Prolog (@allanrexword)
Die glühende Sonnenscheibe von Ra war hinter dem Horizont versunken und ließ Nut herein. Sie breitete ihr tiefschwarzes Gewand über die Wüste und vertrieb die Hitze und Hektik des Tages.
Neptuchamun fröstelte, als eine kühle Brise durch seine Robe strich. Gewogen schritt er durch den Säulengang. Die gold- und brokatbesetzte Kleidung drückte auf seinen Füßen, als sie den nackten Fels berührten. Die zusätzlichen Insignien seiner Macht, der schwere, mit goldenen Ornamenten besetzte Halskragen und die Doppelkrone, ruhten beruhigend auf seinen Schultern und auf seinem Kopf. Sie zeigten, dass er als einziger ebenbürtiger Vertreter der Götter unter den Menschen wandelte. So stand es geschrieben und so hatte er es von Kindheit an gelernt. Auf weitere Amtszeichen und seine persönlichen Diener hatte er verzichtet, denn die erwartete Begegnung brauchte keine Zeugen.
Ein flatterndes Geräusch durchbrach die tiefe Stille, als ein einsamer Reiher auf einer der Säulen des Tempels landete. Der prächtige Vogel reckte seinen langen Hals und sang ein kurzes Klagelied. Neptuchamun blickte zu dem Boten der Weisheit auf und deutete es als gutes Zeichen, dass er in diesem einzigartigen Moment über ihn wachte. Denn um nichts anderes ging es in dieser Nacht: die höchste, alles umfassende Weisheit zu erlangen.
Die Kinder von Nut, weit über das Firmament verstreut, beobachteten jeden seiner Schritte. Langsam schwebte das pechschwarze Rechteck, das zum Allerheiligsten führte, auf ihn zu. Zum ersten Mal in seinem Leben - und vielleicht auch zum letzten Mal - würde er diese Stätte betreten. Schon sein Großvater war hier gewesen. Doch dieser hatte nie darüber gesprochen, was er in diesem Tempel erfahren hatte. Nur eines wusste Neptuchamun: Im folgenden Krieg hatten sie weite Teile Nubiens unterworfen. Es folgte eine Zeit des Wohlstands. Das Volk pries seinen Ahnen, als sei er der herabgestiegene Ra selbst gewesen. Inzwischen waren viele Jahre vergangen, der einstige Ruhm vergessen. Schlimmer noch: Die Flut blieb aus. In beiden Teilen seines Reiches herrschte Hungersnot. Was würde er dort erfahren? Wie konnte er die Götter umstimmen, damit das segensreiche Hochwasser doch noch kam? Was konnte er tun, um in die Fußstapfen seiner ruhmreichen Ahnen zu treten und das Volk zu beruhigen? Würde er seine Soldaten wieder in den Krieg schicken müssen?
Als er die ersten Schritte in den Gang setzte, empfing ihn der Duft von Weihrauch, und er konnte nicht verhindern, dass sein Herz schneller schlug. Aus goldenen Feuerschalen züngelten Flammen, deren flackernder Schein die bunten Zeichnungen an den Wänden und Decken mit Leben erfüllte. Es war eine Ehre, hier zu sein. Freudige Erwartung sollte sein Herz erfüllen, doch der Schatten des Zweifels dämpfte sie. Die Mauern zeigten Geschichten von Nuts Kindern. Wer von ihnen würde die nächsten Jahre seiner Regentschaft prägen? Wäre es Osiris, der Gott der Unterwelt und der Wiedergeburt? Würde er ihnen doch noch den ersehnten Anstieg des Nils bringen? Vielleicht zusammen mit Isis, der mächtigen Göttin der Magie und Beschützerin der Toten? Ehrfürchtig nickte er auch Nephthys zu. Sie war die geheimnisvolle Hüterin der Dunkelheit und des Schutzes. Ganz am Ende des Korridors wachte Seth, der Herr des Chaos und der Wüste. Gegenwärtig schien er die Geschicke seines Landes zu lenken. Als unbezwingbare Kraft der Zerstörung und Erneuerung durchzog er die Welt, sein flackernder Schatten kündigte Umbruch und Wandel an.
