𝟙𝟚. 𝔼𝕚𝕟 𝕓𝕚𝕤𝕤𝕔𝕙𝕖𝕟 𝔸𝕝𝕝𝕥𝕒𝕘
Maike erwartete mich zu Hause, um mir von ihrem Tag zu erzählen. Sie hatte erst ein paar Minuten zuvor Levi abgewimmelt, mit dem sie sich angeregt unterhalten hatte. Ihr berichtete ich von meinem Tag und ließ keine Details weg.
»Du hast also Nachsitzen wegen Toni bekommen?«
Sie schmunzelte.
»Das ist nicht lustig, May.«
Spontan entschieden Maike und ich, einen kleinen Ausflug zu unternehmen, auf den wir Sammy mitnahmen. Ich fuhr Inlineskater, sie ließ sich auf ihrem Skateboard von Sammy ziehen, bis dieser einfach stehen blieb, bis sie ihn ziehen musste.
»Karma«, säuselte ich.
»Halt die Klappe«, erwiderte Maike, doch auch ihre Augen glitzerten.
∞
Am nächsten Morgen vor der ersten Stunde erzählte Jules mir von ihrer gestrigen Englischstunde bei Mister Smith. Dieser unterrichtete alle drei Kurse der zwölften Klasse und war Julys und mein Lieblingslehrer.
»Ich will ja nicht zu viel verraten, weil Mister Smith euch heute bestimmt viel erzählen wird. Aber er hat gestern in meinem Kurs gefragt, ob jemand Interesse an Babysitting hätte und ich habe mich freiwillig gemeldet. Somit habe ich auch für dieses Jahr meine Geldquelle gesichert.«
»Das klingt großartig, Juju, nur auf welche Kinder sollst du denn aufpassen?«, fragte ich.
»Wird er euch heute noch sagen. Bis später.«
Toni, der mich ein wenig später einholte, platzte mit einer Neuigkeit heraus, die er wohl den ganzen Morgen zurückgehalten hatte. »Jules hat mir erzählt, dass eine Austauschschülerin in den ersten beiden Stunden bei uns Englisch hat.«
»Und was ist so besonders an ihr?«, fragte ich.
»July hat sie in Frankreich kennengelernt und sie ist eine Prinzessin.«
»Prinzessin? An unserer Schule? Dass ich nicht lache.« Ich verstummte schlagartig, als wir einer neuen Schülerin begegneten, die ich zuvor nie gesehen hatte. Sie hatte blonde, leicht wellige Haare, die ihr über den Rücken fielen.
»Ich habe noch exakt drei Minuten, um pünktlich fünf Minuten vor der ersten Stunde im Raum zu sein«, murmelte sie zu sich selbst. Sie streckte den Arm aus, um die Türklinke herunterzudrüken, da tauchte Toni darunter hervor, öffnete die Tür und hielt sie dieser Prinzessin auf.
»Ich wünsche einen angenehmen Eintritt in den bescheidenen Raum des Mister Smith, Fräulein Moneau.«
Und er verbeugte sich. Er verbeugte sich tatsächlich. Ich zückte sofort mein Handy, um davon ein Foto zu schießen. Beinahe hätte ich gelacht, doch er schien es verdammt ernst zu meinen.
»Nenn mich Theresa. Wie wirst du genannt?«
»Anton Turner, Fräulein Moneau.«
»Danke für das Offenhalten der Tür, Herr Anton Turner Fräulein Moneau.«
Es hörte sich an, als würde Theresa sich ein Lachen verkneifen. Ich hielt beide Hände über meinen Mund, damit mein eigenes Lachen nicht auffiel. Doch Theresa bemerkte mein Glucksen und drehte sich um.
