⋅❃ Kapitel 4⋅❃


  

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KAPITEL 4
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Yoongis Vorhaben funktioniert nur semi gut. Bei jedem neuen Kratzer, bei jeder Schonhaltung oder sonstigen Auffälligkeiten, fangen seine Gedanken wieder an zu kreisen und seine Sorgen wachsen ins Unermessliche. Er muss sich bremsen Jungkook nicht sofort wieder zu belagern, aber zumindest schafft es Yoongi zunehmend besser. In erster Linie wird es allerdings nicht an Yoongis Ausdauer oder Entschlossenheit liegen, sondern daran, dass Jungkook ihm noch mehr ausweicht als vorher.

Nach weiteren drei Wochen ist es dann schon so weit, dass sie sich so gut wie gar nicht mehr begegnen. Selbst als die Lebensmittelvorräte vollständig aufgebraucht sind, kommt er nicht in Yoongis Zimmer und bettelt nach etwas zu Essen. Und fuck. Yoongi vermisst es, wie er ihn früher ständig aufgesucht hat und er ihn mit seinen Rehaugen doch wieder weich gekriegt hat. Wenn er so zurückdenkt, war es eine gute Zeit, die die beiden hatten.

Nervös sieht Yoongi auf seinen Wecker, den er auf seiner Fensterbank platziert hat. Es ist bereits 2 Uhr nachts und er sitzt immer noch, wie ein Idiot auf seiner Bettkante, voller Sorge um Jungkook, weil er normalerweise schon um 21 Uhr hätte, zuhause sein müssen. Eigentlich sollte er schlafen, aber er kann nicht. Erst gestern konnte Yoongi neue Schrammen und blaue Flecken an seinem Mitbewohner ausmachen; größer und schlimmer als die bisherigen. Ungeduldig wippt er mit seinen Beinen auf und ab, während sein Blick immer wieder den Weg zum Wecker findet. 2.13 Uhr. 2.26 Uhr. Die Zeit vergeht, es wird immer später und noch immer keine Spur von Jungkook.
Verdammt, denkt Yoongi und verkriecht sich unter seiner Bettdecke, das Gesicht vom Wecker abgewendet, wieso ist es so schwer? Er ist alt genug, was sorge ich mich überhaupt schon wieder so?

“Arghh..!“ Wütend auf seine lauten Gedanken und dieses seltsame Gefühl in seinem Inneren, rollt er sich auf die andere Seite. Die Decke schlägt er weg, wickelt sich dann darin ein und hält seinen Kopf, in der Hoffnung, dass die Gedanken leiser werden würden. Aber ein weiterer kurzer Blick auf den Wecker verrät ihm, dass Jungkook auch um 3.34 Uhr noch nicht zurück ist und diese Nacht wohl auch nicht zurückkommen wird. Wo treibt er sich bloß herum?

Es dauert noch eine gute Stunde, bis Yoongi endlich einschläft. Doch die Sorgen, die er sich um den Jüngeren macht, bereiten ihm einen ruhelosen Schlaf.
  

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Yoongi wird unsanft geweckt. Wieder schaut er auf den verfluchten Wecker. 7:06 Uhr. Das ist keine Uhrzeit zum Aufstehen. Erst recht nicht, wenn man die Nacht nur zwei Stunden geschlafen hat, wenn es hochkommt.

Leise vor sich hinfluchend, rollt er sich aus dem Bett und schleppt sich zu Taehyungs Zimmer. Ohne Umschweife reißt er die Tür auf und zuckt angewidert zusammen, als er von dem grauenvollen Gedudel begrüßt wird.

„MACH DIE SCHEIß MUSIK AUS, SONST ERTRÄNK ICH DICH HÖCHSTPERSÖNLICH IN DEINEN FARBEIMERN!“, brüllt er sichtlich erbost in das Zimmer des Künstlers und diesmal scheint sein durchgeknallter Mitbewohner das sogar gehört zu haben.

Taehyungs Mund verzieht sich zu einem „Oh“, ehe er zur Anlage geht und sie leiser dreht. „Du bist ja schon wach“, stellt er unnötigerweise fest und lässt das Hemd fallen, das er eben noch sorgfältig gemustert hat.

