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Frustriert seufzend strich sich der Rothaarige die Haare aus der Stirn nach hinten. Es war inzwischen schon 3 Uhr nachts und er konnte wieder mal nicht schlafen. Um den Gebäudekomplex, in dem seine kleine, sehr bescheidene Wohnung lag, pfiff der eisige Wind, der den bevorstehenden Winter ankündigte. Kein normaler Mensch würde sich nun auf der Straße herumtreiben, doch bei Yoongi war er sich nicht so sicher. Er hatte nach ihrer gemeinsamen Mahlzeit kaum herausbekommen, wo die beiden Obdachlosen heute Nacht schlafen würden und genau das ist es, was ihn innerlich sterben ließ.

Was würde er machen, wenn einer der beiden nicht überleben würde. Schließlich war es der Mehrheit der Bewohner auch egal, ob einer, der kein Geld besaß und somit nichts zum Bruttoinlandsprodukt beisteuerte, starb. Finanzen waren am Ende alles, was einen interessierte.

So mit sich selbst überfordert beschloss Jungkook, sich aus seinem kuscheligen Bett zu erheben. Morgen würde er sowieso nicht in die Uni gehen, also konnte er doch praktisch die Nacht über wach bleiben.

Sobald seine nackten Füße den kühlen Boden seiner Wohnung berührten, zögerte der Student einen Moment. Die Vorstellung einfach wieder in sein Bett zurück zukriechen war schon verdammt verlockend, aber wie könnte er es mit seinem Gewissen vereinbaren, wenn er in morgen früh in den Nachrichten mit anhören würde, dass ein 22-Jähriger tot aufgefunden wurde. Nur bekleidet mit einer dünnen Jacke, dessen Reißverschluss nicht mehr funktionierte.

Sich nun doch erhebend, schnappte sich der Student noch sein Handy, bevor er in Richtung Haustür lief und sich in seinem bescheidenen Wohnungsflur in die Wintersachen zwängte. Eine zweite Jacke, die er hätte mitnehmen können, besaß er nicht und somit müsste er sich, sollte er denn überhaupt fündig werden, dazwischen entscheiden, wer von ihnen die Jacke tragen würde.

Dieses Problem jedoch gewissenhaft beiseiteschiebend, fand sein Haustürschlüssel den Weg in die Jackentasche, bevor er anschließend in den dusteren Hausflur trat. Um 3 Uhr nachts waren selbst die Nachteulen in diesem Wohnkomplex in ihren Federn und schlummerten vor sich her. Der Bewegungsmelder funktionierte auch schon lange nicht mehr und somit tastete er sich an dem Geländer die Treppen hinunter. Es war nicht so, dass er den Weg nicht kannte, viel mehr hatte er Angst, über etwas zu stolpern. Es kam nur allzu häufig vor, dass alte, bereits geleerte oder auch halb volle Soju Flaschen hier herumstanden. Ab und zu standen sie sogar Tage dort, bis irgendein Nachbar sich erbarmte und sie einsammelte.

Doch diesmal schien es gar nicht so schlimm zu sein. Er kam problemlos unten an und sobald er die eiskalte Tür aufgedrückt hatte, wurde er auch schon von dem spärlich flackernden Straßenlicht begrüßt. Um diesen Teil der Straßenbeleuchtung schien sich wirklich keiner mehr zu kümmern. Vermutlich musste erst wieder ein Unfall geschehen, wo sich dann die Medien das Maul zerrissen, wie denn ein solch nachlässiges Verhalten sein konnte und nach 3 Tagen würde es auch schon wieder in der Vergessenheit landen.

Sich versuchend darüber keine Gedanken mehr zu machen, bog Jungkook direkt in Richtung des Cafés ein. Er hatte keinerlei Anhaltspunkte, wo er den Schwarzhaarigen in einer Großstadt wie Busan finden sollte. Der einzige Hinweis, den er hatte, war der Park beim Café. Mehr hatte Yoongi ihm bis jetzt nicht verraten. Entweder, weil er ihm nicht traute, oder aber er wollte einfach nicht über seine Lebensumstände reden. Allgemein hatte Jungkook den Eindruck, dass der Schwarzhaarige es nicht gewohnt war, dass jemand ernsthaftes Interesse an ihm und seiner Sicherheit zeigte. Obwohl, er konnte sich durchaus vorstellen, dass der Blauhaarige ihn ebenso aushorchten. Zumindest scheint diesem etwas an dem Jüngsten zu liegen, denn die Eifersucht war definitiv unübersehbar.

