Kapitel 24
Avessa ging schnellen Schrittes den Gang entlang und einige Treppen hoch, ohne wirklich auf ihre Umgebung zu achten. Zu sehr waren ihre Gedanken bei dem, was eben passiert war. Sie fühlte sich völlig aus der Bahn geworfen, dass sie mit so etwas Einfachem wie einem Irrwicht nicht klargekommen war. Sie erklomm eine Treppe und...
„Avessa!", erklang schräg hinter ihr eine Stimme und sie erschrak zutiefst. Sie wirbelte herum und zog unwillkürlich den Zauberstab, was ihren älteren Bruder, der an der Brüstung entlang auf sie zukam zu einem fassungslosen Blick veranlasste. Er hatte seinen eigenen Zauberstab in der Hand und „Expellearmus!" gezischt, bevor sie überhaupt auf die Idee gekommen war, zu zaubern.
Sie keuchte erschrocken, während sie heftig zusammenzuckte und ihren Stab instinktiv mit beiden Händen fester umfasste. Der Stab zuckte, doch blieb er bei ihr und ein Schimmern erschien zwischen ihr und Alaric. Alaric knurrte und trat näher an sie heran, bis es erneut leicht aufflackerte und er stoppen musste.
„Avessa Carrow...", sagte Alaric und die nur mühsam unterdrückte Wut, die sie in der Stimme ihres sonst so beherrschten Bruders hören konnte, ließ sie im Atem verharren und ihre Beine begannen zu zittern, während ihr Tränen in die Augen stiegen. „Senke den Schild, oder ich schwöre dir, du wirst es bereuen." Das Schimmern schwand augenblicklich und Elijah und er traten näher, was sie ungewollt einen Schritt nach hinten machen ließ.
Sie stieß gegen das Geländer und sah unwillkürlich hinter sich und damit in den Abgrund. Der Irrwicht! Das musste es sein! Sie war ihm noch nicht entkommen! Die Lider zusammenpressend versuchte sie, sich auf den Zauber zu konzentrieren, doch schnipste es neben ihrem Ohr und sie riss die Augen auf.
Alaric starrte auf seine Schwester hinab, neben ihm Elijah, der verständnislos den Kopf schüttelte. „Was fällt dir ein, den Zauberstab gegen deinen Bruder zu erheben, Avessa?", fragte Alaric eindringlich, nun aber wieder kontrolliert und beherrscht, besänftigt durch ihre defensive Haltung und eher ausweglose Position zwischen ihnen und der schweren Brüstung aus Stein.
Avessa schluckte bei dem Anblick, doch gewann schnell die Wut die Oberhand und sie warf den Kopf zurück, zu ihren Brüdern auffunkelnd, die fast schon bedrohlich dicht vor ihr standen. „Was mir einfällt?!", fauchte sie und ihre Stimme klang etwas heiser durch die heftige Aufregung dieses Abends. „Was fällt Euch ein, mir aufzulauern und zu versuchen, mich zu entwaffnen?!" Ihr flammender Blick traf erst Elijah, dann Alaric, dessen Miene ihre Wut abkühlte.
Der Muskel an seiner Wange zuckte und sie spürte den Impuls, einen Schritt zurückzuweichen, doch konnte sie ihn diesmal unterdrücken. Wohin hättest du auch ausweichen sollen...? Sie ignorierte die innere Stimme und biss sich auf die Innenseite ihrer Wange. Es war so ungerecht! Seit sie klein war hatten ihre Brüder sie schikaniert und sich einen Spaß daraus gemacht, sie zu verängstigen...auch wenn sie selten wirklich gewalttätig geworden waren.
Dennoch hatten insbesondere Alarics Vergnügen, ihr gegenüber seine Macht auszuspielen eine leichte, tief verankerte Angst geschürt, die nun jedes Mal, wenn sie auf die beiden traf, lautstark um Aufmerksamkeit heischte.
Doch ebenso hatte sie daran gearbeitet, die beiden nie sehen zu lassen, wie es ihr ging, auch wenn sie das nur noch mehr angestachelt hatte. Es war einfach ihre einzige Möglichkeit, gegen sie zu rebellieren und ihr Stolz und ihr Wille waren zu stark, als dass die Angst sie völlig unterdrücken konnte. Meistens zumindest...
