Kapitel 72
Sie kletterte durch das Portraitloch und ihre Augen huschten durch den Raum, der zu ihrem Glück bis auf ein paar Erst- und Zweitklässler leer war. Schnell ging sie in ihren Schlafsaal und holte ihre Tasche mit ihren Büchern. Auf dem Weg nach draußen kamen ihr Hermine, Ron und Harry entgegen, doch nickte sie diesen nur kurz zu, ganz ohne sich zu fragen, warum sie wieder zu dritt unterwegs waren und warum Hermine verweint aussah, und beeilte sich dann, durch das Portraitloch wieder hinauszukommen.
Stirnrunzelnd sah ihr Hermine nach, doch schaffte Avessa es ohne weitere Begegnungen in die Bibliothek. Sie hätte sicherlich auch im Gemeinschaftsraum lernen können, jedoch wäre sie da kaum lange allein geblieben, zumal sie jeder zum Wochenende ausgefragt hätte. Und sie hatte die Worte ihres Vaters noch in den Ohren, der sehr deutlich gemacht hatte, was er nicht wollte.
Und wie sie ihre Brüder kannte, würden die sich den Spaß nicht nehmen lassen, auf die Einhaltung seiner Weisungen zu achten. Verflucht...
Sie blieb den Rest des Tages in der Bibliothek und ging erst sehr spät zum Abendessen, hatte sie eigentlich auch keinen Appetit. Dennoch betrat sie die Große Halle und warf dem Slytherintisch gewohnheitsmäßig einen Blick zu.
Offensichtlich gingen heute alle spät zum Essen, war er fast ebenso voll besetzt wie die anderen. Sie sah ihre Brüder, die sie ebenfalls bereits entdeckt hatten und sie konnte die mahnenden Blicke deutlich sehen. Mit kaltem Blick wandte sie sich ab und ging zum Gryffindortisch, an dessen Ende sie die Zwillinge und die anderen sehen konnte.
George hob die Hand, doch wandte sie sich ab, als hätte sie ihn nicht gesehen und setzte sich ganz vorn neben einige Viertklässler, die sie mit einem Nicken begrüßten, welches sie ebenso ignorierte. Sie verzog das Gesicht, als ihr Magen schmerzhaft krampfte und sah über das Essen, bevor sie sich ein wenig Joghurt nahm und ihr Buch aufschlug.
Sie war so vertieft, dass sie nicht mitbekam, wie Fred und George sich neben ihr und ihr gegenüber auf die Bank drängelten. Erst, als Fred ihr Buch weg bog, sah sie auf und traf auf seinen amüsiert-fragenden Blick. „Hey, Silver, was ist los?" – „Hast du uns nicht gesehen?", fragte George und sie legte ihren Löffel beiseite, den sie die letzten Minuten eh nur reglos in der Hand gehalten hatte.
Ihr Blick ging nur sehr kurz zum Slytherintisch, bevor sie die Zwillinge kühl ansah und sich erhob. „Doch, habe ich, George. Aber ich wollte einfach mal ein wenig allein sein. Bitte respektiert das." Sie nahm ihre Tasche und ging aus der Halle, während Fred und George ihr perplex nachsahen. Ihr Magen schmerzte schon wieder, doch versuchte sie, auch das zu ignorieren und beschloss, heute früh ins Bett zu gehen.
Die nächsten Tage liefen nicht viel anders, ging sie immer direkt nach dem Unterricht in die Bibliothek. Und beim Essen saß sie abseits von ihren Freunden, aß kaum etwas und war immer wieder schnell verschwunden. Faszinierenderweise ließen die Zwillinge sie in Ruhe, auch wenn sie jedes Mal die Sorge um sie an ihnen spürte, den Drang, sie zu fragen, was das sollte und die Verletztheit, dass sie sie derart abwies.
Die anderen hatten ab und an versucht, sie zu einem Gespräch zu bringen, doch hatte sie diese immer im Keim erstickt. Sie wusste, ihre abweisende Art tat ihren Freunden weh, die sich Sorgen machten, doch wusste sie nicht, wie sie es sonst hinbekommen sollte, dass ihr Vater sie nicht von der Schule nahm. Denn sie wusste sehr genau, dass das keine leere Drohung gewesen war, hatte er damals schon darüber nachgedacht, sie gar nicht erst zur Schule zu schicken.
