𝓲'𝓵𝓵 𝓫𝓮 𝓽𝓱𝓮𝓻𝓮

March, 19. 1990, NJ, Perth Amboy, 468 Brace Ave

words can't say what love can do
I'll be there for you
~ bon jovi

Gequält verzog Mary Parsons das Gesicht, als es an ihrer Haustür klingelte. Sie musste auf dem Sofa eingeschlafen sein, mit der Flasche Whiskey auf dem Tisch, die sie in den gestrigen Abendstunden halb ausgetrunken hatte. Ihr Schädel dröhnte und die unangenehme Türklingel schmerzte in ihren überempfindlichen Ohren, während die Rothaarige nach der Fernbedienung des laufenden Fernsehers tastete. Sicher war das ihr Vermieter, weil sie noch immer keine Miete bezahlt hatte... was sollte sie machen? Sie hatte das Geld nicht zusammen und es gab zu wenig Trinkgeld in der Bar, als dass Mary überhaupt über die Runden kommen würde. Ihr Job stand ohnehin auf dem Spiel, wenn ihr Boss erstmal Wind davon bekam, dass Mary regelmäßig eine Flasche Whiskey, Wein oder Bier in ihrer Tasche verschwinden ließ, bevor sie nachhause ging. Damals hatte sie Richie verurteilt, weil er so oft über seinen Durst hinaus getrunken hatte... Mittlerweile war sie kaum besser - oder vielleicht war sie sogar schlimmer.

,,Ja, verdammt, ich habs verstanden!", rief sie heiser aus, als es mit Nachdruck wieder klingelte. Sie bekam den Fernseher ausgeschaltet. Letzte Nacht hatte sie auf MTV ein Interview von Richie gesehen, der dort über sein geplantes Soloalbum sprach, weil Bon Jovi zurzeit eine Pause machte. Was Mary dabei aufgrund ihres Alkoholpegels nicht realisiert hatte, war, dass ihre erste große Liebe damit auch zurück in Perth Amboy war. Das würde ihr Jon gleich erst schonend beibringen. Sie vermisste Richie... Es war nun beinahe dreieinhalb Jahre her, doch Mary hatte es noch immer nicht geschafft. Ihr Zuhause war ein einziges Chaos, Fotos und Platten lagen verstreut auf dem Boden und Mary schniefte, als sie sich vom Sofa und durch den Flur kämpfte. Sich vorzulügen, dass sie klar kam seitdem sie Richie verlassen hatte... das hatte die junge Frau längst aufgegeben. Mit einem müden Seufzen öffnete sie die Tür. ,,Ich weiß, ich muss zahlen...", setzte sie leise an, ehe ihre Augen sich weiteten. Vor ihr stand nicht ihr Vermieter - vor ihr stand Jon. Mit neuer Frisur und einer Sonnenbrille, die er nun abnahm, doch es war Jonny. Sie hatte ihn genauso lange nicht mehr gesehen wie Richie, nur ab und an mal noch mit ihm telefoniert um dann zu fragen wie es Richie denn ging...

Dass er nun vor ihr stand kam Mary im ersten Moment wie eine Halluzination vor. Drehte sie nun durch, war es soweit? ,,Jon...", hauchte sie und er schenkte ihr ein schwaches Lächeln. ,,Hey, Little Ginger." Er war jahrelang ihr bester Freund gewesen... sie hatte ihn beinahe so sehr geliebt wie sie Richie geliebt hatte, nur auf eine vollkommen andere Weise. Ihre Nase begann gefährlich zu kribbeln und erste Tränen sammelten sich in ihren Augen. Jons Lächeln war etwas verrutscht, als er sie musterte und einen Blick hinter sie warf... und Mary wusste, sie sah schlimm aus - noch schlimmer als allein ihr Flur es tat. ,,Jonny!" Mary befreite sich aus ihrer Starre, sie trat einen Schritt auf den Sänger von Bon Jovi zu und schlang ihre Arme um ihn, ehe ihr ein leises Schluchzen entwich. ,,Hey, Kleines...", murmelte er in ihr Haar. ,,Du riechst ziemlich nach Alkohol...", stellte er leise fest. ,,Trinkst du wieder?" Er wusste davon... und auch davon, dass Mary für ungefähr zwei Monate versucht hatte ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, doch sie war gescheitert. Sie brachte ein schwaches Nicken zustande und er seufzte leise. Er wusste vieles... nur von dem Baby, davon wusste er nicht. Niemand tat das, bis auf Mary selbst und sie wünschte sich, sie könnte wieder genauso unwissend sein...