„Und nun lasst mich gehen, es ist spät. Ich fasse es nicht, was ihr euch erdreistet. Wäre Vater hier, würdet ihr Feiglinge niemals..." Es klatschte und ein Schmerz explodierte in ihrer Wange, der sich rasend schnell über ihr ganzes Gesicht ausbreitete, welches zur Seite geruckt war. Alaric senkte die Hand und lehnte sich zu ihr, vor deren Augen Funken tanzten.
Er blickte über sie hinweg, seine Lippen dicht an ihrem Ohr. „Wenn du noch einmal derart respektlos mit mir oder Elijah sprichst, wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein, Schwesterchen. Und du weißt, dass ich das ernst meine, nicht wahr?", setzte er im Plauderton hinzu und packte sie am Kinn, welches er drehte, damit sie ihn ansehen musste.
„Nur, weil der Hut der irrigen Vorstellung aufsaß, dich nach Gryffindor zu schicken, heißt es nicht, dass du dir uns gegenüber irgendwelchen falschen Mut zulegen solltest." Er ließ verächtlich von ihr ab. „Und da ist es egal, ob Vater nun in der Nähe ist, oder nicht. Glaub mir, ihm würde es auch nicht gefallen, wie du dich verhältst."
Avessa zitterte heftiger und ihr wurde schlecht. Er war eigentlich nie derart offensiv in seinen Worten und Taten, da es ihm meist reichte, sie subtil zu ängstigen, damit niemand merkte, wie es zwischen ihnen stand. Dass er es nun tat, verwirrte sie und sie wich seinem Blick erneut aus, war heute einfach nicht mehr genug Kraft in ihr.
Sie wünschte, sie hätte Lupins Angebot angenommen, sie zu begleiten, doch hatte sie nicht damit rechnen können, dass ihre Brüder sie abpassen würden. Du bist ihnen tagelang aus dem Weg gegangen, was dachtest du, was sie tun würden?
Wann war es so schlimm zwischen ihr und ihren Brüdern geworden? Zugegeben, die letzten zwei Jahre hatte sie sie kaum gesehen, da sie während er Ferien in Durmstrang geblieben war... Sie wusste einfach nicht, was sie ihnen getan hatte, waren sie selten grundlos gemein zu ihr. Also derart grundlos.
„Also, Schwesterchen..." fuhr Alaric nun wieder fast freundlich fort und er ließ sie los, sich mit verschränkten Armen aufrichtend. „Hatten wir nicht gesagt, dass du zu Dumbledore gehen sollst?"
Avessa rieb sich das Kinn und blinzelte schneller, die Tränen zurückzuhalten, während sie versuchte, sich zu sammeln. Bei seinen Worten entkam ihr ein Schnauben und als Elijah daraufhin eine ungeduldige Bewegung mit der Hand machte, zuckte sie zurück, sich selbst dafür verachtend.
„Ich war dort...", sagte sie leise und verschränkte ihrerseits die Arme, damit ihre Brüder das Zittern nicht so stark sehen konnten. Sie reckte ihr Kinn und straffte sich. „Er hat gesagt, dass er zu diesem Zeitpunkt keine Veranlassung sieht, mich das Haus wechseln zu lassen und er es sich in einem halben Jahr gern nochmal überlegt, sollten sich die Umstände bis dahin geändert haben." Dass er ihr auch gesagt hatte, sie hätte eine Chance gehabt, hätte sie nur dem Hut deutlich gemacht, dass sie nicht nach Gryffindor wollte, verschwieg sie wohlweislich.
Alaric und Elijah sahen sich an. „Verdammter Muggelliebhaber, was bildet er sich ein, den Wunsch einer Carrow zu übergehen?", fragte Elijah zähneknirschend und Alaric zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Ich nehme an, er weiß es, wie immer, besser...", sagte er und betrachtete seine kleine Schwester aus schmalen Augen.
„Und du bist sicher, dass du es deutlich gemacht hast, Vessa?" Sie verengte ihrerseits die Augen und sah ihn entrüstet an. „Ja, Alaric. Denn auch wenn es dir nicht gefällt, habe ich sehr wohl eine eigene Meinung und wäre auch ohne Eure...Bitte zu ihm gegangen. Ich ganz persönlich bin nämlich der Überzeugung, dass ich weit besser nach Slytherin gepasst hätte als nach Gryffindor!"