Nach einer durchaus spannenden Unterrichtsstunde Verteidigung gegen die Dunklen Künste hielt Lupin sie zurück. „Bleibst du bitte noch einen Moment, Avessa?" Sie sah ihn erstaunt an und nickte, während sie ihre Tasche packte. Als alle Schüler die Klasse verlassen hatten, schloss Lupin die Tür und atmete tief durch. Er sah sie aus sanften Augen an, doch erwiderte sie seinen Blick kühl, verschloss sich, wie schon die ganze Woche, vor seinen Gefühlen ebenso wie vor ihren.
„Was kann ich für Sie tun, Professor?", fragte sie und er verschränkte die Arme, sich gegen einen Tisch lehnend. „Wenn es um mein Lernen an frischer Luft geht, ich mache das nicht mehr..." Lupin schüttelte den Kopf. „Nein, nein, Avessa...ich weiß, dass du das nicht mehr machst und danke dir, dass du meine Sorgen ernst nimmst...naja, oder zumindest auf mich hörst, selbst wenn du es anders siehst."
Sie musste bei den Worten leicht lächeln und sein eigenes Lächeln wurde breiter. „So sehe ich dich viel lieber." Avessa sah zu ihm auf und er hob eine Schulter. „Naja, in der letzten Zeit wirkst du sehr...in dich gekehrt und...du scheinst viel allein zu sein. Nur am Lernen... Wenn ich das richtig sehe, machen deine Freunde sich Sorgen."
„Ich weiß", sagte sie schlicht und er wartete, ob sie noch etwas sagen wollte, doch kam nichts mehr und er seufzte leise. „Nun, du musst zum nächsten Unterricht. Was hältst du davon, wenn du heute Abend auf einen Tee vorbeikommst?" Sie sah ihn starr an. „Ist das eine Anweisung, Professor?"
Erneut seufzte er und schüttelte den Kopf. „Nein, Avessa...natürlich nicht. Nur eine Einladung zum Reden."
Sie nahm ihre Tasche und ging zur Tür. „Ich denke nicht, dass es etwas zu Reden gibt, Professor...", sagte sie leise und im Hinausgehen. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, spürte sie erneut einen Krampf in ihrem Magen und sie ging schnell zur nächsten Klasse, die leise Stimme in sich ignorierend, die ihr sagte, dass es ihr vermutlich guttun würde, mit jemandem zu reden.
Als sie am Abend aus der Bibliothek kam, das Abendessen hatte sie, wie die letzten Tage auch, geschwänzt, führten ihre Schritte sie in den Gang, in dem Lupins Büro lag und als ihr das bewusst wurde, verharrte sie. Sie wollte mit keinem reden...oder? Und schon gar nicht mit Lupin!
Ach komm...du vertraust ihm, trotz allem, was du weißt. Und er hat dir nie einen Anlass gegeben, ihm zu misstrauen... Ganz im Gegenteil, wie sie zugeben musste. Sie mochte ihn einfach. Dennoch sollte sie nicht hier sein. Was würde es bringen, mit ihm zu reden?
Sie wandte sich um, den Weg zum Turm anzutreten, als hinter ihr eine Tür aufging. „Willst du nicht hereinkommen, Avessa?", fragte Lupins warme Stimme und sie blieb stehen. Dann drehte sie sich zögerlich zu ihm um und hob eine Schulter, bevor sie an ihm vorbei seine Räumlichkeiten betrat.
Sie umklammerte ihre Tasche, als sie sich umsah und nervös auf ihrer Unterlippe nagte.
Lupin schloss leise die Tür und ging dann an den kleinen Herd, den Tee zuzubereiten. Sie spürte ab und an seinen Blick auf sich, doch ließ er ihr Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass sie jetzt hier war. Ihr Blick wanderte über den Schreibtisch, der voller Papiere war und wollte sich gerade abwenden, als sie den Zipfel von einem Pergament sah, das ihr bekannt vorkam.
