Kapitel 59
Beim Betreten des Schlosses wurde ihr klar, dass sie erneut gegen die Anweisungen Lupins verstoßen hatte und ein heftiges Schuldgefühl machte sich in ihr breit. Sie wusste nicht, warum sie immer wieder seine Worte missachtete, brachte sie dem Professor für Verteidigung gegen die Dunklen Künste eigentlich wirklich großen Respekt entgegen.
Doch konnte sie sich nicht davon abhalten, das Schloss zu verlassen. Nur dort fand sie die nötige Ruhe, sich über bestimmte Dinge in ihrem Leben klar zu werden. Sie zitterte heftig, schien sie diesmal wirklich etwas zu lange draußen gewesen zu sein. Sie zog ihren dünnen grauen Pulli bis über die Hände und verschränkte fest die Arme, während sie die Treppen nach oben hastete.
Im Gemeinschaftsraum angekommen, wollte sie sich direkt zum Kamin begeben, doch spürte sie trotz so dumpfer, abgeschwächter Empfindungen, dass die Stimmung im Raum mies war. Es war ungewöhnlich still und alle unterhielten sich nur flüsternd. Sie entdeckte die Zwillinge und Lee an einem Tisch am Rand und ging zu ihnen.
„Hey, Ihr", sagte sie leise und die drei blickten auf. „Silver!", sagte Fred und er und George lächelten strahlend. Auch Lee warf ihr ein Lächeln zu. „Setz dich doch." George erhob sich, damit sie sitzen konnte und wollte einen weiteren Sessel ranziehen, doch als er sie dabei berührte, sah er sie überrascht an und legte einen Arm um sie, sich auf die Sessellehne neben ihr niederlassend. „Shit, du bist eiskalt, Avessa, was hast du gemacht?" Er rubbelte fest an ihrem Arm auf und ab und sie gab ein leidendes Geräusch von sich, das durch die ruppigen Bewegungen etwas abgehackt klang.
Die Jungs lachten und sie zog eine Schnute. Fred angelte nach einer Decke, die er George reichte, der sie ihr überwarf. Dennoch blieb er auf der Lehne sitzen, den Arm um Avessa gelegt, die etwas rot im Gesicht war und sich tiefer in die Decke kuschelte. „Ich war ein wenig draußen", sagte sie und Lee zog die Augenbrauen hoch.
„Es ist Anfang Februar, Avessa, ein Mantel oder wenigstens Umhang wäre sinnvoll...", meinte er und sie sah ihn an. „Was du nicht sagst, Jordan." Er lachte. „Naja, wenn ich dich so ansehe, war es dir nicht unbedingt bewusst." Er zwinkerte, als sie ihm die Zunge rausstreckte und die Zwillinge lachten. Doch sah Avessa sich dann um.
„Was ist hier los? Alle wirken so...bedrückt?" Die anderen folgten ihrem Blick und sahen sich dann an. Etwas betreten, wie ihr schien. „Was?", fragte sie und Fred rollte mit den Augen, während George seufzte. „Krummbein hat Krätze gefressen.", sagte er und Avessa riss die Augen auf. „Nein!", entkam es ihr ungläubig, doch Fred und Lee nickten zustimmend.
„Woher wollt Ihr das wissen?", fragte Avessa, nicht ganz sicher, ob sie das wissen wollte. Fred zuckte die Achseln. „Naja, Ron ist im Schlafsaal auf Haare von Krummbein und Blut von Krätze gestoßen..." „Und wenn wir ehrlich sind, haben wir doch alle nur drauf gewartet, so verrückt, wie der Kater nach ihm war", setzte George hinzu und Avessa musste nicken.
Krummbein hatte in der Tat alles darangesetzt, der Ratte habhaft zu werden. Nur hatte sie irgendwie nie gedacht, dass er ihn wirklich fressen würde. Wobei... Sie sah zu den Jungs auf. „Es war nur ein wenig Blut da? Ich meine...keine...ich weiß auch nicht...Überreste?", fragte sie und die Jungs sahen sie angeekelt und auch amüsiert an.
„Ich wusste nicht, dass du so...", begann George. „...blutrünstig bist, Silver", beendete Fred den Satz und sie verdrehte die Augen. „Ich mein doch nur...fressen Katzen alles? So...sauber? Ach, vergesst es...", brummte sie schmollend, als die drei lachten. George drückte sie an sich und rieb erneut über ihre Arme und Wärme breitete sich in ihr aus.