Sie atmete tief durch und presste die Lippen aufeinander. „Es ist spät. Ich sollte nicht nach neun in den Gängen aufgefunden werden.", sagte sie kühl und Alaric sah zu ihr, als hinge er noch anderen Gedanken nach. Dann aber lächelte er ebenso kühl. „Achja...", sagte er und blickte angewidert auf ihre Hausfarben. „10 Punkte Abzug für Gryffindor...", er machte eine Pause, in der sie empört den Mund öffnete, bevor er weitersprach und sie damit verstummen ließ. „...für das Zaubern in den Fluren des Schlosses...das ist verboten, Avessa."
Elijah lachte leise und Alaric lächelte schmal, während Avessa die Zähne zusammenbiss und den Kopf schüttelte. „Ihr seid unglaublich...", sagte sie leise. „Niemals hättet ihr euch zu Hause all das getraut..." Sie wusste, es war dumm, erneut auf das Thema zu kommen, doch konnte sie nicht anders. Es war einfach eine Tatsache, dass sie sich niemals so verhalten hätten, wenn ihr Vater in der Nähe gewesen wäre.
Elijahs Hand schnellte vor und hatte ihren Oberarm umfasst, bevor sie reagieren konnte. Er drückte fest zu und sah sie aus schmalen Augen an. Gerade er mochte es nicht, so dargestellt zu werden, als habe er keine eigene Meinung. Das kam der Wahrheit zu nah, da er als jüngerer Bruder immer auf Alaric – und beide eben auf ihren Vater – hatte hören müssen. Sie zischte und versuchte, ihren Arm wegzuziehen. „Lass mich los, Elijah!", fauchte sie. „Ehrlich, ich mag nicht mehr!"
„Ich an Ihrer Stelle würde tun, was sie sagt...", kam eine feste und wütend klingende Stimme vom Fuß der Treppe, die Avessa in den paar Tagen, die sie sie kannte, nie anders als warm und freundlich, vielleicht sogar ein wenig schalkhaft gehört hatte. Automatisch fügte sich ihr Bruder der Aufforderung und kaum, dass er sie losgelassen hatte, huschte Avessa schnell zwischen ihren Brüdern hindurch, den Drang beider spürend, sie daran zu hindern.
Doch hinderte sie ihrerseits die Anwesenheit eines Professors an solchen Handlungen und so stellte sich Avessa neben den Treppenansatz, wo Professor Lupin mit dunklen Augen ankam. Er stellte sich schräg vor Avessa, wie um sie zu schützen. „Was ist hier los?", fragte er scharf. Alaric und Elijah sahen ruhig zu Professor Lupin, auch wenn es in ihnen brodelte, wie Avessa sehr gut spüren konnte.
Avessa, bleich und mit dunklen großen Augen, wurde bewusst, wie nah sie der Treppe nach unten war und sie positionierte sich um, etwas mehr in den Gang hinein. Die drei bemerkten ihre Bewegungen gar nicht, schienen sie sich nicht aus den Augen lassen zu wollen. Sie selbst spürte zwar Erleichterung darüber, dass Professor Lupin aufgetaucht war, doch gleichzeitig brannte Scham in ihr, dass jemand mitbekommen hatte, wie es zwischen ihr und ihren Brüdern manchmal lief. Sie war kein Opfer!
Avessa verschränkte ihre Arme und presste die Lippen zusammen, während Alaric endlich Lupin antwortete. „Eine Meinungsverschiedenheit unter Geschwistern, Sir", sagte er locker und sah dem Professor fest in die Augen, der seinerseits schmunzelte und die Augenbrauen wölbte, als er die Herausforderung sah, die der junge Mann in seinem Blick hatte. „Ist das so, Mister Carrow? Dann bin ich ja froh, dass ich hier bin, diese zu beenden. Es ist nämlich gleich neun und im Gegensatz zu ihrer Schwester sind Sie beide so weit von ihrem Gemeinschaftsraum entfernt, dass sie es nicht mehr schaffen dürften, rechtzeitig anzukommen..."
Avessa sah wie Alaric und Elijah einen Blick aus dem Fenster warfen und musste ein Grinsen unterdrücken. Wenn sie ehrlich wegen so einer Lappalie nun Ärger bekamen, würde sie wohl einen Lachkrampf kriegen... Doch blieb ihre Miene dankenswerterweise ausdruckslos, als Professor Lupin die beiden mit je 5 Punkten Abzug für Slytherin in ihren Gemeinschaftsraum schickte. Die Blicke ihrer Brüder waren eine Mischung aus angeekelt und mörderisch. Ausnahmsweise galten sie aber gerade nicht ihr.
