Kapitel 36

Die erste Nacht in Malfoy Manor war schnell vergangen, da Avessa ungewöhnlicherweise tief und fest, ja traumlos geschlafen hatte. Der Morgen brach gerade erst an, als sie die Augen öffnete und sich in dem verschwenderisch großen Himmelbett wie eine Katze räkelte. Sie gähnte hinter ihrer Hand verborgen und setzte sich dann auf.

Das Zimmer war ausnehmend schön eingerichtet mit erlesenen Möbeln und in einem Erker stand neben einem gemütlichen kleinen Sessel und einem Beistelltischchen auch ein schönes verziertes Bücherregal, in dem eine Auswahl an Büchern stand, die zum einen ihrem Geschmack und zum anderen dem Schulstoff entsprachen und Avessa bewunderte erneut die Akkuratesse Narzissas, die wirklich an alles dachte.

Avessa ließ ihre Finger über die Intarsien an den dunklen Holzbalken ihres Bettes entlangwandern, die ein wunderschönes Rankengeflecht bildeten. Je länger sie darauf sah, desto mehr Einzelheiten fielen ihr auf und sie entdeckte sowohl einige Feen als auch verschiedene Vögel und Halbwesen und ihre Augenbrauen hoben sich.

Halbwesen? In Malfoy Manor? Sie entschied, Narzissa danach zu fragen und erhob sich dann. Ihr langes Nachthemd ging bis über die Knie und so fand sie nichts dabei an die großen bodentiefen Doppelfenster zu treten und diese zu öffnen. Ein kleiner Balkon fügte sich an und sie trat einen halben Schritt hinaus in die eisige Kälte des noch nebligen Morgens.

Tief sog sie die klare Luft ein und schloss die Augen, die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne im Gesicht, während eine Gänsehaut über ihren Körper wanderte und sich alles an ihr vor Kälte zusammenzog. Doch genoss sie das Beißen des kalten Windes ebenso wie den Anblick des aufbrechenden Nebels, der von den Sonnenstrahlen vertrieben wurde und so den Blick freigab auf die Gartenanlagen der Malfoys, die, bedeckt von Raureif, in der Sonne glitzerten.

Wie verzaubert sah sie auf das Schauspiel, bis der Nebel gänzlich verschwunden war und ihr bewusst wurde, wie lange sie bereits nur in ein dünnes Nachthemd gekleidet auf den eisigen Steinen des Balkons gestanden hatte, die mittlerweile schmerzenden Finger etwas verkrampft an dem kalten Stein des Ausgangs abgelegt, war ihre Höhenangst latent vorhanden. Sie zwang sich, wieder hineinzugehen, auch wenn ein Teil von ihr – einer, der lange nicht mehr so deutlich zu spüren war – genoss, wie taub alles an ihr geworden war.

Im Zimmer begann sie heftig zu zittern und beschloss, eine sehr heiße Dusche zu nehmen. Dekadent, wie alles an diesem Anwesen war, hatte sie ihr eigenes Bad, welches sich direkt an ihren Schlafraum anschloss und alles hatte, was man sich als junges Mädchen nur wünschen konnte. So entledigte sie sich ihres Nachthemdes, es auf das Bett legend, bevor sie im Bad verschwand.

Sie duschte lange und heiß und ein genussvolles Stöhnen entkam ihr, als sie spürte, wie sie langsam auftaute und wieder etwas Wärme zu speichern begann. Dann wusch sie sich Haare und Körper. Narzissa hatte ihr Tinkturen mit Lavendel versetzt bereitstellen lassen. Ihr Lieblingsduft. Neben den holzigen, die aber eher männlich angehaucht waren. Dann zuckte der Duft nach Kräutern und Feuer durch ihren Geist und sie lächelte versonnen. Gut, offensichtlich mochte sie mehr als einen Duft. Aber Lavendel mochte sie an sich einfach am liebsten.

Als sie in ihr Zimmer zurückkam, erschrak sie, war nicht nur bereits ihr Bett gemacht, nein, es saß auch Mister Malfoy in dem Sessel im Erker und blätterte in einem Buch, sah aber zu ihr auf, als sie aus dem Bad kam. Sie schlang das große Handtuch enger um sich, fühlte sich aber dennoch unangenehm...schutzlos ohne ihre Kleidung. Ihre Haare hatte sie bereits getrocknet und so fielen sie in silbrigblonden seidigen Wellen ihren Rücken hinab.

