Kapitel 58
„Morgen Abend 19 Uhr nachsitzen, Miss Carrow. Mein Büro. Und lassen Sie Ihren Zauberstab ruhig im Gemeinschaftsraum, Sie werden ihn nicht brauchen." Avessa spürte die tiefe, leicht spöttisch klingende Stimme in sich widerhallen und warf Snape einen lodernden Blick zu. Nachsitzen?! Dann zwang sie sich, den beiden respektvoll zuzunicken und verließ schnell das Büro, machte sich dann langsam auf den Weg zum Krankenflügel. Was war da eben passiert? Sie rieb sich über die Arme, deren feine Härchen aufgerichtet waren und schüttelte sich. Warum kribbelte alles?
Was vorhin passiert war, war schon seit Jahren nicht mehr passiert und sie war tief in sich erschrocken darüber. Sie hasste es, die Kontrolle zu verlieren und das vorhin...ja, sie war sauer gewesen, aber das...Wenn du ihm wenigstens einen Fluch auf den Hals gehetzt hättest. Impulsiv? Ja. Unkontrolliert? Bedingt. Ungerechtfertigt? Nie und nimmer!
Da konnte Snape noch so sehr rumbrüllen und poltern, seine Schüler hatten sich falsch benommen, nicht sie! Du hast ihn umgeworfen. Sie stöhnte leise und verbarg ihr Gesicht kurz in ihren Händen, rieb darüber, bevor sie sie wieder in ihrem Umhang versteckte, war ihr mal wieder kalt. Mal heiß, mal kalt...vielleicht bist du wirklich krank...
Sie versuchte, den nagenden Zweifel in ihr zu überhören. Sie war nicht krank! Und ihre Mutter war auch nicht krank gewesen. Nicht so, wie alle dachten... Avessas Blick wurde leicht glasig und der Weg verschwamm vor ihren Augen, sodass sie fast ruppig über ihre Augen wischte. Verflucht, sie würde jetzt nicht doch noch anfangen zu heulen!
Als sie Schritte hörte, sah sie auf, doch war es niemand, den sie kannte...irgendwelche Hufflepuffs, die wahrscheinlich ihr Helfersyndrom im Krankenflügel ausgelebt hatten. Zum Glück waren sie nicht mehr da, hatte sie keine Lust, dass viele mitbekamen, wie sie einen Trank zur Beruhigung bekam...
Sie hasste es, solche Tränke zu nehmen, erinnerte es sie zu stark an ihre Mutter und die Zeit bevor... Schluss! Sie wollte nicht darüber nachdenken und so wurden ihre Schritte schneller, auch wenn es sie erschöpfte. Im Krankenflügel wartete schon Madam Pomfrey mit dem Trank auf sie und reichte ihn ihr. „Bitte, ma petite...", sagte sie und Avessa lächelte sacht. „Merci, Madame. Je suis trés reconnaissante pour votre aide", erwiderte Avessa und Madam Pomfreys Gesicht begann zu strahlen.
„Oh, ist das schön, mal wieder jemanden zu 'ören, der meine Sprache so schön spricht wie du, ma petite!", strahlte Madam Pomfrey und Avessa lächelte leicht. „Ich war ein Semester lang auf der Beauxbatons und meine Familie und ich fahren oft nach Frankreich. J'adore cette langue. Comme musique, n'est-ce pas?"
Das leise Schwärmen in ihrer Stimme musste sie nicht vorspielen, auch wenn sie etwas damit bezweckte, liebte sie die Sprache tatsächlich, die Melodie, die Musik darin... Madam Pomfrey nickte begeistert und sah sie wohlwollend an. Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis Madam Pomfrey auf den Trank deutete. „Bitte in einem austrinken, Mademoiselle Carrow." Avessa nickte und schnupperte daran, sah dann ein wenig unsicher zu der Heilerin auf. „Sagen Sie...was genau ist das?" Madam Pomfrey lächelte beruhigend. „Es ist ein Trank, der dich ruhiger macht. Deine Magie ein wenig dämpft."
Avessa runzelte die Stirn. „Sie dämpft meine Magie? Wie meinen Sie das, Madame?", fragte sie ein wenig schärfer und Madam Pomfreys Mund wurde zu einem strengen Strich, wie sie es sonst nur von Professor McGonagall kannte. „Das müssen Sie mit dem Schulleiter klären, er 'at mir gesagt, dass sie ihn brauchen, weil ihre Magie 'eute ein wenig, wie sagt man...aufkochte. Das passiert manchmal in der Pubertät, meine Kleine."
Nachdenklich sah Avessa zu Madam Pomfrey auf, doch sprach diese die Wahrheit...oder war zumindest davon überzeugt. Wenn Avessa ehrlich war, beruhigte es sie ein wenig, dass es nicht so anomal war, was ihr passierte. So atmete sie tief durch und trank das Fläschchen aus.
Schmerzen! Heftige Schmerzen, die ihr die Sicht nahmen, auf den Boden zwangen und ihre Muskeln reißen ließen, die Knochen kurz vorm Brechen. Lautes Schreien, sich winden und Weinen! Kein! Atem!