»Und wer seid Ihr? Ein schöner Prinz etwa, der von meinen königlichen Vorfahren abstammt?«
»Prinz Michael Jonathan von Lustig, ein Cousin der, wie mir immer versichert wurde, bildhübschen Prinzessin Theresa Moneau. Meine Familie munkelt, ob Ihr einen Zweitnamen besitzt.«
»Natürlich, Prinz Michael Jonathan. Meine Familie hingegen munkelt, ob Ihr bei meinen Eltern und Großeltern um meine Hand bitten werdet.«
»Wo bliebe die Überraschung, wenn ich dies beantworten würde?«
»Darf ich die königlichen Herrschaften bitten, einzutreten und ihre Korrespondenz nach dem Unterricht fortzusetzen? Da blieben die Überraschungen noch länger erhalten, bis sie aufgedeckt würden, was für noch mehr Spannung sorgen würde.«
Mister Smith stand hinter uns und wartete, bis wir eingetreten waren. Wir setzten uns an einen Vierertisch weit vorne.
Während alle ihre Sachen auspackten, fragte ich mich, ob Theresa tatsächlich eine Prinzessin war und glaubte, dass ich ihr Cousin war, oder ob wir beide einander geholfen hatten, Toni zu veräppeln. Es sah July ähnlich, Toni und mich mit so einem Scherz gegeneinander aufzuhetzen. Egal, meine Rolle machte zu sehr Spaß, um mir darüber Sorgen zu machen.
Vanessa stürmte vor Anfang der Stunde herein, schleuderte ihre Tasche auf den letzten Platz an unserem Gruppentisch und rannte wieder aus dem Raum.
»Nun, wir wollen anfangen«, sagte Mister Smith und nahm sich eine Liste, die auf seinem Tisch gelegen hatte.
»Wie ich sehe, ist euer Kurs kleiner geworden. Einige haben euch verlassen.« Er zählte sämtliche Namen von Schülern auf, die nach der elften Klasse von der Schule gegangen waren.
»Außerdem sind einige krank«, er nannte mehrere Namen. »Und einige scheinen Angst zu haben.«
Er wies auf Vanessas leeren Platz. »Wie dem auch sei. Ich hoffe, der Rest ist da. Wen ich nicht genannt habe, der aber dennoch auf der Liste der abwesenden Personen stehen müsste, meldet sich jetzt.« Er wartete kaum ab, während manche schmunzelten, da sprach er schon weiter. »Gut, eine kleine Runde ist mir lieber als nervige oder faule Schüler. Da fällt mir ein, dass ich etwas im Lehrerzimmer vergessen habe.«
Mister Smith blieb lange weg. Wahrscheinlich hatte er nicht nur etwas vergessen, sondern sich mit anderen Lehrern verquatscht. Indes unterhielten wir uns in unserem Kurs. Toni kritzelte oder zeichnete irgendetwas auf einem Stück Papier. Als Mister Smith wieder zurückkehrte, hielt er sich für ein Pläuschen bei einer Klassenkameradin auf, bevor er sich wieder uns zuwandte und sprach.
»Jeder sagt genau einen Satz, wie seine Ferien verlaufen sind. Dass die Hälfte von euch ihre Ferien damit verbracht hat, im Bett zu faulenzen, zu essen und zu trinken und ab und zu aufs Klo zu gehen, ist mir klar. Also erzählt mir was anderes. In Englisch bitte. Anton, du fängst an.«
Den Bleistift, mit dem Mister Smith seine ruckartigen Bewegungen verdeutlicht hatte, war ihm aus der Hand geflogen, als er auf Toni gedeutet hatte. Meine Reflexe hatten von selbst gehandelt und den Bleistift in die Luft gestoßen, bevor er Toni berührt hatte. Er landete auf Vanessas leerem Platz. Theresa schob ihn in die Mitte des Tisches.
Toni schwafelte etwas von Sammy und gab das Wort an mich weiter. Ich berichtete davon, dass meine Familie umgezogen war und unsere Klingel nicht funktioniert hatte, weshalb eine Freundin uns mitten in der Nacht geweckt hatte.
Mister Smith erkundigte sich bei mir, ob die Klingel mittlerweile wieder funktionierte, was ich bejahte.
Nachdem Theresa uns erzählt hatte, wie sie hierhergezogen und ihre Gastfamilie kennengelernt hatte, bei der sie bis mindestens Weihnachten bleiben würde, fragte Mister Smith sie, was sie danach machen wolle.