Sie neigte sich vor. „Oh...", kam es erstaunt und leise von ihr und Lupin sah auf. „Was ist denn, Avessa?", fragte er und goss das Wasser ein. Dann ging er zu ihr und reichte ihr ein Glas, bot ihr dann einen der kleinen Sessel an, die ebenso abgewetzt aussahen, wie seine Umhänge.
„Ach, ich habe mich nur gewundert, warum..." Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe mich sicher geirrt." Lupin sah zum Schreibtisch und zog dann die Augenbrauen hoch. „Nun bin ich neugierig, Avessa...", gab er amüsiert zu und sie folgte dem Blick. „Na ja, das...Pergament dort sieht aus, wie die..."
„...Karte des Rumtreibers?", schmunzelte Lupin und sie sah ihn überrascht an. „Ja, das ist sie. Ich bin überrascht, dass du von ihr weißt, aber offensichtlich geht es dir mit mir ebenso. Ich habe sie am Hogsmeade-Wochenende Harry abnehmen müssen...er hatte sich nach Professor Snapes Aussage nach Hogsmeade geschlichen und dort einen kleinen...Streit mit Mister Malfoy gehabt."
Avessa machte große Augen und runzelte dann die Stirn, auch wenn sie nicht ganz wusste, warum er es ihr erzählte, ging es sie ja eigentlich nichts an. „Was hatte Professor Snape damit zu tun...?", fragte sie, bevor sie seufzte. „Schon klar...Draco hat gepetzt..." Sie schüttelte den Kopf und er lächelte, als er sah, dass sie sich ein wenig entspannte.
„Magst du mir vielleicht erzählen, was mit dir die letzte Zeit los ist?", fragte er sanft und sie sah in ihren Tee, dessen Kräuterduft sie ein wenig an die Zaubertrankkerker erinnerte. Sie sog ihn tief ein und sah zum Fenster. Draußen war es bereits dunkel und die schmale Sichel des Mondes war hinter einigen Wolkenschlieren zu sehen.
„Am Wochenende von...also an dem Hogsmeade-Wochenende war ich zu Hause...mein Vater...", sie verzog das Gesicht, „wollte mich sprechen, um den Schaden zu begrenzen, den ich...den mein plötzliches Verschwinden bei den Malfoy angeblich versursacht hatte", sagte sie leise und zögerlich und Lupins Lächeln verblasste, während er sie ernst betrachtete.
„Den Schaden?", fragte er und klang ein wenig dunkler als sonst. Sie zuckte mit den Schultern und drehte das Glas in ihren Händen. „Aye...mein Vater wusste noch nicht wirklich, was passiert war und sah nur, dass ich ohne Grund meinen Aufenthalt bei den Malfoys abgebrochen hatte...also, das dachte ich."
Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und merkte, dass sie nicht weitersprechen wollte. Es war ihr noch nie leichtgefallen, sich jemandem anzuvertrauen oder über ihre Empfindungen zu sprechen und eigentlich hatte sie auch immer das Gefühl, andere damit zu belasten...nein, eher das Gefühl, dass es andere nerven könnte und...
Und wenn man zu viel von sich preis gab...Schwächen eingestand oder auch nur Dinge benannte, die einem wichtig waren, machte man sich angreifbar. „Avessa?" Sie sah auf und Lupin lächelte sie an. „Du schienst in Gedanken. Ich fragte, wie das Wochenende gelaufen ist..., wenn du es mir erzählen willst."
Avessa nagte an der Innenseite ihrer Unterlippe und nahm dann einen Schluck ihres Tees. Die Hitze und die Kräuter taten ihr gut und ihr Magen knurrte leise. Sie errötete etwas und Lupin lachte leise, griff hinter sich und stellte eine Schale Kekse auf das Tischchen neben ihnen, auf dem ebenfalls einige Bücher und Pergamente lagen.
„Ich sehe dich selten beim Abendessen in letzter Zeit", sagte er behutsam und sie versuchte, sich noch fester zu verschließen, konnte sie sein Mitgefühl nicht ertragen. Ihr ging es doch gut!
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