20
Mit verknoteten Haaren und Schlafsand in den Augen saß Yoongi am nächsten Morgen auf der dünnen Matte, die ihm in der vergangenen Nacht als Untergrund gedient hatte. Die blaue Kuscheldecke war ihm beim Aufrichten von den Schultern in den Schoß gerutscht. Dabei konnte er sich nicht daran erinnern, sich mit eben dieser zugedeckt zu haben.
Viel Zeit darüber nachzudenken hatte er auch nicht, da spazierte schon seine hochschwangere Freundin in den Raum und begann direkt zu grinsen, als sie sah, dass der Jüngere aufgewacht war.
„Na, schöne Träume gehabt?" – ihm eine Flasche Wasser reichend, grinste Hyuna nur noch mehr. Sie hatte gute Laune. Es war draußen zwar kälter als die vergangenen Tage, doch viel ihr dies nie zur Last.
„Kann mich nicht daran erinnern." – noch einmal gähnend schraubte Yoongi anschließend die Wasserflasche auf, die er direkt bis zur Hälfte leerte.
„Oh schade." – kurz eine Schnute ziehend hob Hyuna mit einem Fuß umständlich die Decke von dem Schoß ihres besten Freundes auf, um sie anschließend fürsorglich zusammenzulegen. – „Du hast heute Morgen im Schlaf so süß gelächelt."
„Solange ich nicht rede oder andere Geräusche mache." – lachend streckte er sich einmal. Zuerst hatte er Angst gehabt, dass er komische und peinliche Geräusche von sich gegeben hatte. Vor der Braunhaarigen war ihm das zwar relativ egal, doch die anderen, ihm Unbekannten, die die Nacht hier ebenfalls verbracht hatten, sollten einen vielleicht eher nicht so sehen. Am Ende saßen sie zwar alle auf dem gleichen See, im gleichen Schlamassel, doch jeder hatte sein eigenes Boot, was mit seinen eigenen Lasten beladen war und man konnte nie wissen, was dem neben einem durch den Kopf ging. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag gehabt und wollte anderen nur schaden. Man konnte sich am Ende eben nie sicher sein.
„Nein, hast du nicht. Aber mal was anderes, hast du heute schon was vor?" – aus ihrer Tasche eine Bürste kramend, stellte sich die Ältere hinter den noch immer am Boden sitzenden Mann und begann dessen Knoten aus den inzwischen längeren Haaren zu kämmen.
„Hmm, eigentlich nichts. Ich war gestern schon im Park. Ich wollte vielleicht noch mal zur Tauschbibliothek. Das Buch ist durch und zurückbringen muss ich es auch noch. Aber ansonsten ist der Tag noch nicht großartig verplant." – das liebevolle Haar kämmen genießend, schloss er kurz die Augen. Hyuna hatte ihm noch nicht geantwortet, was denn nun ihr Plan war, und so genoss er die letzten Minuten in Ruhe. – „Du wirst übrigens eine perfekte Mama für die Kleine."
„Meinst du?" – die schwarzen Haare ordentlich zurechtlegend, trat sie anschließend von dem Jüngeren zurück und packte ihre letzten Habseligkeiten in eine kleine Tasche. – „Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich so viel falsch machen werde. Ich freue mich wirklich sehr, nicht, dass du das falsch verstehst. Aber ich habe nichts, was ich ihr bieten kann. Ich weiß ja nicht mal, wie ich an genug Babynahrung rankommen soll. Stillen kann ich ja auch nicht ewig."
„Warum hast du denn nie etwas gesagt." – sich nun doch aufraffend blickte er auf die Kleinere herunter, die nun gar nicht mehr so zuversichtlich wirkte. – „Wir hätten doch darüber reden können und es gibt immer eine Lösung."
„Du meinst ne Babyklappe? Niemals."
Als sie ihre Arme um ihren Babybauch schlang, stach es in Yoongis Herz. Nicht, weil er sie liebte. Nein, es tat ihm weh, dass sie so was von ihm dachte. Er würde nicht mal im Traum daran denken Hyuna, eine perfekte Mutter, die sich aufopfernd um das kleine Würmchen kümmern würde, von eben diesem zu trennen.