Am Ende öffnete sich der Korridor in einen weiten Raum. Das Allerheiligste, in dem schließlich alles zusammenkam. Von jeder Seite führten sechs Stufen zu einer Empore hinauf. Sie war leer bis auf eine Gestalt, die von Kopf bis Fuß in eine schlichte weiße Robe gehüllt war. Der gedämpfte Schein von Öllampen beleuchtete die Silhouette und ließ das Gesicht mit dem undurchdringlichen Schatten verschmelzen. Er konnte nicht umhin, sich zu fragen, wer sich unter dem Gewand verbarg. Ein göttlicher Gesandter auf Erden, wie er selbst einer war? Aber kannte er ihn? War es einer der Hohepriester? Oder war es ein Einsiedler, der hier jahrzehntelang die Zeichen deutete, um am Ende seine Erkenntnisse mit einem würdigen Pharao zu teilen? Vielleicht war es auch einer der Götter selbst, der sich für kurze Zeit herabließ, sich in menschlicher Gestalt zu zeigen.
»Komm näher, Neptuchamun. Knie nieder«, befahl die heisere Stimme des Orakels, das weder Mann noch Frau zu sein schien. Die Worte hallten hohl von den schattigen Wänden wider.
Mit gemessenen Schritten stieg er auf die Empore, kniete nieder und senkte das Haupt. Zum ersten Mal in seinem Leben zeigte er Demut. Er, der göttliche Herrscher, vor dem sich das Volk verneigte. Aber in dieser Nacht war er der Bittsteller. Ein leeres Gefäß, das mit der unendlichen Weisheit der Götter gefüllt werden wollte.
»Ich habe die Zeichen erkannt«, antwortete er mit fester Stimme, auch wenn er ein leichtes Zittern nicht ganz unterdrücken konnte. »Ich bitte dich, hilf mir, das kommende Unheil von unserem Volk abzuwenden.«
Stille durchzog den Raum, nur unterbrochen von seinem eigenen Atem und dem unnatürlich lauten Pochen seines Herzens. Hatte er die falschen Worte gewählt? War er zu forsch gewesen in seiner Annahme, die Zeichen erkannt zu haben? Erneut umschlangen ihn Zweifel wie dünne Schlangen, die ihm die Luft abzuschnüren schienen.
»Du hast recht«, erklangen die Worte seines Gegenübers und ließen ihn leicht aufatmen. »Große Dunkelheit und Leid ziehen auf und bedrohen die Welt. Aber eines solltest du wissen: Es ist nicht deine Aufgabe, die Menschen davor zu beschützen.«
»Aber ...«, der Widerspruch kam über seine Lippen, bevor er sich zurückhalten konnte.
»Schweig!«, donnerte die Stimme und ließ ihn zusammenzucken wie einen Schuljungen, dem der Lehrer mit dem Rohrstock auf die Finger schlug. Für einen Moment schienen die Öllampen ihre Leuchtkraft zu verlieren, und die Schatten rückten näher an ihn heran.
»Du wirst morgen und die darauffolgenden dreiundzwanzig Tage wiederkommen, um meine Weisheit zu empfangen. Damit die Kinder deines Volkes das Unheil abwenden können. Und jetzt - geh.«
Erleichterung durchströmte ihn wie das Wasser des Nils und spülte die Last der Sorgen fort, die bis zu diesem Augenblick auf seinen Schultern gelegen hatte. Das war mehr, viel mehr, als er je zu hoffen gewagt hatte. Es würde bedeuten, dass er nicht nur eine, sondern vierundzwanzig Weissagungen erhalten würde. Mehr als jeder andere Pharao vor ihm. Wenn er mit diesem geballten Wissen die Zukunft seines Volkes nicht retten konnte, wer dann?
Er verkniff sich eine Antwort auf diese beeindruckende Ankündigung und erhob sich, wie es sich gehörte. Mit maßvollen Schritten stieg er die Treppe hinab und ging den Weg zurück, den er gekommen war. »Eine Sache noch«, sagte die heisere Stimme, als er fast draußen war. Einen Augenblick blieb er stehen, ohne sich umzudrehen. »Keine meiner Weisheiten darf zum persönlichen Vorteil missbraucht werden! Sollte dies dennoch geschehen, wird sie sich in ihr Gegenteil verkehren und ihren Träger ins Unglück stürzen.«
Als Pharao diente er den Göttern sowie seinem Volk, daher war das selbstverständlich für ihn. Was er auch erfahren würde: Warum sollte diese göttliche Gabe missbrauchen?
