22
„Kommst du später noch mit?" – Jimin stand wie üblich hinter dem Tresen und wusch die zurückgebrachten Tassen und Teller ab. Wenn es mal ein nicht so besuchter Tag war, machte der 24-Jährige diese Tätigkeit lieber mit der Hand. Es lohnte sich schlichtweg nicht den Geschirrspüler anzustellen und anstatt einfach tatenlos herumzustehen, machte er sich dann doch lieber in dieser Weise nützlich.
„Mitkommen?" – die Stirn in Falten legend überlegte der Student angestrengt, ob er eine ihrer Verabredungen vergessen hatte. Wollten sie heute noch was machen? Hatte Jimin sich wieder in irgendwelche AStA-Events eingetragen und ihm nicht davon erzählt? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sie sich bei solchen Aktivitäten eintrugen und dann entweder nicht hingingen oder aber sich von der Gruppe absondern. Denn im Gegensatz zu anderen nutzen sie es nicht dazu, um Kontakte zu knüpfen, sondern einfach mal ihrem Alltag zu entfliehen.
„Hoseok kommt mich später abholen." – auf dem Gesicht des Pinkhaarigen schlich sich ein verliebtes Grinsen, welches ohne Probleme seine Augen erreichte und dafür sorgte, dass Jungkook sich selbst nicht mehr so sicher war, ob sein bester Freund überhaupt noch etwas sehen konnte. – „Er meinte, er würde wieder mal kochen und vielleicht würde mehr daraus werden."
„Das hat er gesagt?" – sich sehr anstrengend, das Bild, das sich soeben in seinem Kopf von Jimin vögelnd mit seinem festen Freund gebildet hatte, loszuwerden, schob der Rothaarige die Tischdeko hin und her.
„Nein!" – sich leicht wegdrehend schüttelte Jimin den Kopf. – „Nicht so direkt. Also den ersten Teil schon... alles andere ist mein Wunschdenken. Aber zum Essen würde ich dich auf jeden Fall einladen. Ich glaube, dass sich dein Körper über eine Dosis Vitamine nicht beschweren würde."
„Danke, aber nein. Ich lehne ab." – sich wieder an die Kasse stellend, blickte er zur Eingangstür, vor der die Menschen nur so vorbeizogen, jedoch nicht in das schnuckelige, warme Café kamen. – „Ich habe heute selbst noch was vor."
„Du meinst schlafen. Das zählt nicht, das hatten wir doch schon."
„Nope, ich meine eine richtige Aktivität."
„Ein Date?" – das Glas wegstellend überbrückte Jimin die wenigen Meter, bis er dem Größeren fast schon am Oberkörper klebte. – „Was habe ich verpasst."
„Nichts. Und ein Date ist es eher nicht. Ich kontrolliere einfach, dass es ihm... gut geht."
„Wir könnten ihn auch einladen, das weißt du." – sich seufzend abwendend räumte der Pinkhaarige das abgewaschene Geschirr weg. – „Du musst nicht an die Tafel und ihn stalken."
„Ich stalke ihn nicht. Ich will nur sichergehen, dass er einen guten Schlafplatz bekommt. Das nennt man Menschlichkeit."
„Wenn du meinst." – es so abtuend, wollte sich der Pinkhaarige nicht weiter damit beschäftigen. Viel zu groß war die Vorfreude auf sein Date heute Abend. Da war schlichtweg kein Platz für seinen besten Freund, der einer wohltuenden Mahlzeit die eisige Winterluft vorzog.
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„Wir sehen uns dann morgen. Schreib mir, wenn du wieder daheim bist!" – Jimin, der an Hoseoks Arm nach draußen geführt wurde wank dem Rothaarigen noch einmal kurz zu, bevor die Cafétür mit einem leisen Ping ins Schloss fiel.
Nun war Jungkook allein. Das Café hatte schon längst geschlossen und er hatte einfach nur darauf gewartet, dass der Pinkhaarige von Hoseok abgeholt wurde. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass der Kleinere sich mir nichts dir nichts doch dazu entschlossen hätte, Spion zu spielen, nur um ihm am nächsten Tag zu präsentieren, warum Yoongi jetzt vielleicht zu ihm passte oder nicht. Und wenn Jungkook ehrlich war, wollte er es so genau gar nicht wissen. Viel zu schwer lagen ihm noch immer die Testergebnisse der letzten Nacht im Magen. Er musste erst mal die ganzen Empfindungen und das sonderbare Gefühl der Eifersucht Hyuna gegenüber für sich verarbeiten, bevor er auch nur ansatzweise die Kapazität aufweisen würde, die man für Jimins Recherchen und Analysen benötigte.
Das leise Ticken des Sekundenzeigers begleitete ihn noch einige Zeit. Es war das einzige Geräusch in dem voranschreitenden Abend, der ihm eine Konstante bot, bis er sich nun doch dazu durchringen konnte, sich die Winterjacke überzustreifen und die letzten Lichter zu löschen, bevor er in die fast schon winterliche Kälte heraustrat.