»Entweder ich bleibe, ich besuche noch andere Städte oder ich kehre nach Hause zurück«, antwortete sie in fließendem Englisch.
Ich gab den Bleistift an den nächsten Tisch weiter.
Diese kleine Runde hatte länger gedauert als erwartet. Am Ende berichtete uns Mister Smith von seinen eigenen Ferien.
»Ihr kennt Fiona ja schon, da ich bereits von ihr gesprochen habe. Sie und ihr Kind sind bei mir eingezogen. Ich habe schon aus dem anderen Kurs eine Zusage von Juliette Ahlert bekommen, dass sie auf das Kind aufpassen wird, solange der leibliche Vater auf Geschäftsreise ist. Wir werden auf das Kind bis zur Rückreise des leiblichen Vaters nächsten Jahres aufpassen. Außerdem ist Fiona schwanger.« Mister Smith strahlte, als er von seiner Freundin sprach. »Nun, heute wollen wir über ein sehr wichtiges Thema sprechen, natürlich in Englisch, weil ihr ja in der Schule seid. Ich habe vor, um Fionas Hand anzuhalten. Bei ihr persönlich«, fügte er mit einem Zwinkern in unsere Richtung hinzu, weshalb Toni, Theresa und ich bedeutende Blicke wechselten. »Anton du fängst an. Wie würdest du einem Menschen, den du liebst, egal ob männlich oder weiblich, einen Heiratsantrag machen?«
Obwohl Toni sich vorbereitet hatte, flog der Stift an seiner Hand vorbei und ich hielt ihn kurz vor seinem Gesicht an.
»Bremsen kann ich nicht so schnell, dafür aber Stifte aufhalten, die deine hässliche Nase durchbohren könnten«, flüsterte ich Toni zu.
»Sag nicht, dass meine Nase hässlich sei«, zischte er.
Bevor ein Streit zwischen uns ausbrechen konnte, grätschte Mister Smith dazwischen. »Deine Nase ist gut so, wie sie ist, Anton. Jetzt geht es um Heiratsanträge und ganz viel Liebe.«
Toni funkelte mich böse an, widmete sich dann jedoch der Frage.
»Ich würde mich versichern, dass Person X mich liebt. Wenn sie das tut, würde ich, keine Ahnung, einen lustigen oder romantischen Nachmittag mit ihr verbringen. Dann würde ich mir ein ruhiges Plätzchen suchen, dieses schön gestalten und X sagen, warum ich sie liebe und dann hoffen, dass Person X Ja sagt.«
»Michael, du bist dran.«
Ich drehte den Stift in meiner Hand.
»Ich würde den Tag bewusst planen und mit Person X eine wunderschöne Erinnerung schaffen, damit diese sich auch später noch an den Tag erinnert, und zwar mit einem positiven Gefühl. Dann würde ich mich mit ihr auf eine Mauer setzen und den Sonnenuntergang beobachten. Möglicherweise würde ich warten, bis die Sterne am Himmel stehen. Ich würde Person X Fotos zeigen und ihr dabei erklären, warum ich sie liebe und um ihre Hand anhalten.«
Ich reckte mein Kinn stolz nach vorne. Ich hatte eine ähnliche Beschreibung wie Toni abgegeben, aber noch eigene Ideen hinzugefügt und ihn damit übertroffen.
»Ziemlich ähnlich. Macht weiter, ich möchte interessante Ideen hören.«
Nachdem der Stift durch unseren Kurs gewandert war, sah Mister Smith enttäuscht aus.
»Okay, wir machen so lange weiter, bis mir einer von euch eine brillante Idee präsentiert. Sie sollte kreativ sein und verrückt und interessant und sie muss mir gefallen.«
Das Klingeln der Doppelstunde unterbrach Mister Smith.
»Ab nächster Stunde werden ihr in den Gruppen arbeiten. Ich habe von Frau Heinrich erfahren, dass ihr Gruppenarbeit mögt. Später werdet ihr die besten Ideen vorspielen wie in einem kleinen Theater. Natürlich in Englisch.«
Zustimmendes Gemurmel ertönte im Raum.