Als er eine Viertelstunde später um die Ecke bog und das ‚Closed'-Schild vom Café erblickte, dankte er den Göttern, dass er es gewohnt war, schnell zu laufen. Schließlich wollte er es auch nicht riskieren, dass er selbst am Ende derjenige war, welcher in den Nachrichten auftauchte und in der vergangenen Nacht erfroren war.

„Wo würde ich mich verstecken." – vor dem Café stehen bleibend, kramte er nach seinem Handy, dessen Akku, wie sollte es auch anders sein, kurz vorm Abkratzen war. Dennoch schaltete er die Taschenlampe an. Er würde einen Teufel tun und in einen dunklen Park um halb vier Uhr morgens gehen. Viel zu viele True Crime Podcast hatte er inzwischen gehört und für irgendwelche kranken Spielchen wollte er nun auch nicht hinhalten. Dass ihn das Licht irgendwie schützen könnte, war zwar definitiv nicht der Fall, aber die Illusion von Schutz half ihm immerhin etwas, die paar Schritte um das Café herum zu machen und in den durch die blattlosen Äste der Bäume gruselig aussehenden Park zu gehen.

Schon nach wenigen Metern kam sich der Student äußerst dumm vor. Wie dachte er auch den Schwarzhaarigen so zu finden. Aber nach ihm zu rufen, wie ein Hundebesitzer fühlte sich auch falsch an. Somit blieb ihm nur noch das Schrei-Flüstern. Wie darauf jemand antworten sollte, wusste er ebenso wenig. Aber irgendwo musste man eben anfangen.

„Yoongi!" – angestrengt den Atem anhaltend versuchte Jungkook so gut wie kein Geräusch zu machen, damit er wenigstens die kleinstmögliche Regung wahrnehmen konnte. Doch der feuchte Kies unter seinen Sohlen machte ihm das nicht ansatzweise leicht. Jedes Mal nach einigen Schritten musste er stehen bleiben, lauschte kurz, rief erneut und lief dann wieder ein paar Schritte. Es würde definitiv etwas Effizienteres geben, doch hatte sein Gehirn einfach keine Kapazität dafür, sich nun eine effizientere Lösung zu überlegen und so durchsuchte er die nächste halbe Stunde den Park, der sich neben dem unteren Teil noch den Hügel hinauf erstreckte.

Er wusste auch nicht, was er erwartet hatte. Vielleicht, dass der 22-Jährige auf oder unter einer Parkbank schlafen würde. Doch so war dem nicht. Woanders gab es auch keine Verstecke. Zumindest keine, wo man schlafen könnte. So dachte er zumindest.

„Yoongi!" – inzwischen am kompletten Leibe zitternd, wurde seine Stimme immer jammernd. – „Wenn du hier irgendwo bist, bitte komm einfach raus." – mit der Handy Taschenlampe noch einmal den Weg zurückleuchtend, erblickte er nur noch einen schwarzen Schatten, der auf ihn zusprang, wodurch ein viel zu leiser Schrei seine Kehle verließ. Es war, als wenn der Schock seine Stimmbänder zerschnitten hätte und er nicht mehr als ein Krächzen herausbringen konnte.

Dafür schlug er wie wild um sich. Das Licht leuchtete in alle möglichen Richtungen und erst als er ein Fauchen wahrnahm, beruhigte sich sein vor Angst rasendes Herz. Die reflektierenden Katzenaugen waren ihm dennoch nicht geheuer und so ließ er sich einfach erschöpft auf den eisigen Boden sinken, um wieder vollkommen zur Ruhe zu kommen. Wenn er jetzt weiter gehen würde, würde er in jedem Geräusch den nächsten Serien Killer vermuten.

„Du kannst mich doch nicht einfach so erschrecken." – sich an die Brust fassend streckte er nach einigen Sekunden durchschnaufpause die Hand in Richtung des pechschwarzen Tieres aus, welches sich kurz darauf wärmend an seine fast schon vollkommen erfrorene Hand schmiegte und zu schnurren begann.

„Du bist ja ein ganz süßer." – fasziniert das Tier streichelnd, hielt er gleichzeitig nach einem Halsband Ausschau, was sich jedoch als Fehlanzeige herausstellte. – „Gehörst du niemanden?" – der Kater, der eben noch schnurrend an Jungkooks Hand klebte, sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und unter einem Busch verschwand.