Der Wetterbericht hatte nicht gelogen, dass es jetzt, Mitte bald Ende Herbst ungewöhnlich kalt werden würde. Er konnte ohne Probleme seine Atemwölkchen vor sich erkennen und es fröstelte Jungkook schon bei dem Gedanken, das Yoongi gelegentlich bei diesen Temperaturen die Nächte und Tage ohne einen warmen Rückzugsort draußen verbringen musste.
Innerlich sowie äußerlich zitternd und schon an jeder dunklen Ecke einen Obdachlosen in der Gestalt von Yoongi erfrieren sehend, holte der Student sein Handy aus der Gesäßtasche. In die Suchleiste haute er schnell die Begriffe ‚Obdachlos' und ‚Tafel' rein, nur um Sekunden später die Rute angezeigt zu bekommen, die er gehen musste, um eben an den Ort zu kommen, wo sich der Schwarzhaarige laut eigener Aussage aufhalten sollte. Wenn dem nicht so war, wusste Jungkook aber ehrlich gesagt auch nicht, wie er ihn sonst finden sollte. Er hatte auch nicht ewig Zeit. Schlaf benötigte der Rothaarige nämlich genau so wie jeder andere und eben das würde ihm die Möglichkeit verwehren, nach Yoongi in der gesamten Stadt zu suchen. Ganz davon abgesehen, dass er es ungern so lange in den eisigen Temperaturen aushalten würde.
Die Strecke, die er nun im schnellen Tempo entlanglief, zog sich für den 23-Jährigen wie Kaugummi. Nicht selten bog er in eine falsche Seitenstraße ab, stand vor einem dunklen Gebäude oder blickte schlicht weg nicht dahin, wo er hinmusste. Er war kurz gesagt einfach verwirrt. Innerlich. Nach außen sah er vermutlich nur müde aus, doch hatte er keine Kapazitäten über, um den Weg so zu laufen, wie ihn das Handy führen wollte.
Er konnte sich nicht dazu durchringen, durch Gassen zu laufen, die weder Straßenbeleuchtung hatten, noch zugängig für Autos waren. Er halluzinierte einfach einen Überfall und so kam es, dass er einen viel zu langen Umweg nahm und nun selbst fast komplett ausgehungert und erfroren vor dem Gebäude stand, aus dem Licht und Tellergeklapper sowie leises Stimmengemurmel drang.
Hier bekam Yoongi offensichtlich das Essen her und absurderweise fragte der Schwarzhaarige sich, ob es für ihn auch ein warmes Essen geben würde. Er war heute nicht in der Uni gewesen. Sein Mittagessen war somit ins Wasser gefallen und das tiefgekühlte Toast würde er morgen früh ja schon wieder essen müssen.
Sich nicht mehr groß darum kümmernd, wie er aussah, einmal durch die Haare fahren musste reichen, trat der Student in die große Halle ein.
Augenblicklich schlug ihm heiße Luft entgegen. Zumindest fühlte sie sich auf seiner eiskalten Haut heiß an, wodurch sich gefühlt tausend kleine Nadeln in seine Wangen bohrten.
Die Beleuchtung war typisch gelb und ließ das sowieso schon alte Gebäude noch mal um einige Jahre älter wirken. Die Tische waren Partytische, an denen immer möglichst viele Menschen Platz haben konnten. Ebenso gab es fast nur Bänke, vereinzelt auch Plastikstühle.
Bereits auf den ersten Blick sah Jungkook jedoch, dass nicht alle Plätze belegt waren. Entweder er war einfach nur spät dran oder es nutzten gar nicht so viele Menschen dieses Angebot. Wie viele Obdachlose wussten überhaupt, dass sie hierherkommen könnten? Und wie viele fanden den Weg nicht, weil sie einfach keine Handys besaßen? Wirklich freundlich war die Gesellschaft nicht. Wer würde schließlich einem Obdachlosen sein Handy leihen, damit dieser etwas nachgucken könnte? Vermutlich eine nicht nennenswerte Minderheit und so wunderte es ihn letztendlich überhaupt nicht, dass noch so viele Plätze unbesetzt waren.
Sich von dem ersten Eindruck endlich losreißend versuchte er unter den Menschen den 22-Jährigen zu finden. Doch das war schwerer als gedacht. Denn ungefähr jeder Anwesende saß nach unten gebeugt über seinem Essen und hatte schwarze Haare. Anderes hätte ihn auch gewundert. Somit blieb ihm nun auch nichts anderes übrig, als den älteren Mann hinter den dampfenden Töpfen nach Yoongi zu fragen. Er hoffte inständig, dass dieser die Menschen so gut kannte, dass er ihm weiterhelfen könnte. Schließlich war nicht gesagt, dass der Mann hier regelmäßig arbeitete und sich auch so sehr für die Menschen interessierte, wie er es augenscheinlich aufopfernd tat. Einige Menschen heuchelten manchmal eben nur Menschlichkeit vor.
„Oh, ein neues Gesicht." – der Mann hatte ihn schon auf halbem Wege gesehen und überfiel ihn schon fast, als dieser in Hörweite war. – „Was möchtest du haben, Jungchen. Wir haben-..."
