1 - Blue Light


    

⊱⋯ ╌ ─⊰ 💙 ⊱─ ╌ ⋯⊰
   
  

Die Farbe Blau hatte seit jeher eine besondere Bedeutung für Yoongi. Vielleicht hatte es ihm die Blue Lounge Bar, obwohl er nicht sonderlich gerne feiern ging, deshalb angetan. Die blaue Beleuchtung an Tresen und Wänden sorgte in Kombination mit den Strahlern, die auf die Tanzfläche gerichtet waren, in der gesamten Räumlichkeit für eine angenehme Atmosphäre. Sie beruhigte ihn, ließ seinen Puls gleichmäßiger und langsamer werden. In seinem Kopf wurde es leiser und die Gedanken wiegten weniger schwer, wenn er das blaue Licht betrachtete, unter dem sich die ersten Tanzwütigen eingefunden hatten.

Vielleicht rührte seine Vorliebe für die Blue Lounge Bar aber auch daher, dass es die einzige Location der Stadt war, in der Homosexuelle frei und ohne Angst vor abstoßenden Bemerkungen ihre Sexualität ausleben durften. Sie war seit einigen Jahren dafür bekannt, dass sich dort fast ausschließlich Lesben und Schwule versammelten, obwohl es niemals öffentlich als solche Bar beschrieben wurde. Die LGBTQ+ Community hatte diesen Ort, warum auch immer, für sich auserkoren. Anfangs wussten nur Insider darüber Bescheid, aber schnell hatte die Bar ihren Ruf weg. Für Yoongi war das in Ordnung, nirgendwo sonst war es erlaubt, sich so frei zu geben.

Er war seinem Cousin überaus dankbar, dass er ihn vor zwei Jahren mitgenommen hatte, nachdem er eher in einem Nebensatz geäußert hatte, endlich mal wieder unter Leute kommen zu wollen. Jungkook war wesentlich offener, als er es jemals hätte sein können und er vermutete, dass es an dem Altersunterschied lag. Er war damals achtzehn geworden und war seitdem mindestens einmal im Monat mit dem fünf Jahre älteren Yoongi zusammen hier um zu feiern und um ihre Sexualität in dem sonst so konservativen Südkorea ausleben zu können.

Seit ein paar Wochen gab es einen weiteren Grund, weshalb Yoongi hierher kam, und dieser torkelte in diesem Moment aus der Herrentoilette. Er beobachtete, wie der junge Mann sich einige feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht strich und gleichzeitig ein befriedigtes, schiefes Grinsen seine Lippen zierte. Das weiße, locker sitzende Hemd, das einen gekonnten Kontrast zur schwarzen Lederhose bildete, war auf der einen Seite von seiner Schulter gerutscht und gewährte einen Blick auf seine alabasterfarbene Haut. Yoongi war von dem Anblick gefesselt und ermahnte sich selbst, den jungen Mann nicht länger anzustarren.

Er wusste, was es bedeutete, wenn er diesen Blick drauf hatte.

"Ich glaubs nicht", kam es zähneknirschend über Yoongis Lippen. In einem Zug leerte er sein Glas und kniff die Augen kurz zusammen, als er den bitteren Geschmack des Gin Tonics auf seiner Zunge schmeckte. Das Einzige, was einen noch bitteren Beigeschmack hatte, war die Tatsache, dass Jimin sich, wie fast jedes Wochenende, auf einen weiteren anderen Mann eingelassen hatte. Wie oft hatte er diese Szenerie schon beobachtet? Er hatte längst aufgehört mitzuzählen. Und obwohl es ihn so wurmte, setzte er sich seit fast einem halben Jahr jedes Mal auf eben diesen Platz an der Theke, aus der er die Herrentoilette gut im Blick hatte. Das grenzte an Masochismus, wenn Yoongi genauer darüber nachdachte. Oder Stalking.

„Was'n?", riss ihn eine Stimme von der Seite aus den Gedanken, „Ist dein Drink nicht gut?"

