Kapitel 45
„Severus...wie schön, dich zu sehen. Was kann ich für dich tun?" Dumbledore hatte sich erhoben und dem Tränkemeister freundlich, aber auch leicht besorgt entgegengesehen, da Snape ihn sonst nie so spät aufsuchte.
„Es ist Miss Carrow, Schulleiter", sagte er schlicht und Dumbledores Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. „Wie meinst du das? Was ist mit ihr?" Er schmunzelte. „Macht sie dir selbst in den Ferien Schwierigkeiten?", gluckste er und fing sich einen missbilligenden Blick ein. Snape schüttelte den Kopf.
„Nein. Sie hat einen unbekannten Trank zu sich genommen, bei dem ich vermute, dass es ein Experiment Notts ist, den Cruciatus nachzuempfinden und ich könnte eine zweite Meinung gebrauchen." Dumbledores Augen weiteten sich und sein sonst so sorgloser Gesichtsausdruck wurde ernst. „Wo ist sie?"
„Das arme Mädchen...aber ich denke, dass du sie schlafen geschickt hast, war auf jeden Fall sinnvoll. Ihr Geist scheint sich bereits vor den Schmerzen zurückgezogen zu haben...", sagte der Schulleiter leise und strich sich nachdenklich über den langen Bart, während er Avessa über seine Halbmondbrille hinweg betrachtete.
Snapes Augenbraue ging steil nach oben. „Das will ich nicht hoffen, dass sie sich bereits zurückgezogen hat...denken Sie an die Longbottoms." Dumbledore nickte langsam. „Ich weiß, an sie musste ich auch denken. Ich glaube, du hast absolut recht mit deiner Vermutung, dass er einen Cruciatus-Fluch in den Trank gebunden hatte und auch, dass es noch eine weitere Komponente gibt..., wenn ich vermuten sollte, aber da stütze ich mich rein auf meine Kenntnis des Mannes, der den Trank erstellt hat...dann würde ich meinen, dass es ihm nicht reichen würde, ein Opfer körperlich zu quälen..."
Er sagte dies sehr traurig und Snapes Miene versteinerte. „Natürlich...", murmelte er und Dumbledore raffte seinen Umhang. „Ich werde mich darum kümmern, dass Mister Nott sich mit dem Gegenmittel einfindet und das Ministerium informieren. Versuche du, Miss Carrow zu erreichen, Severus." Er sah auf das immer noch viel zu unregelmäßig atmende Mädchen, deren Augen sich unter den geschlossenen Lidern wild bewegten. Dann verließ er den Raum.
Snape betrachtete Avessas schmalen Körper und in ihm wallte der heftige Wunsch, sie zu schützen auf. Etwas, das er noch nie so empfunden hatte und das ihn verwirrte. Er runzelte die Stirn, die Miene fast streng und verärgert auf Avessa gerichtet, doch wusste er, was er tun wollte. Allerdings wäre es sinnvoll, dies nicht allein zu tun.
Gerade wollte er Professor McGonagall unterrichten, als es an der Tür klopfte. Er musste leicht schmunzeln, hatte Dumbledore sie sicher bereits informiert. Er ging mit großen schnellen Schritten zur Tür und riss sie auf. Davor stand aber nicht Professor McGonagall, sondern...
„Lupin", knurrte Snape. „Ich habe keine Zeit für Sie." Er wollte die Tür vor Lupins Nase zuschlagen, doch dieser hielt dagegen. „Dumbledore sagte mir, ich solle zu ihnen, da Minerva nicht da sei...ich weiß nicht, warum, aber er sagte, sie könnten meine Hilfe gebrauchen, Severus...", sagte Lupin wie immer freundlich und ohne sich von dem abfälligen Blick beeindrucken oder gar provozieren zu lassen.
Snapes Wangenmuskel zuckte und die schwarzen Augen bohrten sich in Lupins. Dann rieb er sich entnervt über die Nasenwurzel und wirbelte herum. Die Tür ließ er offen. Lupin schüttelte schmunzelnd den Kopf und ging ihm nach, die Tür hinter sich schließend. „Also, womit kann ich Ihnen..."
Sein Blick fiel auf Avessa, die auf Snapes Couch lag und die Augen geschlossen hatte, sacht zitterte und leichenblass wirkte. Lupins Miene wurde ernst. „Was ist passiert?!", wollte er fordernd wissen und ließ sich neben der Couch auf die Knie sinken. Er legte eine Hand auf ihre Schulter und dann auf die Stirn, zog leicht die Augenlider hoch. Bei dem Anblick der pechschwarzen Augen erschrak er. „Sie steht unter einem Fluch", murmelte er entsetzt.