Dracos Vater nahm ihre Erscheinung mit offensichtlichem Wohlwollen auf, bevor er ihr in die Augen blickte. Avessa schluckte und erschrak unter der Intensität seines Blickes, doch hatte sie ihre Maske unter Kontrolle und so wölbte sie nur fragend und ein wenig tadelnd eine Augenbraue. „Was machen Sie hier, wenn ich fragen darf, Mister Malfoy?"

Er pochte ein paarmal fast nachdenklich mit seinem Gehstock auf den Boden und betrachtete sie. Erneut saß er da, als würde ihm alles gehören – nun, was ja auch bis zu einem bestimmten Grad stimmte, nur...momentan war sie Gast hier und somit geboten es die Höflichkeit und die Tradition, dass es zurzeit ihr Zimmer war, welches er ohne Erlaubnis betreten hatte. Zumal er spätestens jetzt, da er sah, dass sie noch nackt war unter dem Handtuch, sofort das Zimmer zu verlassen hatte.

Doch sagte sie ihm das natürlich nicht, hatte sie nicht vor, den Plan ihres Vaters wegen ein wenig Unwohlsein zu gefährden, indem sie seinen besten Freund vor den Kopf stieß. Sicher dachte sich Mister Malfoy gar nichts dabei, war sie wie sein Sohn auch, eben nur ein Kind. All diese Emotionen und Gedanken waren in ihr verborgen und sie zeigte ihm nur ihre kühle, fragende Miene, die ebenso aristokratisch war, wie seine eigene. Er musste schmunzeln. „Du könntest wirklich meine Tochter sein, weißt du das, Avessa?", fragte er mit einschmeichelnder Stimme und sie blinzelte irritiert.

„Ich...nun, ja. Es war bereits in meiner Kindheit oft Thema, wie ähnlich die grundsätzlichen Merkmale meines Aussehens den ihren sind und sicher hätte es zu Ärger führen können, wenn ich nicht so deutlich einige Gesichtszüge meines Vaters teilen würde", sagte sie in respektvollen Ton und sah ihn amüsiert schmunzeln.

„In deiner Kindheit, ja?" Er erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung und trat auf sie zu und sie konnte sich gerade so davon abhalten, zurückzuweichen. Er lächelte auf sie hinab und neigte den Kopf. „Heißt das, du bist kein Kind mehr, Avessa?", die tiefe Stimme war angenehm, doch kam sie nicht umhin zu bemerken, dass es einen Bariton gab, der ihr weit mehr unter die Haut ging, als der des Hausherren. Als ihr klar wurde, was sie da dachte, errötete sie sehr leicht, auch wenn ihre Miene weiterhin gelassen blieb.

Lucius, der das Erröten bemerkte, lächelte zufrieden und hob eine Hand an ihre Wange, ließ den Daumen darüberstreichen. „So zart...", murmelte er und diesmal trat Avessa einen deutlichen Schritt zurück, das Kinn reckend und ihm einen, wie sie hoffte, wohl dosierten Blick des Tadels zuzuwerfen, auch wenn alles in ihr kribbelte und brodelte in einer Mischung aus Verlegenheit und Ärger.

„Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mein Zimmer verlassen würden, damit ich mich angemessen kleiden kann, Mister Malfoy", sagte sie leise, doch hörte sie selbst, dass die Gelassenheit ihrer melodischen Stimme von einem leichten Fauchen durchsetzt war. Aber warum auch nicht? Die Situation war ja wohl unangemessen genug, darüber empört zu sein.

Der Hausherr lachte leise und seine Augen blitzten auf, als er zurücktrat und sich leicht verbeugte. „Verzeih, kleine Löwin...ich wollte dir nicht zu nahe treten, nur hatte ich dich bereits vor einiger Zeit auf dem Balkon gesehen und gedacht, du seist bereits auf und würdest gern die Bibliothek in Augenschein nehmen."

Avessa fühlte sich nach diesen Worten ein wenig beschämt, hatte sie die Situation wohl etwas falsch eingeschätzt und so senkte sie entschuldigend den Blick, eine Geste, die Lucius erneut dazu brachte, zu lächeln. „Du bist wirklich eine Augenweide, Avessa. Dein Vater kann stolz auf dich sein. Nun, dann mach dich fertig, wir sehen uns beim Frühstück. Danach ist immer noch genug Zeit, die Bibliothek aufzusuchen."