Ich bemerkte, dass Tonis Blick zu Tür und dann zu Theresa huschte. Er wollte ihr die Tür wieder aufhalten. Auch wenn das alles möglicherweise nur ein Schmerz von Theresa und Jules, und teilweise auch von mir war, würde ich das Spiel mitspielen. Was Toni konnte, konnte ich erst recht.
Ich schob meine Sachen von meinem Tisch in meinen Rucksack und raste zur Tür, die ich bereitwillig für Theresa aufhielt, bis sie den Raum verlassen hatte.
Toni begann ein Gespräch mit ihr, während ich ihr anbot, ihre Tasche zu tragen.
Als wir in der Cafeteria ankamen, schob ich Theresa den Stuhl zurück, bevor sie sich setzte. Kurz darauf erhielt sie einen Anruf und stand auf. Als sie sich uns wieder näherte, sprangen der Idiot und ich gleichzeitig auf und eilten zu ihrem Stuhl. Wir schubsten uns gegenseitig.
»Leute, hört auf damit. Theresa und ich haben uns einen Scherz erlaubt. Sie ist nicht wirklich eine Prinzessin«, informierte uns July und strich sich eine Strähne hinter ihr Ohr.
Da hatte ich sowieso schon angenommen. July hatte es mir nur bestätigt.
Nach der sechsten Stunde traf ich auf Toni, der aus dem Raum stürzte und auf seine Armbanduhr sah. Die, die Chemie gehabt hatten, wurden immer zu spät rausgelassen. Da ich Physik im obersten Stockwerk hatte, war ich ebenfalls spät dran. Wir hatten beide Religion und rannten los. Die meisten Schüler drängten jetzt aus dem Ausgang der Schule, weshalb die Gänge, durch die wir hasteten, verlassen waren. Wir flitzten an einem »Achtung, Rutschgefahr«-Schild vorbei, das wir beide nicht beachteten. Das Karma zahlte es uns heim.
Ich wankte, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den noch nassen Boden. Dabei riss ich Toni mit meinem linken Arm zu Boden.
»Verdammt!«, fluchte ich und rieb mir meinen rechten Arm, auf dem ich gelandet war.
»Das war gerade eben deine Schuld«, stellte Toni klar. »Wenn wir Ärger kriegen, geht das auf deine Kappe.«
Als wir den Raum betraten, schnauzte uns der Religionslehrer Herr Horn an. Wir erklärten den Unfall, wobei wir uns gegenseitig die Schuld gaben. Herr Horn duldete solches Verhalten nicht und schickte uns zu den zwei letzten, freien Plätzen. Wir sollten ein bisschen mehr Nächstenliebe zeigen.
Herr Horn schwafelte danach ohne Unterbrechung vor sich hin. Ich stellte Fragen und zettelte sogar eine Diskussion an, die Herr Horn allerdings mit kurzen, wenig überzeugenden Argumenten wieder beendete.
Neben mir spielte Toni Sudoku.
»Da kommt eine Neun hin«, flüsterte ich und deutete mit meinem Bleistift auf ein bestimmtes Feld. »Und da auch.«
Toni überprüfte, ob ich recht hatte, bevor er die beiden Zahlen eintrug.
Zwei langweilige Stunden vergingen. Nur Tonis Sudoku hielt mich davon ab, einzupennen.
∞
Am nächsten Tag wunderte ich mich, als ich Toni nicht begegnete. Levi antwortete nicht auf meine Nachrichten. July sah ich vor der ersten Stunde auch nicht. Ich wartete sehr lange draußen, weshalb ich zu spät in den Raum stolperte. Leer. Wo waren meine Kurskameraden? Hatten wir Raumänderung? Ich schaute auf meine Nachrichten, die ich seit heute Morgen ignoriert hatte. Sie stammten aus dem Stammkurs-Chat, bei dem ich viele als Typ Nummer Bla eingespeichert hatte, da ich die Namen nicht gekannt hatte, als die Gruppe gegründet wurde.
Paul Bergmann: Kann jemand Bescheid sagen, dass ich zu spät komme?