„JA!“, kontert Yoongi in derselben Lautstärke wie zuvor, obwohl er jetzt nicht mehr gegen die Musik ankämpfen muss, „WEIL DEIN SCHEIß GEDUDEL MICH GEWECKT HAT.“

Der Künstler stemmt die Hände beleidigt in die Seiten. „Schlecht geschlafen, oder was?“, fragt er spitz, „Du bist ja noch griesgrämiger als sonst.“

„Wenn du’s wissen willst: JA, HABE ICH. UND ZWAR SO WENIG, DASS ICH FÜR SCHLAF GERADE MORDEN WÜRDE, ALSO LASS DIESE SCHEIß BEMERKUNGEN.“

„Ist ja gut…“, meint Taehyung und hebt seine Hände, um sein Verständnis auszudrücken, dass er es dabei belassen sollte, „Musik ist leiser, also beruhige dich mal. Oder ist noch irgendwas? Ich will gleich zu einer Ausstellung und müsste mich langsam mal fertig machen.“

„Was interessiert mich deine dumme Ausstellung?“, schnauft Yoongi und atmet tief durch, damit er nicht wieder seine Stimme erhebt, sondern ruhig das sagen kann, weswegen er hier ist (abgesehen vom Unterbinden der Lärmbelästigung).

„Weißt du wo Jungkook ist? Er ist die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen.“

„Ne, keine Ahnung.“
Taehyung zuckt mit den Schultern und wendet sich wieder der Suche nach den passenden Klamotten zu. Das ist nicht sein Ernst, oder? Yoongi kann es nicht ausstehen, wenn man etwas einfach als unwichtig abtut, obwohl er sich offensichtlich große Sorgen macht.

„Alter, machst du dir denn keine SORGEN?“

„Nein“, antwortet Taehyung trocken, „Er ist in einem Alter, wo er nun mal solche Dinge tut. Vielleicht ist er ja unterwegs gewesen und hatte Spaß? Vielleicht hat er eine Freundin?“

„Spaß“, lacht Yoongi abfällig, „hast du ihn die letzten Wochen eigentlich mal wirklich gesehen? Beobachtet mit was für Wunden und Schmerzen er hier zwischendurch aufgetaucht ist? Und dann denkst du, dass er Spaß hatte?! Nicht, dass er vielleicht zusammengeschlagen in einer Ecke liegen könnte?“

Die Vermutung mit der Freundin versucht er ganz schnell in den hintersten Bereich seines Bewusstseins zu schieben. Darüber will er jetzt echt nicht nachdenken. Langsam wendet sich der Künstler wieder zu ihm um und umklammert dieses Mal einen feinen Schal, vermutlich aus Seide.
„Hör mal, Yoongi. Ich kann dir auch nicht helfen, wenn du mit dem Gedanken nicht klarkommst, dass Jungkook irgendwo die Nacht mit jemandem verbracht hat. Das ist das, was man in dem Alter nun mal tut. Absolut nicht verwerflich. Ich war früher nicht anders und wenn ich an Jimin zurückdenke, bist du da auch nicht besser. Dass er weggeblieben ist, muss ja nicht gleich heißen, dass er im Krankenhaus gelandet ist und sich geprügelt hat. Du weißt doch gar nicht, was er in seiner Freizeit treibt.“

Ungläubig schüttelt Yoongi den Kopf.
„Wenn du wüsstest…“, murmelt er und sein Blick verfinstert sich, als sich ein Bild von Jungkook in seinem Kopf bildet, wie er mit einer Frau in einem Raum verschwindet. Leicht bekleidet natürlich. Scheiß Kopfkino. Wieso muss er ausgerechnet jetzt an Jungkooks muskulösen Körper zurückdenken, auf den er einen Blick während seiner Spionage erhaschen konnte?

„Ist noch was?“, reißt Taehyung ihn aus seinen Gedanken. Er verschränkt seine Arme und legt den Kopf leicht schief. Es ist offensichtlich, dass ihn dieses Gespräch keinen Deut interessiert, aber das wird sich gleich ändern.

„Ja. Ich zieh bald aus“, haut er ohne Umschweife raus und im selben Moment lässt Taehyung seinen Schal fallen.

„BITTE!?“, hinterfragt er ungläubig.
„Das glaubst du doch selbst nicht!“

„Doch, ich bin schon dabei Anzeigen durchzuschauen und…“ Taehyungs Miene verdunkelt sich. „Vergiss es. Du weißt genauso gut, wie ich, dass du keine passende WG finden wirst. Oder muss ich dich daran erinnern, wie verzweifelt du vor zwei Jahren hier angekommen bist, weil keiner der anderen dich als das akzeptiert hat, was du bist? Meinst du echt, dass das jetzt anders sein wird? Du solltest besser die Sache mit Jungkook klären, bevor du hier einfach Reißaus nimmst. Glaub mir, damit wirst du wesentlich besser davonkommen.“

Taehyung ist selten so ernst wie just in diesem Moment. Aber leider trifft er damit voll ins Schwarze. Es ist ja nicht so, als wüsste Yoongi das nicht selbst. Es von Taehyung zu hören, ist trotzdem bitter.

