𝟛𝟙. 𝔽𝕦𝕖𝕣𝕔𝕙𝕥𝕖𝕣𝕝𝕚𝕔𝕙𝕖 𝕋𝕣𝕒𝕖𝕦𝕞𝕖

Mom und Dad und alle meine Freunde waren auch da. Sie trugen Kleider oder Anzüge und der große Saal war mit den Girlanden und der Dekoration festlich geschmückt. Tische wurden an die Seite gerückt, um eine Tanzfläche in der Mitte des Raums freizugeben.

Sobald die Musik einsetzte, tanzten alle. Ich sah einen bunten, wirbelnden Haufen, der mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Plötzlich stand ich am Eingang und ein Junge hakte sich bei mir unter. Ich kannte ihn von irgendwoher. Vielleicht hatten wir mal im Bus nebeneinander gesessen, als ich noch Bus gefahren war. Nein, ich kannte ihn aus der Grundschule! Wir hatten in der zweiten oder dritten Klasse nebeneinandergesessen. Ich hatte ihn sehr gemocht.

Gemeinsam gingen wir zur Tanzfläche. Die Gäste bildeten einen Kreis um uns. Ihre Blicke waren mir unangenehm.

Ich führte meinen Sitznachbarn an meinen Eltern vorbei, die ihn mit Blicken durchbohrten.

Mit einem Mal stand ich wieder am Eingang, diesmal befand sich ein anderer Junge neben mir. Auch er hakte sich bei mir ein. Ich warf einen Blick auf ihn und zuckte zusammen. Kevin de Lerso. Er war in der fünften Klasse immer zu uns gekommen und wollte mit uns spielen.

Kevin und ich liefen die gleiche Runde wie ich mit seinem Vorgänger. Diesmal zogen Mom und Dad die Augenbrauen zusammen. Ich hatte Kevin ein paar Mal zu mir nach Hause eingeladen. Nun erinnerte ich mich auch daran, dass wir in der Schule manchmal Händchen gehalten hatten, weil jeder mit jedem Händchen gehalten hatte. Es hatte sich fantastisch angefühlt. Auch jetzt fühlte sich der leichte Körperkontakt gut an.

Wieder stand ich am Eingang. Hinter mir führte ein Gang aus dem Saal. Vor mir lag genau dieser und alle warteten auf die nächste Person, die ich ihnen vorstellen würde.

Plötzlich tauchte Levi auf. Er lehnte sich dicht an mich und hielt sich an meinem Arm fest, als wäre dieser ein Rettungsanker für ihn oder ein Versteck, in dem er sich verkriechen und niemand ihn entdecken konnte.

Ich wurde zusehend nervöser. Als ich mit Levi an meiner Seite an Toni vorbeischritt, machte er sich über uns lustig. Ich verstand seine Worte nicht. Sie klangen verschwommen.

Auch meine Eltern lachten mich aus, was mich verletzte. In meinem Herzen entstand ein kleiner Riss.

Nachdem Levi und ich diese eine bestimmte Stelle erreicht hatten, passierte es wieder. Ich verweilte wieder am Eingang und spürte einen Arm, der sich um mich legte. Sofort spürte ich ein komisches Gefühl und traute mich nicht, aufzuschauen, bis ich ein Räuspern vernahm.

Ich hob meinen Kopf und schaute in grau-blaue Augen. Diesmal drängte mich niemand, wegzusehen. Weder ich noch Toni selbst. Niemanden störte es, dass ich mir einen Moment nahm, um seine Augen zu studieren. Seine Augen erinnerten mich an einen wolkenverhangenen Himmel, der Zwischenstand zwischen der Sonne, die gerade verschwunden war und einem Sturm, der aufziehen würde. Ich sah beinahe den Sturm, der bald ausbrechen würde, wenn er mich noch ein paar Sekunden länger anstarrte, also wandte ich meinen Blick ab.

Ich konnte nicht mit ihm durch diesen Raum schlendern. Ich schüttelte seinen Arm ab und rannte los, doch ich kam nicht weit. Jemand hatte eine unsichtbare Wand errichtet. Wie automatisch stand ich wieder genau in diesem Durchgang, unter einem Torbogen, wie ich diesmal feststellte, und Toni war wieder nähergerückt.

