Kapitel 35
„Möchtest du etwas vom Wagen, Liebes?" Die alte Hexe lächelte Avessa warm an, doch diese schüttelte den Kopf. Sie hatte bereits zum Frühstück keinen Appetit verspürt und das hatte sich bisher nicht geändert. Sie war unter den ersten gewesen, die in der Großen Halle zum Frühstück gekommen waren, doch hatten sich die Tische schnell gefüllt, sollte der Zug in Hogsmeade früh abfahren. Harry, Ron und Hermine hatten ausgeschlafen, schließlich war der erste Tag der Weihnachtsferien, und so hatte sie sie nicht mehr gesehen. Zum Glück. Avessa hatte es nicht so mit Abschieden, zumal es ja nur zwei Wochen waren.
Dennoch hatte sich ein kleines Zwicken in der Magengegend immer stärker Aufmerksamkeit verschafft, als der Moment näher rückte, wo sie mit ihrem Koffer zu den Kutschen gehen musste und sie die Zwillinge noch nicht gesehen hatte. Verärgert über sich selbst war sie aufgestanden und zum Ausgang gegangen, nur um zu sehen, dass die beiden an ihrem Koffer warteten, den sie ihr nach draußen brachten.
„Wolltest du dich etwa rausschleichen, Silver?", hatte Fred vorwurfsvoll gefragt, auch wenn er ihr zugezwinkert hatte und dann hatten er und George sie umarmt – nur um den Moment kaputt zu machen, oder zu retten, indem sie grinsend gestichelt hatten, dass sie jetzt ja nicht anfangen sollte zu weinen.
Sie sah mit sehr gemischten Gefühlen auf die vorbeiziehende Landschaft, als sie daran dachte. Die letzten Monate hatten sie extrem aus der Bahn geworfen. Sie hatte zwar erwartet, dass sich ihr Leben entscheidend ändern würde, sobald sie Durmstrang verlassen und nach Hogwarts gehen würde, aber so...
Besonders die Beziehungen, die sie zu einigen Menschen aufgebaut hatte waren...intensiv. Nichts an ihrem bisherigen Leben hatte sie auf solch respektlose, natürliche und warmherzige Menschen vorbereitet...oder auf so faszinierende. Schwarze Augen standen vor ihrem inneren Auge und sie blinzelte, sah sich schnell um, als ob sie jemand dabei erwischen konnte, wie sie an den Menschen dachte, der sie noch mehr irritierte...aber auch faszinierte, als all die impulsiven Gryffindors zusammen. Was natürlich Großteils an ihrer Unfähigkeit seine Gefühle zu erfassen lag.
Sie zuckte zusammen, als ihre Abteiltür geöffnet wurde und hörte ein hämisches Lachen, sah den Jungen, den sie die letzten Wochen fast vollständig ignoriert hatte. „Hey, Malfoy...was ist?", fragte sie gelangweilt und er ruckte mit dem Kopf. „Wir sind gleich in London. Und ich habe keine Lust, dass wir auf dich warten müssen. Schlimm genug, dass du zu uns kommst." Avessa sah ihn nur kalt an, eine Grimasse schneidend, als er sich abwandte und erhob sich dann.
Sie hatte ihren Schulumhang gegen einen schwarzen langen Mantel getauscht, der im Grunde nicht viel anders aussah, doch fehlten daran ebenso die Gryffindorfarben wie an ihrem moosgrünen Rollkragenpulli und dem schwarzen knielangen Faltenrock, welcher einen grünen Streifen am Saum hatte. Ihre langen Beine steckten in einer schwarzen blickdichten Strumpfhose. Ja, sie war eine Gryffindor, aber sie liebte diese Farben...und irgendwie war es sicher sinnvoll, die kommenden zwei Wochen nicht die „Gryffindor" rauszukehren – zumal sie sich immer noch nicht wirklich damit arrangiert hatte.
Als der Zug hielt, stand sie bereits mit ihrem Koffer im Gang, auch wenn sie es hasste, inmitten all der aufgeregten Kinder zu stehen, die durcheinanderredeten und so aufgeregt waren, ihre Familien wiederzusehen...so viele heftige Emotionen erschöpften sie meist. Mit aufrechter Haltung und leicht herrischer Miene kam sie als eine der ersten aus dem Zug, schienen die anderen ihr lieber Platz machen zu wollen, und trat mit ihrer ihr eigenen Anmut auf den Bahnsteig, sich umblickend.
