𝟞. ℍ𝕒𝕝𝕓𝕖 𝔻𝕒𝕥𝕖𝕤 𝕦𝕟𝕕 ℝ𝕚𝕥𝕦𝕒𝕝𝕖
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, überprüfte ich meine Nachrichten. Keine von July. Dann fiel mein Blick auf die Uhrzeit.
»Zwölf Uhr?«, rief ich laut und bäumte mich auf. Die Ferien rüttelten an meinem festen Schlafrhythmus. »Verdammt.«
Fluchend zog ich mich an, weckte Maike, die auch noch schlief und frühstückte dann. Dabei schrieb ich July zig Nachrichten. Hoffentlich war sie nicht zu sauer auf mich. Ich hatte ihr noch nichts von Amy erzählt.
Eine Stunde später hatte sie meine Nachrichten zwar gelesen, aber noch nicht geantwortet. Deshalb schrieb ich ihr eine weitere Nachricht: Halbes Date.
Ich musste nicht lange warten. Julys Neugier veranlasste sie dazu, mir endlich zu schreiben.
Wie hast du das geschafft? Hast du ein richtiges Date? Warum halbes? Was ist passiert? Mädchen oder Junge?
Ich grinste. Sie hatte angebissen. Bist du noch sauer auf mich? Wenn ja, ich kann wirklich nichts dafür, dass Toni seinen Job verloren hat. Ich habe mich sogar noch für ihn eingesetzt.
July rief mich an, anstatt mir zu antworten.
»Wir sprachen von deinem Date, nicht von meiner Laune.«
»Ich erzähle dir alles, Jules, wenn du nicht mehr böse auf mich bist. Wie gesagt -«
»Ich bin nicht mehr böse auf dich, wenn du nicht mehr böse auf Toni wegen des Umzugs bist, klar?«
»Bin ich seit gestern nicht mehr.«
»Sehr gut und jetzt erzähl mir von deinem Date.«
Ich berichtete July haargenau, wie ich Amy kennengelernt und mich mit ihr verabredet hatte.
»Das ist nur ein Treffen, oder? Oder ist es ein Date? Es ist definitiv ein Date, stimmts? Sie wird denken, dass es ein Date ist. Ich hab es doch gewusst.«
»Michi, beruhige dich. Wenn niemand von Date geredet hat, ist es erst mal einfach nur ein Treffen, bis einer von euch es zu einem Date macht. Klar?«
»Ja, dank- warte, was soll ich anziehen?«
»Hoodie und Jeans. Sei einfach du selbst, nur lass die Jogginghose weg.«
»Du meinst, ich soll ganz ohne Hose gehen?«
July und ich mussten beide lachen.
»Du weißt, wie ich das gemeint habe. Wechsle deine Stoffhose gegen eine ganz normale Jeans.«
»Jaja, Julchen. Wenn du jemals mit einem Jungen ausgehst, werde ich ihm von deinem merkwürdigen Geschmack erzählen.«
»Michi!« July klang nicht nur vorwurfsvoll, sondern auch so, als müsste sie ein Lachen unterdrücken.
»Bis dann, Jules.«
Ich suchte mir einen schönen Hoodie aus meinem Schrank aus, der mindestens zur Hälfte mit einfarbigen Hoodies befüllt war.
Maike nickte zu meinem Outfit und wünschte mir mit einem Zwinkern viel Spaß.
Ich radelte zum Lustig, dem Café meiner Eltern. Die Hauswand war gelb gestrichen und auf einem großen Schild stand LLLustig. Auf einer kleinen schwarzen Tafel hatte Mom in geschwungener Schrift Angebote aufgeschrieben.
Mom und Dad hatten aufgrund des schönen Wetters ein paar Stühle und Tische nach draußen gebracht.
Das LLLustig hatte sich gefüllt. Obwohl wir nur in einem kleinen Dorf lebten, besuchten die Dorfbewohner lieber dieses Café, statt einzukaufen. Mom und Dad kochten selbst. Sie besaßen sogar einen Garten, aus dem sie ihre Zutaten pflückten. Heute gab es Möhrensuppe.
Das Café beeindruckte mich jedes Mal aufs Neue, obwohl ich meine halbe Kindheit hier verbracht hatte.
