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In das aufgeschlagene, abgenutzte Buch vertieft merkte Yoongi nicht, wie die Zeit wieder mal davonflog.
Er hatte sich das Buch erst heute Morgen, wo es noch dunkel war, aus einem der Tauschbibliotheken geholt und hatte es bereits zu dreiviertel durchgelesen.
Diese Bibliotheken funktionierten so, dass man ein Buch hinbrachte und ein anderes dafür mitnahm, ohne Bibliotheksausweis natürlich. Der 22-Jährige hätte sowieso kein Geld, um sich diesen leisten zu können.
„Verzeihung." - die Stimme des Mannes, der ihn heute schon bedient hatte, sorgte dafür, dass der Schwarzhaarige aus seiner Fantasiewelt gerissen wurde. - „Wir schließen in 5 Minuten. Würden sie so lieb sein und so langsam fertig werden?" - auf den noch zu einem Drittel vorhandenen Keks deutend, lächelte der Rothaarige ihn etwas an. Dabei entging Yoongi die Blicke auf seine Verletzungen keines Wegs.
„Natürlich." - den Keks in eine Servierte wickelnd, erhob er sich mit leisen, knackenden Gelenken von der bequemen, warmen und trockenen Bank. Seine Jacke, welche schon lange nicht mehr zu ging, nahm er sich von dem gegenüberstehenden Stuhl, bevor er sich respektvoll verbeugte. - „Das Getränk war übrigens sehr lecker." - grinsend, da er genau sah, dass der Größere nicht mit einem solchen Kompliment gerechnet hatte, lief der Schwarzhaarige zur Tür, die er kurz darauf aufdrückte.
Kalter Wind schlug ihm entgegen und fast sofort begannen seine Zähne aufeinander zu schlagen. Er hasste den Winter. Er war für Menschen, die auf der Straße lebten, einfach die Hölle auf Erden.
Jede Nacht musste man bangen, dass man bis zum nächsten Tag überlebte. Manchmal durfte man auch überhaupt nicht riskieren, gleich einzuschlafen, denn es könnte sein, dass man am nächsten Tag einfach nicht mehr aufwachte.
Es war der Albtraum, den Yoongi jede Nacht hatte. Er wollte nicht sterben, aber an seiner Situation wollte er auch nichts ändern. Er hätte die Möglichkeit, von jetzt auf gleich ein Dach über den Kopf zu haben, doch wollte er nicht. Er wollte diese maximale Freiheit nicht aufgeben.
Der Schwarzhaarige wollte von niemandem abhängig sein. Oder zumindest so wenig wie möglich von anderen beeinflusst zu werden. Er hatte keinen Mieter, dem er erklären musste, warum er die Miete nicht rechtzeitig zahlen konnte.
Der 22-Jährige war sein eigener Herr. Auch auf ein Handy hatte er verzichtet. Ganz zum Leidwesen von seinem einzigen Freund.
„Es sind nur 4 Monate." - noch einmal entschlossen tief durchatmend steckte er den Keks in seine Jackeninnentasche und lief los. Sobald er den Eingangsbereich verlassen hatte, kroch die Kälte endgültig bis unter seine Haut zu den Knochen.
Es war verdammt kalt und die Temperaturen hatten nichts mit denen mehr gemeinsam, die noch vor dem Sonnenuntergang geherrscht hatten. Sofort vermisste er die gemütliche und geschützte Atmosphäre des kleinen Cafés.
Oft konnte der Schwarzhaarige es sich nicht leisten, einen ganzen Tag in einem so geschützten Raum zu verbringen und das mit etwas zu Essen und zu Trinken. Er würde sich ja gerne öfters in das Café begeben, doch müsste er dann auch jedes Mal was kaufen und die Preise waren da nicht gerade billig.
Auch hatte er heute zum ersten Mal die beiden jungen Kellner dort arbeiten sehen. Sonst war es immer ein etwas älterer Mann, mit dem er sich gut unterhalten hatte. Aber das letzte Mal war auch schon einen Monat her gewesen.
Ob dem Besitzer etwas zugestoßen war? War er etwa krank?
Ein Schauer lief Yoongi über den Rücken. Krankheiten waren nicht lustig. Weder wenn man auf der Straße lebte, noch wenn man älter war, und er wollte eigentlich nicht in ein anderes Café wechseln müssen.
Es hatte schließlich lange genug gedauert, bis er dieses Café gefunden hatte, wo er wegen seines Aussehens nicht direkt in eine Schublade gesteckt und unfreundlich behandelt wurde. Ja, manchmal wurde er auch einfach direkt wieder vor die Tür gesetzt, obwohl er seine Bestellung bezahlen hätte können.
Es war einfach nur traurig, wie die Gesellschaft geworden war. Sie verurteilten einen, ohne die Gründe zu kennen. Sie sahen immer nur das Äußere und umso wohlhabender die Menschen waren, umso eingebildeter wurden sie. Außer Taehyung natürlich.
„Pass doch auf, Penner!"
Der Schmerz an seiner Schulter ließ Yoongi den Blick heben und nicht die ihm zugeworfene Beleidigung.
Er wurde angerempelt und das von einem dieser Anzugträger, wie er sie gerne nannte. Sie erfüllten perfekt das Klischee. Schwarzer Anzug, weißes, gebügeltes Hemd, Lackschuhe und eine gepflegte und penibel ausgesuchte Krawatte mit einer schwarzen Aktentasche in der Hand.
Exakt so sollte der Schwarzhaarige auch mal rumlaufen. Er sollte sich in die Reihen der Anzugträger einreihen. Er sollte in die Fußstapfen seiner Eltern treten und das war der Moment, wo er auszog.
Er zog auf die Straße. Ein Ort, vor dem er immer gewarnt wurde, ihn jetzt aber mehr schätze als alles andere. Er liebte sein Leben. Er liebte die Bücher und dass er die Zeit regierte, nicht anders herum. Mehr brauchte er eigentlich nicht.
Er hatte keine Termine außer einen und zu dem lief er jetzt.
Es war nicht weit von dem Café und er hätte eigentlich auch die Bahn nehmen können, doch konnte er sich kein Ticket leisten. Und Yoongi war trotz des Straßenlebens ein ehrlicher Bürger.
Der 22-Jährige stahl nicht, er bezahlte immer alles und legte sich nie mit jemandem an. Er war zufrieden mit sich und wie er lebte. Fast nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen und das war es, was er schätze. Es war sogar die Eigenschaft, auf die sein bester Freund neidisch war, und das brachte den Schwarzhaarigen immer wieder zum Grinsen.
Er war obdachlos, hatte nur die Kleidung, die er am Körper trug und irgendwo in der Stadt eine Gitarre versteckt. Sein Geld konnte man an einer Hand abzählen und er besaß auch immer nur ein Buch zur selben Zeit. Und doch gab es etwas, was den Kleineren reicher machte als alle anderen, die sich den neusten Schnickschnack kaufen konnten.
Er hatte Freiheit und Frieden, etwas, was kein Geld der Welt kaufen konnte.
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New Charakter
Kim Taehyung, 22 Jahre alt. Bester Freund von Yoongi, seit Kindheitstagen. Ihre Eltern sind befreundet. Liebt Yoongi.
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