„Niemals. Ich meine, wir hätten auch noch andere Möglichkeiten. Zum Beispiel-..."
„Stimmt, du nimmst das Geld auf dem Konto endlich an."
Wie vor den Kopf gestoßen, blinzelte der 22-Jährige mehrmals.
Dass sie ihm so was vorschlug, es gar als Vorwurf formulierte, hatte er nicht erwartet. Er hatte nicht erwartet, dass sie so dachte und selbst wenn, sie hatte am wenigsten das Recht, ihn dazu zu drängen, die Millionen anzurühren, die auf dem Konto lagen, was er zu seinem 18 Geburtstag bekommen hatte.
Von Taehyung wusste er, dass seine Eltern noch immer auf das Konto einzahlten und hofften, dass er endlich zur Vernunft kam. Auch wenn es nur hieß, dass er das Geld nahm, um gut zu leben. Doch das würde er nicht tun. Er würde für nichts auf der Welt bei seinen Eltern angekrochen kommen. Er würde ihnen nicht die Genugtuung geben, dass sie mit all den Sätzen in der Vergangenheit im Recht lagen. Er wollte es einfach nicht und bis jetzt konnte er sich nicht vorstellen, dass es in naher Zukunft ein Ereignis geben könnte, was dies ändern würde.
Noch einmal tief Luftholend beruhigte er sich innerlich. Er durfte eine Frau nicht anschreien, erstrecht keine hoch schwangere, deren Hormone gerade vermutlich alles andere als im Gleichgewicht waren. – „Wir reden erst mal mit Hwasa, sie wird als Frau bessere Möglichkeiten kennen als ich, aber wir können ja heute mal gucken, wo wir Windeln herbekommen."
„Klar." – schnaubend schulterte die Braunhaarige die Tasche und stiefelte aus dem Raum. – „Beeil dich, du hast ziemlich lange geschlafen."
Kurz die Augen schließend dauerte es eine Weile, bis Yoongi sich dazu durchringen konnte, die Sachen richtig zusammen zu packen, auch wenn es eigentlich nur seine Jacke, das Buch, die Decke und die wenigen Hygieneartikel waren, die er noch mal geordnet in den Jackentaschen verstaute.
Das wenige Kleingeld zählte er noch einmal durch. Er könnte sich davon ein Frühstück leisten, da Jimin ihm gestern Abend gemeinsam mit Jungkook ein warmes, kostenloses Essen spendiert hatte.
Jungkook.
Mit ihm würde er solche Diskussionen nie führen müssen.
Den Kopf schüttelnd, um die fast schon banalen Gedankengänge loszuwerden, fiel sein Blick auf die wenigen übrig gebliebenen Kekse und das war's dann auch schon wieder mit dem Verdrängen der Gedanken an den rothaarigen Psychologiestudenten.
Allein schon wegen seiner Studienwahl würde er solche Gespräche nie führen müssen.
Sich nun einfach damit abfindend, dass der größere, durchaus gut aussehende Mann nun in seinem Kopf herumspukte, wie die Schauspieler, die er zu seinen Teenagerzeiten angehimmelt hatte, immer da waren, verschlang er einfach schnell die Kekse. Nach Teilen war ihm im Moment nicht zu Mute und somit lief er extra langsam nach draußen in der Hoffnung, Hyuna hatte sich an der kalten Luft nun etwas beruhigt.
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„Guck dir diese Preise an." – die Packung Windeln zurücklegend, setzte sich die Schwangere auf ein Putzhocker, der in dem Drogeriemarkt allein und vergessen im Gang herumstand.
„Kinder sind in jeder Hinsicht teuer." – die Preisschilder der Babynahrung unter die Lupe nehmend, schnürte es Yoongi die Kehle zu. Es war zwar einzeln nicht teuer, aber die Masse würde es machen. Windeln brauchte man mehrere am Tag und das über Jahre und dort konnte man nicht mal eben sagen, ‚Heute verzichte ich mal auf so einen Luxus'. Und auch die Nahrung würde auf Dauer teuer werden. Das Baby war schließlich nicht wie er, der auch mal zwei Tage ohne Essen auskommen würde.