Snape knurrte leise. „Sie hat einen unbekannten Trank von Nott zu sich genommen. Wir denken, es war ein Foltertrank, ähnlich dem Cruciatus..." Lupins Augen weiteten sich, doch Snape schnitt ihm mit einer herrischen Geste das Wort ab, als er zu einem entrüsteten Wortschwall ansetzen wollte.
„Die genauen Umstände können Sie später mit Dumbledore klären, wenn der Schulleiter es für nötig hält, sie zu informieren...Er versucht, Nott und ein Gegenmittel herzubringen und ich soll versuchen, Miss Carrow zu erreichen. Sie scheint sich vor den Schmerzen tief in sich zurückgezogen zu haben, die sie bereits eine ganze Weile aushalten musste, bevor der Schlaftrunk ihr zumindest halbwegs half. Wie Sie sehen, sind sie aber nicht vorbei...
Wie auch immer habe ich vor, in ihren Geist einzudringen und sie daran zu hindern, aufzugeben. Sie erinnern sich sicher an die Longbottoms, Remus?" Lupin sah überrascht aus, als Snape ihn beim Vornamen nannte, beließ es aber dabei und nickte. „Natürlich... Sagen Sie mir, wie ich helfen kann. Reines Aufpassen auf Sie beide?"
Snape nickte und zog seinen Zauberstab.
∾
Er war in einer großen Halle. Es war dunkel und durch die hohen Fenster fiel nur leichtes Mondlicht hinein. Seine Augen, die er de facto gar nicht nutzte, gewöhnten sich dennoch nur langsam an das düstere Licht und so ging er behutsam und vorsichtig hindurch. Seine Schritte hallten dennoch geisterhaft durch den großen Raum und als er einige Einzelheiten ausmachen konnte, meinte er, die Halle aus dem Hause Carrow darin zu erkennen. Eine düstere Ahnung stieg in ihm auf.
Er sah sich um, als er ein leises helles Schluchzen zu hören meinte, doch konnte er nichts entdecken. Erst, als es erneut erklang, merkte er, dass es von oben kam und er sah zu den hohen Fenstern. Auf einem Sims konnte er ein kleines Mädchen von vielleicht vier Jahren sehen. Die Haare lang und hellblond, die Gestalt klein und zierlich, gekleidet nur in ein dünnes Nachthemd.
Doch zog eine andere Gestalt seine Aufmerksamkeit auf sich und zwar die einer erwachsenen Frau, die an einem Seil von einem Balken hing, ganz in der Nähe des Fensters. Er runzelte die Stirn. Was war das hier? Schnellen Schrittes ging er zu den beiden und sah, dass die Frau schon eine Weile tot war und das Gesicht, gelinde gesagt, nicht mehr sehr appetitlich aussah, dunkel und geschwollen, die Zunge und Augen hervorquellend.
Auch sie hatte lange blonde Haare und eine schmale Statur und er konnte sich denken, wer es war, obwohl ihr Gesicht nichts mehr mit der schönen jungen Frau gemein hatte, die er gekannt hatte - und von der er nie erfahren hatte, wie sie verstorben war. Doch wandte er den Blick von ihr ab, als das herzzerreißende Schluchzen wieder erklang und er diesmal mit Sicherheit sagen konnte, dass es von dem Mädchen kam. „Avessa?", fragte er ruhig und seine dunkle Stimme hallte durch den großen Raum.
Das Mädchen, welches sich mit den Händen an den Balken klammerte, der nah bei ihrem Fenster begann und bis zu der Toten reichte, wimmerte und ihr Blick flackerte sehr kurz zu ihm, bevor sie wieder auf die Leiche starrte. Ihr kleines Gesicht war tränenüberströmt und Grauen stand darin, die Finger, die den Balken umklammerten, waren weiß.
Snape sah einige Möbel, die die Kleine wohl herangezogen hatte, um überhaupt da hochzukommen, doch selbst damit musste es ein anstrengender Weg gewesen sein für so ein kleines Mädchen, welches nun offensichtlich nicht mehr herunterkam.
„Soll ich dir helfen?", fragte er sanft und machte einen Schritt näher zu ihr, wusste er noch nicht genau, inwieweit sie ihn in ihrem Geist zulassen würde. Dass er überhaupt hier war, eine so...plastische Umgebung sah und mit ihr sprechen konnte, war mehr als ungewöhnlich. Den Geist einer anderen Person zu erreichen war eine sehr ungenaue Sache, in der es normalerweise nur auf das Gespür ankam. Man spürte die Präsenz des anderen und konnte versuchen, mit ihr zu sprechen.