Eine rote Jukebox stand in einer Ecke des Lustigs. An der Wand neben ihr hatte Dad angefangen, Dinge im Vintage-Stil zu sammeln. Neben mehreren Reihen von Telefonen mit Kabeln und Wählscheiben sowie Uhren an der Wand gab es Regale mit alten Bügeleisen, Schreibmaschinen und Kameras.
Außerdem waren im ganzen Raum wunderschöne Bilder verteilt. Viele hatten das Motiv von Heißluftballons auf einem Hintergrund, der wie Zeitungspapier aussah. Mom und Dad hatten einmal eine zwar chaotische, aber dennoch schöne Reise in einem Heißluftballon unternommen. Dabei hatten sie sich entschieden, ein eigenes Café zu eröffnen.
Dieses Café versetzte mich in eine Welt ohne Zeit. Hier konnte ich einfach nur träumen.
»Hey, Michi. Willst du helfen oder essen?«, fragte Mom.
»Ich treffe mich hier mit ähm einer Freundin, die ich gestern kennengelernt habe. Ich erzähle dir später von ihr. Mach nichts Peinliches.«
Amy betrat drei Minuten später das Lustig und entdeckte mich. Ich hatte mir einen Platz in der Nähe der Sammel-Wand gesucht.
»Hi.« Sie ließ sich gegenüber von mir nieder.
»Hi, Amy.«
Wir schwiegen einen Moment. Ich wartete, bis sie ihren Rucksack abgestreift hatte.
Dann setzten wir gleichzeitig an.
»Hast du meinen Helm mitgebracht?«, fragte ich.
»Wie hältst du es nur in Pullover aus?«, fragte Amy.
»Tut mir leid, du zuerst«, bat ich höflich an und sie wiederholte ihre Frage.
»Oh, ja. Keine Ahnung. Mir ist nur ständig kalt und Hoodies trage ich sowieso am liebsten«, antwortete ich.
»Auch im Sommer?«
»Ja.« Jules versuchte in der Schule oft, mich dazu zu bringen, den Pullover auszuziehen. »Ich schwitze schon, wenn ich dich nur anschaue«, sagte sie oft.
Amy und ich unterhielten uns über das sonnige Wetter, dann schnitt sie das Thema Lustig an.
»Besteht ein Zusammenhang zwischen deinem Nachnamen und diesem Café?«
»Es ist eigentlich ein Café, aber das klingt so, als gäbe es hier nur Backwaren und Süßes, deshalb nennen es alle Lustig oder LLLustig. Denn es gibt hier auch warme Speisen.«
»Also L-L-Lustig ausgesprochen. Gibt es auch Leute, die LeleLustig sagen?«
»Ja, ich kenne welche.« Dabei dachte ich ganz stark an Levi. »Ach so, ja und es gehört meinen Eltern.«
»Warum LL?«
»LL steht für Lena und Lorenzo. Oder Lorenzo und Lena. Die Namen meiner Eltern. Ja, sie fanden es überaus passend, dass ihre Vornamen mit dem gleichen Buchstaben beginnen.« Mom trat an unseren Tisch. Sie trug ein T-Shirt mit dem Logo und hielt einen Block in der einen und einen Stift in der anderen Hand.
»Wollt ihr etwas bestellen?«, fragte Mom geschäftlich, wobei sie mir allerdings zuzwinkerte.
»Amy, das ist meine Mom. Mom, das ist Amelie Rose.«
»Es freut mich, dich kennenzulernen, Amelie.«
Wir bestellten Möhrensuppe und Wasser. Der Vorteil daran, dass meine Eltern LLLustig führten, war, dass ich ein warmes Mittagessen verspeisen konnte, ohne dafür zu bezahlen. Da das Geschäft gut lief, mussten July und Levi auch nichts bezahlen, wenn sie hier aßen. Mom und Dad liebten meine beiden besten Freunde.
»Ruf bitte Maike an. Es ist gerade viel los, sie soll helfen«, bat Mom.
Ich nickte.
»Tut mir leid. Du hast es ja gehört«, sagte ich zu Amy.
»Kein Problem.«
Ich fischte mein Handy aus meiner Kängurutasche und richtete Maike aus, worum Mom mich gebeten hatte. Dann legte ich wieder auf.
