𝓔𝓲𝓷𝓼

Ein lauter Knall hallte durch die steinernen Mauern der kleinen Kammer und ließ diejenigen, die sich darin versteckten, angsterfüllt zusammenzucken.

Verzweifelte Schreie drangen von draußen an ihre Ohren — die Schreie derer, die sie liebten.

Taehyung zog die zitternden kleinen Körper näher an sich, versuchte die beiden Kinder in seinen Armen mit beruhigenden Worten abzulenken.

„Sshh. Alles wird gut, sie werden uns nicht finden", flüsterte er den Kleinen zu, doch seine Stimme brach bei jedem Wort ein Stück mehr und verriet seine eigene Angst und Unsicherheit. Wie sollte er die Kinder nur beruhigen, wenn er selbst am ganzen Leib zitterte und ihm die Furcht die Kehle zuschnürte?

Ein weiterer, markerschütternder Schrei.

Taehyung versuchte verzweifelt die Stimmen nicht zu identifizieren. Er wollte nicht wissen, wem aus seinem Rudel sie gehörten — wollt sich nicht vorstellen, was mit denen, die er liebte, gerade passierte.

In ihrem kleinen Versteck konnten sie nur ahnen, was draußen in dem kleinen Dorf, das sie ihr zu Hause nannten, gerade für schreckliche Dinge geschahen...

[eine Stunde zuvor]

„Taetae, schau!" Yoona streckte ihre kleinen Hände aus und zeigte ihrem Lehrer stolz das hübsche Blatt, das sie gefunden hatte. „Es sieht aus wie ein Herz."

Taehyung nahm ihr das Blatt mit einem anerkennenden „Ooh!" ab und betrachtete es mit der in Yoonas Augen angemessenen Bewunderung. „Es ist wirklich sehr hübsch. Das ist ein Blatt des Farran Baumes", erklärte der junge Omega und Yoonas Augen weiteten sich interessiert. „Seine Blätter haben die Form von Herzen."

„Dann ist es ab sofort mein Lieblingsbaum!", erklärte Yoona feierlich und Taehyung schenkte ihr ein liebevolles Lächeln.

Er nahm das Blatt und befestigte es an dem Kleid des sechsjährigen Mädchens, so dass es dieses nun wie eine Brosche zierte. „Und nun geh zurück zu den anderen, okay?" Yoona quiekte vergnügt, umarmte Taehyung stürmisch und lief dann wieder zu den anderen Kindern, die etwas weiter entfernt auf der Wiese spielten.

Taehyung saß im hohen Gras des Hügels und beobachtete seine Schützlinge mit voller Liebe. Hinter ihnen im Tal lag ihr kleines Dorf, gut versteckt von den Hügeln und Bergen, die sie umgaben. Inmitten der kleinen Hütten stieg eine Rauchschwade auf und ließ auf ein leckeres Mittagessen hoffen, dass sie nach ihrem kleinen Ausflug ins Grüne erwarten würde.

Heute Abend würden die Alphas von ihrer tagelangen Jagd durch die Berge wieder heimkehren, und das hieße wie immer es würde ein Festessen geben. Während die restlichen Omegas und Betas alles im Dorf vorbereiteten, vertrieb sich Taehyung währenddessen die Zeit mit den Jüngsten in der Natur.

Es waren nicht seine Kinder, nein.

Aber er liebte sie als wären es seine eigenen.

Die Aufgaben der Omegas in seinem Rudel waren neben dem Essen zubereiten auch die Erziehung der Kleinsten, sie zu unterrichten und zu hüten, während die Betas und Alphas ihren eigenen Pflichten, wie z.B. der Jagd, nachgingen.

Und Taehyung war wie geboren für diese Aufgabe. Seitdem er alt genug war kümmerte er sich liebevoll um die Kinder seines Packs, erklärte ihnen die Welt um sie herum und lehrte ihnen die ersten Fertigkeiten, die sie zum überleben brauchten.

Und die Kinder liebten ihn mindestens genau so innig.