Damit verbeugte er sich erneut leicht. Als er die Tür hinter sich schloss, setzte sie sich erleichtert auf ihr Bett und spürte, wie sie sehr fein zitterte. Sie wusste nicht, warum, aber etwas an Lucius Malfoy machte ihr Angst...obwohl er so zuvorkommend und freundlich gewesen war. Schnell kleidete sie sich an und band sich das Haar aus dem Gesicht, bevor sie die Treppe in den Salon hinabstieg.

Das Frühstück war natürlich ebenso verschwenderisch, wie alles Andere in diesem Haus, schien Lucius Malfoy es zu genießen, eine große Auswahl zu haben, auch wenn er letztlich nicht viel zu seinem Kaffee aß.

Avessa setzte sich auf den Platz links neben Narzissa, die ihrerseits links vom Hausherrn saß, der am Kopf der langen Tafel speiste, die das Esszimmer beherrschte. Draco kam ein wenig später hinein, als sie bereits beim Essen waren und Avessa zog leicht eine Augenbraue hoch. Bei den Carrows war es Gesetz, dass alle zur selben Zeit frühstückten und ihr Vater war gar kein Freund davon, wenn seine Kinder zu spät kamen.

Hier aber wurde er nur begrüßt und dann begann ein Gespräch darüber, was er heute vorhabe. Er goss sich Saft ein und nahm einen Schluck, bevor er mit den Schultern zuckte. „Ich hatte vorgehabt, mich mit einigen Freunden aus der Schule zu treffen", sagte er ausweichend und Narzissa lächelte. „Oh, wie fein, dann kannst du ja Avessa mitnehmen, nicht wahr, Liebes?" Draco und Avessa warfen sich einen kurzen bestürzten Blick zu und Avessa räusperte sich, ihren Tee abstellend.

„Natürlich würde ich Draco gern begleiten, nur würde ich es bevorzugen, bereits ein wenig für die Schule tun", sagte sie mit einem respektvollen Lächeln und neigte den Kopf gen Lucius Malfoy. „Ihr Mann hat mir angeboten, mir die Bibliothek zu zeigen." Narzissa sah zu ihrem Mann und nickte dann gen Draco.

„Für die Schule arbeiten ist auch sinnvoll, Draco...", sagte sie, doch sprachen ihre verliebten Augen dafür, dass sie alles, was ihr Sohn entscheiden würde, für eine hervorragende Idee halten würde. Avessa kräuselte sehr leicht ihre Nase, doch hatte sie bereits wieder ihre Teetasse vor dem Gesicht, sodass es keiner gesehen haben durfte.

Lucius, der sie beobachtet hatte, nickte und erhob sich. „Nun, dann mal los, Avessa. Ich habe heute viel zu tun." Sie beeilte sich, die Tasse abzustellen und erhob sich ebenfalls. „Vielen Dank für das Frühstück, Narzissa, es war wirklich lecker", sagte sie und Narzissa lächelte sie erfreut an. „Gern, Liebes. Uns ist es eben wichtig, dass für jeden etwas dabei ist." Lucius beugte sich zu seiner Frau und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Ja, meine Narzissa ist eine herausragende Gastgeberin. Ich freue mich daher sehr auf die Weihnachtsfeier." Narzissa strahlte zu ihrem Mann auf und Avessa musste zugeben, dass sie die Leichtigkeit bewunderte, mit der Lucius seine Frau bei Laune hielt. Dann sah sie beschämt zur Seite, war das vielleicht ein etwas zynischer Gedanke...vielleicht hatten die beiden ja eine wundervolle Beziehung, was ging es sie an.

Der Hausherr sah ihren beschämten Blick zur Seite und ein leicht spöttisches Schmunzeln legte sich auf seine Lippen. „Ich vergaß, dass du solche Liebesbezeugungen nicht gewohnt bist, Avessa, entschuldige..." Sie sah zu ihm auf und war froh über ihre jahrelange Übung, da ihr fast die Züge entgleist waren, war es eine sehr unschöne Erinnerung daran, dass es in ihrem Haus kein Pärchen mehr gab, das sich derart seiner Liebe bezeugen konnte. So presste sie leicht die Lippen zusammen und neigte den Kopf.

Doch sprang ihr Draco bei, der sich ebenfalls erhob. „Das hat damit nichts zu tun, Vater, es ist einfach eklig, wenn Erwachsene sowas machen." Er warf Avessa fast sowas wie ein Zwinkern zu, bevor er verschwand. Sie unterdrückte ein Grinsen, welches ihr eh entglitt, als sie den kalten Blick auf Lucius' wie gemeißelter Miene sah, den er seinem Sohn nachwarf.