Wenn es sehr gut lief, erahnte man vielleicht eine Gestalt und Umgebung und hatte so noch ein wenig mehr Zugang. Er selbst hatte in seinem Leben oft den Geist anderer ‚betreten' müssen, meist für seinen Lord, sodass er geübt war und es bereits kannte, sich nicht nur auf sein Gespür verlassen zu müssen. Und dennoch... Das hier war so viel mehr. Und er hatte vor, später genauer zu ergründen, warum er so einen guten Zugang zu Avessa Carrow hatte.
Die Kleine schüttelte auf seine Frage hin heftig den Kopf und begann wieder zu weinen. Er spürte, wie der Boden leicht bebte und trat schnell zurück. „Warum denn nicht?", stellte er leise die Frage, als es wieder still geworden war. Das Mädchen sah zu ihm. „Geh weg!", schniefte sie und er sah die Trauer und Angst in ihrem Gesicht, als sie nach unten sah. Schnell hob sie den Kopf und schmiegte sich eng an den Balken.
Interessant... Er ging langsam aber sicher zu ihr. „Hör mal, Avessa..." seine dunkle Stimme war samtig und ruhig. „Ich helfe dir hinunter, okay? Du kannst nicht da oben bleiben..."
„Ich muss ihr helfen!", wimmerte die kindliche Stimme, auch wenn der zitternde kleine Leib sich nicht bewegte und sie nur heftiger weinen musste. Snape spürte einen Stich, sie so leiden zu sehen und erneut runzelte er die Stirn. Sie war nur seine Schülerin und er musste ihr helfen. Probleme und Traumata aus der Jugend oder Kindheit hatten sie alle.
Er stellte sich mit erstaunlich geschmeidigen Bewegungen auf die Lehne eines Sessels, der direkt unter ihr stand und war ihr nun so nah, dass er sie mit den Händen hätte erreichen können. Sie fauchte leise. „Ich hab' gesagt geh weg!", schrie sie und sah kurz zu ihm. Er riss die Augen auf, als sich der Raum plötzlich auszudehnen schien und der Abstand zwischen ihnen beiden immer weiter wurde.
„Es ist zu hoch!", wimmerte sie und presste die Augen zusammen. Snape beruhigte sich, war es rein ihre Angst, die die Umgebung beeinflusste und er schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Ich bin direkt unter dir. Ich lasse dich nicht fallen, Avessa. Ich verspreche es dir", sagte er sanft aber bestimmt und er konnte sehen, wie sich ihre Augen wieder leicht öffneten und sie zu ihm schielte.
Diesmal passierte nichts, sodass er den nächsten Schritt wagte und seine Arme nach ihr ausstreckte. Da verzog die Kleine erneut das Gesicht und sah zu der Toten. „Und was ist mit Mommy?", fragte sie und Snape, der es zwar gewusst hatte, lief ein Schauer über den Körper bei der puren Trauer, die die helle kindliche Stimme erfüllte.
„Sie holen wir auch gleich", versprach er. „Erstmal kommst du." Er sah ihr fest in die Augen und versuchte, ihr Sicherheit zu vermitteln und dann sah er, wie sich ihre Finger vom Balken lösten. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, schnellte ihre Hand an seine und er zuckte zusammen, so kalt war sie. Sie musste bereits Stunden hier oben sitzen.
Dann schalt er sich einen Narren. Dies hier war trotz der ganzen anders anmutenden Eindrücke nicht echt, sondern ein Teil ihres Geistes. Die Situation musste nicht mal wirklich so passiert sein. Aaron hatte nie gesagt, was genau passiert war, nur, dass Helena sich das Leben genommen hatte. Und auch das hatte er ihm und Lucius nur anvertraut, weil sie so enge Freunde gewesen waren. Auch wenn die Gerüchteküche der reinblütigen Gesellschaft schnell davon Wind bekommen und die wildesten Spekulationen angestellt hatte, wie ihm zu Ohren gekommen war.
Doch passte diese Situation zu ihrer Höhenangst und generell hatte er das Gefühl, sich eher in einer Erinnerung zu befinden, als in einem Konstrukt ihres von Schmerzen vernebelten Geistes. Der Trank schien schlimme Erfahrungen wieder präsenter zu machen, um das Opfer passend zu quälen. Ein durchaus sinnvoller Weg, den er in diesem Fall aber verabscheute.