„Lass dich nicht ärgern, Avessa...", raunte er ihr zu und sie schloss die Augen, lehnte sich an ihn. „Jaja...", sagte sie leise und ein wenig erschöpft und sah nicht den erstaunten und leicht besorgten Blick, den die Zwillinge tauschten. „Geht es dir gut, Avessa?", fragte Fred und rückte näher. Lee erhob sich und deutete mit dem Kopf zu Alicia Spinnet und entfernte sich dann.
Avessa öffnete die Augen und sah zu Fred, eine Schulter hebend. Sie hatte wieder einen Kloß im Hals und traute sich nicht, etwas zu sagen, doch ihr Anblick reichte Fred, sich zu erheben. Er griff unter die Decke nach ihrer Hand und bedeutete George, aufzustehen. „Komm...hier ist zu viel los." Sein Bruder nickte nur und sah auf Avessa hinab, die sich widerstandslos mitziehen ließ.
Die drei verließen den Gemeinschaftsraum durch das Portraitloch und gingen einige Treppen, durch einen kleinen Gang, den Avessa ebenfalls schon entdeckt hatte und der eine Abkürzung zu den Verwandlungsräumen war, die in einem völlig anderen Stockwerk und am anderen Ende des Schlosses lagen.
Fred und George öffneten eines der kleinen Klassenzimmer und schoben sie hinein. Sie setzten sie auf einen der kleinen Tische und zogen sich Stühle ran, auf die sie sich verkehrt herumsetzten. Sie sahen zu ihr auf und sie wurde unter ihren forschenden Blicken ein wenig unruhig. Ihre Hände lagen rechts und links von ihren Beinen an der Tischkante und sie selbst sah auf den Boden.
Nun war sie gar nicht unglücklich darüber, ihre Gefühle nur gemildert zu erfassen, mochte sie die Sorge nicht, die sie ausstrahlten. Ach nein? Nein! Sie war nicht schwach! Fred nahm eine ihrer kühlen Hände in seine und versuchte, ihren Blick einzufangen, indem er sich runterbeugte. Als er in ihr Sichtfeld kam, musste sie kichern, sah es aber auch echt albern aus, wie er sich verrenkte.
Fred grinste zufrieden und drückte ihre Hand. „Nun mal raus mit der Sprache, Avessa...was ist passiert? Du wirkst..." – „Unglücklich", sagte George bestimmt und Fred nickte. Avessa seufzte und atmete tief durch. „Ach...irgendwie läuft dieses Jahr nichts so, wie es sollte...", sagte sie ausweichend und die beiden schnaubten.
„Sorry, Silver, aber das nehmen wir dir nicht ab.", sagte Fred und George schüttelte ebenfalls den Kopf, die Arme vor sich auf der Rückenlehne des Stuhls abgelegt. „Nein. Das mit der Hauswahl, erledigt." – „Das mit deinem Vater, erledigt.", sagte Fred und Avessa sah kurz auf. „Oh.", machte Fred und sah zu George. „Doch nicht?", fragte dieser und erneut hob Avessa ihre Schulter und bevor sie sich zurückhalten konnte, begannen Tränen zu fließen.
„Ich weiß nicht. Ich habe...den Brief bekommen und...er sagt, er sei enttäuscht wegen...den Malfoys und will nun ein Essen...um den Schaden zu begrenzen...aber ich weiß nicht...dann bin ich zu Draco, doch der weiß auch nicht...aber die Malfoys und Snape kommen auch und dann war Nott da und fing an, mit mir zu streiten und...er hat gesagt, sie habe sich meinetwegen umgebracht, sie sei verrückt gewesen...aber das stimmt nicht!", schluchzte sie und entzog Fred die Hand, ihr Gesicht in beiden zu verbergen.
Die Zwillinge starrten erst sie und dann sich völlig verwirrt an, bevor sie zeitgleich aufstanden und sich rechts und links von Avessa auf den Tisch quetschten, die Arme um sie legend. Ihre Schultern zuckten unter dem heftigen Weinen und George legte ihr die freie Hand auf den Arm und streichelte ihn, fing ihre Hand ein, sie in seiner zu bergen, als sie sie sinken ließ.
„Das...war etwas viel auf einmal, Avessa...", sagte er sanft und schluckte, wusste er nicht, wo er ansetzen sollte. Am Anfang, oder bei dem krassen Teil? Fred schien sich dasselbe zu fragen und sah ihn an und als hätten sie sich abgesprochen entschieden sich beide. „Wer...", begann Fred und zögerte. „Wer hat sich umgebracht, Avessa?", fragte George sanft und sie schniefte, wischte sich mit dem Ärmel ihres Pullovers über das Gesicht.