„Dann komm, Avessa", sagte er fast barsch und legte ihr eine Hand an den Rücken. Sie versteifte sich etwas und beeilte sich dann, mit ihm Schritt zu halten, hatte er offensichtlich wie Snape die Angewohnheit, durch die Gänge zu rauschen, als habe er etwas unheimlich Wichtiges zu tun. Nun...er hatte es ja auch schon erwähnt, dass er viel zu tun hatte.

Die Bibliothek rief bei ihr ein verträumtes Seufzen hervor und das ehrliche und nicht zu unterdrückende Strahlen, welches sich auf ihrem hübschen Gesicht zeigte, als sie die schier endlos erscheinenden Reihen Bücher sah, besänftigten Lucius Malfoy und er entspannte sich sichtlich. Schmunzelnd beobachtete er ihre behutsamen Bewegungen, als sie zu einem Regal schritt, die Rücken der Bücher zu erkunden und erneut fielen ihm ihre anmutigen Bewegungen und die natürliche Eleganz des jungen Mädchens auf.

Aber war sie sicher wie alle anderen weiblichen Mitglieder der reinblütigen Gesellschaft in eben diesen Dingen ausgebildet. Die richtige Haltung, elegante und anmutige Bewegungen durch Tanzunterricht und doch...schien es bei ihr eine natürliche Leichtigkeit zu haben, die man selten sah und so schaute er ihr sehr gern dabei zu und verschwendete keinen Gedanken daran, dass es unangemessen sein könnte. Sie war ein Kind. Wenn auch ein hübsches, was sich gerade am Weihnachtsball zu einer willkommenen Zierde seines Hauses eignen würde.

Avessa bemerkte nichts von dem Mustern. Sie nahm vorsichtig ein Buch aus dem Regal und ihre Augen konnten sich an den Runen nicht satt sehen. „Das...dieses Werk ist...Mister Malfoy, das ist so selten!", hauchte sie. Er trat zu ihr und nickte stolz. „Ja, das ist es. Daher wäre ich dir dankbar, wenn du es besonders vorsichtig behandeln würdest. Aber wie ich sehe, hast du den nötigen Respekt vor Größe und Bedeutsamkeit. Eine Eigenschaft, die mir sehr gut an dir gefällt, ist sie eher selten bei Gryffindors..."

Sie sah schnell zu ihm auf, unsinnigerweise leicht verletzt durch seine Worte, und traf auf einen leicht lauernden Blick aus seinen sturmgrauen Augen. Sie schluckte sacht und wandte den Blick ab, das Buch zurückstellend. Dann setzte sie ein sachtes Lächeln auf, wohl dosiert und passend für die Tochter seines besten Freundes. „Ich danke Ihnen, dass ich hier arbeiten darf. Ich werde nun meine Sachen holen und...", begann sie, doch der Hausherr schwang seinen Zauberstab und ihre Schulsachen erschienen an einem wunderschönen alten Schreibtisch, der wuchtig und in ebenso einem dunklen Holz wie der Rest der Bibliothek in einer großen Nische seinen Platz hatte.

Sie warf ihm einen Blick zu. „Wie praktisch...", sagte sie ruhig und ging zu dem Schreibtisch. Lucius schmunzelte und folgte ihr. „Ja, nun...ich weiß ja, dass Ihr noch keine Zauberei außerhalb von Hogwarts tätigen dürft, da dachte ich, ich greife dir mal unter die Arme...", entkam es ihm beiläufig, während er nachlässig durch ihre Schulsachen blätterte.

Avessa empfand es erneut als einen recht respektlosen Eingriff in ihre Privatsphäre, doch sagte sie abermals nichts dazu, auch wenn es sie reizte, spürte sie deutlich, dass er es als sein Recht ansah, dies zu tun. „Nun, dann will ich Sie nicht länger aufhalten, Mister Malfoy", sagte sie etwas eindringlicher, als geplant und er lachte leise, riss sich dann aber von dem Schreibtisch los.

„Nun, dann viel Spaß, Miss Carrow", erwiderte er und erneut lag ein wenig Spott in seiner Stimme und dem Lächeln, als er die Bibliothek verließ. Die Türen schlossen sich hinter ihm und sie war endlich allein. Sie seufzte und atmete tief durch. Der Duft der Bücher ließ sie lächeln und so machte sie sich an den ersten Aufsatz.

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