,,Oh Little Ginger... Darf ich reinkommen?", fragte er sie leise und sie schluckte. ,,Ich weiß nicht", murmelte sie. ,,Es sieht schlimm aus..." Jon strich über ihren Rücken. ,,Das macht mir nichts aus." Er ließ sie langsam los und trat an ihr vorbei und in ihre Wohnung. Leise schloss Mary die Tür hinter ihm. ,,Wie geht es Richie?", brach es aus ihr heraus und schluckend fuhr Jon sich durchs Haar. ,,Ich weiß es nicht... wir haben uns zerstritten... er drückt mich weg, wenn ich versuche ihn anzurufen." Er zuckte mit den Schultern und Mary schniefte. ,,Zerstritten?", flüsterte sie und trat an Jon vorbei. Er folgte ihr in die kleine Küche, die immerhin halbwegs aufgeräumt war - nur einige leere Glasflaschen lagen in der Spüle, die Jon die Nase rümpfen ließen. Er hatte einfach herkommen und nach ihr sehen müssen... und wie sich ihm zeigte, war dieses Gefühl berechtigt gewesen. Sie brauchte dringend Hilfe. ,,Ich würde dir was anbieten, aber... ich..." Sie schluckte schwer und Jon hob die Augenbrauen. ,,Du hast nur Alkohol im Haus?", fragte er sie ein wenig trocken und sie zog den Kopf ein. ,,Es... es ist nicht so leicht, Jon", flüsterte sie weinerlich. Jon hatte nie verstanden wieso Mary Richie verlassen hatte, wenn sie ohne ihn nicht konnte... doch er wagte es nicht ihr Handeln zu hinterfragen, er wollte sie nicht verletzen.

,,Es ist ganz leicht", gab er zurück. ,,Du ziehst dir was an, ich fahre mit dir einkaufen. Um Geld mach dir keine Gedanken." Er hatte kurz in ihren leeren Kühlschrank geblickt und Mary zog den Kopf ein. ,,Jonny... nein...", wimmerte sie und er sah kurz zu ihr. ,,Ich dulde kein Nein, Little Ginger." Sanft trat er auf sie zu und nahm sie wieder in den Arm. ,,Na los, zieh dir was an...", murmelte er in ihr rotes Haar. Dorothea hatte ab und an nach Mary gesehen, doch die Rothaarige hatte sich mehr und mehr vor ihr verschlossen... Jon hoffte, dass er seinen Draht zu ihr noch nutzen konnte, um ihr zu helfen... aus dem Loch, in das sie gefallen war. ,,Er ist wieder auch wieder hier, Kleines...", setzte er leise nach. Jon war etwas zurückgewichen und sah sie nun besorgt an, als ihre Unterlippe zu zittern begann. Natürlich war Richie wieder hier... wo auch sonst, wenn nicht zuhause? ,,Richie... Richie ist wieder da...?", entgegnete sie weinerlich, es war jedoch nicht wirklich eine Frage... Jon konnte Angst in ihrer Stimme hören, die sie ihn wieder in seine Arme schließen ließ. ,,Wir sind alle wieder zurück nachhause gekommen, Little Ginger... ich dachte ich komme vorbei und sage es dir, bevor du ihn zufällig triffst..." Er strich ihr über den Rücken und Mary drückte ihre Nase in seinen weißen Pullover. ,,Danke...", wisperte sie brüchig und er nickte.

,,Und jetzt los, hm? Wie lange hast du deine Wohnung nicht mehr verlassen, hast du deinen Job in der Bar noch?" Er ließ sie wieder los und Mary wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan. ,,Ich hab Urlaub", flüsterte sie heiser. ,,Ich wollte nicht, aber irgendwann muss ich die Tage nehmen..." Sie schlang die Arme um sich und Jon seufzte leise. ,,Ich verstehe...", murmelte er und Mary schob sich an ihm vorbei. ,,Gib mir einen kurzen Moment... ich suche mir schnell was zusammen", hauchte sie, ehe sie nach nebenan huschte und ihre Wäschekörbe zu durchwühlen begann. Sie musste dringend aufräumen, ihr Schrank war leer und ihre Sachen stapelten sich gewaschen in Körben davor... Sie fand nur einfach nicht die Kraft dazu. Zurzeit würde sie am liebsten morgens gar nicht erst das Bett verlassen. Sie suchte sich eine Jeans und ein Top zusammen, ehe sie sich einen Cardigan überstreifte und im Bad noch irgendwas zu retten versuchte... doch sie sah noch immer aus wie der lebendig gewordene Tod, als sie sich zu Jon gesellte, der im Wohnzimmer kniete und die Fotos betrachtete, die auf dem Boden verstreut waren.