»Du brauchst dich nicht zu fürchten, wirklich. Fürchte dich nicht«, flüsterte er.

Dann führte er mich in den Saal. Wieder starrten uns alle an. Blitze schossen durch meinen Körper und Wirbelwinde flogen durch meinen Magen.

»Das wagst du nicht«, knurrte der echte Toni aus der Menge. »Ich liebe dich nicht und ich werde dich auch nicht lieben!«

Er rannte auf uns zu und schubste mich und den unechten Toni – oder war er doch eigentlich der echte? - auseinander.

Plötzlich wachte ich auf und keuchte. Das war alles nur ein Traum, nur ein Traum.

Ich erinnerte mich an Musik und viele Farben und daran, dass ich mit ein paar Jungen durch einen Tanzsaal gelaufen war. Die Gesichter der Jungen waren verschwommen und so sehr ich auch überlege, mir fiel nicht ein, wen ich durch den Raum geführt hatte.

Nur einmal hatten meine Eltern gelacht.

Ich glaubte, dass ich in dem Traum verliebt gewesen war, und zwar in all die Jungen, die an meiner Seite gelaufen waren.

Wie würden Mom und Dad wohl reagieren, wenn ich wirklich in diese Jungs verliebt wäre? Was würden sie sagen, wenn ich ihnen erzählte, ich wäre schwul? Würden sie anders über mich denken? War ich schwul? Spielte das überhaupt eine Rolle?

War das Geschlecht der Person, in die ich mich irgendwann verlieben würde, wichtig?

Zum Glück konnte ich davon ausgehen, dass Levi und July kein Problem damit hätten, wenn ich schwul wäre. Immerhin hatten wir gemeinsam das LGBTQ+-Festival vorbereitet. Levi würde sich bestimmt freuen, da er sich dann nicht mehr so alleine fühlen würde. Er wäre trans, ich schwul. Ich wäre eine weitere queere Person in seiner Community.

Maike hätte wahrscheinlich auch kein Problem damit. Sie würde es einfach hinnehmen, ohne groß darüber nachzudenken. Und sie würde mich weiterhin so liebhaben wie zuvor.

Vielleicht war ich schwul.

Während ich mein Messer zum Schnitzen suchte, schleuderte mein Kopf die Gedanken wild durcheinander. Eins war mir aber klar geworden, als Toni sein Märchen erzählt hatte.

Die Figur, die ich schnitzen wollte, waren Drachen.

Endlich hatte ich mein Messer gefunden, setzte mich hin und begann mit meiner Arbeit. Jetzt, wo ich wusste, was aus der Figur werden würde, kam ich schneller voran. Ich fügte bei den beiden Köpfen noch kleine Details hinzu und arbeitete die Flügel heraus. Nach einer Mittagspause widmete ich mich den Schwänzen der Drachen, die sich ineinander verweben sollten.

Die Beine mit den Krallen schnitzte ich am Tag darauf.

»Wow, die Figur sieht ja wunderschön aus!«, rief Maike, als sie sich zu mir gesellte. »Du kannst von Glück sagen, dass du auf dem Dachboden geschnitzt hast und nicht in deinem Zimmer.« Sie deutete auf die Holzstreifen, die ich auf dem Holzboden hinterlassen habe.

»Also eigentlich gehört mein Zimmer ja auch zum Dachboden.«

»Es ist noch weiter oben als der Dachboden.« Sie schaute an die Decke, wo sich mein Dachzimmer befand, ich folgte ihrem Blick.

»Wie auch immer. Jetzt brauche ich nur noch einen Namen für diese Figur.«

»Behältst du sie oder willst du sie verschenken?«, fragte Maike.

Ich selbst konnte nichts mit den Figuren anfangen, die ich schnitzte. Sie standen bei mir nur herum und wurden keines Blickes gewürdigt.

»Ich werde sie verschenken. Willst du sie haben?«

»Nein, kann ich nicht gebrauchen. Die würde bei mir nur Unordnung schaffen.«

»Du klingst wie Toni mit seinem Ordnungsfimmel«, sagte ich.

»Das ist die Idee! Du könntest die Drachenfigur Toni schenken!«, rief Maike und sprang begeistert auf.