Als sie jemand fest am Arm packte und in eine Richtung dirigierte, ruckte ihr Kopf herum, der Blick wütend. „Lass mich los, Malfoy!", zischte sie und ihr Blick versprach ihm Schmerzen, sollte er es nicht tun. Doch er grinste nur leicht und drückte fester zu, was in ihrem Blick die eigenen Schmerzen aufblitzen ließ. Erst dann ließ er sie los, den Blickkontakt noch einen Moment haltend, bevor er sich mit einem süffisanten Gesichtsausdruck abwandte und zu dem Paar ging, um das alle anderen einen großen Bogen machten.
Narzissa umarmte ihren Sohn strahlend und Lucius legte eine Hand auf seine Schulter, doch suchte sein Blick schon den ihren. Ein gewinnendes Lächeln legte sich auf die Lippen des so selbstsicheren Mannes und Avessa spürte erneut, wie ihr ein wenig warm wurde. Sie trat an die Malfoys heran und lächelte höflich, einen kleinen Knicks vor ihnen machend, wusste sie, wie sich ein Mädchen in dieser Welt zu verhalten hatte. Auch wenn sie nicht vorhatte, dasselbe zu werden, wie Narzissa. Eine schöne Frau, die rein als Dekoration und gute Hausfrau gebraucht wurde, die den Ablauf eines Abends perfekt beherrschte und eine Konversation nie sterben ließ.
Avessa verachtete diese Frauen nicht, im Gegenteil, wusste sie sehr wohl, was für Arbeit und Wissen dahintersteckte und auch, dass diese Frauen weit mehr Fäden in der Hand hatten, als die Männer je ahnen würden, aber...es war nichts für sie. Die ganzen Spielchen...sie wusste sie zu spielen, aber sie tat es nicht gern und nach all der Zeit, die sie nun in Gryffindor verbracht hatte bei Menschen, die es gar nicht taten, wusste sie, würde es ihr noch schwerer fallen.
Doch war ihre Erziehung tadellos und ihre Maske der, in diesem Fall, höflichen Gleichgültigkeit verriet nichts über ihre Gedanken. Auch sie ließ sich in eine kurze Umarmung ziehen, die so anders war, als die der Zwillinge. Verflucht, warum dachte sie an die beiden? Sie rief sich innerlich zur Ordnung und lächelte Narzissa an, etwas verlegen, als auch Lucius sie kurz umarmte.
„Es ist schön, dass du da bist, Avessa", raunte er ihr zu und die Stimme so nah an ihrem Ohr ließ ihre kühle Miene wanken, als sie etwas irritiert blinzeln musste, die Wangen warm. Narzissa schmunzelte und tippte Lucius auf den Arm. „Lass das arme Mädchen doch. Wie du siehst, machst du sie verlegen." Lucius' Augen funkelten amüsiert ob ihrer offensichtlichen Scheu und verbeugte sich mit einem leicht spöttischen Schmunzeln, bevor er sich abwandte. Narzissa sah zu Avessa und deutete auf ihren und Dracos Koffer, sowie auf Zephyrias Käfig.
„Das werden die Hauselfen gleich holen. Wir apparieren von hier zu unserem Anwesen. Du kommst mit mir, Draco mit seinem Vater." Avessa, die bisher schon einige Male mit ihrem Vater Seit-an-Seit appariert war, wurde dennoch etwas mulmig, da sie das Gefühl nicht mochte. Doch erneut ließ sie sich nichts anmerke und nickte. „Gern, Mrs. Malfoy."
Sie bekam einen kurzen Blick ab. „Nenn mich Narzissa, Liebes. Wie früher auch." Avessa nickte und nahm dann den angebotenen Arm. Sie fühlte sich, als ob sie durch eine viel zu enge Röhre gequetscht wird und umfasste ihren Zauberstab fester, auch wenn sie wusste, dass sie nicht aktiv helfen konnte. Dennoch stellte sie sich das Anwesen der Malfoys vor und schon im nächsten Augenblick waren sie am Ende eines langen Kieswegs.
Avessa atmete tief durch und strich sich ihr Haar zurück. Narzissa lächelte schmal aber zufrieden auf das junge Mädchen und schritt dann mit ihr auf das Tor zu. Der Garten war atemberaubend schön, eher eine Parkanlage mit wundervoll geformten Bäumen und weißen Pfauen, die durch ihn schritten, doch wusste Avessa, dass der wirkliche Stolz Narzissas hinter dem Haus lag, wo es einen ‚Lustgarten' und einen sehr erlesenen Kräutergarten gab.