Um ehrlich zu sein konnte Taehyung es kaum erwarten selbst einmal Kinder zu haben. Aber wer wusste schon, wann das passieren würde?

Er respektierte und mochte jeden Beta und Alpha in seinem Rudel, doch hingezogen fühlte er sich bis jetzt zu keinem von ihnen — zum Ärgernis von so manch einem.

Männliche Omegas waren extrem selten und daher sehr begehrt. Und Taehyung war nicht nur ein solch seltenes Exemplar, sondern auch noch ein atemberaubend schönes dazu. Denn der junge Omega mit seinen dunkelbraunen Locken war eine Schönheit, die seinesgleichen suchte.

Doch so sehr er sich auch einen Gefährten und gemeinsame Kinder wünschte, er würde sich nicht einfach nur für die Sache an sich an jemanden binden.

Er glaubte an die Liebe. An die echte, wahre Liebe. Und einzig und allein dieser würde er sich hingeben.

Yoona stolperte plötzlich beim Spielen über ihre kurzen Beine und fiel hin. Taeyhung wollte gerade aufstehen, als er ihr leises Schluchzen vernahm, doch da eilte bereits Kaiwo an die Seite seiner jüngeren Schwester und half ihr wieder auf die Beine. Der achtjährige Junge mit dem schwarzen Haar klopfte den Dreck vom Kleid seiner Schwester und sagte irgendetwas zu ihr, was die Kleine augenblicklich wieder zum strahlen brachte. Unbekümmert, als wäre nie etwas gewesen, sauste die Kleine wieder herum und tobte mit den anderen Kindern.

Seufzend und kopfschüttelnd ließ sich Taehyung wieder zurück aufs Gras fallen, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und ließ die warme Sonne auf sein Gesicht scheinen.

Er hoffte, dass dieses friedliche Leben niemals enden würde.

Er wünschte sich für immer in seinem kleinen Dorf leben zu können, das versteckt im tiefsten Wald lag — fernab der grausamen Rudelkriege, die weiter im Norden herrschten. Hier war es friedvoll und ruhig und sie lebten im Einklang mit der Natur. Und auch wenn sie nicht viel besaßen und ein sehr kleines Rudel waren: er war froh und dankbar hier in Frieden und Harmonie aufgewachsen zu sein und wünschte sich dies auch für die kleinen Werwölfe, die vor ihm im Gras spielten.

Und genau in diesem Moment geschah es...

Eine große Wolke schob sich vor die Sonne und die Wärme in seinem Gesicht war plötzlich verschwunden. Ein Schauer lief Taehyung über den Rücken und irritiert öffnete er seine Augen.

Irgendetwas stimmte nicht...

Wie in Trance richtete er sich auf und drehte sich um, den Blick dabei aufs Dorf gerichtet, das etwas abseits des Hügels lag — und aus dem auf einmal weitaus mehr als nur eine Rauchschwade aufstieg...

Er spürte eine Präsenz, die er nicht zuordnen konnte, und als der Wind sich drehte, drang ein eigenartiger Duft an seine Nase.

Fremde.

Wie eingefroren starrte Taehyung mit vor Entsetzen großen Augen in Richtung des Dorfes. Alle seine Sinne waren plötzlich hellwach. „Nein, das... das kann nicht—"

Das mächtige Heulen eines Alphas riss ihn aus seinen Gedanken und Taehyungs Herz blieb für einen Moment stehen.

Das war kein Alpha aus seinem Pack...

Seine Sinne als Omega waren darauf ausgerichtet Gefahr zu erkennen und die Flucht zu ergreifen — und genau das war es, was sein innerer Wolf ihm gerade gnadenlos zuschrie:

„LAUF!"

So schnell ihn seine Beine tragen konnten, rannte er zu den Wolfskindern, die die Gefahr ebenfalls gewittert hatten und mit ihrem Spiel aufhörten. Mit großen Augen starrten sie irritiert in Richtung des Dorfes, bewegten sich aber nicht, denn sie konnten ihre Gefühle, das Jaulen ihrer inneren Wölfe, noch nicht deuten.