Fast wollte der Student schon enttäusch seufzen, bis der Busch Geräusche von sich gab und in diesem Moment viel ihm ein Stein vom Herzen. Denn es war nicht das Miauen süßer kleiner Katzen, sondern viel mehr das leise Fluchen des Schwarzhaarigen, wie er sich über die Krallen in seinem Oberschenkel beschwerte, den er schon die ganze Zeit gesucht hatte.

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Von dem Zähneklappern begleitet liefen die beiden jungen Männer nebeneinander die dunklen Straßen Busans entlang. Jungkook fror sich den Arsch ab. Die Jacke, die er nun trug, die ursprünglich Yoongi immer getragen hatte, wärmte ihn überhaupt nicht auf. Er spürte jeden Lufthauch, jede kleine Änderung des Windes und es traf ihn bis auf die Knochen. Dass seine Begleitung noch nicht erfroren war, war ein Phänomen, welches er sich selbst noch nicht so ganz erklären konnte. Dennoch war er den Göttern dankbar, dass dieser noch lebte.

„Und du bist dir auch ganz sicher, dass du nicht wieder deine Jacke zurückhaben willst." – Yoongi, der noch immer nicht die dicke Winterjacke des Rothaarigen geschlossen hatte, war bereits drauf und dran, die Jacke wieder auszuziehen und dem Eigentümer zurückzugeben. Doch so weit ließ es der Student nicht kommen.

Sobald der Kleinere auch nur Anstalten machte, den schützenden Mantel niederzulegen, stand der Ältere bereits vor ihm, fluchte leise vor sich hin, während er die beiden Enden der Jacke erfasste und nach mehreren Versuchen endlich den Reißverschluss einfädelte, um diesen mit einem Ruck nach oben zu ziehen.

„Du behältst die Jacke an. Es ist nicht mehr weit und du brauchst deutlich mehr Wärme als ich."

„Du weißt, dass du das nicht für mich machen musst. Ich hätte auch dableiben können."

„Sicher." – genervt, da es nicht der erste Einwand des Obdachlosen war, verdrehte Jungkook die Augen, bevor er den Jüngeren an der Hand nahm und ihn die letzten Meter bis zu seiner bescheidenen Wohnung entlangschliff.

„Es ist kein Luxusapartment, aber es dürfte für uns beide reichen." – den Schlüssel herauskramend, schloss er die untere Tür auf, bevor sie zusammen hintereinander die schmale Treppe im Treppenhaus nach oben liefen und nach kurzem im Dunkeln vor der dünnen Haustür des Rothaarigen standen. Auch diese schloss er gleich darauf auf, sodass sich beide eng an eng in dem kleinen, fast schon zu kleinem Hausflur befanden.

Ihre Schultern berührten sich und der Student verfluchte sich, dass er nicht aufgeräumt hatte. In aller Eile schob er herumstehende Taschen in eine Ecke, bevor er sich ebenso wie Yoongi aus der Jacke schälte.

„Du kannst sie mir geben. Ich hänge sie auf. Geh einfach durch die Tür, dann einfach geradeaus und kurz vor der Wand wieder rechts." – Yoongi auf direktem Weg in sein Schlafzimmer lotsend, hing Jungkook wie versprochen ihre Sachen auf, bevor er dem Obdachlosen folgte, der inzwischen in dem lichtdurchfluteten Schlafzimmer stand und die Wäscheleine, die durch das Zimmer gespannt war, begutachtete.

„Sag bitte nichts. Meine Umstände sind nicht die besten. Wenn du willst, kannst du aber duschen. Zwar nicht ewig, aber ich verzichte heute darauf." – sich durch die anhaltende Stille immer unwohler fühlend, sammelte der Rothaarige auf dem Boden liegende Kleidungsstücke auf, die unter anderem von der Leine gefallen sind.

„Ach nein. Keine Sorge. Ich habe diese Woche schon geduscht. Hast du ein Sofa? Dann würde ich da schlafen. Eine Decke habe ich und eigentlich brauche ich nicht mehr." – sich mit einem freundlich und gleichzeitig dankbaren Grinsen zum Älteren umdrehend wartete er geduldig auf weitere Anweisungen. Er konnte ja nicht dem Gastgeber das Bett klauen. Erstrecht nicht, wenn in seinen Haaren bestimmt noch irgendwelche Blätter hingen.