„Wenn du nicht willst, dass ich hier abhaue, solltest du dir vielleicht mal überlegen, ob du mir mal hilfst. Dir geht es ja anscheinend am Arsch vorbei, was mit ihm ist. Ändere das, sonst bin ich hier schneller weg als du ein Bild malen kannst.“

Der Künstler schnauft pikiert. „Das ist ja wohl nicht meine Sache! Klär’s selbst.“

Okay, das reicht, denkt Yoongi und macht auf dem Absatz kehrt, um das Zimmer zu verlassen. Er fragt sich, ob Taehyung Recht hat und er die Sache mit Jungkook schnellstens klären sollte, bevor er die WG verlässt. Wenn das nur alles nicht so eine beschissene Situation wäre… Dieses Gespräch war sowas von unnötig und hat seine Grübeleien jetzt sogar noch um einen Faktor erweitert.
Jungkooks leicht bekleidete, imaginäre Freundin. Und das Schlimmste ist, dass Yoongi sich gerade nicht sicher ist, welche Vorstellung ihn mehr gruselt. Die, in der Jungkook mit der Frau in einem Schlafzimmer verschwindet, oder die, in der er bewusstlos und mit Wunden übersät in einem Gebüsch liegt. Schlimmer kann ein Tag echt nicht beginnen, oder?

Yoongi trottet zusammen mit seinen Horrorvorstellungen zurück in sein Zimmer und wirft sich aufs Bett, mit dem Vorhaben etwas Schlaf nachzuholen. Das funktioniert für knapp zehn Minuten, denn da wird seine Tür schwungvoll aufgerissen und ein übertrieben gut gelaunter Taehyung kommt rein.

„Ich wollte nur sagen, dass ich dann jetzt weg bin. Spaß haben, nur damit du dir keine unnötigen Sorgen machst. Ach, und bevor ich’s vergesse. Kookie ist gerade wiedergekommen. Nur, falls du die Gelegenheit nutzen willst, um die Sache zwischen euch zu klären.“

Yoongi ist umgehend wach. Hellwach. Mit Herzrasen und allem, was dazu gehört. Tausend Bilder von Jungkook entstehen in seinem Kopf und bei mindestens der Hälfte ist er in Begleitung einer Frau. Bei den anderen ist er schwer verletzt. Er will Taehyung danach fragen, in welchem Zustand ihr Mitbewohner sich befindet, aber sein Mund verselbständigt sich.

„Allein?“, platzt es aus ihm heraus und bereut es im selben Moment. Das war nicht das, was er fragen wollte. Taehyung verzieht daraufhin seine Lippen zu einem süffisanten Grinsen und wackelt auffällig mit den Augenbrauen.

„Sag mal, Yoongi. Kann es sein, dass du ein ganz kleines, winziges Bisschen eifersüchtig bist?“

Yoongi antwortet direkt mit einer Kurzschlussreaktion. Er schnappt sich das Kissen, auf dem ursprünglich sein Kopf lag und wirft es in die Richtung des Künstlers. Dieser duckt sich schnell genug, um nicht abgeworfen zu werfen, und verschwindet, ohne noch etwas zu sagen, aus Yoongis Zimmer. Er kann immer noch Taehyungs fröhliches Pfeifen hören, weil dieser der Meinung ist, dass er der Eifersucht verfällt. Yoongi und eifersüchtig auf eine Frau?
Kräftig schüttelt er sich, um den Gedanken ganz schnell wieder zu verwerfen. Wo führt das nur hin…?
Mit einem Schwung steht Yoongi von seinem Bett auf, etwas traurig über die Tatsache, dass er nicht mehr zu seinem wohlverdienten Schlaf kommen wird. Doch das Gefühl der Erleichterung, als er Jungkook im Flur hören kann, überwiegt stark.

Schnell geht er zu seiner Tür und reißt sie auf. Ob der Jüngere wohlauf ist? Die Gedanken in Yoongis Kopf überschlagen sich wieder, als er kurz darauf in der Küche angekommen ist und sich hinter Jungkook befindet, der mit dem Rücken zu ihm steht.