Karsten Roder: Hab ich das richtig verstanden, dass wir heute an unseren Projekten weiterarbeiten sollen und sie nur kurz am Anfang der Stunde vorbeischaut und den Rest der Stunde zum Arzt wollte? So stand es zumindest in der Nachricht, die sie mir am Montagnachmittag geschickt hat.
Ich scrollte mich durch den Chat und entdeckte tatsächlich eine weitergeleitete Nachricht von Frau Heinrich, die uns mitteilte, dass wir heute an den Deutsch-Gruppenarbeiten weiterarbeiten sollten.
Typ 3: Ja
Typ 2: Jap
Typ Nummer 4: So hab ich das auch verstanden.
Nick Tasrum: Ja, ich komme auch zu spät.
Marvin: Ja, ich auch.
Paul Bergmann: Liegt an den Bussen...
Ich: Kommt überhaupt jmd? Bin sonst der Einzige...
Marvin: Haha
Paul Bergmann: Läuft
Paul Bergmann: Dann kannst du uns ja alle entschuldigen...
Ich: Wäre nett, wenn wenigstens einer von euch Vollpfosten nicht schwänzt...
Typ Nummer 4: Wir haben quasi frei, da schlafe ich lieber aus.
Ich: Kommt schon, Leute...
Emma Zort: Viel Spaß, Mann
Nathan: Bruder, saß schon im Bus, hab die Nachrichten gelesen, bin bei der nächsten Haltestelle umgestiegen und fahre jetzt wieder nach Hause XD Hab Besseres zu tun, als 2 Stunden in der Schule zu hocken und nichts zu machen.
Ich konnte es nicht fassen. Wie sollte ich mich jetzt zwei Stunden lang beschäftigen? Könnte nicht wenigstens einer meiner Klassenkameraden nicht schwänzen?
Jules und Levi hatten jetzt Deutsch-Unterricht und konnten mir nicht helfen, mich zu beschäftigen und meine Langeweile zu vertreiben.
Also probierte ich mein Glück bei Paul. Er blieb zu Hause.
Mein letzter Versuch galt Toni. Dieser reagierte sofort auf meine Nachrichten.
Ich: Kommst du in die Schule? Es ist langweilig und wir könnten an dem Projekt weiterarbeiten.
Komm schon. Bitte.
Dich zu nerven macht mehr Spaß, als alleine hier rumzusitzen und nichts zu machen.
Toni: Ich komme.
Toni ließ nicht lange auf sich warten. Er fand mich im Raum, wo wir normalerweise Latein-Unterricht hatten und legte ein Handy auf den Tisch, was mich verwunderte. Normalerweise trug er sein Handy nur in einer Tasche mit sich herum, nicht in der Hand. Ich schaute es mir genauer an.
»Sag mal, Tons, ist das nicht Julys Handy?«
»Nenn mich nicht Tons. July hat es gestern bei mir vergessen. Ich wollte es ihr heute geben. Weißt du ihr Passwort?«
Ich öffnete das Handy. Ein Code.
»Sie hatte mal -«, murmelte ich und gab einen Code ein. »Okay, nein. Sie merkt sich immer Geburtstage mit dem Code. Wer hat als nächstes Geburtstag?«
»Tut mir leid, keine Ahnung.«
»Jules selbst hat im Oktober Geburtstag. Und vorher hat keiner, glaube ich.« Ich gab ihren Geburtstag ein und das Handy öffnete sich.
»Hier.« Ich reichte es Toni.
»Hast du Lust, jemanden mit July zu verkuppeln?«, fragte Toni.
Ich grinste. »Warum nicht?«
Wir beugten uns über Julys Kontakte.
»Ha!«, rief Toni plötzlich aus.
»Was?«, fragte ich.
»Mich hat sie mit einem blauen Herzen eingespeichert, dich mit gar keinem Emoji.«
»Emojis sind nicht wichtig«, meinte ich, doch ich riss Toni das Handy aus der Hand, drückte auf meinen Kontakt und setzte ein rotes Herz dahinter. Blau war schon an Toni vergeben und rot war einfach meine Farbe.
Wir scrollten durch ihre Kontakte.