„Du. Schläfst. Im. Bett." – überzeugt stieß Jungkook seinen Gast auf das Bett, wobei dieser einen leisen Schrei von sich gab, bevor er rücklings genau da lag, wo der Student sich selbst vor einer Stunde noch schlaflos hin und her gewälzt hatte.

„Aber-..."

„Nichts aber. Gute Nacht." – mit einem Kissen und einem Handtuch bewaffnet, schloss der Rothaarige noch während Yoongi nach Argumenten suchte, seine Schlafzimmertür und atmete einmal tief durch, sobald eine Tür sie beide trennte. Er wusste nicht, wie er sich das Ganze vorgestellt hatte. Vielleicht wie einen coolen Sleepover-Abend, doch waren sie von genau diesem gerade meilenweit entfernt. Zumindest Jungkook. Er wusste auch nicht, wie er gemeinsam mit dem Schwarzhaarigen in einem Zimmer sein sollte. Bis lang waren sie immer draußen gewesen. Sie waren nie ganz allein. Jetzt aber waren sie in seiner Miniwohnung und das nur zu zweit.

Andere würden vermutlich das Problem nicht verstehen und der Rothaarige verstand es selbst auch nicht so richtig. Es kribbelte einfach nur noch alles. Sein Herz schlug gefühlt viel zu schnell und selbst musste er sich zwingen, ja nicht zu nahe an den Kleineren heranzugehen. Wenn er das machen würde, könnte er sich vermutlich nicht mehr entfernen. Er verzehrte sich einfach nach dessen Nähe und insgeheim verspürte er eine Art Genugtuung, als der Blauhaarige am Abend pissig davongestapft war. Yoongi hatte diesem nämlich nicht eine Sekunde an Aufmerksamkeit geschenkt.

Dafür hatte er Jungkook die ganze Zeit angestarrt und wenn er daran zurückdachte, wurde er fast schon genauso unangenehm und peinlich rot wie vor einigen Stunden. Und genau das war sein Warnsignal, er würde nicht eine Nacht neben dem Jüngeren verbringen können. Zumindest nicht schlafend und ohne vor Aufregung zu platzen.

Und somit fand er sich nach einigen Minuten des Beruhigens auf der harten, definitiv unbequemen Couch wieder. Bereits ohne dass er dort eine Nacht verbracht hatte, verstand er bereits Jimins Problem, bei ihm dort zu übernachten. Nach den ersten Minuten spürte er schon die anbahnenden Rücken- und Nackenschmerzen, welche ihn dazu veranlassten, dauerhaft die Position zu ändern. Er kam sich gerade wie die Prinzessin auf der Erbse vor und das, was er als Couch nutzte, war als Bett einfach nicht zumutbar. Dementsprechend hielt er auch nur knapp 15 Minuten aus, bis er mit einer gedimmten Lampe hellwach und aufrecht auf eben dem unbequemsten Möbelstück in seinem gesamten Apartment saß. Vermutlich wäre sogar der Boden eine bessere Option. Der einzige Grund, der den Studenten davon abhielt, eben dort zu schlafen, war die nicht vorhandene Fußbodenheizung und die dementsprechend eisigen Temperaturen.

„Das kann doch alles nicht wahr sein." – sich die Haare raufend, ließ er sich in das ebenso wenig wärmende Handtuch gewickelt, auf die andere Seite fallen. Neben dem schmerzhaften Untergrund ließ ein Knittern seine Aufmerksamkeit erwecken und nach nicht mal einer Sekunde wusste er, um welches Papierstück es sich handelte. Es war der Notizzettel zu seinen Gefühlen und Date-Ideen vom Vortag, welche nun von dem schwachen Nachtlicht beleuchtet wurden.

Für eine Sekunde überlegte er, den Zettel in den Müll zu werfen. Seine Ideen um 4 Uhr nachts waren noch nie die besten gewesen und doch hinderte ihn etwas. Es fühlte sich einfach falsch, fast schon wie eine Verleugnung an und somit stopfte er den Zettel kurzerhand zu den anderen wichtigen ‚Niemals Wegschmeißen!' – Dokumenten unter den Wohnzimmertisch, bevor er versuchte, die letzten Stunden der Nacht irgendwie zu schlafen. Dabei trug der Gedanke, dass Yoongi im Nebenzimmer in Sicherheit war, seinen nennenswerten Teil dazu bei und ließ ihn fast schon die unbequeme Schlafsituation vergessen. Sein Körper würde ihn morgen noch häufig genug daran erinnern. 

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