⊱─ ⋯ ─⊰ TAG 2 ⊱─ ⋯ ─⊰

[Freitag tagsüber]
  
 

𝕐𝕠𝕠𝕟𝕘𝕚

Von Jimin ist eine gefühlte Ewigkeit nichts zu sehen und zu hören. Passt mir aber ganz gut, denn so kann ich in Ruhe an den Lyrics weiter arbeiten. Da ich heute nicht zur Uni muss, kann ich die Zeit noch nutzen.
Irgendwann höre ich im Flur wieder Geräusche. Mann, dieser Kerl ist manchmal so leichtfüßig, und manchmal klingt er wie eine Horde Elefanten... Er scheint in Eile zu sein, bestimmt muss er gleich zur Uni.

Dabei fällt mir auf, dass Jimin und ich uns noch nie wirklich unterhalten haben. Aber wer weiß, vielleicht ergibt sich ja eine Gelegenheit, wenn wir nochmal zusammen essen. Apropos ... wenn Jimin weg ist und ich frei habe ... dann müsste ich eigentlich fürs Kochen zuständig sein, oder? Das ist ja leider so gar nichts meins, aber die Aussicht darauf, dass er sich freuen wird, motiviert mich dann doch.
Ich arbeite bis zum Abend weiter an meinem Text und fange dann sogar rechtzeitig mit dem Kochen an.

 
  
ʝιɱιɳ

Das Bad war genau die richtige Entscheidung! Ich merke kaum noch was vom Muskelkater. Dafür muss ich mich jetzt gewaltig sputen, weil ich in der warmen Wanne eventuell noch mal ein bissssschen eingeschlafen bin. Ich flitze in mein Zimmer, ziehe mich fertig an, schnappe mir die Tanzklamotten und ... - Stop! Ich darf die Noten für Gesang nicht vergessen! - und bin auch schon draußen. Im Treppenhaus darf heute mal wieder das Geländer herhalten - Rutschen geht einfach schneller.

Auf dem Fahrrad fällt mir dann auf, dass ich nicht mal Tschüß zu Yoongi gesagt habe. Es ist einfach noch so ungewohnt, dass wir miteinander reden! Naja, ich kann ihm ja gleich 'ne Nachricht schreiben, wann ich wahrscheinlich wieder da bin. Ich schließe mein Rad vor der Uni an der nächsten Laterne an und schnappe mir sofort mein Handy, damit ich das nicht vergesse. Aber Pustekuchen. Peinlicher gehts ja gar nicht mehr! Wir wohnen seit wieviel Monaten? zusammen und haben noch nicht mal Nummern getauscht. Wir sind wirklich Meister der Ignoranz. Also keine Nachricht. Hmpf.

Während ich durch die Gänge der Uni haste, um noch rechtzeitig den Raum meines Gesangsprofs zu erreichen, hängen meine Gedanken noch immer bei Yoongi fest. Es ist echt verrückt! Wann hat mich das letzte Mal jemand so gründlich aus der Bahn geworfen und permanent meine Gedanken beherrscht? Was passiert da grade bei uns? Wer ist der wahre Yoongi - der alte, zurückgezogene oder der neue, aufmerksam-kommunikativ-freundliche? Und wer bin ich bei der ganzen Sache?? Keine Ahnung.

Plötzlich geht vor mir eine Tür auf, und die Stimme meines Profs sagt:"Park Jimin, da sind Sie ja. Kommen Sie doch einfach rein. Sie müssen nicht draußen auf meine Erlaubnis warten."

Ups! Da bin ich wohl gedankenverloren einfach auf dem Flur vor der Türe stehen geblieben. Yoongiiiiiiiii, was machst du mit mir ???

Schnell betrete ich den Raum, verbeuge mich vor dem Prof, schäle mich aus meinen Winterklamottenschichten und beginne, mich einzusingen.

Während der Stunde fällt mir dann doch mal dezent verspätet auf, dass ich heute zwar schon einen schönen Traum, einen leckeren Kaffee und ein entspannendes Bad hatte - aber leider noch kein Frühstück und damit keine Stütze für meine Stimme. Am Anfang quieke ich kläglich. Entsprechend irritierte Blicke ernte ich von meinem Gegenüber. Schließlich macht der Prof einen Schwenk und für den Rest der Stunde nur noch Gehörbildung. Da fehlt das Frühstück nicht ganz so ...

Als ich den Raum verlasse und zur Mensa strebe, nehme ich mir fest vor, den Rest meines Uni-Tages nicht mehr an Yoongi und die mysteriösen Veränderungen in unserem WG-Leben zu denken. Genussvoll schlage ich mir den Bauch voll. Das Essen in unserer Mensa ist tatsächlich genießbar im Vergleich zu anderen Unis. Kaum bin ich jedoch in meinem gebuchten Trainingsraum angekommen und schmeiße Yoongis Song an, um weiter an der Choreo zu feilen - flups! - ist er schon wieder in meinem Kopf.