„Avessa!", hörte sie dumpf, wie von weit weg, dann spürte sie kühle Finger an ihren Wangen. „Ruhig, Kindschen! Ruhig durch die Nase einatmen! Laaangsam durch den Mund ausatmen! Es ist alles in Ordnung, nischts passiert. So ist es richtig...ein und aus...ein und aus...langsam...", die ruhige monotone und sehr angenehme Stimme der Heilerin ließ die Panikattacke schwinden und langsam klärten sich auch Blick und Gehör.
Dennoch fühlte sie sich ein wenig wie in Watte gepackt und sie sah zu Madam Pomfrey auf. Diese lächelte und schwang ihren Zauberstab. Ein Glas kaltes Wasser erschien, welches sie dem Mädchen reichte. „'ier, trink das, das wird dir guttun." Sie streichelte Avessa währenddessen wie selbstvergessen über die Schulter und diese simple Geste ließ die Spannung letztlich ganz aus ihr weichen.
Sie zitterte heftig und atmete tief durch. „Es...tut mir leid, Madam Pomfrey. Ich weiß auch nicht, was passiert ist." Die Heilerin sah sie verhalten lächelnd an. „Es war eine Panikattacke, ma petite... Offensichtlich 'attest du ein wenig Sorge wegen des Tranks und als du ihn genommen hast..." Sie schien ein wenig irritiert, doch konnte Avessa nicht ganz erfassen, was sie empfand.
„Das...ist mir bisher aber noch nie passiert...", sagte Avessa leise und strich sich dann die Kleidung glatt, erhob sich von dem Bett, auf das Madam Pomfrey sie anscheinend zum Sitzen gedrängt hatte. „Geh in deinen Gemeinschaftsraum und ruh disch aus, ma petite. Morgen ist alles wieder gut. Iss 'eute mal ein wenig mehr."
Woher wusste die Heilerin, dass sie in letzter Zeit nicht ganz so viel Appetit hatte wie sonst? Sie verließ die Krankenstation und ging zur Großen Halle, sagte ihr die Uhr, dass es bereits Mittagszeit war. Auf dem Weg begegnete sie einigen Schülern, doch waren ihre Empfindungen ebenso wie ihre lauten Stimmen, die durcheinanderredeten nicht so deutlich wie sonst.
Auch dort war es seltsam ruhig und sie presste die Lippen aufeinander. Der verfluchte Trank! Er dämpfte wohl weit mehr als nur ihre Magie! Sie sah sich um und zog die Schultern an, war es surreal, das ganze Durcheinander nur am Rande zu spüren. Wie in ihren Träumen, in denen auch immer alles abgedämpft war, bis eine Sache sehr klar hervortrat.
Sie versuchte das aufkommende Gefühl des Unwohlseins zu verscheuchen und warf erst dem Gryffindortisch, dann dem Slytherintisch einen Blick zu, bevor sie sich einfach umdrehte und wieder ging. Sie konnte das nicht. Sie brauchte Abstand. Und dieses bedrückende Gefühl, nichts richtig zu spüren machte sie unruhig. Ein kleines etwas bitteres Lachen entkam ihr. Erst waren ihr die ganzen aufgewühlten Emotionen zu viel und wenn sie abgeschwächt waren, wurde sie nervös.
Wie von selbst fanden ihre Füße den Weg nach draußen. Sie stieß das Portal auf und atmete die eiskalte Luft ein. Der Himmel war klar und blau und kaum ein Wölkchen stand am Himmel, während die kalte Wintersonne ihren Weg beschien, der sie über die Ländereien zum Rand des Verbotenen Waldes führte.
Sie ging ein Stück an ihm entlang in Richtung des Schwarzen Sees, als ihr plötzlich ein rotes Fellknäul auffiel, welches ihr entgegenkam. „Krummbein?", fragte sie und ein Maunzen antwortete ihr, bevor sich Hermines Kater schnurrend an ihrem Bein rieb. Avessa ging in die Hocke und streichelte ihm über den Kopf, den er fest in ihre Hand schmiegte.
„Na, mein Kleiner, was machst du hier draußen? Ist dir nicht zu kalt?", fragte das Mädchen leise und mit der einschmeichelnden sanften Stimme, die sie sich für Zephyria und Krummbein aufhob. Sie seufzte und setzte sich auf den harten kalten Boden unter einen der Bäume. Krumbein schmiegte sich an ihre Seite und schnurrte kontinuierlich leise, während sie die Beine anzog und mit einem Arm umfasste.
Mit der anderen Hand kraulte sie den Kater, den Blick über die Wiese gerichtet. „Die haben mir einen Trank gegeben, der meine Magie dämpft, kannst du das glauben, Krummbein?", fragte sie leise und der Kater maunzte. Sie lächelte abwesend und seufzte dann. „Ich spüre die anderen kaum noch...das ist...kein schönes Gefühl...als wäre man blind..."