„Und den Vater verklagen kann ich auch nicht." – seufzend ihre Haare nach hinten streichend umarmte sie anschließend das Baby in ihrem Bauch. – „Lass dir bitte noch etwas Zeit. Mama muss noch Lösungen finden."
„Wann ist der Entbindungstermin." – Yoongi, der das billigste Glas ‚Kürbis Pur' wieder in das Regal stellte, blickte auf seine beste Freundin runter. Jetzt kamen Probleme, die sie schon viel früher hätten lösen können, wenn man eben nur darüber geredet hätte und die Schuld, dass er die finanziellen Mittel hätte, ließ er sich ganz sicher nicht geben. Er war ja auch nicht der Vater.
„In 4 Tagen."
Einmal kaum merklich nickend sah sich der Schwarzhaarige weiter in dem Laden um. In einer Ecke, die verhältnismäßig klein bestückt war, kamen die Artikel mit bald ablaufenden Haltbarkeitsdaten hin. Babynahrung war nicht enthalten. Er wusste nicht mal, ob die Läden bald ablaufende Babynahrung verkaufen durften. Schließlich könnte es ja auch gut sein, dass es aufgrund des Babywohls verboten sei.
„Aber Hwasa meinte schon, dass ich für die ersten paar Wochen was bekommen würde." – sich umständlich wieder erhebend überkreuzte die Schwangere die Beine. – „Ich hoffe nur, dass meine Blase wieder stärker wird, wenn nicht andauernd auf ihr herumgetrampelt wird."
Stutzig, da er in der letzten Zeit ausgesprochen selten mit der Älteren unterwegs gewesen war, musterte er sie einmal von oben bis unten. – „Du hast doch gar nichts mehr getrunken gehabt."
„Na und?!" – sich hilflos umsehend, entdeckte sie letztendlich das Schild für das WC. Doch daran stand in fetten Buchstaben ‚PRIVAT'.
„Da kommen wir ganz sicher nicht rein." – Yoongi, der dem Blick der Schwangeren gefolgt war, seufzte resigniert. Ja, eigentlich war man mehr oder weniger dazu verpflichtet, Schwangeren mit einem Mutterpass den Zutritt zu den Toiletten zu gewähren. Aber so was galt eben nur für privilegierte Menschen. Denn so gut wie jedes Geschäft machte daraus eine profitable Einkommensquelle. Im Inneren hörte der Obdachlose schon die quietschende Stimme der Kassiererin, der sie beim Betreten des Ladens entgegengekommen waren.
‚Sie müssen auf Klo? Aber sicher, nur müssen sie etwas bei uns kaufen.'
„Ich habe keine Lust, hier was zu kaufen." – seine Finger um die wenigen Münzen schließend, wartete er auf eine Antwort seiner besten Freundin, die jedoch nur gequält dreinblickte.
„Was soll ich denn sonst machen? Oder kennst du in der Nähe etwa noch ein Klo, wo ich mich nicht in ein Gestrüpp hocken muss und wie das letzte Mal nicht wieder hochkomme!"
Sich auf die Lippen beißend, da ein Lachen nun äußerst unpassend erschien, überlegte Yoongi stattdessen angestrengt. Zumindest versuchte er es, doch außer Jungkook fiel ihm nichts ein. Es war, als wenn sich seine gedankliche Welt auf das Café nahe des Geumgang Parks beschränkt hatte.
„Wie dringend ist es denn?"
„Dringend!" – schon mal langsam in Richtung Ausgang laufend, versuchte Hyuna so wenig wie möglich ihre Blase zu belasten.
Seine Zähne aufeinanderbeißend seufzte der Schwarzhaarige ergeben. – „Dann geh halt auf Klo. Ich kaufe das hier." – das Glas ‚Kürbis Pur', was er zuvor wieder zurückgestellt hatte nehmend, lief er zur Kasse, wo er das Glas schon fast auf das Kassenband schmetterte. - „Einmal das und meine Freundin müsste mal ihre Toilette benutzen."