»Sollen wir ein Mädchen oder einen Jungen anschreiben?«, fragte Toni.
»Weiß nicht, auf jeden Fall jemanden, den wir nicht kennen.« Ich überlegte. »Und jemand, der nicht sofort antwortet, damit July den Streich nicht auf uns zurückverfolgen kann.«
Ich scrollte durch meine eigenen Kontakte und stieß dabei auf Robin. Zwar kannten wir ihn, aber er antwortete manchmal tagelang nicht.
»Du weißt schon, dass sie sehen kann, wann die Nachricht abgeschickt wurde.«
»Wenn wir es vorher in den Flugmodus schalten, wird die Nachricht erst abgeschickt, wenn das Handy wieder Internet hat«, meinte ich. »Was hältst du von Robin? Er hat mir immer noch nicht auf eine Nachricht geantwortet, die ich ihm am Sonntag geschickt habe.«
»Na gut.«
Wir suchten Robins Kontakt heraus.
»Lieber Robin, ich habe festgestellt, dass ich dich mag, aber ich traue mich nicht, es dir persönlich zu sagen«, schlug ich vor.
»Deshalb schicke ich dir diese Nachricht. Wir kennen uns schon seit einigen Jahren«, übernahm Toni.
»Ich sah dich anfangs als guten Freund an wie Michi«, sagte ich.
»Und Toni«, warf der Idiot ein.
»Doch plötzlich entwickelten sich Gefühle, sobald ich in deiner Nähe war.«
»Wenn dein Blick mich streifte, gab es nichts mehr auf der Welt nur dich, denn du warst und bist meine Welt.«
»Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr ich dich liebe. Deshalb würde ich es gerne in einem Kuss ausdrücken.«
»Deine Juliette Ahlert«, beendete Toni.
»Wir sollten Robin warnen, damit er unser Spiel mitspielt.«
»Ja, nicht dass er am Ende wirklich in July verliebt ist, ihr das gesteht und -«
»Sie ihn nicht mag. Dann hätten wir alles versaut.« Ich dachte an die Konsequenzen, wenn etwas schiefgehen sollte.
»Kannst du bitte aufhören, meine Sätze -«
»Zu vollenden? Nein, das macht zu viel -«
»Spaß. Ich weiß.«
Als wir uns ansahen, brachen wir in Gelächter aus. Wir verbrachten zwei friedvolle, lustige Stunden miteinander, in der wir versuchten, in Faust weiterzuarbeiten, es aber nicht schafften.
Stattdessen überprüften wir die ganze Zeit Julys Nachrichten und schossen auf ihrem Handy Selfies.
∞
Am Nachmittag traf ich mich mit Amy. Wir küssten uns und kuschelten viel, bis Maike uns unabsichtlich unterbrach und zum Abendessen rief. Sie entschuldigte sich halbherzig, doch ich war froh über die Unterbrechung. Ich wusste immer noch nicht, warum, aber ich hatte ein komisches Gefühl, als würde ich etwas Falsches tun. Bei jedem Kuss krümmte sich mein Magen zusammen, was mich ängstigte. War Amy nicht die Richtige? Musste ich ihr Herz brechen? Musste ich die liebenswürdige Seele, die in meinen Armen lag, verletzen? Sie war von der ersten Sekunde an gutherzig gewesen, sogar noch bevor wir uns gekannt hatten und sie nur meinem Fahrrad begegnet war.
»Komm Ams.« Ich drückte sie sanft von mir und stand auf. Dann zog ich sie hoch.
Wir gesellten uns zu Dad und Maike in die Küche. Mom arbeitete noch im Lustig.
Nach dem Abendessen fragte ich Amy, ob sie Lust hätte, ins Kino zu gehen.
»Nein, danke. Das ist mir zu«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »spontan.«
»Ähm, okay.« Ich hörte, wie Sammy im Garten bellte und eilte neugierig zum Fenster.
Toni beruhigte ihn und legte eine Leine um.
»Toni, stimmts?« Amy stand direkt hinter mir. Ich spürte ihren Atem in meinen Nacken.