***
Vierundzwanzigmal wanderte Ra über das Firmament. Vierundzwanzigmal grüßten ihn die Kinder Nuts, als er das Allerheiligste betrat. Auch diesmal verkündete ihm das Orakel, das unverändert und unfehlbar auf seinem Thron saß, seine Weisheit. Wie die dreiundzwanzig Male zuvor notierte er die Worte fein säuberlich auf einem Papyrus. Und wie die dreiundzwanzig Male zuvor ergaben sie für ihn keinen Sinn. Es war mystisches Durcheinander, das weder mit seinem Reich noch mit seinem Volk in Verbindung gebracht werden konnte. Die Dürre wurde nicht erwähnt, weder direkt noch metaphorisch. Was sollte er mit diesen angeblichen Weisheiten anfangen, deren verschlungene Worte keinen Sinn zu ergeben schienen? Er hatte gehofft, dass diese letzte Prophezeiung ihn zu erhellen vermochte. Etwas, das die bisherigen Sätze in einem anderen Licht erscheinen lassen würde. Aber so war es nicht. Nachdem er die letzten Zeichen mit seinem Schilfrohr niedergeschrieben hatte, kehrte Stille ein. Nur das leise Knistern der Flammen und sein eigener Atem durchbrachen sie. Und nun? Würde sich die Gestalt des Orakels in Luft auflösen oder ihm einen Hinweis geben? Einen Wink, dass es sich tatsächlich um göttliche Prophezeiungen handelte? Selbst wenn er deren Inhalt nicht verstand, würde es zumindest ihre Bedeutung unterstreichen.
»Du hast die letzte Weisheit empfangen«, sagte die raue Stimme, an deren Klang er sich seit fast einem Monat gewöhnt hatte. »Bewahre sie für die Kinder und Kindeskinder deines Volkes, denn ihr Schicksal hängt von ihnen ab. Und jetzt - geh!«
»Das ist alles? Wie soll ich mit diesem Unsinn mein Volk retten?«, entfuhr es ihm, bevor er seine Zunge im Zaum halten konnte.
»HINAUS!«, donnerte die Stimme in einer Lautstärke, die ihm durch Mark und Bein ging. Putz rieselte von der Decke und landete auf seiner Schulter.
Trotz seines pochenden Herzens schoss ihm das Blut ins Gesicht. Genug war genug. Er hatte alle Prophezeiungen erhalten und war nicht länger auf das Orakel angewiesen. Auf keinen Fall würde er sich von einem alternden Priester mit rhetorischen Tricks in die Flucht schlagen lassen, ohne wenigstens eine Ahnung zu haben, was er mit den wirren Worten anfangen sollte. Mit geballten Fäusten und steifem Rücken erhob er sich, bis er die Gestalt, die im Schneidersitz vor ihm saß, deutlich überragte. »Nein«, sagte er leise, aber mit der Klarheit und Entschiedenheit des unumschränkten Herrschers, der er war. Es war zugleich das erste wirkliche Widerwort, das in dieser heiligen Halle seinen Mund verließ. Einmal begonnen, folgten weitere Worte, ohne dass er darüber nachdachte: »Ich - ich allein - bin der von den Göttern eingesetzte Herrscher dieses Volkes. Herr über Ober- und Unterägypten. Und auch du gehörst zu diesem Land und hast mir zu dienen. So sprich: Was genau soll ich mit diesen verwirrenden Sprüchen anfangen? Wie sollen sie mir helfen, mein Volk vor dem Hungertod zu retten?«
Nun erhob sich auch die kauernde Gestalt in einer fließenden Bewegung. Sie bewies, dass es sich nicht um einen alten, gebrechlichen Menschen handelte. Als das Orakel aufgerichtet vor ihm stand, überragte es ihn mühelos um Haupteslänge, obwohl er selbst hochgewachsen war und die größten Krieger seines Heeres an Länge übertraf. Alle Feuchtigkeit schien aus seinem Mund zu weichen, und er schluckte trocken, als wäre er drei Tage durch die Wüste gewandert. Noch immer konnte er nicht unter die Schwärze der Kapuze seines Gegenübers blicken. Hatte er den Bogen überspannt? Stand vor ihm die leibhaftige Verkörperung eines Gottes? Er fasste sich ein Herz und forderte erneut: »Jetzt sprich!« Es gab kein Zurück. Ohne eine klare Antwort würde er nicht gehen. Das war ihm das Orakel als Herrscher dieses Landes schuldig.