»Auf keinen Fall.«

»Wir wollten doch sowieso noch rüber, um uns die Bilder von Toni anzuschauen.« Maike ließ sich von der Idee, Toni die Drachenfigur zu schenken, nicht abbringen.

Sie zog mich hoch und nahm die Drachenfigur.

»Warte, am Ende schmeißt du sie noch runter. Gib sie lieber mir.«

»Oh nein, darauf falle ich nicht herein.«

Maike drückte die Figur fest an sich. Widerwillig torkelte ich ihr hinterher. Als sie bei den Turners klingelte, machte Rachel die Tür auf und verwickelte uns in ein langes Gespräch. Sie erzählte uns, wie Weihnachten bei ihnen verlaufen war und von ihren Plänen für nächstes Jahr.

Schließlich kam Toni verschlafen nach unten in die Küche, wo Rachel uns Glühwein angeboten hatte, den aber weder ich noch Maike angerührt hatten.

Er gähnte und nahm sich eine Tasse aus dem Schrank, wobei er uns geflissentlich ignorierte oder einfach nicht bemerkte.

»Anton, schau mal, wer uns besucht. Ist das nicht nett von ihnen?«

»Was ist?«, fragte Toni und gähnte noch einmal. Dann rieb er sich über die Augen und riss sie auf, als er uns entdeckte. »Was macht ihr denn hier?«

»Du wolltest uns deine Bilder zeigen«, antwortete Maike.

»Hast du bis gerade eben noch geschlafen?«, fragte ich erstaunt und blickte auf die Uhr. Vierzehn Uhr als Aufstehzeit passte gar nicht zu Toni.

»Jaha.« Toni unterdrückte ein weiteres Gähnen. »Hab nur schlecht geschlafen und mich um zehn Uhr noch mal ins Bett gelegt.« 

Ich stand auf, sprang durch die Küche zum Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und spritzte Toni Wasser ins Gesicht.

»Fühlst du dich jetzt wacher?«, fragte ich.

»Mach das nie wieder«, brummte Toni.

»Maike muss das auch immer aushalten, wenn sie verschläft.«

»Deshalb verschlafe ich nicht«, warf Maike grinsend ein.

Nachdem Toni eine Banane gegessen und eine Tasse Tee getrunken hatte, führte er uns zu sich nach oben. Da wir ihn schon einmal gestalkt hatten, kannten wir sein Zimmer bereits. Es sah wie erwartet sehr ordentlich aus. Toni hatte sogar sein Bett gemacht, obwohl er gerade erst aufgestanden war und alle seine Fotos hatte er ordentlich und exakt an die Wand gehängt. Ich hätte wahrscheinlich den Abstand zwischen den Fotos ausmessen können und wäre immer auf dasselbe Ergebnis gekommen.

»Bevor du uns deine Bilder zeigst, möchten wir dir natürlich ein Geschenk für deine großzügige Gastfreundschaft überreichen.« Maike fuchtelte übertrieben mit ihren Armen und drückte Toni dann die Drachenfigur in die Hände.

»Danke, die sieht -« Toni suchte anscheinend nach dem passenden Wort, »beeindruckend aus. Wirklich, sie gefällt mir. Wer hat die gemacht?«

»Niemand«, rief ich, als Maike mit »Michi« antwortete.

»Michi ist also ein Niemand? Gut zu wissen.« Toni und Maike schmunzelten, während ich sie böse anschaute.

»Okay, ich habe gestern mal wieder alles umgeworfen. Jetzt habe ich erst mal kein Thema zu meiner Mappe, weil mir das letzte doch nicht mehr gefallen hat, aber ich kann euch die einzelnen Bilder trotzdem zeigen.«

Toni führte uns zu seinem Regal und holte dort eine Kiste heraus. In dieser befand sich ein großer Stapel voller Bilder.

»Manches habe ich digital gemalt oder gezeichnet und ausgedruckt, andere Bilder habe ich auf Papier erstellt.«

Er breitete die Bilder auf dem Boden aus und setzte sich dann. Maike und ich ließen uns ebenfalls nieder.

