Neugier

Rhyse

„Und, wie läuft es mit deinem Studium, Rhyse?", wollte Frau Smith mal wieder wissen.

Die oft etwas verwirrte Frau stellte mir die Frage nun zum dritten Mal und wie bei den Malen davor antwortete ich geduldig: „Es läuft sehr gut, danke der Nachfrage."

Mit der Antwort zufrieden wandte sie sich wieder dem Gespräch mit meinen Eltern und ihren Freundinnen zu. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare. Es war zwar ganz nett hier, aber die Lästergemeinschaften regten mich wirklich auf.

Mindestens 3 Lästerschwestern und -brüder hatten mich schon auf den 'unfreundlichen Jungen' angesprochen, neben dem ich gesessen hatte. Eine Frau war sogar so weit gegangen und hatte mich gefragt, ob Luxe mein neuer Freund sei. Dabei war er so gar nicht mein Typ.

Ich verzog das Gesicht und ließ meinen Kopf kreisen. Gott, ich saß wirklich zu viel vor meinem Computer. Dann drehte ich mich zu Dad.

„Ich möchte ja nicht stören, aber könnte ich vielleicht schon mal mit Luxe heim fahren? Ich muss noch einige Sachen für die Uni machen", wollte ich möglichst freundlich wissen.

Oder, wie mein bester Freund Nick es ausdrücken würde, schleimig freundlich. Aber so war ich eben, wenn ich mit meinen Eltern sprach. Oder wenn ich mit Leuten sprach, die ich nicht mochte.

„Klar, Lina und ich kommen dann später nach."

Ich fing den Schlüssel auf, den Dad mir zuwarf und drehte mich um. Dann lief ich mit schnellen Schritten zu dem Wagen und Luxe, der mich mit einer hochgezogenen Augenbraue ansah. Er war sogar so freundlich, dass er einen Kopfhörer aus seinem Ohr zog.

„Wir fahren schon einmal heim, Mum und Dad kommen dann später nach."

Luxe nickte nur halbherzig und glitt auf der Beifahrerseite in den Wagen, den ich soeben aufgeschlossen hatte. Ich selbst setzte mich auf den Fahrersitz, schnallte mich an und fuhr dann los. Da der Jüngere wohl mit sich selbst beschäftigt war, schaltete ich leise Musik an.

Die Fahrt verlief schweigend, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass Luxe etwas auf der Seele lag. Zu gerne hätte ich ihn darauf angesprochen, doch wusste ich, dass er mich nur wieder anfauchen oder mit mir streiten würde. Ich kannte diesen Jungen kaum, und dennoch konnte ich solche Reaktionen voraussagen. Das sagte wohl so einiges über ihn aus.

Auch zuhause angekommen sagte Luxe kein Wort, sondern steuerte lediglich auf die Haustür zu. Seufzend folgte ich ihm und schloss auf. Drinnen schlüpfte ich dann aus meiner Jacke und meinen Schuhen und lief, ohne Luxe zu beachten, in die Küche. Zwei können dieses Spiel spielen.

Dabei fiel mir auf, dass der Kleine den gleichen Weg anstrebte wie ich. Weshalb wohl? Ich schüttelte leicht den Kopf. Wahrscheinlich wollte er sich Wasser oder so holen und dann in sein Zimmer verschwinden. Doch er überraschte mich.

Denn als ich mir gerade einen Kaffee machte, fragte Luxe plötzlich: „Habt ihr zufällig losen schwarzen Tee im Haus? Und ein Tee-Ei?"

Überrascht drehte ich mich um und blickte den anderen an. Warum wollte er das denn wissen?

„Klar, aber warum willst du das wissen?", fragte ich neugierig.

Luxe zuckte bloß mit den Schultern und meinte dann mit hochgezogener Augenbraue und betont langsam: „Keine Ahnung, vielleicht ja, weil ich mir gerne einen Tee machen würde."

Ich schnaubte bloß.

„Das war mir klar, Luxe. Ich habe dich nur nicht für den Teetrinker gehalten, als welchen du dich hier gerade ausgibst. Also, warum willst du Tee trinken?"

Luxe presste seine Lippen zusammen und antwortete nicht. Er wollte anscheinend nicht reden, aber zumindest hatte er preisgegeben, dass da noch was anderes war. Immerhin etwas.

Da kam mir eine Idee, um meine Neugier zumindest etwas zu besänftigen. Vielleicht redet er mit mir, wenn ich ihm ein Angebot machte. Das war vielleicht etwas weit hergeholt, aber was solls. Bei meinen Freunden funktionierte das immer, warum nicht auch bei Luxe?

„Okay, wie wäre es damit: Ich stelle dir eine Frage, du antwortest und darfst mir dann auch eine Frage stellen, die ich beantworten muss. Dafür bekommst du auch das Zeug, das du gerade gefordert hast."

Jetzt verzog er verächtlich das Gesicht und meinte: „Du hältst dich wohl wirklich für sehr interessant? Aber okay. Ich stelle die erste Frage."

Ich nickte bloß und kramte dann in den Schränken nach einem Tee-Ei und dem losen Tee. Als ich die Sachen schließlich in den unsortierten Tiefen eines Unterschrankes fand, stellte ich sie samt Tasse auf den Tisch und setzte Wasser für Luxe auf.

Dann setzte ich mich mit meinem Kaffee auf den Stuhl Luxe gegenüber, trank einen Schluck des nunmehr lauwarmen Getränkes und sah den Jungen vor mir auffordernd an. Der fuhr sich einmal nachdenklich durch die Haare und verzog sein hübsches Gesicht zu einer Grimasse.

„Wann hast du Geburtstag?", fragte er zum Schluss.

„01.02. Du?"

„27.11. Warum studierst du Jura?"