»Ist Maike deine Freundin?«
»Nein, Schwester.«
Da ein paar Haarsträhnen in ihrem Gesicht hingen, schüttelte Amy den Kopf. Ihre kurzen Haare wirbelten herum und schmiegten sich dann wieder an ihren Kopf.
Wir redeten eine Weile über unsere Herkunft, bis Toni vor dem Fenster auftauchte. Ich tat, als würde ich eine Nachricht lesen und bückte mich. Toni hatte anscheinend mein Fahrrad bemerkt und hielt an. Er sah wütend aus.
»Oh, ich wollte eigentlich schon längst zu Hause sein«, sagte Amy. »Ich hatte noch eine Verabredung mit meiner besten Freundin.«
»Kein Problem, geh ruhig. Ich muss auch langsam los.«
Wir standen gleichzeitig auf. Amy überreichte mir meinen Helm.
»Wir sehen uns«, sagte sie zum Abschied wie gestern.
»Bestimmt«, erwiderte ich.
Amy ging zur Kasse, um zu bezahlen, während ich mich zum Hinterausgang schlich. Ich linste durch die Tür und entdeckte Toni, der sich suchend im LLLustig umschaute und mich dann erblickte.
»Verdammt«, stieß ich aus und rannte davon.
Toni würde mich wegen seines verlorenen Jobs fertigmachen. Ich landete im Garten, durch den ich vorsichtig ging, um keine Pflanzen zu zerstören.
Dann rannte ich zu meinem Fahrrad, schnallte meinen Helm um und trat in die Pedale.
Leider folgte der Idiot mir. Und leider hatte er mehr Ausdauer und radelte schneller als ich. Es dauerte nicht lange, bis er mich einholte, überholte und mir den Weg abschnitt. Ich bremste zu spät, da er sich mitten in den Weg gestellt hatte und raste in ihn. Ich zerquetschte Toni und sein Fahrrad unter mir. Mein Fahrrad begrub uns unter sich. Ich versuchte, Ordnung in das Durcheinander aus Armen, Beinen und Rädern zu bringen und rollte mich zur Seite.
»Hast du dich verletzt?«, fragte ich, doch Toni fuhr mich nur an.
»Ich dachte, du kannst bremsen!«, rief er.
»Kann ich auch«, verteidigte ich mich ruhig.
»Selbst ein Kind fährt besser Fahrrad als du.«
»Es kam etwas überraschend.«
»Eine Oma hat bessere Reflexe als du.«
»Hey! Ich habe gute Reflexe. Aber das nächste Mal kannst du mich ja vorwarnen, wenn du mir den Weg abschneidest.«
»Es wird kein nächstes Mal geben.«
»Du hättest damit rechnen müssen, dass ich in dich reinrase.«
»Ich habe angenommen, dass du schlau bist und abbremst. Ich meine als Klassenbester und so.«
Wütend rutschte ich zu einer Hauswand und zog mich an ihr hoch. Dann tastete ich nach meiner Brille und setzte sie auf. Zum Glück waren die Brillengläser nicht zersprungen. Warum geriet ich in letzter Zeit so häufig in kleine Unfälle? War mir eine Pechsträhne zwischen meinen braunen Locken gewachsen? Lag es daran, dass Jules außerhalb des Landes Urlaub machte und mich nicht vor Missgeschicken bewahren konnte?
Und warum war Toni immer involviert, wenn etwas passierte?
»Renn bloß nicht weg«, warnte er mich.
»Hatte ich gar nicht vor«, murrte ich. Mein Fuß schmerzte zu sehr, als dass ich wegrennen könnte und meine Handflächen bluteten.
Ich kramte ein Taschentuch hervor, doch anstatt es selbst zu nutzen, reichte ich es Toni. Mit funkelndem Blick nahm er es an und drückte es an seine Wange. Das weiße Taschentuch färbte sich schnell rot.
»Was wolltest du? Wärst du mir nicht hinterhergefahren, wäre das nicht passiert«, beschuldigte ich ihn.
»Hättest du mich nicht bis zum Blumenladen verfolgt, wäre ich dir nicht hinterhergefahren.«
»Wärst du nicht schuld daran, dass wir aus der Wohnung geschmissen wurden, hätte ich dich nicht bis zum Blumenladen verfolgt.«
Toni seufzte.