Heute tanze ich nur drei Stunden, konzentriere mich auf wenige Abschnitte des Songs und auf ein paar ganz bestimmte Bewegungsfolgen, die ich auf jeden Fall einbauen will. Trotzdem merke ich, dass ich noch ausgebremst bin durch die fehlenden Lyrics. Ich weiß so einfach noch nicht genug über die Kernaussage des Songs. Ob ich Yoongi nachher drauf anspreche? Ich muss ja eh noch beichten ... Jedenfalls mache ich mir jetzt mal Notizen zur Struktur des Songs, kennzeichne, wo noch der Text fehlt, und filme mich bei den Bewegungen, die ziemlich sicher rein sollen. Ich spiele noch ein bisschen mit den Möglichkeiten. Aber dann ist meine Zeit rum. Die nächsten stecken schon den Kopf zur Tür rein.

Ab nach Hause. Für heute reichts! Ich radele nach Hause und überlege dabei, was ich aus meinem kleinen Einkauf von gestern gleich mal kochen könnte. Als ich die Treppe des Wohnheims zu unserer Etage hochsteige, schiebt sich plötzlich das Bild von einem Yoongi vor mein geistiges Auge, wie er grinsend den Kochlöffel schwingt. Absurd! Auf was für Ideen man kommen kann ...

Ich öffne die Tür und tauche ein in die seltsam neue Atmosphäre unserer gemeinsamen Wohnung. Ich stutze und schnuppere. Ernsthaft? Ich rieche ...

𝕐𝕠𝕠𝕟𝕘𝕚

Gerade bereue ich es ein bisschen, so selten zu kochen. Ich stehe ziemlich verloren in der Küche und überlege, welches von den gerade mal drei Standardgerichten, die ich beherrsche, ich machen soll. Ich entscheide mich - wie so häufig - für Reis und Gemüse. Nur, dass unser Vorrat leider schon zur Neige geht. Aber wie sagt man doch so schön? Der Wille zählt.
Ich hab sogar relativ gute Laune, während ich das Gemüse klein schnibbel und mit dem gekochten Reis in die Pfanne gebe. Riechen tut es schon mal gut. Jetzt muss nur noch Jimin kommen, dann können wir direkt essen.

Aber Jimin kommt nicht. Damit mir das Essen nicht anbrennt, stelle ich die Platte runter und setze mich an den Küchentisch. Immer wieder stehe ich auf, rühre nochmal durch, setze mich wieder, stelle die Platte nochmal runter, rühre und warte. Es dauert gefühlte Stunden, und langsam zweifele ich, ob ich nicht viel zu früh mit Kochen angefangen habe.

Ich setze mich wieder an den Tisch, lege den Kopf auf meine Arme und warte weiter. Sollte ich das Essen ausmachen? Wir könnten es warm machen. Auf der anderen Seite kommt Jimin bestimmt genau dann, und dann ärgere ich mich. Ich setze mir eine Deadline, bis wann ich warten will, und bleibe weiterhin sitzen.

Als ich irgendwann Geräusche höre, schrecke ich auf. Shit! Ich bin eingenickt.
Doppel-Shit!! Es riecht verbrannt! Verdammter Mist!
Ich stürze zum Herd und stelle fest, dass der Reis schon leicht angebrannt ist. Na ganz toll! Da will man einmal was Gutes tun und wird bestraft ...
 

ʝιɱιɳ

... angebrannt. Nur so'n bisschen. Aber das ist es gar nicht, was mich verblüfft. Es ist die Tatsache, dass er überhaupt in der Küche ist, aus der jetzt leise Flüche und hektisches Geklapper dringen. Ich fühle irgendwas zwischen Begeisterung, Verwirrung, Neugierde und Besorgnis. Heißt das etwa, dass Yoongi für UNS gekocht hat und nicht nur für sich? Er hat sich Gedanken gemacht über ein Gericht für ein gemeinsames Abendessen? Cool!

Diese Verwandlung in einen geselligen Menschen mit Sozialkompetenz geht mir einfach zu schnell. Wie kann es sein, dass eine einzige Standpauke zur Gehirnwäsche mutiert ??? Hat sich Yoongi vielleicht irgendwo den Kopf gestoßen und dabei ein paar Synapsen neu verknüpft? Braucht er einen Arzt? Ich raffs nicht.

Mein Magen hat seine eigene Meinung dazu. Er knurrt so laut, dass man es wahrscheinlich noch auf Chefkoch.de gehört hat. Ich entledige mich meiner Winter-"Verpackung" und der Schuhe, bringe meine Tasche ins Zimmer und fasse einen Entschluss. Sollte Yoongi tatsächlich für uns beide gekocht haben, werde ich klaglos alles essen UND loben, was er da grade zu Briketts verarbeitet hat. Der Wille zählt!

........................................................

6.6.2021