Die Frage war leicht zu beantworten.

„Weil ich den Menschen helfen will, die unschuldig im Gefängnis landen oder landen sollen. Was ist dein Berufswunsch?"

Wieder fuhr Luxe sich durch die Haare und dachte mit gerunzelter Stirn nach. Zwischendurch unterbrach ihn der Wasserkocher, aus welchem er kurz Wasser in seine Tasse schüttete und das Tee-Ei hinein legte.

Nachdem er an dem kochend heißem Getränk genippt hatte, antwortete er immer noch nachdenklich: „Psychologe, Therapeut oder so etwas. Was ist passiert, dass du dich für andere einsetzen willst? Niemand sagt so etwas, einfach weil er so ein 'toller' Mensch ist."

Jetzt musste ich etwas schmunzeln. Der Junge hatte eine äußerst gute Menschenkenntnis, das musste ich ihm lassen.

„Mein Onkel musste ein paar Jahre lang ins Gefängnis, weil seine Ex-Frau behauptet hat, dass er sie geschlagen hätte. Das stimmt aber nicht. Der Mann kann keiner Fliege etwas zuleide tun, glaub mir. Warum willst du Psychologie oder etwas in die Richtung studieren? Und die Antwort 'weil es mich interessiert' gilt nicht."

Gespannt wartete ich und beobachtete die Mimik des Jungen. Er blinzelte, dann presste er wieder die Lippen zusammen. Noch etwas, worüber er anscheinend nicht reden wollte.

„Der Typ, der den tödlichen Autounfall meiner Eltern verursacht hat, hatte Depressionen, war betrunken und suizidgefährdet. Ich möchte mehr darüber erfahren, was Menschen antreibt, so zu sein, wie sie nun mal sind, um so etwas zu vermeiden."

Diese ehrliche Antwort überraschte mich. Genauso der traurige Gesichtsausdruck auf Luxe Gesicht. In diesem Moment konnte man den Jungen erkennen, der unter der Fassade des kalten Teenagers schlummerte und um seine Eltern trauerte. Gerade tat er mir unglaublich leid. So leid, dass ich ihm gerade irgendetwas, was auch immer, sagen wollte, um ihn zu trösten, obwohl er sich gerne wie das letzte Arschloch verhielt.

Doch da hörte ich den Schlüssel in der Haustür und beobachtete wie Luxe Miene sich innerhalb weniger Sekunden grundlegend änderte. Er nahm eine angespannte Haltung an, der traurige Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand und wurde von einem arroganten verdrängt.

Dann, bevor ich die Änderungen gänzlich verarbeitet hatte, betraten meine Eltern die Küche. Dad zog überrascht eine Augenbraue in die Höhe und Mum lächelte, als sie uns bemerkten.

Fröhlich und anscheinend der lastenden Stille gegenüber immun durchbrach Mum diese schließlich und meinte an Luxe gewandt: „Schön, dass du dich mit Rhyse unterhältst. Übrigens: Wir haben uns überlegt, dass es toll wäre, wenn du heute mal etwas kochen könntest. Also, wenn es dir nicht zu viel ausmacht."

Als Luxe nicht antwortete, sondern nur das Gesicht verzog, hängte Mum hastig dran: „Es war nur eine Idee, hat Rhyse auch gemacht als er 18 wurde."

Jetzt zog Luxe eine helle Augenbraue in die Höhe und blitzte mich belustigt an.

„Wenn euer ach so toller Rhyse das gemacht hat, dann werde ich das auch tun."

Mutter lächelte erleichtert, bemerkte jedoch nicht, wie Luxe Gesichtsausdruck kurz in sich zusammenfiel. Irgendwie tat er mir leid, auch wenn er sich so schlecht benahm.

Niemand erkannte den Jungen hinter der Fassade, der sich nach Liebe sehnte und Angst davor hatte, wieder verletzt zu werden. Es war schon ungewöhnlich, dass ich Luxe schon so durchschaute, obwohl wir einander kaum kannten. Und noch seltsamer war, dass niemand anderes es bemerkte.

Oder benahm er sich mir gegenüber anders? Unwahrscheinlich, aber möglich. Doch selbst wenn, welchen Grund hätte er? Leider konnte ich der Theorie nicht mehr auf den Grund gehen, da Luxe sich ohne ein Wort aus dem Staub gemacht hatte.

Was auch immer es war, ich wollte Luxe dazu bringen, sich mir komplett zu öffnen. Unser heutiges Gespräch war ja schon mal ein Anfang, den ich so erfolgreich nie für möglich gehalten hatte. Darauf, und mit der Taktik würde ich mich weiter an ihn herantasten und ihn schließlich öffnen, da war ich mir sicher. Ich war hervorragend darin, Leute zu überzeugen, das würde Luxe schon noch sehen.

Zufrieden mit meiner Entscheidung lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und trank den Rest meines mittlerweile kalten Kaffees. Dabei hing ich weiter meinen Gedanken nach und schweifte, mehr oder weniger ungewollt, immer wieder zu Luxe.

Zu dem Ausdruck seiner blauen Augen und wie er sich durch die Haare gefahren war, während er überlegt hatte. Die Offenheit, die er anscheinend nur mir gegenüber zeigte. Und diese tiefe Trauer in seinen Augen, die alles andere in diesem Moment verschluckt hatte. Der Junge war ein Wrack.

12345678910

Whuhu, ein neues Kapitel🤗Ist zwar wirklich etwas seltsam geworden, aber ich stand unter Zeitdruck. Und ich schreibe morgen Englisch😐

Aber ich hoffe, dass es euch trotzdem gefällt.

Over and Out, _Amnesia_Malum_

PS: Vielleicht ist Dummheit ja ansteckend?🤔😶

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top