15. 𝔖𝔠𝔥𝔩𝔦𝔪𝔪𝔰𝔱𝔢 𝔐𝔬𝔪𝔢𝔫𝔱𝔢 𝔡𝔢𝔰 𝔏𝔢𝔟𝔢𝔫𝔰
Hermine rannte über die Ländereien von Hogwarts und visierte das Schloss an. Dort musste es einen Raum geben, in dem sie sich verstecken konnte und niemand sie finden würde. Sie rannte immer weiter und hoffte, das Leben würde für ein paar Tage stehenbleiben; bis sich Arme um sie schlangen und sie abbremsten.
Hermine wand sich aus der Umarmung.
»Was machst du da?!«, fuhr sie Draco an, der erschrocken zurückwich.
»Ich habe deinen Namen gerufen, aber du hast nicht reagiert, also bin ich dir hinterhergerannt, doch du bist nicht stehen geblieben. Ich dachte, du hast vielleicht einen Anfall oder so. Ich habe mir nur Sorgen gemacht, mehr nicht.« Draco biss sich sofort auf die Lippe, als hätte er den letzten Satz gar nicht sagen wollen. Der Zorn war aus Hermines Augen gewichen, stattdessen hatte sich aber Schmerz dahingeschlichen. »Wie dem auch sei, geht es dir gut?« Draco musterte Hermine genau und stellte fest, dass ein paar Tränen von ihrem hoch gereckten Kinn tropften. Sie würde ihm gegenüber nicht zugeben, dass sie geweint hatte, dafür war sie zu stolz. Das wusste Draco genau.
»Mir geht es gu-«
»Sag bloß nicht gut. Das wäre eine Lüge«, sagte Draco, bevor Hermine ihren Satz beenden konnte.
»Warum fragst du dann?«
»Keine Ahnung«, murmelte Draco. »Vielleicht brauchst du ja jemanden zum Reden.«
»Ich rede sicherlich nicht mit dir, wenn du das denkst«, fauchte Hermine.
Draco schob nur schweigend seine Hand in Hermines und führte sie zum See. Die untergehende Sonne, die den Himmel rot färbte, spiegelte sich darin. Er ließ sich auf dem Gras nieder, wobei er Hermines Hand losließ. Hermine fühlte sich plötzlich leerer, als vor ein paar Sekunden. Sie sehnte sich nach einer Hand, die ihre hielt, sei es nun Harrys oder Dracos.
Während sich Hermine ebenfalls setzte, erinnerte sie sich daran, dass sie genau an dieser Stelle versucht hatte, den Schlüssel loszuwerden und es nicht geschafft hatte.
»Ich hatte heute den zweitschlimmsten Moment meines Lebens«, platzte Hermine heraus und schon erzählte sie Draco von ihrem Date mit Harry.
»Das klingt doch ziemlich romantisch«, kommentierte Draco.
»Bis zu dem Flug war es das auch, ja. Aber dann-« Hermine versank im Schweigen, bis Draco sie an ihrem Arm anstupste. Sie nahm das Wort wieder auf und erklärte Draco, was danach passiert war.
»Ich hasse das Fliegen, weil es nicht sicher ist und alles passieren kann«, beendete sie die kurze Geschichte.
»Potter hätte verhindert, dass dir etwas passiert. Obwohl ich es nicht gern zugebe, ich habe ihn fliegen gesehen. Er beherrscht das Besenfliegen besser als alles andere. Er hätte auf dich aufgepasst.«
»Meine Tante hat mir auch versprochen, auf mich aufzupassen. Das waren ihre letzten Worte an mich.«
Hab keine Angst, ich werde auf dich aufpassen. Hermine dachte an die Worte, die ihre Tante zu ihr gesagt hatte und unterdrückte die Tränen.
Draco legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie näher zu sich heran.
»Egal, was du mir erzählst, ich werde dich nicht verurteilen«, flüsterte Draco. Hermine umschlang ihre herangezogenen Beine und legte die Stirn auf ihr rechtes Knie. Sie zögerte lange, doch dann sprach sie endlich aus, was sie beschäftigte.
»Vor einiger Zeit war meine Tante bei meiner Familie. Sie lebte bei uns. Wir wohnten in einem kleinen Häuschen in der Nähe einer Fallschirmspring-Station. Menschen aus der Nähe und Ferne reisten an, um dort Fallschirmspringen zu gehen. Meine Tante wollte dies auch tun, doch sie hatte nicht genug Geld dafür. Sie sparte und sparte, doch das Geld reichte nicht. Sie erzählte mir oft von ihrem Traum. Sie wollte fliegen und alles sehen. Sie wollte die Freiheit spüren. Sie wollte sein wie ein Vogel. Die Flügel ausbreiten, sich in die Lüfte schwingen, alle Sorgen vergessen, einfach nur existieren und genießen.« Hermine atmete tief durch. »Eines Abends nahm sie mich mit und sagte, sie hätte eine Überraschung für mich. Sie wollte ihren Traum nicht mehr träumen, sondern leben. Sie brachte mich zu der Wiese, von der aus die Fallschirmspringer immer sprangen. Sie selbst hatte einen Rucksack dabei. Ich habe sie gefragt, ob sie wüsste, wie das geht. Sie antwortete nur mit einem Zitat. Springe und lass dir auf den Weg nach unten Flügel wachsen. Sie liebte Zitate und sammelte sie. Ich hatte Angst, dass sie es versaute. Sie spürte wohl, wie ich am ganzen Körper zitterte. Sie drehte sich um. Hab keine Angst, ich werde auf dich aufpassen.«
Hermines Blick wanderte in die Ferne, während sie sich an den schönen Herbstabend erinnerte. Sie hatte an diesem Tag nicht damit gerechnet, was passieren könnte. Sie hatte geglaubt, dass Leben wäre wunderbar und hätte keine Tiefen. Doch das Leben warf sie um und sie musste lernen, selbst wieder aufzustehen.
