Clubs auf Jimins Wangen glitzernde Spuren hinterließen.
"Jimin", startete er, doch er wurde sogleich von energischem Kopfschütteln unterbrochen.
"Nein, lass es einfach." Seine Stimme klang so wackelig, dass sie drohte jeden Moment einzubrechen. "Ich weiß ja selbst nicht… warum. Lass es. Ich…"
Er konnte das nicht länger mit ansehen. Jimins gesamte Fassade des coolen, unnahbaren Fuckboys war in tausend Teile zerbrochen und lag nun in Scherben vor seinen Füßen. Jimin wirkte so verdammt schwach. Als hätte sein Image ihm die ganze Zeit einen Schutzpanzer geboten, der jetzt mit einem Schlag weg war. Er musste etwas tun. Er musste mit ihm reden, ihn beruhigen und irgendwie aus diesem Club kriegen. Er wollte ihn nicht leiden sehen, auch wenn er selbst nicht so ganz verstand, warum ihn das so mitnahm.
"Jimin, lass uns reden. Aber nicht hier."
Niemals hätte er erwartet, dass Jimin ihm so einfach zustimmen und folgen würde, aber es war so. Er folgte ihm aus dem Club, nachdem sie sich einen Weg freigekämpft hatten, auch wenn er kein einziges Wort mehr sagte.
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Weiter geht's 🙃
1790 Wörter
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