»Das hier habe ich vor ein paar Jahren gemalt. Wahrscheinlich kommt das wieder raus. Ich werde später noch mal alles sortieren. Es heißt Unter Wasser

»Hast du echt vor, das rauszunehmen?«

Ich betrachtete das Bild, das er hochhielt. Toni hatte eine Unterwasserwelt dargestellt, in der sich Realität mit Fantasie vermischte. Nicht nur Fische und Pflanzen schwammen in diesem Meer, sondern auch frei erfundene Wesen. Die Farben, die Toni eingesetzt hatte, ließen alles in diesem Bild wirklich aussehen.

Maike hatte den Mund aufgerissen.

»Dieses Kunstwerk willst du nicht mit in deine Mappe tun?«

»Wie sehen denn dann die anderen Bilder aus?«, fragte ich.

»Viel besser im Vergleich dazu«, antwortete Toni.

Maike und ich wussten nicht so viel über Kunst, dennoch fanden wir beide dieses Bild sehr hübsch.

Toni zeigte uns noch viele weitere Bilder. Jedes übertraf das vorherige.

Auf diesen Bildern konnte ich eine Entwicklung erkennen, trotzdem fand ich alle Bilder wunderschön.

Ich erkannte, dass Toni gerne Bilder zu den vier Elementen zeichnete, doch auch Natur sowie das Stadt- und das Dorfleben fanden sich in einigen Bildern wieder.

Nach einer Weile zeigte er uns auch einige Porträts und Zeichnungen von Freunden. July hatte er besonders oft gemalt, doch auch mich hatte er dargestellt.

»Ich finde die Person auf dem Bild sehr hübsch«, sagte ich grinsend und deutete auf die große Zeichnung, die mich zeigte und die Toni gerade hochhielt.

»Was für eine Überraschung«, meinte Maike belustigt.

Toni ließ uns noch viele weitere Werke bestaunen.

»Du hast dir definitiv den richtigen Studiengang ausgesucht.« Ich hatte nicht gewusst, dass Toni so viele grandiose Werke erschuf und Grafikdesign studieren wollte, doch es passte perfekt für ihn.

Toni lächelte stolz.

»An manchen Bildern muss ich noch arbeiten, damit ich wirklich angenommen werde.«

Ich blickte ihm fest in die Augen. »Tons, mit diesen Kunstwerken wirst du ganz sicher angenommen.«

»Bist du sicher?« Toni blickte unsicher zu Boden.

»Ja, ganz sicher!«, riefen Maike und ich gleichzeitig.

Toni lächelte verlegen.

»Ich hoffe es.«

»Müssen wir dich durchschütteln, bis du begreifst, dass deine Arbeiten wunderbar sind?«, fragte ich.

»Nein, nein, müsst ihr nicht. Ich glaube euch.«

Maike und ich warfen uns einen wissenden Blick zu. Wir würden Toni ab heute ganz oft daran erinnern, dass er ein toller Künstler war.

»Wie waren deine Ferien?«, fragte July, während wir zum Schulhof liefen. Wir hatten uns heute kaum gesehen, da sie noch etwas mit Mister Smith besprochen hatte.

Also erzählte ich ihr von den letzten beiden Wochen.

»Das ist ja süß.« Jules grinste breit.

»Was genau?«

»Die Schlittenfahrt und dass Toni euch seine Fotos gezeigt hat.«

»Maike hat darauf bestanden, rüberzugehen. Ich musste mit.« Ich verschwieg July, dass ich gerne Zeit in Tonis ordentlichem Zimmer verbracht und seine Bilder angesehen hatte. Sie hatten mich inspiriert und Ideen für weitere Schnitzereien von Holzfiguren in meinen Kopf gesetzt.

»Was soll das?«, rief Toni, als Jules und ich die Mopeds erreichten. Hatte er mich oder July angesprochen?

Er rannte zu uns und blieb direkt vor mir stehen.

»Was hast du getan?«, fragte er entsetzt.

»Nichts? Was ist denn?« Verwirrt schaute ich July an, die nur mit den Schultern zuckte.

»Ich zeig dir, was los ist!« Toni packte meinen Arm, woraufhin ein Blitz durch meinen Arm schoss und zog mich unsanft zu seinem Moped.

»Siehst du das?« Er deutete auf einen Kratzer auf seinem blau glänzenden Moped. Einen winzig kleinen Kratzer.