Froh darüber, dass er auf den ersten Blick unversehrt (und ohne Begleitung) zu sein scheint, atmet er tief durch und seine Mundwinkel sind kurz davor ein Lächeln zu formen. Wirklich so kurz davor. Und plötzlich, als Jungkook zwei Schritte geht, fällt Yoongis Blick sofort auf dessen rechtes Bein. Er humpelt.

Wild klopft das Herz des Älteren gegen seinen Brustkorb und Panik macht sich in ihm breit. Die Sorgen fluten ihn erneut und aus der Verzweiflung heraus greift er Jungkooks Ärmel. Ohne großartig darüber nachzudenken, welche Folgen das mit sich ziehen könnte, dreht er ihn zu sich um und sieht in ein Gesicht, dem der Schock mindestens genauso sehr abzulesen ist wie seinem eigenen.

„Was hast du…?“ Yoongi fehlen die Worte, denn er hat vieles erwartet, aber ganz sicher nicht eine genähte Platzwunde oberhalb des Auges. “Was ist passiert?!“

Eigentlich will er seinem jüngeren Mitbewohner nicht mehr zu nahetreten, aber im Affekt, als Jungkook einen Schritt zurückgeht und unter Schmerzen zusammenzuckt, greift Yoongi dessen Arm und versucht, ihn seitlich zu stützen.

„Fass mich nicht an“, faucht der Jüngere und befreit sich sogleich aus Yoongis Griff. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, krallt er sich an der Arbeitsplatte fest. Yoongi entgeht nicht, wie er immer noch schmerzvoll das Gesicht verzieht.
„Jungkook, es reicht jetzt!“ Yoongis Stimme klingt strenger, als er beabsichtigt hatte, was wahrscheinlich an dem Schlafmangel liegt. Er ist zu müde für das sture Verhalten des anderen. Er will endlich Klarheit. Scheiß auf irgendwelche Grenzen, die er nicht überschreiten sollte. Wenn Jungkook so weiter macht, landet er bis Ende des Monats noch auf der Intensivstation und fuck… Allein bei der Vorstellung zieht sich alles in Yoongi zusammen.

„Hängst du so wenig an deinem Leben, oder was? Was ist eigentlich in dich gefahren, hm? Mir reicht es langsam. Ich werde nicht dabei zusehen, wie du immer stärker zugerichtet nach Hause kommst. Rede endlich mit mir.“

Jungkooks Augen weiten sich für den Bruchteil einer Sekunde, bis er sie wieder zu engen Schlitzen verengt und Yoongi böse anfunkelt.
„Das kann DIR doch egal sein! Du bist doch eh bald weg, also was interessiert es dich noch!?“

„Alter, willst du jetzt Stress machen, weil ich gesagt habe, dass ich ausziehe? Ich dachte, das ist das, was du willst.“
„Ich habe nie gesagt, dass du ausziehen sollst. Ich wollte nur, dass du mich in Ruhe lässt!“

„Und wie soll das bitte funktionieren, wenn wir zusammenwohnen, hm!?“
Jungkook verdreht die Augen, sagt aber nichts mehr dazu, sondern humpelt an ihm vorbei. Yoongi sucht fieberhaft nach etwas, was den anderen dazu bewegt, zu bleiben und endlich mit ihm zu reden.

„Ich weiß, dass du die ganzen Verletzungen vom Boxen hast“, haut er raus, ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken.
Wieder so eine Kurzschlussreaktion, aber was bleibt ihm auch anderes übrig? Sein Kopf ist nicht wach genug für diese Art von Gesprächen und egal, was er tut, er landet immer wieder in so einer beschissenen Situation. Also setzt er jetzt alles auf eine Karte.
“Woher… weißt du das?“ Jungkooks Stimme klingt verwirrt und wütend zugleich, als er zurück in die Küche gehumpelt kommt und sich an der Küchenzeile abstützt.

„Ich… hab’s gesehen“, gibt Yoongi zu, woraufhin sich Jungkook wütend an die Arbeitsplatte krallt und ihn entsetzt anstarrt.

„Bist du... mir etwa gefolgt?!“
Yoongi muss nicht antworten. Sein schuldbewusster Blick scheint aussagekräftig genug zu sein, um Jungkook noch wütender zu machen.
„Du kannst mir doch nicht hinterherspionieren! SPINNST DU?!“
Der Vorwurf ist nicht völlig unbegründet, so viel muss Yoongi zugeben. Dennoch fühlt er sich in die Ecke gedrängt.