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Schon zum dritten Mal überflog Yoongi die Nährstoffbeschreibung auf dem mit der Babynahrung gefülltem Glas, während er auf einem eiskalten Fahrradständer sitzend darauf wartete, dass Hyuna endlich mit dem Erleichtern ihrer Blase fertig werden würde.
Die Passanten bedachten den Obdachlosen mit herabwürdigenden Blicken, da er durch die Babynahrung endlich vollkommen in ihr Bild passte. So nach dem Motto ‚Keine finanziellen Mittel zur Verfügung, aber ficken'.
Sich die Umgebung ansehend, da er nun nichts mehr Neues auf dem Glas finden konnte, war er ehrlich gesagt schon am Verzweifeln. Er wollte sich eigentlich noch mindestens einen Keks im Café holen. Auf das Frühstück hätte er ja auch so verzichten können.
Aber stattdessen saß er nun mit Babynahrung vor einem Drogeriemarkt und wartete auf die schwangere Frau, die das Gläschen hoffentlich gebrauchen könnte. Denn er selbst hasste Kürbis. Um eine andere Sorte zu kaufen und dafür mehr Geld auszugeben, war er dann doch zu geizig. Geiz. Etwas, was er eigentlich nicht haben wollte.
Sich noch einmal umsehend, stutze er, als ein pinkhaariges Etwas auf ihn zugelaufen kam. Pumuckl im Schlepptau.
„Yoongi." – viel zu überschwänglich begrüßte Jimin den Obdachlosen. Dabei kamen kleine Wölkchen aus dem Mund des 24-Jährigen, was die nun doch sehr winterlichen Temperaturen nur noch deutlicher unterstrichen. Jungkook hatte ihn noch mal gebeten, dem Schwarzhaarigen in keiner Hinsicht wissen zu lassen, dass sie über ihn geredet hatten, was durch die Begrüßung fast schon hinfällig wurde. – „Was machst du hier?"
„Jimin. Jungkook." – einmal kurz flüchtig zu dem Größten von ihnen blickend, wendete er sich anschließend erstaunlich schnell wieder dem ungefähr Gleichgroßen zu. – „Ich warte auf Hyuna."
„Deine Freundin?"
„Eine Freundin." – den Ältesten erneut korrigierend, nickte dieser verstehend.
„Stimmt, du meintest ja, du seist Single."
„Ja." – eine unangenehme Stille kehrte zwischen ihnen ein. Dabei bemerkte der Schwarzhaarige sofort den stechenden Blick Jungkooks auf dem Glas der Babynahrung.
„Mein Dad hatte sich übrigens sehr über die Grüße gefreut." – Jimin, der die Stille versuchte zu brechen, grinste wie verrückt, im Gegensatz zu seinem besten Freund, der mit tiefen Augenringen nur stumm danebenstand.
„Das freut mich. Kommt er eigentlich bald wie-..." – sich mitten im Satz unterbrechend, hob Yoongi eine Hand. – „HYUNA HIER DRÜBEN!"
Die Schwangere, die soeben aus dem Laden trat, drehte sich suchend um die eigene Achse, bis sie den Jüngsten bei den beiden für sie fremden Männern erblickte, die dem Blick des 22-Jährigen gefolgt waren.
Während Jimin nur interessiert auf die hochschwangere Brünette blickte, verdunkelte sich das Gesicht des Rothaarigen nur noch mehr. Er konnte die Frau jetzt schon nicht leiden, auch wenn es ‚nur eine Freundin' war. Der Fakt, dass Yoongi hier von seinen wenigen, sehr begrenzten finanziellen Mitteln Babynahrung gekauft hatte, stieß in Jungkook extrem sauer auf. Denn auch wenn er die Freundlichkeit von dem Kleineren verstand und eigentlich auch wertschätzte, bedeutete das im Gegenschluss, dass dieser weniger zu Essen hatte, was in ihm eine Sorge entstehen ließ, die sich in seinem Magen urplötzlich so schwer anfühlte, als wenn große, schwere Steine ihn nach unten ziehen würden.
Etwas würde noch genug Probleme mit sich bringen. Da war er sich mehr als nur sicher.
.....(°^°).....
Ich hoffe, ihr hattet schöne Ostern.
<3
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