»Ihr habt ein großartiges Haus bekommen, das ganz euch gehört. Und das, ohne euch die Mühe zu machen, ein neues zu suchen. Ihr habt es wunderschön dort. Du solltest dich nicht beschweren. Ich habe meinen Job verloren und bekomme nicht einfach so von Zauberhand einen neuen.«
Mich ergriff das Mitleid. Ich wollte es abschütteln, denn ich wollte für den Idioten kein Mitleid empfinden, doch es hängte sich an mich wie eine Klette.
»Deinetwegen habe ich meinen Job verloren, den ich dringend brauche. Du besorgst mir einen neuen, okay? Das ist fair.«
»Du kannst dir selbst einen Job suchen. Ich hab keinen Plan, wo du arbeiten k-« Verdammt, mir fiel sofort ein, wo er arbeiten könnte. Das Geschäft lief gut und sie könnten jemanden gebrauchen, der ihnen half. Aber das würde bedeuten, dass er sich noch mehr in mein Leben einmischte.
»LLLustig«, brachte ich heraus.
»LLLustig? Bei deinen Eltern?«
»Ja.« Warum zerfraß mich das Mitleid? Ich hätte ihm diesen Job nie vorschlagen dürfen. Ich trat mit meinem Fuß gegen eine Wand, um meine aufkeimende Wut zurückzuhalten und jaulte auf.
»Ich rede mit ihnen«, sagte ich und funkelte ihn böse an. Dann hob ich mein Fahrrad auf und schob es nach Hause.
Maike war aufgebrochen, nachdem ich ihr gesagt hatte, dass Mom und Dad Hilfe benötigten. Somit konnte sie mich nicht fragen, was passiert war. Im Badezimmer wusch ich mir die Handflächen und das Gesicht. Die Kratzer der Stacheln auf meiner Haut waren leicht verblasst, doch sie waren noch nicht verschwunden.
Wenn Toni im LLLustig anfing, bedeutete das, dass ich mit ihm zusammenarbeiten musste, wenn ich meinen Eltern in den Ferien oder nachmittags nach der Schule aushalf.
∞
Leider fing Toni tatsächlich im LLLustig an. Mom und Dad hatten zugestimmt, als ich ihnen von dem Angebot erzählt hatte. Seufzend ließ ich mich im Dachzimmer auf meine Matratze fallen, als Maike ihren Kopf durch die Luke steckte und eine Tasse auf dem Boden abstellte.
Ich nahm mir die Tasse Tee, drückte sie an mich und schaltete die Lichterketten an.
Maike suchte sich ein Märchenbuch aus dem Regal aus und machte es sich in der kleinen Kuschelecke, die ich eingerichtet hatte, gemütlich.
»Ich bin heute dran«, meinte sie und schlug das Buch auf. Dann las sie ein Märchen vor. Ich starrte an die Decke, während ich ihrer Stimme lauschte. Früher hatte ich ihr immer vorgelesen, damit sie besser einschlafen konnte. Irgendwann hatte sie angefangen, mir auch vorzulesen. Wir hatten nie aufgehört. Obwohl wir uns manchmal zu alt dafür fühlten, brauchten wir dieses Ritual. Es gab uns so viel. Die schönsten Stunden, die ich mit Maike verbracht hatte, hatten wir nach unserer kleinen Märchenstunde erlebt. So magisch die Märchen waren, so magisch waren auch unsere Abende in einem kuscheligen Zimmer mit Lichterketten.
Seit wir von dem Geheimnis erfahren hatten, schätzte ich die Zeit mit Maike noch mehr.
Ich nippte an meiner Tasse und schmeckte Pfefferminze.
Nach unserer kleinen Märchenstunde verfiel ich in eine Erzählung über meinen heutigen Tag.
»Sag mal, warum hasst du Toni so sehr?«
»Das hat viele Gründe. Ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, warum ich den Idioten hasse.
»Erzähl es mir, bitte.«
»Na gut, ich fange morgen damit an. Jetzt ist es leider Zeit zum Schlafen.«
»Du gehst doch sowieso nicht schlafen.«
»Weil mein Schlafrhythmus kaputt ist. Aber ich werde trotzdem versuchen, einzuschlafen.«
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