„Kinder, kommt her!", schrie Taehyung und zählte hektisch alle durch, während sie sich eins nach dem anderen um ihn sammelten und mit großen Augen anschauten. „...sechs, sieben, acht.", zählte Taehyung und atmete erleichtert aus.

„Taetae", flüsterte Kaiwo unsicher und klammerte sich an der Hose des Omegas fest. „I—Irgendwas stimmt nicht..."

Taehyung griff nach seiner Hand und setzte sich in Bewegung — weg vom Dorf. Weg von dem, wovor auch immer ihn sein innerer Wolf warnte. „Wir müssen weg! Jetzt sofort. Wir müssen—"

Ein markerschütternder Schrei echote durchs Tal, ließ die kleine Gruppe auf dem Hügel erschrocken auffahren.

Kaiwos Augen weiteten sich in Schock. Er kannte diese Stimme. Er war auf sie geprägt wie auf keine andere.

Es war die Stimme seiner Mutter.

„MAMA!" Panisch entriss sich der Wolfsjunge Taehyungs Hand und rannte den Hügel hinunter, dabei immer wieder den Namen seiner Mutter rufend.

„KAIWO!!" Verzweifelt versuchte Taehyung den Jungen an seinem Oberteil festzuhalten, doch er verfehlte ihn und konnte nur mit Entsetzen zusehen, wie er im Dickicht des Waldes verschwand und in Richtung des Dorfes lief.

„M—Mama!?" Yoona fing bitterlich an zu weinen und rannte ihrem Bruder hinterher.

Sie schlüpfte an Taehyung vorbei, der die Kleine nicht hatte loslaufen sehen. „YOONA!!"

Er wollte den beiden Jüngsten hinterher laufen, doch leises Wimmern hinter ihm ließ ihn sich umdrehen. Die sechs restlichen Wolfskinder standen verloren und zusammengekauert da und ihre kleinen Körper zitterten vor Angst.

Taehyung lief zu ihnen zurück und ging atemlos in die Hocke. „Hört mir gut zu! Ihr müsst jetzt tapfer sein, meine Kleinen." Er schaute in die großen, angsterfüllten Augen seiner Schützlinge und schluckte den Kloß herunter, der sich in seinem Hals gesammelt hatte. „Wisst ihr noch die Höhle, die ich euch bei unserem letzten Ausflug gezeigt hatte?"

Die Kinder nickten.

„Sehr gut! Ihr werdet euch jetzt verwandeln und da hin laufen, unzwar so schnell ihr könnt! Dreht euch nicht um! Ganz gleich was ihr auch hört, ihr werdet euch nicht umdrehen, habt ihr mich verstanden?" Wieder nickten die Kinder, diesmal jedoch zaghafter. „Ich bin so stolz auf euch." Taehyung drückte die kleine Rasselbande einmal kurz und fest an sich, bevor er sie wieder los ließ. „Bleibt zusammen und wartet, bis ich euch hole. Versprecht mir, dass ihr die Höhle vorher nicht verlassen werdet!"

Und die Kinder versprachen es. Eins nach dem anderen wandelte sich winselnd um und auf Taehyungs Nicken hin liefen die vier kleinen Welpen tapfer in Richtung Wald.

Mit einem leidvollen Blick wartete Taehyung, bis auch der letzte Welpe im Wald verschwunden war, dann wandte er sich um und rannte so schnell er konnte zum Dorf. In seiner Wolfsform wäre er definitiv schneller, aber auch leichter von anderen Wölfen zu wittern — und sollten seine schlimmsten Befürchtungen wahr sein und da waren wirklich feindliche Wölfe in ihrem Dorf, hatte er in seiner menschlichen Gestalt hoffentlich eine kleine Chance nicht bemerkt zu werden.

Er hoffte nur, dass Kaiwo und Yoona sich nicht verwandelt hatten...

Umso näher er kam, desto mehr Schreie hörte er. Seine Nase nahm den Geruch von Rauch und Feuer wahr, von Metall und — Blut.

