Kapitel 1
"Mooom! Beeil dich, der Zug fährt gleich ab!" - "Wo ist meine Kröte?" - "Jetz kommt schon!" - "Trevooor!" - "Lee! Gut, dich zu sehen! Weißt du schon das Neuste?"
Alles rief und brabbelte und schrie durcheinander, nur eine Familie stand ruhig und gemessen beisammen. Ein offensichtlich sehr gut situierter Vater mit seinen zwei wohl bereits erwachsenen Söhnen und einer Tochter. Die Jüngste, Avessa, stand völlig still in diesem Tumult neben ihrem Vater, der sich mit ihren älteren Brüdern leise unterhielt. Worüber wusste sie nicht, aber es interessierte sie auch gerade nicht wirklich.
Was für ein Chaos! Alles wuselte durcheinander. Kinder, Eltern und Eulen schrien, stritten, lachten. Die grauen Augen des dreizehnjährigen Mädchens glitten über die Zauberer und Hexen, die nun fast alle zu den Türen des roten Zuges strömten, der in ein paar Minuten von Gleis 9 3/4 abfahren sollte. Dieses Jahr nun auch mit ihr.
Die letzten zwei Jahre hatte sie auf Wunsch ihres Vaters in Durmstrang verbracht, wie ihre Brüder vor ihr und dort war es weit weniger...unorganisiert. Oder fröhlich. Oder warm! Avessas Mundwinkel hoben sich zu einem sachten Schmunzeln, als sie daran dachte, wie verflucht kalt es an wirklich jedem einzelnen Tag an der Schule gewesen war. Dass dicke Mäntel und Wollmützen zur Schuluniform gehörten, dürfte ja für sich sprechen. Sie war so dankbar, endlich nach Hogwarts zu kommen, nicht zuletzt, weil ihr Englisch einfach so viel besser war, als ihr Bulgarisch...oder Russisch...oder was sie da noch alles gesprochen hatten.
Ihre beiden Brüder waren bereits im 6. und 7. Jahr ihrer Ausbildung und beide waren Slytherins. Avessa selbst war natürlich noch nicht zugeordnet worden, doch war es nur eine Formalität, bis sie selbst das Grün und Silber des Hauses Slytherin tragen durfte. Auch wenn das bedeutete, dass ihre Brüder dann wirklich ständig in ihrer Nähe waren, aber - "Avessa!" sagte ihr Vater und sah zu ihr hinab, hinter der strengen Miene ein leichtes Schmunzeln, dass er sich eigens für seine Tochter aufhob und welches er selbst verleugnet hätte, wäre er darauf angesprochen worden. Seiner Meinung nach behandelte er sie ganz genauso wie ihre zwei Brüder.
"Träumst du?" Das Mädchen sah zu ihrem Vater auf und schüttelte den Kopf. "Nein. Ich beobachte nur dieses Chaos!" sagte sie und sah sich etwas fassungslos um und ihr Vater lachte, während die Brüder sie amüsiert anblickten. "Tja, Avessa" sagte Alaric, der ältere der beiden. "Du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass es hier weit lascher zugeht, als in Durmstrang." Seine kühle Miene machte nicht deutlich, was er davon hielt, doch Elijah, der jüngere, grinste erneut. "Dafür ist es hier nicht so kalt. Ich bin damals fast auf meinem Besen festgefroren." Elijah war passionierter Quidditchspieler und einer der Treiber der Slytherins.
Avessa rümpfte so leicht die Nase, dass er es nicht sah. Sie hasste Quidditch. Naja, nicht den Sport an sich, eigentlich, aber...Höhen. Von klein auf plagte sie starke Höhenangst, die einfach jeden Flug von vornherein ausschloss. Zum Glück hatte ihr Vater, der sonst keinerlei Schwächen bei seinen Kindern tolerierte, sowohl in Durmstrang, als nun auch in Hogwarts, dafür gesorgt, dass seine Tochter dem Flugunterricht fernbleiben durfte, da er nichts davon hielt, ihr angstreduzierende Tränke zu geben. Niemand setzte seine Tochter unter Drogen!
"Nun aber los. Alaric, Elijah, macht mir keine Schande und passt auf eure Schwester auf." kam es streng von dem aufrechtstehenden großen Mann mit den kurzen weißen Haaren, der ebenso wie seine Kinder, ein sehr aristokratisches Aussehen hatte und ein ebensolches Verhalten an den Tag legte. Avessa schnaubte leicht. "Vater. Ich bin dreizehn! Ich kann sehr gut allein auf mich aufpassen." Er nickte leicht und tätschelte ihre Schulter, sodass Avessa genau wusste, dass es nichts bringen würde, länger darauf rumzureiten. Daher verstummte sie resigniert.
"Ich habe Professor Snape gesagt, dass du nun auch bald in seinem Haus bist und ihm ebenfalls von deinem Talent in Zaubertränke erzählt." Avessa seufzte und rieb sich die Stirn, während Elijah ein Lachen in ein Husten umwandeln musste. Nur Alaric blieb ernst und sah sie durchdringend an. "Vater hat es gut gemeint, Avessa. Sei doch froh, dass er deinen baldigen Hauslehrer informiert." Seine kleine Schwester sah kurz rebellisch zu ihm auf, doch wich ihr Blick letztlich wie immer vor seinem zur Seite, wenn auch trotzig.
"Nana...lass sie doch, Alaric", sagte ihr Vater. "Du warst in ihrem Alter nicht anders. Bloß keine Hilfe annehmen. So habe ich es euch ja auch beigebracht. Ein Carrow schafft es allein." Er wandte sich an seine Tochter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Aber die Familie kann man um Hilfe bitten, Avessa. Immer. Die Familie steht füreinander ein. Die Familie ist das Wichtigste."
Avessa nickte und rollte innerlich mit den Augen. Sie kannte die Litanei über die Familie. Insbesondere die Carrow-Familie. Als seien sie irgendwas Besonderes. Na ja, das waren sie schon irgendwie, doch...soziopathische Todesser-Verwandte zu haben, war nicht unbedingt etwas, worauf Avessa stolz war. Ihre Augenbraue wölbte sich. So etwas sollte sie allerdings niemals in Gegenwart ihrer Brüder oder ihres Vaters erwähnen, da sie die Sache sicher ein wenig anders sahen.
Sie griff nach ihrer kleinen Tasche, den Umhang nochmal glättend - eine alberne kleine Geste, die sie dennoch oft machte, wenn ihr etwas unangenehm war, oder sie sich sammeln wollte. Ebenso wie das Zurückstreichen der Haare, die ihr glatt und lang den Rücken hinabfielen und die sie, um eben jene Geste zu vermeiden, meist mit einem Haarreif oder einem Tuch zurückhielt. Heute war es ein Tuch in den Slytherin-Farben. Auch wenn sie noch nicht offiziell dem Haus angehörte, mochte sie die Farben zum einen sehr und zum anderen...war das ganze Haus der Carrows in ähnlichen Tönen gehalten. Wie bei einer Sekte.
Sie senkte den Kopf, ihre unangemessenen Gedanken und das Grinsen zu verbergen und umarmte dann ihren Vater kurz, bevor sie in den Zug stieg, ihre Brüder dicht hinter ihr.
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