Sie hörte hinter sich das leise Plopp und dann die festen Schritte auf dem Kies, die von der Selbstsicherheit der männlichen Malfoys kündete und fast musste sie lachen, als sie merkte, dass sie Draco gerade dazu gezählt hatte. Sie betraten das Haus und gaben ihre Mäntel dem Hauselfen und Narzissas Blick ging prüfend über Avessas Kleidung, die offensichtlich angemessen schien. „Folge mir bitte in den Salon, Liebes", sagte sie und so folgte Avessa ihr in den Raum, der fast ballsaalartige Ausmaße hatte.
Er war wirklich fast lächerlich ausladend mit einem alles beherrschenden Kamin, in dem ein großes Feuer loderte und Avessa fragte sich kurz, wie ein so herrliches Feuer so leise sein konnte...und so wenig Wärme und Gemütlichkeit verströmte. Dabei war der Salon sehr schön eingerichtet, mit dunklen Möbeln aus edlem Mahagoni und Zypressenholz, einer wuchtigen Sitzgruppe mit dunkelgrünem Polster und dem glänzenden dunkel gehaltenen Marmorboden. Es gab einige sehr große, reich verzierte Gemälde an der Wand, das größte hing über dem Kamin und zeigte Abraxas Malfoy, den Vater Lucius', der sie mit Argusaugen zu betrachten schien.
„Eure Koffer sind bereits oben und Zephyria ist in der Voliere im Wintergarten. Wenn du sie hinauslassen willst, sag es einem der Hauselfen", informierte Narzissa sie und Avessa nickte. „Danke, Narzissa. Auch, dass ich die Ferien hier bei Ihnen verbringen darf, das ist wirklich sehr großzügig."
Narzissa Malfoy lächelte selbstgefällig. „Nun, als wir hörten, was passiert ist, waren wir natürlich ebenso geschockt, wie dein Vater und als er dann bat, dich über Weihnachten aufzunehmen, war es uns eine Ehre, helfen zu können."
Avessa sah sie einen Moment an, hörte sie sehr wohl den Tadel und die leichte Zufriedenheit raus, dass Aaron Carrows Tochter ihm Schande gemacht hatte. Trotz ihrer Freundlichkeit, war Narzissa schon immer besorgt gewesen, die Carrows könnten wichtiger sein, als die Malfoys. „Nun, mein Vater weiß um die Vorteile, die ein Familienmitglied in eben jenem Haus haben kann...", sagte sie wie beiläufig, doch wandte Narzissa ihr wie erwartet den Kopf schnell zu, einen lauernden Blick hinter ihrem Lächeln mehr schlecht als recht verbergend.
„Ist das so...? Nun, er wird es schon wissen...", sagte sie leichthin und bot Avessa dann mit einer eleganten Geste einen Platz auf der Couch an. Auf dem glänzenden dunklen Tischchen davor erschienen ein Teeservice und Avessa zog den Duft des Kräutertees genussvoll ein.
Sie setzte sich mit einer anmutigen Bewegung auf die Kante des Sofas und nahm die Tasse gerade entgegen, als Draco und sein Vater den Salon betraten. Draco wirkte genervt und warf ihr einen bösen Blick zu, den sie ausdruckslos erwiderte, bevor Lucius ihre ganze Aufmerksamkeit forderte, als er sich in dem Sessel schräg vor ihr niederließ und die Beine überschlug. Seinen Gehstock mit dem Schlangenkopf hatte er in der rechten Hand und wie er da so saß, gab er das perfekte Bild des reichen arroganten Reinblüters ab.
Er nahm ebenfalls eine Tasse von seiner Frau entgegen und schenkte ihr ein dankbares Lächeln, welches sie zu erfreuen schien, auch wenn Avessa sich darüber etwas wunderte, erreichte es nicht seine Augen. Doch was erwartete sie auch im Hause Malfoy? Warmherzigkeit? Wohl kaum. Ebenso wie in ihrem zu Hause waren strenge Konventionen und genaue Rollenbilder, vorgegebenes Verhalten von immenser Wichtigkeit, urteilte man darüber über den Status, den jemand innehatte. Und der der Malfoys war hoch. Sehr hoch.