„Nein, nein — bitte nein!", flehte er innerlich.

Dann endlich sah er Kaiwo und Yoona, die geradewegs auf ein lichterloh brennendes Dorf zurannten. Noch vor der ersten Hütte holte Taehyung sie ein und hielt sie fest. Er schlang seine Arme um ihre Körper und zog sie in eine etwas abseits stehende Hütte, die als eine der wenigen noch kein Feuer gefangen hatte, und kauerte sich mit ihnen unter das Fenster.

Sein Puls raste. Er hatte vor der Hütte niemanden ausmachen können, und er hoffte, dass sie also noch nicht entdeckt wurden.

„Haltet still!" flüsterte Taehyung in die Ohren der beiden Kinder, doch die beiden hörten nicht auf ihn, zu groß war die Sorge um ihre Mutter. Ihre Instinkte trieben sie trotz der Gefahr zu ihr. Sie strampelten in seinen Armen und ihr Weinen und Rufen ließen ihm keine andere Wahl, als seine Hände auf ihre Münder zu pressen.

„Bitte, bitte seid still!", flehte er die beiden an und tatsächlich beruhigten sie sich etwas.

Erleichtert ausatmend wagte Taehyung einen Blick über seine Schulter durch das Fenster— und sah das pure Chaos.

Dächer brannten und Hütten waren komplett zerstört. Er sah Mitglieder seines Rudels tot auf dem Boden liegen, wieder andere rannten um ihr Leben. Überall war Blut...

Und dann sah er sie.

Riesige schwarze Wölfe, mit glühend roten Augen.

Solche Giganten hatte er noch nie zuvor gesehen. Sie waren einfach überall, überrannten ihr kleines Dorf wie ein Schwarm Heuschrecken.

Allein ihre Präsenz ließen ihn zittern.

Er sah zwei Betas aus seinem Dorf, die in ihrer Wolfsform verzweifelt versuchten gegen einen der schwarzen Riesen zu kämpfen. Doch der fremde Wolf besiegte sie mit Leichtigkeit. Er hielt den Kopf des einen Betas mit seinem massiven Maul fest — und biss so kraftvoll zu, dass dessen Schädel knackte. Dann sprang er auf den anderen Beta und riss dessen Kehle auf.

Taehyung schlug sich eine Hand vor den Mund um nicht laut loszuschreien, während Tränen in seine Augen stiegen.

Er kannte die beiden Betas... es waren seine Freunde...

Er wollte seinen Blick abwenden, doch dann sah er auf den Dorfplatz und sein Herz blieb stehen. Inmitten des Dorfplatzes hatten einige von den schwarzen Wölfen einen Kreis gebildeten und bauten sich bedrohlich vor den darin hockenden Frauen auf. Die umzingelten Omegas waren teilweise blutüberströmt und hielten sich gegenseitig weinend im Arm.

Taehyung spürte heiße Tränen seine Wangen runterlaufen und schüttelte ungläubig den Kopf.

Was zur Hölle passierte hier??

Einer der Wölfe, der größte soweit Taehyung aus der Ferne ausmachen konnte, drehte plötzlich seinen Kopf in die Richtung der kleinen Hütte, in der sie sich versteckten, und Taehyungs Blut gefror in seinen Adern. Langsam drehte sich der Wolf und näherte sich langsames Schrittes und bedrohlich knurrend der kleinen Hütte.

Taehyungs Augen weiteten sich.

Unmöglich. Es war unmöglich, dass der Wolf sie bei all dem Rauch und dem Lärm gewittert haben könnte.

Oder??

Sofort bückte Taehyung sich und taumelte rückwärts weg vom Fenster, die Kinder dabei immer noch fest in seinem Griff.

"Taetae? Was ist los?", fragte Kaiwo ängstlich, doch Taehyung schüttelte nur den Kopf.

"Weg...", stammelte er. "Wir müssen hier weg!"

Verzweiflung machte sich in dem Omega breit, als er merkte dass es für eine Flucht zu spät war...

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