Der Professor nahm sie beim Arm und führte sie in den Gang Richtung Turm. Als er sicher war, dass sie allein waren, warf er ihr einen sorgenvollen Seitenblick zu und bliebt stehen. „Geht es dir gut, Avessa?", fragte er und die sanfte Stimme ließ einen Kloß in ihrem Hals entstehen. Sie brauchte einen Moment, bis sie ansatzweise sicher war, nicht in Tränen auszubrechen, sobald sie den Mund aufmachte.
„Ich...", begann sie und räusperte sich. Dann nickte sie leicht, seinem Blick aber gen Boden ausweichend. „Ja, Sir. Es geht mir gut." Lupin ließ den Blick über sie wandern, doch im Halbdunkel der Flure konnte er nichts entdecken, was auf etwas Anderes hindeutete. Dennoch konnte er deutlich, sehen, wie aufgewühlt das junge Mädchen war und er schalt sich innerlich, sie nicht gleich begleitet zu haben.
„Wir...hatten nur einen Streit, wie mein Bruder gesagt hatte. Nicht mehr", spulte sie ab und verbarg ihre Emotionen wie gewohnt hinter einer Mauer. Lupin nickte langsam. „Wegen der Hauszugehörigkeit, nehme ich an?" Sie lächelte schwach, sah ihn aber immer noch nicht an, wusste sie, dass sie seine mitfühlende Miene nicht hätte ertragen können. Es an ihm zu spüren, war schlimm genug.
„Ja, Sir...ich hatte vergessen...sie zu informieren, dass ich bei Professor Dumbledore gewesen bin, um das Haus zu wechseln und er es abgelehnt hatte...Es war meine eigene Schuld, Sir." Lupin knurrte leise und sie sah erschrocken zu ihm, spürte sie eine Wildheit in ihm, die nicht zu dem freundlichen Mann passte, als den sie ihn bisher gesehen hatte.
Er packte sie am Arm und sie zischte leise, war es dieselbe Stelle, die Elijah umfasst hatte. Sofort ließ Lupin sie los, aber es schien ihm schwer zu fallen. „Ich will, dass du dir eines klar machst, Avessa. NICHTS, was eben passiert ist, ist DEINE Schuld. Ist das klar?" Sie nickte mechanisch, doch er umfasste ihr Kinn und zwang sie ihn anzusehen. „Es. Ist. Nicht. Deine. Schuld."
Ärger blitzte in ihren Augen auf über die Tatsache, dass sich jeder Mann das Recht herausnahm, sie zu bevormunden und anzufassen. Sie war kein Kind mehr! Als Lupin das Lodern in ihrem Blick sah und sie leise fauchen hörte, musste er lachen und ließ sie los. „Na siehst du...eindeutig eine Löwin und keine Schlange." Auch das brachte ihm einen bösen Blick ein, doch atmete Avessa dann tief durch, sich beherrschend.
„Ich bin es nur leid, dass alle mich als Kind sehen und meinen, mir sagen zu dürfen, was ich wie sehen soll, oder was ich zu tun habe...", sagte sie kühl, aber entnervt und erneut lächelte Lupin. „Aber du bist noch ein Kind, Avessa. Du bist dreizehn. Dich trennen noch einige wichtige Jahre von der Volljährigkeit." Sie wedelte mit der Hand und setzte ihren Weg fort, erleichtert, dass sie nicht mehr von ihm bemitleidet wurde.
Als sie an das Portrait der Fetten Dame kamen, wandte Avessa sich zu ihm um, nun erneut verlegen. „Sir, ich...danke Ihnen...und wäre es wohl möglich..." Sie sah ungewohnt unsicher zu ihm auf und sein Blick wurde weich. „Natürlich, Avessa. Das bleibt unter uns. Aber wenn du mal dahingehend Hilfe brauchst..." Sie nickte schnell, bevor er weiterreden konnte und sagte der Fetten Dame das Passwort, die daraufhin zur Seite schwang und den Durchgang zum Gemeinschaftsraum freimachte, durch den Avessa verschwand.
Lupin sah ihr nachdenklichnach, bevor er auch der Fetten Dame eine gute Nacht wünschte und sich umdrehte.Er hatte nicht vergessen, dass der Abgrund, den sie fast in den Griff bekommen hätte, verschwunden war, um einer Stimme Platz zu machen, die ihr,wenn er an den Ausdruck in ihrem Gesicht dachte, weit mehr zugesetzt hatte, als es der Abgrund je gekonnt hätte. Und wenn ihn nicht alles täuschte, hatte er die Stimme eben noch gehört.
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