„Ob ich spinne?! EY, GEHT’S DIR NOCH GUT?!?!”, beginnt Yoongi zu schreien. Er ist hilflos und weiß nicht weiter. “Wie gesagt, ich sorge mich um dich! Egal was du machst, egal wie scheiße du zu mir bist. Sogar als du mich behandelt hast, als hätte ich die Pest, habe ich mich noch für dein Wohlergehen interessiert!!! Und was machst du? Dankbar bist du kein Stück. Stattdessen führst du dich auf wie ein Arschloch, wenn man versucht dir zu helfen! KOMM MAL KLAR! DU MERKST GAR NICHTS MEHR, ODER?!“

„DU MERKST NICHTS MEHR! Verfolgst mich wie ein Stalker und schreist mich am laufenden Band an!“

„Du schreist doch auch herum! Wie soll ich mich denn sonst bitte dagegen behaupten, hm?!“

Okay, Yoongi. So führt das zu nichts und nichts ist nicht das Ziel. Das Ziel ist es, dass Jungkook sich beruhigt und bleibt.
Für einen kurzen Moment schließt Yoongi seine Augen und atmet tief durch, ehe er vorsichtig nach Jungkooks Hand greift und sich wirklich zusammenreißen muss, dass er nicht wieder mit unbedachten Worten herausplatzt. Doch als er gerade das Gefühl hat, dass sich ihre Hände berühren, reißt der Sportler seine Hand weg und sein Blick sagt mehr als deutlich, dass er ihm nicht zu nahekommen soll.

„WEIßT DU WAS? ICH HABE AUF DIE SCHEIßE KEINEN BOCK MEHR!“

„Jungkook, ich-“
Weiter kommt Yoongi nicht, denn im nächsten Augenblick holt sein Gegenüber aus und verpasst ihm einen gewaltigen Schlag in die Magengegend.
„AH, SCHEIßE!“, flucht Yoongi, als er gegen die nahestehende Anrichte stolpert und vorsichtig an die getroffene Stelle fasst. Die Berührung verursacht einen unfassbaren Schmerz, weshalb er kurz zusammenzuckt, ehe er Jungkook anfährt.

„VERDAMMT WAS SOLL DAS, JUNGKOOK?!“

„WAS SOLL WAS? EY, DU BIST MIR DOCH GEFOLGT UND HAST MICH BEOBACHTET! UND FUCK! FASS MICH EINFACH NICHT AN, DU SCHWUCHTEL!“

„OKAY, ES REICHT!“

Wutgeladen stapft Yoongi auf Jungkook zu und schlägt zurück. Dabei versucht er ebenso auf dessen Magengegend zu zielen, doch der Jüngere blockt gekonnt mit Ducken und den Unterarmen ab. Was hat er erwartet von einem Boxer? Dass er einfach durchbricht?

Kaum schlägt Yoongis Faust auf Jungkooks Armen auf, holt er erneut aus und seine Hand findet tatsächlich den Weg vorbei in das auserkorene Ziel. Eine Sekunde später und er wäre wieder an dessen Blockade abgeprallt, aber da Jungkook vor Schmerzen kaum aufrecht stehen kann, streift er lediglich seinen Arm und trifft ihn an der linken Seite. Erschrocken weicht Yoongi zurück, weil er nicht darüber nachgedacht hat, dass er eventuell die genähte Platzwunde hätte treffen können, wenn etwas schiefgelaufen wäre. Sorgen und Wut vermischen sich, sodass er keinen klaren Gedanken fassen kann. Er will diese Beleidigung und den Faustschlag nicht einfach so unter den Teppich kehren, links liegen lassen oder was auch immer. Aber er macht sich immer noch einen Kopf um den Jüngeren. Vielleicht mehr als er von sich erwartet hat. Mehr als er sich eingestehen will.

„Jungkook, es tut mir leid…“

Beschwichtigend hebt Yoongi seine Hände und versucht, seine Wut herunterzuschlucken, aber sein Gegenüber streckt seinen Arm aus, um ihn von sich fernzuhalten.

„Fass. Mich. Einfach. Nicht. An!“, betont Jungkook jedes einzelne Wort, hebt langsam seinen Kopf und sieht Yoongi direkt in die Augen. „ICH HAB ES DIR TAUSENDMAL GESAGT! DU SOLLST MICH IN RUHE LASSEN!“
   

  

Tränen laufen über die Wangen des Jüngeren, als er alle Kraft zu sammeln scheint und zu einem weiteren Schlag ansetzt, der Yoongis Nase nur knapp verfehlt. Trotzdem kommt der Ältere ins Wanken und stolpert rückwärts, bis er letztendlich zusammensackt und am Boden sitzt. Der Schlag hat ihn ordentlich erwischt.