Wortlos hob der Verhüllte langsam die Arme und schob die Kapuze nach hinten. Was Neptuchamun darunter sah, ließ ihm buchstäblich das Blut in den Adern gefrieren. Hätte er doch nur sofort den Tempel verlassen, wie es ihm befohlen worden war. Mit zitternden Schritten ging er rückwärts die Treppe hinunter. Die Schriftrolle hielt er abwehrend vor sich, als könne sie ihn vor dem beschützen, was sich dämonisch auf der Empore erhob. Wie lächerlich.
Plötzlich öffnete sich die Erde unter ihm und er fiel ... direkt auf seinen Hintern, weil er die letzte Stufe übersehen hatte. Doch die dunkle Gestalt, die mit verschränkten Armen über ihm stand, ließ ihn diese Demütigung wortlos ertragen. Er kroch noch ein paar Meter durch den Staub, dann endlich richtete er sich auf, drehte sich um - und floh.
Zurück blieb die einsame Halle. Der gedämpfte Schein der Öllampen warf die Schatten zweier langer Schakalohren an die Wände.
***
Zurück im belebten Tempelbereich fasste er sich wieder. War er einem Trugbild aufgesessen? Hatte man ihm vielleicht Drogen verabreicht und er halluzinierte? Dagegen sprach, dass sein Geist so klar und rein war wie schon lange nicht mehr. Auch wusste er jetzt, was zu tun war.
»Wache! Zu mir!«, brüllte er und verscheuchte die Priester, die wie besorgte Glucken um ihn herumschwirrten. »Mentuhotep?! Warum dauert das so lange?«
Kurz darauf stürmte der Hauptmann mit erhobenem Speer und vier weiteren Soldaten heran. Er sah sich sichtlich irritiert um. Wahrscheinlich hatte er eher mit Kampfgetümmel gerechnet als mit aufgebrachten Priestern. Doch der Elitesoldat fasste sich schnell und antwortete: »Mein göttlicher Herr, erhabener König der Könige. Möge dein Name ewig leuchten, dein treuer Diener steht bereit«.
»Mentuhotep, mein loyaler Beschützer, wir haben keine Zeit. Zieh mit deinen Männern aus. Bewache alle Eingänge des Orakeltempels und lass niemanden hinaus. Hast du verstanden?«
»Ja, mein Herr, aber ...«
»Wenn sich jemand ... oder etwas ... zeigt - töte ihn ohne zu zögern. Ist das klar?«
»Natürlich, mein Gebieter ...«
»Deine Männer sollen schnell eine Schar von Handwerkern zusammentreiben. Sie sollen alle Öffnungen des Tempels zumauern. Alle.«
Jetzt ließ er seinen treuen Leibwächter sprechen, dessen Augen während seiner Rede immer größer geworden waren.
»Ja, mein Herr, ich werde mich sofort darum kümmern. Aber ... teilt Ihr mir Eure Weisheit mit und verratet mir, was Euch zu solch drastischen Maßnahmen bewogen hat? Sollten wir nicht besser gleich in den Tempel eindringen und das Orakel ergreifen?«
»Auf keinen Fall!« Mit einer scharfen Geste schnitt Neptuchamun ihm das Wort ab. »Du kennst meine Befehle. Jetzt verliere keine Zeit!«
Nie wieder sollte jemand diesen unheiligen Ort betreten. Er würde alle Aufzeichnungen über das Orakel vernichten lassen. Niemand würde mehr diese gottlosen und sinnlosen Worte hören, die nur dazu dienten, den menschlichen Geist zu verwirren. Von nun an würde er persönlich dafür sorgen, dass sein Volk zu essen bekäme, ohne dabei auf göttlichen Beistand zu hoffen. Nur eines war noch zu tun.
»Ma'atkara? Komm zu mir!«, rief er einem jüngeren Priester zu. Er war etwa in seinem Alter. Bei ihm war er sich sicher, dass er die Befehle ausführen würde, die er ihm zu geben gedachte.