Yoongi traute seinen Augen nicht, als er sich zu dem jungen Mann umdrehte, der sein Gemecker mitbekommen hatte. Sein Cousin Jungkook sah trotz seiner zwanzig Jahren aus wie die Unschuld in Person, zumindest, wenn er diesen Rehkitzblick drauf hatte. Er biss die Zähne zusammen und verstärkte den Griff um sein leeres Glas. Er wollte nicht erzählen, dass es mal wieder Jimin war, der ihm die Laune verdarb.

„Wieso bist du nicht bei Taehyung?", antwortete Yoongi daher mit einer Gegenfrage, um sich nicht erklären zu müssen. Es war so schon unangenehm genug, dass er gerade auf den Mann ein Auge geworfen hatte, der sich durch den halben Club geschlafen hatte. Das jedoch vor Jungkook zuzugeben, war mindestens nochmal doppelt so schlimm. Dieser kleine Schmarotzer schaffte es jedes Mal, genau den Typen abzuschleppen, den er sich ausgesucht hatte. Anders als Yoongi. Er war verdammt nochmal ganze fünf Jahre älter! Er sollte derjenige sein, der erfolgreich aus der Bar raus ging, aber nein. Jungkook war mit einem Körperbau gesegnet, der Adonis vor Neid erblassen lassen konnte und bei dem sogar er manchmal schwach wurde. Zum Glück hatte er sich bis jetzt jedes Mal wieder in Erinnerung rufen können, dass es sein Cousin war, bevor er anfing, ihn anzuschmachten.

„Der ist grade mal wohin", antwortete Jungkook gut gelaunt, "Ich sollte neue Drinks besorgen."

„Und warum gehst du mir dann jetzt auf den Sack?" Yoongi hielt sein Glas noch immer umklammert, obwohl es, bis auf die aufgequollenen Limettenscheiben, bereits leer war. Er brauchte schlicht und ergreifend etwas, was er noch im Griff hatte, und wenn es statt seinem Leben nur ein leerer Drink war.

„Naja, ich hab gesehen, wie grummelig du schon wieder aussiehst und dachte, ich hör mal nach", brabbelte Jungkook, dessen Stimme von dem vielen Alkohol, den er sich einverleibt hatte, schon lockerer geworden war. „Aber jetzt sag schon", redete er weiter, ehe er näher an seinen Cousin herantrat und seine Arme von hinten um ihn legte, „Welche Laus ist dir schon wieder über die Leber gelaufen? Wie heißt sie und soll ich sie für dich vermoschen?" Yoongi zuckte bei der Berührung kurz zusammen und rümpfte die Nase. Sein Cousin roch nach Bier, Taehyungs Lieblingsgetränk. Noch stärker nahm er aber den maskulinen Geruch seines Parfums wahr. Er war damit nie sparsam umgegangen, wenn er feiern ging, heute nahm er es allerdings besonders intensiv wahr. Aber lag das wirklich an Jungkook? Oder eher daran, dass er seit gut einem halben Jahr einen Kerl rumkriegen wollte, der sich für jeden Mann in diesem gottverdammten Club zu interessieren schien, außer eben für Yoongi?

Wahrscheinlich war er nur nicht ausgelastet, weil er seit jenem Tag niemanden mehr näher an sich heranließ, immer in der Hoffnung Jimin irgendwann doch rumzukriegen. Er hoffte inständig, dass es daran lag und nicht doch an Jungkook selbst.

„Rück mir nicht so auf die Pelle, Knirps", grummelte Yoongi. Er bemühte sich, vor Ekel das Gesicht zu verziehen und rückte währenddessen möglichst weit nach vorne, um sich aus der Umarmung zu lösen. So angewidert er dabei auch wirken wollte, das Problem war ein anderes. Yoongi war rattig und Jungkooks Muskeln an seinem Rücken zu spüren, war nicht unbedingt das, was es besser machte.

„Stör ich euch?", erklang eine belustigte Stimme hinter den beiden, die Yoongi sofort wieder auf den Boden der Tatsachen beförderte. Er wusste, dass es die neueste Errungenschaft seines Cousins war. Dafür brauchte er sich nicht einmal umdrehen. Die charismatische, dunkle Stimme hob sich sogar vom dumpfen Bass im Hintergrund ab. Das schmatzende Geräusch wenige Sekunden später bestätigte seine Vermutung. Anscheinend war Taehyung endlich von Toilette wieder gekommen und befreite ihn nun hoffentlich von Jungkooks aufdringlicher Nähe.