Entsetzt tastet Yoongi seine Lippen ab und spürt kurz darauf ein brennendes Stechen, weshalb er kurz vor Schmerz aufstöhnt. Jungkook hat ihn ernsthaft ins Gesicht geschlagen. Das überschreitet eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte.
„Scheiße, Yoongi.“ Jungkook scheint erst jetzt zu realisieren, was er getan hat, denn er schaut beinahe noch schockierter drein als Yoongi. Er sieht verzweifelt aus, während er anscheinend die richtigen Worte zu finden versucht. „Yoongi, Ich…“

„Du was?“, lacht Yoongi spöttisch und kämpft sich zurück auf seine Beine,

„Tut es dir plötzlich leid, dass du mich so fertig machst? Ich hab’s kapiert. Also lass es einfach…“

Die Mimik des anderen ändert sich schlagartig. Der Schock weicht der Mischung aus beleidigt sein und Wut.
„Dann verpiss dich halt“, kontert Jungkook, auch wenn seine Stimme nicht so böse klingt, wie sie klingen sollte.

Yoongi hält es keine Sekunde länger aus, ohne Jungkook nicht wieder eine reinzuhauen. Unter Schmerzen geht er direkt zum Flur, um sich seine Jacke zu schnappen und Schuhe anzuziehen, sich mit den wichtigsten Dingen einzudecken und die Wohnung zu verlassen. Die Tür knallt er absichtlich fest hinter sich zu, ohne sich noch einmal umzudrehen. Selbst für Yoongi ist Jungkook mit dieser Aktion zu weit gegangen. Es reicht. Soll er sich halt von seinen Boxkumpels krankenhausreif prügeln lassen.

Obwohl sein Bauch und sein Gesicht höllisch wehtun, schleppt er sich zu dem einzigen Ort, an dem er es in diesem Zustand aushalten kann. Der verlassene Bahnhof, der vor einigen Jahren stillgelegt wurde und an dem sich tagsüber nur selten Menschen hin verirren. Zum Glück ist es erst Mittag, denn ab den frühen Abendstunden wimmelt diese Gegend vor zwielichtigen Gestalten, wie betrunkene Obdachlose, die gerne auf Streitereien aus sind. Davon hat Yoongi erstmal genug. Er möchte nur ein bisschen Ruhe, um darauf klarzukommen, was alles passiert ist.
In Gedanken versunken sitzt er auf den Bahngleisen und kickt einen Stein nach dem anderen weg. Eine Frage ist während der gesamten Zeit besonders präsent in seinem Kopf. Wie hatte der Streit dermaßen eskalieren können?
In diesem Augenblick ist Yoongi sich nicht mehr so sicher, ob es wirklich schlimm wäre, wenn er direkt auszieht. Er hält es nicht länger aus. Er muss da weg, und zwar so schnell wie möglich. Dann soll Jungkook sich eben ins Krankenhaus befördern lassen. Auch wenn ihm die Vorstellung wehtut, ist es immer noch besser, als nochmal aufeinander loszugehen. Und Hoffnung, dass der andere sich in den nächsten Tagen zum Positiven verändert, hat er keine mehr.

„Scheiße“, flucht er ein weiteres Mal, weil es das Einzige ist, was er gerade rausbekommt. Diesmal schnappt er sich einen kleinen Stein, um ihn gegen einen der Container zu werfen. Er ist sauer. Zumindest in diesem Augenblick. Das war er die letzten zwei Stunden immer mal wieder, bis die Wut sich zurück in Verzweiflung geändert hat, um dann erneut zu Wut zu werden. Er kann sich nicht daran erinnern, dass er jemals so dermaßen fertig war, aber wahrscheinlich liegt es immer noch daran, dass er völlig übermüdet ist und Schmerzen hat.

„Mistkerl“, beschimpft er den nächsten Stein, ehe er ihn ebenfalls gegen den Container wirft. Langsam flaut die Wut wieder ab, aber wirklich besser fühlt Yoongi sich dadurch nicht. Er ist so verdammt müde. Am liebsten würde er einfach nach Hause und sich in sein Bett legen, aber die Gefahr, Jungkook dann wieder über den Weg zu laufen, ist zu groß. Also bleibt er sitzen. So lange, bis er merkt, wie ihm immer häufiger die Augen zufallen.
 

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Taelirium & SweetRaspberryxXx

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