„Ich bin nicht wegen des Essens hier." – abwehrend die Hände hebend schüttelte der Rothaarige den Kopf.
Einen Moment musterte der deutlich Ältere ihn, woraufhin sein leerer Magen seine Chance sah und unüberhörbar zu grummeln begann. Sein Frühstück lag eben auch schon Stunden zurück, und von Keksen wurde man nicht unbedingt nachhaltig satt.
„Da scheint aber jemand anderer Meinung zu sein." – grinsend nahm der Mann einen der Teller. – „Bist du gegen irgendwas allergisch?"
„Ehm, nein." – peinlich berührt schüttelte Jungkook den Kopf.
„Gut, dann bekommst du einmal Reis und eine Hühnersuppe. Brot findest du da drüben und dann kannst du dich hinsetzen, wo du willst." – eine normale Portion mit viel Fleisch auftuend, stellte der Ältere alles auf ein Tablett und reichte es dem Studenten. – „Ich heiße übrigens Pablo, falls etwas ist, sprich mich einfach an. Einen guten Appetit wünsche ich."
„Danke." – überfordert nahm er das Essen entgegen, stand jedoch weiter ratlos vor dem Mitarbeiter. Konnte er es einfach so fragen? Er war diese Kreise nicht gewohnt. Er war eigentlich gar nichts gewohnt, außer seine Professoren und Jimin um sich herum zu haben, jeden Tag im Café zu helfen und irgendwie über die Runden zu kommen.
„Ist noch was?" – Pablo, der ihn offensichtlich nicht aus den Augen gelassen hatte, wartete geduldig auf eine Antwort.
„Ich suche eigentlich jemanden. Yoongi ist sein Name."
„Ist ja richtig beliebt der Kleine." – rau auflachend nickte der Mann in die rechte Ecke der Halle. – „Da drüben bei dem blauhaarigen Schlumpf sollte der Kleine sitzen. So findest du Yoongi eigentlich immer. Ist er da, ist der Schlumpf nicht weit weg."
„Okay, danke." – sich direkt in die Richtung begebend, erspähte Jungkook nach kurzem Hyuna. Sie saß mit dem Rücken zu ihm und verdeckte offensichtlich den Schwarzhaarigen, denn als er sich dem Tisch näherte und an den Platz rechts neben der Schwangeren trat, hatte er freie Sicht auf den 22-Jährigen, der mit einem zufriedenen Gesicht über seinem Essen saß und die Brühe soeben langsam ausschlürfte. Ein Arm von dem Schlumpf, wie der größere soeben betitelt wurde, lag dabei um Yoongis Taille und unweigerlich breitete sich ein schmerzhaftes Ziehen in Jungkooks Brust aus. Der bittere Geschmack von Eifersucht stieg in ihm auf und tief im Inneren verspürte er das Bedürfnis, die kochende Suppe dem Unbekannten entgegen zu kippen. Dabei hatte er überhaupt kein Recht dazu, so zu empfinden. Yoongi war ein freier Mensch und doch störte ihn das Bild noch mehr als das mit Hyuna und Yoongi. Denn wenn der Kleinere Hetero gewesen wäre, könnte er es leichter ertragen, als wenn er sich einfach gegen ihn und für einen anderen Typen entscheiden würde.
Innerlich verfluchte der Rothaarige seine Gedanken, versuchte das Gefühl in die hinterste Ecke zu drängen und mit den Testergebnissen auf einen anderen Tag zu verschieben. Hier war schließlich nicht der richtige Ort, um eine Eifersuchtsszene zu schieben.
„Hey, kann ich mich hier hinsetzen?" – Jungkook, der bis eben offenbar noch gar nicht beachtet wurde, bekam einen anfangs erschrockenen Blick der hoch Schwangeren, bevor diese grinsend nickte.
„Du bist immer willkommen, Jungkook." – ihr kleines Täschchen auf die andere Seite stellend, klopfte sie auf den Platz.
Yoongi schlürfte noch immer die Suppe, doch auch das hatte sich kurz darauf erledigt, als er einen leisen Schrei von sich gab und gezwungen war, das Essen abzustellen.
„Hyuna, spinnst du! Was trittst du mich?" – anfangs noch wütend, blickte er seine beste Freundin an, doch erweichte sich sein Blick sofort, als er den Studenten erblickte. – „Jungkook." – freundlich lächelnd nickte er dem Größeren zu, dabei beobachtete er diesen wohl zu lang. Der Druck von Taehyungs Hand verstärkte sich unweigerlich, was ihn erneut schmerzerfüllt zischen ließ. Den Arm löste Yoongi kurz darauf von seiner Taille, ohne dass die anderen, ihm gegenüber, von ihrer kurzen nonverbalen Konversation etwas mitbekamen.
„Jetzt hab dich nicht so. So doll war das nicht." – die Arme vor ihrem Bauch verschränkend blickte sie Yoongi mit einem ‚Ich-habe-es-dir-doch-gesagt'-Blick an, woraufhin sie nur ein Kopfschütteln als Antwort bekam. Der leichte Rotschimmer auf den Wangen des Schwarzhaarigen verriet ihn dennoch bei der 26-Jährigen.
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