»Der Minikratzer? Was ist damit?«

»Das warst du, oder?«

»Nein, das war ich nicht. Warum sollte ich es gewesen sein?«

»Du willst mir immer eins auswischen. Das liegt so in deiner Natur.«

»Glaub mir, ich war das wirklich nicht. Außerdem weiß ich nicht, was so schlimm an einem Kratzer sein soll. Du kannst vielleicht drüber lackieren oder so.«

»Für dich ist es nichts, für mich schon.«

Er wirbelte herum und rannte davon.

Unsicher drehte ich mich zu July.

»Habe ich irgendetwas falsch gemacht? Ist ein Kratzer wirklich so schlimm?«

July legte mir beruhigend einen Arm um die Schulter.

»Wir kennen doch alle seinen Ordnungsfimmel. Jetzt mach dir keine weiteren Gedanken.«

July umarmte mich.

»Wenn du nachher im LLLustig bist, sehen wir uns«, sagte sie. Toni würde sie wie seit ihrem Geständnis bezüglich ihrer Eltern sonst auch im LLLustig absetzen.

Mom und Dad hatten sogar einen kleinen Raum freigeräumt, in dem sie sich aufhalten konnte. Dort aß sie oft und erledigte Hausaufgaben. Ihr stand auch das Angebot zu, dort zu übernachten, welches July aber nicht annehmen wollte.

»Ich habe einen ganzen Keller für mich, da kann ich schlafen«, hatte sie gesagt und überzeugend geklungen.

Mein Magen rumorte, als ich selbst mit Maike zum LLLustig fuhr.

»Ich habe extrem Hunger.« Maike sprang vom Moped und sprintete zum LLLustig. Ich folgte ihr langsamer und hielt meinen Bauch fest. Anscheinend hatte ich auch sehr viel Hunger.

Mom und Dad bedienten uns sofort. Ich schlang den Burger förmlich herunter. July und Toni traten ein wenig später ein. July setzte sich an unseren Tisch, Toni half Mom und Dad bei der Arbeit.

Als er gerade Pause hatte und von seinem Handy aufschaute, trafen sich unsere Blicke und mein Magen drehte sich um. Diese funkelnden Augen fand ich sehr faszinierend.

»Mic, du siehst sehr blass aus.« Maike musterte mich genau und zog die Augenbrauen zusammen.

»Mir ist auch etwas komisch.«

»Brauchst du eine Tüte?«

»Nein, danke.« Meine Gedanken wanderten in ferne Welten. Ich stellte mir vor, wie ich ein Wesen des ersten Unterwasserbildes, das Toni uns in den Ferien gezeigt hatte, als Holzfigur umsetzte.

»Ich glaub, mir ist schlecht«, stieß ich plötzlich aus.

Maike hatte vorsorglich doch eine Tüte besorgt, in die ich mich plötzlich übergab.

Danach war mein Kopf viel freier und ich fühlte mich etwas besser. Deshalb hatte mein Bauch vorhin so rumort. Es hatte gar nicht daran gelegen, dass ich Hunger hatte, sondern dass mir schlecht gewesen war. Mein Blick glitt durch den Raum und ich entdeckte Toni, der sein Handy auf mich gerichtet hatte.

»Hast du gerade ein Foto gemacht?« Meine Stimme klang schwach.

»Möglicherweise. Jetzt kann ich dir wieder eins auswischen.«

Ich verdrehte die Augen.

»Das mit deinem Moped war ich wirklich nicht«, sagte ich, doch er drehte sich schon um. »Lösch das Foto. Bitte.« Wir hatte ich glauben können, dass wir uns vielleicht doch verstanden? Nachdem wir seine Bilder bewundert, ihn ermutigt und ihm Komplimente gegeben hatten, hatte ich geglaubt, dass wir uns doch etwas angenähert hatten. Da reichte wohl ein kleiner Kratzer, um unsere alte Beziehung wieder zu entfachen, die aus dem gegenseitigen Rächen bestand. Lohnte es sich überhaupt, zu versuchen, unsere Beziehung zu vertiefen und auf eine andere Weise auszubauen? Lohnte es sich, eine freundschaftliche Basis zu schaffen?

Toni erwiderte nichts. Würde er das Foto löschen? Hatte er mehrere Bilder geschossen?

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