Die meisten hatte Mary entweder von Richie gemacht... oder sie war mit Richie zusammen darauf zu sehen. ,,Willst du nicht mit ihm reden?", fragte er sie leise - das hatte er schon so oft und wie jedes Mal schüttelte Mary den Kopf. ,,Nein... Datet er nicht zurzeit sowieso Cher?", gab sie brüchig zurück und Jon seufzte leise. ,,Du glaubst doch nicht, dass das was ernstes ist...", murmelte er, während sie sich neben ihn kniete und die Fotos zusammen sammelte. Er half ihr dabei, während er sie von der Seite ansah. ,,Ich weiß es nicht", flüsterte sie. ,,Ehrlich gesagt will ich auch gar nicht darüber nachdenken müssen...", setzte sie nach und Jon reichte ihr den Stapel Fotos, die er aufgehoben hatte. Mary verfrachtete sie zurück in die Holzkiste, die sie dann unter den Wohnzimmertisch schob, während Jon die New Jersey Platte aufhob und ihr ein kleines Lächeln schenkte. ,,Du weißt, dass Richie seinen Anteil von I'll be there für dich geschrieben hat, Mary... Ruf ihn an", bat er sie sanft und Marys Unterlippe begann zu zittern. Sie nahm ihm die Platte ab. ,,Wollten wir nicht einkaufen?", wich sie ihm weinerlich aus und Jon seufzte leise, ehe er aber nickte. ,,Na schön. Dann komm, Little Ginger."

Sie verließen ihre Wohnung und kurz darauf saß Mary neben Jon in seinem Wagen und leise lief das Radio, während er zum nächst größten Supermarkt fuhr. Sie schwiegen die Fahrt über, doch Jon legte seine Hand auf ihr Knie, wann immer er konnte. Er war da... Das war er immer schon gewesen, auch wenn Mary und Richie gestritten hatten - und das hatten sie oft und heftig, doch sie hatten sich genauso schnell auch wieder vertragen... Mary hatte gehofft, dass es mit der Zeit besser werden würde... denn bekanntlich heilte die Zeit alle Wunden, doch Richie... sie kam einfach nicht über ihn hinweg. Wie auch... sie sah sich seine Interviews an, sie sah die Musikvideos tagtäglich auf dem kleinen Fernseher in der Bar... Er verfolgte sie.

Nach etwa einer halben Stunde hatte Jon auf dem Parkplatz des Supermarkts gehalten und Mary kletterte aus seinem Wagen. Er besorgte ihnen einen Einkaufskorb und Mary zierte sich noch immer, sich wirklich von ihm irgendetwas bezahlen zu lassen... es war nicht das erste Mal, das Jon das für sie tat und es war ihr wie jedes Mal davor furchtbar unangenehm. ,,Also Little Ginger." Sanft sahen seine blauen Augen sie an... und das auch noch so verständnisvoll... das war ihr einfach zu viel. ,,Was möchtest du haben?" Sie schluckte schwer, während sie durch die Obst-und Gemüseabteilung liefen. ,,Ich... Jon, muss das sein?", flüsterte sie brüchig und streng hob er die Augenbrauen. ,,Mary... Du siehst aus wie ein Geist. Jetzt mach." Sein Ton duldete keinen Widerspruch und Mary griff schluckend nach einer Packung Kirschen... die hatte Richie immer für sie gekauft, auch wenn er ohne sie einkaufen gewesen war... Mary wandte sich gerade zu Jon um, als ihr Blick den Gang hinunter streifte... Richie. Sie war nicht darauf vorbereitet ihn wiederzusehen... Nicht heute, nicht jetzt. Und doch stand er da und sah im selben Moment zu Jon und ihr.

Mary glitten die Kirschen aus den Fingern, die Packung riss auf und sie verteilten sich auf dem Supermarktboden wie etwa die Scherben ihres Herzens, als sie zum ersten Mal seit dreieinhalb Jahren wieder dem so wunderschönen, warmen braun seiner Augen begegnete...

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top