„Meine Mutter", sagte sie brüchig und Fred zog scharf die Luft ein, während George entsetzt zu ihr hinabschaute. „Was?" „Wann?" „Oh, Avessa, das tut uns so leid!" Sie nickte langsam und ihr Schluchzen erstarb ganz, auch wenn ihr Atem noch zittrig ging. „Danke...aber es ist lange her. Ich war...vier..." Sie schluckte und räusperte sich.
„Alle sagten, sie sei krank gewesen...und die, die denken, man hört sie nicht, sagen, sie war verrückt...es läge in der Familie. Sie hat immer viele Tränke und...andere Dinge zu sich genommen...gegen die Krankheit, sagt Vater, aber...ich denke, das ist nicht ganz wahr..." Die Zwillinge lauschten ihr ruhig und hielten sie in der Umarmung und nur George bewegte sehr leicht seinen Daumen, der kleine Kreise auf ihren Handrücken malte.
„Ich denke..." Sie strich sich eine ihrer weißblonden Strähnen hinter ein Ohr. „Sie war unglücklich...mit Vater...sie und er...es war wie so oft eine arrangierte Ehe und anfangs soll sie auch ganz gut gewesen sein, aber...Vater ist älter und...er hat sie...also sie wurde mit Alaric schwanger, als sie noch zur Schule ging und...da mussten sie schnell heiraten...sie konnte ihren Abschluss nicht machen und das...hat sie gestört, denke ich...diese starren Konventionen und..."
Sie sah auf. „Mein Vater ist kein schlechter Mensch, aber...er verstand sie nicht und...hat sie nicht wirklich geliebt", sagte sie schlicht und hob ihre Schultern. „Sie ihn schon...es...verletzte sie, wie er sie behandelte und...ich denke, da fing sie an mit...mit den...Tränken und...anderen Mitteln..."
Fred sah kurz zu George. „Aber...woher weißt du das alles, wenn du doch erst vier warst, als sie..." Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe es gespürt...wir waren immer zusammen, meine Mutter und ich...und als ich älter wurde, setzte ich das und die Geschichten zusammen, die ich hörte. Ich...habe die Hauselfen gefragt, wie...was sie wissen und..."
Sie lächelte schmerzlich. „Keiner glaubt, was sie alles wissen und sehen...sie werden von Familien wie meiner gern übersehen und sehr gering geschätzt...da kommt man nicht darauf, ein Gespräch zu beenden, wenn sie den Raum betreten. Ähnlich wie bei Kindern..."
Die Zwillinge nickten und Fred löste sich von ihr, um sich wieder vor sie zu setzen. George aber blieb bei ihr, drängelte sie nun, da mehr Platz war, ein wenig beiseite, um richtig neben ihr zu sitzen. Sie lehnte sich wie schon zuvor in seine Umarmung und schloss die Augen. „Tut mir leid...", sagte sie leise und die beiden zogen die Augenbrauen hoch.
„Was jetzt genau?", fragte Fred verwirrt und sie sah ihn an. „Dass ich euch..." Er unterbrach sie. „Wir haben dich gefragt." – „Und wir sind froh, dass du dich uns anvertraust...wirklich...", sagte George leise und seine Hand fuhr an ihrem Oberarm tröstend auf und ab. Sie lächelte leicht. „Ihr seid so anders...", seufzte sie und die beiden lachten. „True", sagte Fred und George grinste leicht. „Aber gut anders, oder?"
Sie sah zu ihm auf und ihre Wangen wurden hitzig, als sie ihn so nah bei sich sah und den Blick in seinen Augen. „Aye. Sehr gut", sagte sie dennoch leise und senkte schnell wieder den Blick. Fred schmunzelte leicht, doch wurde der Ausdruck in seinem Gesicht dann wieder ernst.
„Ich weiß, ich zäume den Thestral von hinten auf, aber...wer hat gemeint, es sei deine Schuld gewesen?", fragte er und sie hörte die Empörung eher, als sie sie spürte. Sie sah auf ihre Finger. „Yorick Nott...offensichtlich bin ich den Abend bei ihm und seinem Bruder gewesen. Er war es auch, der mir den Trank gab..."
Auf den fragenden Blick der Zwillinge setzte sie sich auf und George ließ seinen Arm von ihr gleiten und ließ auch ihre Hand los, die sogleich mit den Fingern der anderen Hand am Saum ihres Pullis zu spielen begann. Sie hatte nicht darüber sprechen wollen und nun... Du hast eh schon alles gesagt, nun kannst du es auch etwas ausführlicher tun...
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