Das kleine Mädchen rutschte ein wenig am Sims hinab und dann hatte er sie, seine großen kräftigen Hände umfassten ihre Taille und hoben sie hinab, bevor er selbst vom Sessel stieg. Die Kleine klammerte sich heftig zitternd an ihn und er umarmte den zitternden kleinen Körper, strich ihr sanft den Rücken auf und ab. „Schsch...", machte er und kam sich ein wenig albern dabei vor. Was hatte er schon für Wissen darüber, wie man jemanden, wie man ein Kind tröstete? Eines, das gerade ein paar Stunden seine tote Mutter am Balken hatte hängen sehen...
Er sah auf das Mädchen und überlegte kurz, bevor er seinen Zauberstab zog, sein Versprechen einzulösen. Überraschenderweise ließ der Geist der jungen Carrow diese Geste zu und die Mutter der Kleinen löste sich von dem Seil und schwebte hinab auf die Couch, wo dankbarerweise ihr Gesicht im Schatten zum Liegen kam. Avessa, die das beobachtet hatte, begann, heftig zu weinen und er setzte sich auf den Sessel, den kleinen Körper auf seinem Schoß.
Er streichelte sie einfach weiter und murmelte sanfte beruhigende Worte, dass er sie beschützen würde, dass alles wieder gut werden würde, dass ihr niemand etwas tun könnte, denn er hatte sehr wohl die verzerrten Gesichter in den Schatten gesehen, die darauf zu lauern schienen, dass er in seiner Aufmerksamkeit nachließ. Nach einer Weile spürte er, wie ihr Weinen erstarb und sie an ihn geschmiegt einschlief.
So saßen sie eine ganze Weile da und er widerstand der Versuchung, den Geist des Mädchens weiter zu erkunden, um vielleicht herauszufinden, was es war, das ihn so... faszinierte - normalerweise waren ihm Schüler und Schülerinnen völlig egal. Doch traute er sich noch nicht, weiter in den Geist zu dringen, war die Ruhe sehr fragil und er hatte nicht vor, sie in weitere Gefahr zu bringen.
So sah er sich lediglich in dem Raum um. Die Halle war rudimentär vorhanden, nur die für die Szene wichtigen Gegenstände waren klar umrissen, und um die Mutter war ein steter Lichtschein. Vor den Fenstern herrschte Nacht, doch sah er Sterne funkeln und den Mond, der voll und rund war - zum Glück nur hier und nicht in Wirklichkeit.
Er zog sich ein Stück aus ihrem Geist zurück, ohne die Bindung ganz zu lösen, die ihr offensichtlich als Anker diente, nicht in den Tiefen ihres Verstandes zu versinken und sah Lupin leicht lächeln, als er die Augen aufschlug.
„Sie ist weit ruhiger geworden, Severus. Was auch immer Sie getan haben, es hat geholfen." Snape nickte sacht und betrachtete den Körper, der kaum größer schien, als der, der sich eben an ihn geschmiegt hatte und er schüttelte den Kopf. „Wie konnte sie nur so dumm sein?"
Lupin zog eine Augenbraue hoch. „Wie meinen Sie das?" Snape sah mit einem genervten Blick zu ihm, hatte er nicht bemerkt, dass er es laut gesagt hatte. Der Zauber erschöpfte ihn, zerrte der verfluchte Geist der jungen Miss Carrow stark an ihm. Er rieb sich über die Nasenwurzel. „Soweit ich es verstanden habe, haben Mister Malfoy und Miss Carrow an einem lustigen Abend bei den Nott-Brüdern teilgenommen, bei dem es darum ging, unbekannte Tränke des Vaters der Gebrüder Nott zu testen."
Ein Keuchen entkam Lupin und er sah verständnislos auf Avessa. „Sie hätte doch nie dabei mitgemacht! Sie ist viel zu intelligent dafür!", sagte er und Snape schnaubte. „Sie ist ebenfalls dreizehn, Lupin...", sagte er abfällig. „Und in dem Alter ist die Vernunft nicht immer die treibende Kraft." Dann wurde sein Blick hart. „Sollte ich aber herausfinden, dass es nicht ganz freiwillig geschehen ist..." Seine Nasenflügel bebten und die Stirn umwölkte sich gefährlich.
Lupin beobachtete diese Reaktion genau und nickte bekräftigend. „Da kann ich Ihnen nur zustimmen, Severus.", sagte er leise.
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