»Anton Turner, ja. Der Nachbar und Idiot, den ich hasse.«
»Warum?«, fragte Amy neugierig.
»Das hat viele verschiedene Gründe. Ich könnte nächtelang erzählen, warum ich ihn meistens hasse, aber ich will unsere Zeit nicht verschwenden.« Ich drehte mich zu ihr und küsste sie, um sie abzulenken, was funktionierte.
Ich wollte erst Maike die ganze Geschichte zwischen Toni und mir erzählen. Bevor sie als Außenstehende nicht alles wusste, sollte niemand alles erfahren.
∞
»Sie mag mich immer noch nicht, das habe ich beim Abendessen deutlich gemerkt. Aber ich versuche wenigstens, sie zu mögen. Sie macht es mir nur unglaublich schwer«, erklärte Maike mir, nachdem Amy abgeholt worden war.
»Sie ist so liebenswürdig. Du bildest dir bestimmt nur ein, dass sie dich nicht mag«, entgegnete ich.
»Ich habe es dir schon gesagt. Ich weiß, dass sie mich nicht mag. Ich sehe es in ihrem Blick und erkenne es in ihrer Art, wie sie sich mir gegenüber verhält. Was habe ich nur falsch gemacht?«, fragte Maike.
»Du hast gar nichts falsch gemacht.« Ich strich Maike beruhigend über die Schulter.
Wir saßen beide in der Kuschelecke, das Märchen neben uns. Wir hatten es heute noch nicht aufgeschlagen.
»Grund Nummer zwei, warum du Toni hasst.«
»Okay, Grund Nummer zwei. Er will immer besser sein als ich, was sich auf mich auswirkt. Das steigert meinen Ehrgeiz und ich will besser sein als er. Ich habe versucht, mein Drängen, mich beweisen zu wollen, zu unterdrücken, aber ich bin gescheitert. Wenn er etwas erreicht, will ich es auch schaffen. Möglicherweise bin ich deshalb bezüglich Schule nicht so faul wie sonst. Ich will besser sein als er. Ich will ihn übertreffen. Ich will gesehen werden und ich will, dass die Welt den so großartigen Anton Turner nicht beachtet, denn er ist gar nicht so großartig. Er ist nervig und anstrengend, besserwisserisch, nachtragend und schiebt mir ungerechterweise die Schuhe in die Schuld.« Ich schlug mit der rechten Faust in meine linke Handfläche.
»Du meinst, er schiebt dir die Schuld in die Schuhe, nicht die Schuhe in die Schuld«, verbesserte Maike mich.
»Du weißt, was ich meine. Außerdem denke ich, er will versuchen, mir mein Leben zu versauen.«
»Er macht es dir nur zur Hölle, mehr nicht. Du machst ihm sein Leben auch zur Hölle.«
»Nein!«
»Doch, Michi.«
»Na jedenfalls kann er seine Launen zu gut wechseln. Wir hatten sogar ein bisschen Spaß.«
»Im Bett?«, hakte Maike entsetzt, aber auch neugierig nach. »Ich dachte, ihr hasst euch!«
»Was?« Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich kapierte, was Maike durch den Kopf schoss. »Maike, nein! Himmel, nein. Wo denkst du hin?«
»Man kann nie wissen. Möglich wäre es.«
»Dafür hassen wir uns zu sehr, Maiksi.«
»Du hast nicht abgestritten, dass es noch passieren könnte, solltet ihr euch mal nicht mehr so sehr hassen«, bemerkte Maike.
»Dass das passieren wird, bezweifle ich sehr stark. Wir sollten ein Märchen lesen. Such du eins aus.«
Maike durchstöberte das Inhaltsverzeichnis und entschied sich für König Drosselbart. Wir wechselten uns beim Lesen ab.
»Sie wusste auch nicht, dass sie sich in ihn verlieben würde, weil sie sich nicht auf ihn eingelassen hatte. Doch dann erkannte sie, dass das Innere zählt.«
»Jaja, komm schon. Gute Nacht, Maiksi.«
Maike lachte bei meinem Versuch, sie schnell abzuwimmeln.
»Nacht Bruderherz.«
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