Kurz darauf löste sich ein in weißes Leinen gekleideter, schlaksiger Mann aus der Menge der Älteren und trat mit gesenktem Haupt vor ihn: »Hier, oh großer Sohn des Ra, möge das Licht Eurer Herrschaft ewig leuchten. Was kann ich für Euch tun, mein Herr?« Neptuchamun entgingen die teils skeptischen, teils deutlich missbilligenden Blicke der Umstehenden nicht. »Ma'atkara. Nimm diese Schriftrolle und die anderen dreiundzwanzig, die ich in den letzten Tagen geschrieben habe - und verbrenne sie.«
»Was?!« Der junge Priester blickte kurz erschrocken auf, um sofort wieder den Kopf zu senken. »Seid Ihr sicher,
Herr? Das sind doch heilige Prophezeiungen.«
»Nein!«, fuhr Neptuchamun dazwischen. Warum mussten ihm heute alle widersprechen? »Verbrenne sie! Lass dich von niemandem daran hindern und berichte mir danach. Sollte ich erfahren, dass du meine Worte nicht genau befolgt hast ...«
»Nein ... doch, erhabener Herr der beiden Länder. Natürlich tue ich, was Ihr mir befohlen habt, Herr. Möge Euer
Name ewig leuchten.«
Damit reichte er dem jungen Geistlichen die letzte Papyrusrolle und wartete noch eine Weile, bis er durch einen der Durchgänge verschwand. Sollte er nur ordentlich Respekt haben. Im Gegensatz zu den abgebrühten älteren Männern würde der Junge sicher seinen Worten gehorchen. Er hätte auch die Wachen damit beauftragen können, aber er hoffte, dass ein Priester besser vor göttlicher Rache geschützt war, wenn er die Befehle ausführte. Und wenn nicht - nun, daran konnte er nichts ändern.
***
24 Jahre später ...
Im Schein der Fackel schlich Ma'atkara durch den engen
Gang. Er war nicht mehr der Jüngste, aber der Weg zur Grabkammer war nicht weit. In seiner Rolle als Hohepriester des Ra war es ihm vorbehalten, Neptuchamun als Letzter allein zu besuchen und ihm eine gute Jenseitsreise zu wünschen.
Vor ihm öffnete sich der Raum. In der Mitte stand der Sarkophag seines geliebten Herrschers. Gefertigt aus rosafarbenem Marmor mit blauen und goldenen Einlegearbeiten zeigte er die Bedeutung des hier bestatteten Königs. Halsketten und Amulette mit Edelsteinen, bequeme Möbel, ein Schiff, Statuen seiner Diener und nicht zuletzt eine reiche Auswahl an Speisen und Getränken vervollständigten die Ausstattung. Dem ehemaligen Herrn der beiden Länder sollte es auf seiner Reise ins Totenreich an nichts fehlen. Nur eines war auffällig: Es gab kein Bildnis des Totengottes Anubis. Neptuchamun hatte darauf bestanden, dass dieser weder bildlich noch schriftlich in seiner Grabkammer erwähnt wurde.
Seufzend hockte sich Ma'atkara vor den Sarkophag, senkte den Kopf und legte die Hand auf den kalten Stein. »Oh Neptuchamun, dies ist nun unser vorläufiger Abschied. Bald werden wir uns im Jenseits wiedersehen. Ich hoffe, dass Ihr mir dann verzeihen könnt. Natürlich habe ich damals Eure Worte wie befohlen ausgeführt. Doch bevor ich die Schriftrollen den Flammen übergab, habe ich sie noch einmal gelesen - und tiefe Weisheit in ihnen erkannt. Ja, oh Herr. Auch wenn Ihr es nicht wahrhaben wolltet, bin ich überzeugt, dass die Prophezeiungen, die Ihr aufgeschrieben habt, für unsere Nachwelt bestimmt sind. Ich habe sie alle auswendig gelernt und später nochmals niedergeschrieben. Um Eurem Befehl zu gehorchen, habe ich sie jedoch niemandem gezeigt. Aber, oh Herr«, er hielt einen Moment inne, und Feuchtigkeit benetzte seine Wangen, »wenn die Götter es wollen, werde ich diesen Worten die Möglichkeit geben, unsere Nachkommen zu erreichen. Vielleicht in ferner Zukunft, vielleicht nie. Das werden sie allein entscheiden.«
Damit nahm er den einfachen Leinenbeutel von der Schulter, in dem sich eine große versiegelte Trommel mit den vierundzwanzig Papyri befand. Behutsam stellte er sie neben den Sarkophag und strich ein letztes Mal über den glatten Marmor.
»Gute Reise, mein Herr, wir sehen uns imTotenreich.«
Von: allanrexword
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