»Sie bereitete alles vor. Ich war damals zu klein, um alles zu verstehen, was sie tat und ob sie alles richtig tat. Ich war auch zu klein, um zu wissen, dass ich lieber Hilfe rufen sollte. Ich wusste nur, dass sie sich ihren Traum erfüllen wollte, für den sie jahrelang brannte. Das Feuer in ihr loderte so stark, sie musste das tun. Kurz darauf rannte sie los, mich hatte sie irgendwie an sich festgeschnallt. Und schon sprangen wir. Unter uns war das Nichts. Der Boden lag in weiter Ferne. Für einen Moment fand ich alles schön. Ich fühlte mich frei. Doch wir näherten uns immer mehr der Welt und meine Tante fummelte an dem Rucksack. Sie wurde immer nervöser, das spürte ich. Und irgendwann begriff ich. Der Fallschirm ging nicht auf.«
Die Tränen rannen unaufhörlich über Hermines Gesicht und sie schluchzte auf.
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht damit belasten. Ich weiß nicht, warum ich dir die Geschichte erzähle.«
»Du erzählst sie mir, weil du fühlst, dass der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Genau jetzt ist der richtige Moment dafür, mir die Geschichte auch zu Ende zu erzählen. Natürlich nur, wenn du möchtest und dich bereit dafür fühlst.«
»Ja, ich spüre, dass das Schicksal mir diesen Weg genau so vorherbestimmt hat. Ich erzähle sie zu Ende.«
Hermine machte eine Pause, bis sie sich an das Ende der Geschichte wagte. Sie ignorierte den Schmerz in ihrer Brust, um sich auf die Geschichte zu konzentrieren.
»Meine Tante schrie. Ich weiß nicht mehr, ob sie Worte schrie oder Laute. Aber sie schrie. Doch niemand hörte sie. Nur der Wind schnappte ihre Schreie auf und trug sie davon. Zu den Wolken, zu den Sternen oder sonst wohin. Zu anderen Menschen aber nicht. Kurz darauf riss die Befestigung, mit der sie mich an sich geschnallt hatte und ich war auf mich gestellt. Ich sollte allein in den Tod stürzen, so dachte ich. Meine Tante prallte auf dem Boden auf und blieb liegen. Sie war tot. Und ich konnte nichts mehr für sie machen. Ich dagegen wurde immer langsamer. Ich schwebte ruhig auf den Boden zu und landete sanft mit den Füßen darauf. Damals wusste ich nicht, wie ich es geschafft hatte, zu überleben. Heute vermute ich, es war meine eigene Magie, die in mir schlummerte. Ich war eine Hexe, bin eine Hexe und werde auch immer eine Hexe sein. Die Magie konnte mich zwar retten, meine Tante aber war gestorben und ich fühlte mich furchtbar. Ich hatte es nicht verdient, zu leben, weil ich sie nicht gerettet habe. Ich habe meine Tante sterben lassen. Mum und Dad gaben mir nie direkt oder indirekt die Schuld an ihrem Tod. Sie waren erleichtert, dass ich überlebt habe, obwohl sie sich nicht erklären konnten, wie das passiert war. Erst als ich meinen Brief von Hogwarts bekam, reimten wir uns zusammen, dass ich mich selbst gerettet habe. Als ich einmal mit Dumbledore über diese Vermutung gesprochen habe, hat er sie bestätigt.«
»Ich bin froh, dass du überlebt hast und dass sich deine Tante vor ihrem Tod noch ihren größten Traum erfüllen konnte.«
»Ich habe aber ein furchtbar schlechtes Gewissen. Ich hätte sie retten können.«
»Ich glaube, dafür hattest du nicht genug Magie.«
Draco bettete Hermines Kopf auf seine Brust und strich beruhigend über ihr wildes Haar. Eine Weile schwiegen sie, doch dieses Streicheln beruhigte Hermine mehr, als Worte. Sie fühlte sich zwar traurig, doch gleichzeitig wohl.
»Hast du heute Ron gesehen?«, fragte Hermine schließlich, um vom Thema abzulenken.
»Ja.«
»Und mit wem ist er ausgegangen?« Hermine hob ihren Kopf und schaute Draco tief in die Augen.
»Rate«, sagte Draco.
»Alicia.« Hermine klang sicher.
»Falsch geraten. Ich habe ihn mit Katie gesehen.«
»Verflucht. George und ich haben auf Alicia Spinett gewettet«, sagte Hermine enttäuscht. Sie legte ihren Kopf wieder auf Dracos Brust und genoss seine Nähe.
»Ich bin gespannt, wie lange das wohl halten wird.«
»Ich auch. Ich hätte nie gedacht, dass Ron Katie mag«, gab Hermine zu.
Sie saßen noch lange am Ufer des Sees und beobachteten, wie der Himmel sich dunkler färbte und einzelne Sterne erschienen, bis der Himmel übersät war mit kleinen, leuchtenden Punkten, die sich auf der glatten Oberfläche des Wassers spiegelten. Der Wind frischte auf und wirbelte durch Hermines Haare.
»Ist dir auch so kalt wie mir?«, fragte Hermine.
»Noch nicht. Ich würde dich ja hineinbringen, aber ich finde es gerade viel zu schön.« Draco legte seine Arme um Hermine und spendete ihr Wärme.
Gemeinsam genossen sie das Zirpen der Grillen, das Rascheln der Blätter, das leichte Wiegen der Äste im Wind und das Geräusch der Wellen und fühlten sich geborgen und glücklich.
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