Ebenso wie der, deiner Familie! Sie reckte ihr Kinn bei dem Gedanken und erwiderte den Blick Mister Malfoys zwar respektvoll aber fest. Dieser schmunzelte und hob die Tasse an seine Lippen. „Ein hervorragender Tee, Narzissa. Vielen Dank." Avessa nahm schnell einen Schluck, damit keiner ihr Grinsen sah, war Narzissa Malfoy sicher die letzte, die selbst einen Tee machen würde...
„Nun, Avessa, sei erneut willkommen in unserem Haus. Draco wird sich gern um dich kümmern, aber wenn du dennoch etwas brauchst, wobei er nicht helfen kann, sind wir natürlich immer gern bereit dazu, also zögere nicht, zu uns zu kommen." Avessa spürte und hörte den Nachdruck in Lucius Malfoys Worten und wusste, dass dieser Draco galt, der sich ganz sicher nicht gern um sie kümmerte.
„Nun, Mister Malfoy...wo Sie das gerade ansprechen. Ich habe eine große Menge Hausaufgaben und wollte fragen, ob...ich diese eventuell in ihrer Bibliothek erledigen könnte, die Tage." Sie sah Dracos Blick, der leise schnaubte. „So viele Hausaufgaben sind das gar nicht.", sagte er, doch verstummte, als sein Vater ihm einen deutlichen Blick zuwarf. Nicht scharf oder gar warnend. Nein. Lucius Malfoy wusste genau, wie er die Intensität eines Blickes dosieren musste, damit es exakt die richtige Nuance traf und die Reaktion hervorrief, die er erzielen wollte.
Avessa sah ebenfalls kurz kühl zu dem Sohn. „Du vielleicht nicht, Draco, doch habe ich ein paar Extraaufgaben bekommen." Draco grinste. „So schlecht, dass du deine Note verbessern musst?" Ihr Blick wurde ein wenig mitleidig und in ihren Augen funkelte Genugtuung. „Nein, Draco...so gut, dass ich schon vorarbeiten darf", sagte sie sanft und respektvoll - schließlich waren immer noch seine Eltern zugegen.
Dracos Miene verzog sich und sein Vater lachte leise, auch wenn Avessa spüren konnte, dass es ihn störte, dass sein Sohn nicht so gut zu sein schien. „Autsch, Draco. Sei vorsichtig. Löwinnen haben Krallen." Avessa errötete sacht und Narzissa schürzte leicht abfällig die Lippen, ihrem Mann einen etwas irritierten Blick zuwerfend.
Dieser nickte leicht. „Sicher darfst du die Bibliothek nutzen, Liebes...Aber solltest du die Bücher nicht mit der nötigen Sorgfalt behandeln, wirst du die Konsequenzen tragen müssen...", sagte er genüsslich und selbst sie als Empathin konnte nicht sagen, ob er es ernst meinte...doch, er meinte es ernst, doch war nicht ersichtlich, wie gravierend die Konsequenzen wären, war seine Gemütslage gerade eher...belustigt...?
Dracos Lippen verzogen sich empört und verächtlich, woraus Avessa schloss, dass er bisher nicht in den Genuss gekommen war, die Bücher als Nachschlagewerke zu nutzen und so nahm sie schnell noch einen Schluck ihres Tees. Es erinnerte sie ein wenig an zu Hause, wo Elijah und Alaric auch immer hinten an gestellt wurden...nun, in dem engen Rahmen, in dem Mädchen sich entfalten durften in dieser Welt. Doch hatte Avessa nicht vor, dem letztlich wirklich zu entsprechen...
Sie unterhielten sich noch ein wenig oberflächlich über die Schule, auch wenn Avessa immer stärker bewusstwurde, wie wichtig die richtigen Antworten waren und langsam dämmerte es ihr, dass ihr Vater sie nicht ganz ohne Hintergedanken zu den Malfoys geschickt hatte. Wie hatte sie das auch annehmen können?
Er tat nie etwas, ohne Hintergedanken. Alles war genau geplant, diente einem bestimmten Zweck und hier...nahm Avessa an, dass es wichtig war, wie die Malfoys über „die Löwin" unter den Carrows urteilten in der reinblütigen Gesellschaft – wie sie den tierischen Vergleich hasste.
Als die Malfoys dann fallen ließen, dass sie zu Weihnachten eine große Gesellschaft geben würden, war Avessa restlos davon überzeugt, dass dies eine Prüfung war. Eine, die sie nicht vermasseln durfte.
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