"Noch einen", grummelte Yoongi dem Barkeeper entgegen, als dieser gerade mit einer eleganten Bewegung sein Glas abräumte. Er versuchte, so gut es ihm möglich war, Jungkook und Taehyung zu ignorieren, aber die Geräusche trieben ihn in den Wahnsinn. Er brauchte ganz dringend Ablenkung. Und mehr Alkohol.

"Kommt sofort", kam es trällernd vom Barkeeper, nachdem er ihm einen Luftkuss zugeworfen hatte. Yoongi kannte das bereits. Dieser Seokjin machte das andauernd, nicht nur bei ihm. Es konnte fast schon als sein Markenzeichen angesehen werden. Aus dem Grund zeigte er sich völlig unbeeindruckt von der Geste und beobachtete stattdessen, wie Seokjin eine Limette klein schnitt und in ein sauberes Glas füllte. Eine großzügige Menge Gin traf auf die Limetten und direkt im Anschluss das sprudelnde Tonic Water. Yoongis Gedanken drifteten wieder zu Jimin, während er den aufsteigenden Bläschen seines Drinks bei ihrem Tanz zuschaute.

Es war ja nicht so, als hätte Yoongi nicht schon genügend One Night Stands abbekommen. Nur dieser eine verdammte Kerl schien keinerlei Interesse an ihm zu haben. Er hätte sich damit abfinden und sich einreden können, dass es normal war, wenn er nicht jeden Geschmack traf. Er hatte es versucht, wirklich. Und trotzdem saß er hier und hätte am liebsten um sich geschlagen, weil er nicht wusste, wohin mit seinem Frust. Dieser Typ, mit dem Jimin aus der Herrentoilette gekommen war, sah gut aus. Aber auch er konnte Jimin bei Weitem nicht das Wasser reichen. Er schien sich demnach auch auf Kerle einzulassen, die nicht aussahen, wie aus einer Man's Vogue Zeitschrift entsprungen. Warum hatte also jeder eine Chance bei ihm, außer er?

Er erinnerte sich daran, als er Jimin das erste Mal gesehen hatte. Er war bereits angetrunken gewesen und doch hatte Yoongi niemals etwas Schöneres gesehen. Es hatte sich in seine Erinnerungen gebrannt und ihn mehr als einmal zur Verzweiflung getrieben. Dieser Körper, der ihn berührt hatte und der mit der Musik tanzte, als wäre sie eigens für seine Bewegungen erschaffen worden. Dieser Ausdruck in seinen Augen, als er Yoongi angesehen hatte. Es wirkte auf den ersten Blick verspielt, doch hinter den dunklen Pupillen erkannte er ein unstillbares Verlangen, das ihn neugierig machte. Und dann diese plumpen Lippen, auf denen sich das blaue Licht der Blue Lounge Bar niedergelassen hatte und die dadurch fast schon magisch wirkten. Sie hatten Yoongis Hals gestreift, als Jimin sich für das unabsichtliche Anrempeln entschuldigt hatte. Seine Stimmbänder waren von dem Alkohol angeraut und doch glaubte er, niemals lieblichere Klänge gehört zu haben. Wie zuckersüßer Sirup sickerte die Stimme in sein Gehirn und verklebte dort ausnahmslos alles, bis er nur noch in der Lage war, an Jimin denken zu können. Was hätte er darum gegeben, diese Stimme zu hören, wenn sie seinen Namen stöhnte.

Das war der Abend gewesen, an dem es um Yoongi geschehen war. Er wollte mehr von ihm, mehr Blicke, mehr von der samtigen Haut spüren und diese sündigen Lippen schmecken, die schon bei einer flüchtigen Berührung am Hals auf ihn einen Effekt ausübten, den er mit Worten nicht zu beschreiben wusste.

Jimin war eine gottverdammte Perfektion, gemacht, um Menschen wie Yoongi in den Wahnsinn zu treiben.

Er wollte ihn. Um jeden Preis.
  
   
   

⊱⋯ ╌ ─⊰ 💙 ⊱─ ╌ ⋯⊰

1643 Wörter

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top