Einen Moment blieb sie still und nur das beruhigende Schnurren des Tieres neben ihr war zu hören. „Er hat sie beleidigt...er hat gesagt, was alle sagen...", wisperte Avessa irgendwann. „Dass sie verrückt war...aber das war sie nicht. Nicht so. Sie war unglücklich...sie...verstanden sich nicht. Ich gebe ihm nicht die Schuld, wirklich nicht...aber sie...passten nicht, sie war..."
Erneut verstummte sie und lauschte den Geräuschen des Waldes, dem Rauschen des Windes in den Bäumen, dem leisen Zwitschern der Vögel, dem Knacken und Rascheln von den kleinen und größeren Tieren, die den Wald bewohnten. „Ich bin schuld...glaub ich...sie...sie wäre gegangen, wenn..., wenn ich nicht gekommen wäre. Sie...blieb meinetwegen und die...die Tränke und Drogen...die haben sie krank gemacht...und er..."
Tränen rannen ihr die Wangen hinab und sie hörte auf, Krummbein zu streicheln und schlang auch den zweiten Arm um ihre Beine, verbarg ihr Gesicht zwischen ihren Knien und weinte leise. Der Kater erhob sich und strich um sie herum, gurrend und mit aufgestelltem buschigen Schwanz. Dann drängelte er sich auf ihren Schoß und sie lachte schluchzend, ihm den Raum gebend.
„Du bist ganz schön aufdringlich", schniefte sie und zuckte zusammen, als es neben ihr knackte. Ihr Kopf fuhr herum und sie starrte in das Gesicht eines wirklich großen schwarzen Hundes. Er wäre sicher wahnsinnig hübsch gewesen, doch wirkte er unterernährt und kränklich. Und doch pochte ihr Herz schneller, wirkte er deswegen nicht wirklich schwach.
„H-Hey, du...", sagte sie mit rauer Stimme und räusperte sich, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Krummbein war im Gegensatz zu Avessa völlig entspannt und schnurrte ohne Unterlass, was sie irgendwie ebenfalls ruhiger werden ließ. Der Hund kam auch nicht näher, sondern legte den Kopf schräg und fiepte, was Avessa ein kleines Lächeln entlockte. Der Hund schnaubte zufrieden und legte sich hin, den Kopf auf den Vorderpfoten, sie weiterhin betrachtend.
„So viel dazu, dass ich es nicht so mit Tieren habe...", murmelte Avessa und kraulte Krummbein, betrachtete aber den Hund. „Ich habe dich schon öfter gesehen...", sagte sie leise, doch der Hund sah sie nur an. „Du...du siehst hungrig aus. Ich habe aber leider nichts dabei. Ich bin zurzeit selbst zu selten beim Essen...Madam Pomfrey meinte, ich hatte deshalb die Panikattacke vorhin."
Krummbein rollte sich erneut ein, ein wenig auf ihren Beinen trampelnd, was sie veranlasste, sich umzusetzen, damit er es gemütlicher hatte. Avessa atmete erneut tief durch und strich sich Haare zurück. „Ich glaube, das war, weil sich etwas in mir doch an diesen Trank erinnert, von dem Professor Snape mir erzählt hat...der von den Notts..." Sie schüttelte sich.
„Eigentlich dachte ich, ich finde das nicht so schlimm, aber...der Gedanke, dass...ich derart...die Kontrolle verloren habe und...mich vor allen gewunden habe, geschrien...das...ich weiß, es war ein Cruciatus-Fluch eingebunden, aber trotzdem...ist es mir unangenehm...", wisperte sie und es tat ihr gut, es auszusprechen. Dass die Tiere da waren, machte es leichter, kam sie sich dann nicht so vor, als würde sie mit sich selbst reden.
Der Hund knurrte und richtete sich auf und Avessa zuckte zurück, wirkte er angriffslustig und ihr fielen die Worte Lupins ein, dass man bei Tieren, besonders bei wilden, nie sicher sein kann. In einem Moment sind sie noch lieb und dann... „Schschsch...ich...habe ich etwas falsch gemacht?", raunte sie mit rauer Stimme und wich langsam zurück.
Der Hund hörte direkt auf, zu knurren, doch blieb seine angespannte Haltung und nach einem letzten Blick auf Avessa drehte er sich um und verschwand so schnell zwischen den Bäumen, dass man das Gefühl haben konnte, er sei disappariert. Avessa seufzte und versuchte, aufzustehen, doch Krummbein blieb stur sitzen und machte sich gefühlt noch schwerer, sodass Avessa nicht auf die Beine kam. „Krummbein! Geh runter...", grollte sie leise.
Der Kater sah sie pikiert an und erhob sich sehr langsam und setzte einen Fuß nach dem anderen auf den kalten Waldboden, bevor er davonhuschte. Avessa stand auf und ihre steifen Glieder zeugten davon, wie kalt es wirklich war. Die Sonne war bereits hinter den Wipfeln der Bäume verschwunden und so schlang sie die Arme um sich und machte sich auf den Weg zum Portal.
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