Dunkle, schwere Wolken hingen über dem Stück abgeschnittenen Land. Seit Tagen tobte ein unerbittlicher Sturm und sorgte dafür, dass die Wellen, des aufgewühlten Meeres sich immer tiefer in die Klippen hinter dem Anwesen fraßen. Salzige Luft kroch durch die Risse der alten Fassade und überdeckten den modrigen Geruch im Inneren. Ein altes, schon längst vergessenes Anwesen. Eine Burg aus frühster Zeit, welche einst der Fels in der Brandung gewesen war und heute nur noch als Schatten seiner selbst darauf wartete den reißenden Fluten zum Opfer zu fallen.
Gemäuer voller Geschichte, die dazu verdammt waren zu schweigen und das frische Blut in sich aufzunehmen.
Nervös stand er schon seit einigen Minuten vor der schweren Holztür, welche tief im Inneren des Gemäuers, wie ein Mahnmal auf ihn wartete.
Ein leises Tropfen war zu hören und zeigte, dass es der Natur bereits gelungen war, ins Innere des alten Anwesens zu dringen. Sein Herz raste und verursachte bereits einen brennenden Schmerz in seiner Brust. Sein Verstand schrie danach einfach umzukehren und nie wieder an, diesen Ort zurückzukommen.
Was hatte er sich nur dabei gedacht? Es wirkte wie ein einfacher Job. Einer von denen er schon hunderte hinter sich gebracht hatte. Er hätte auf seinen Bauch hören sollen, der ihn vehement davor gewarnt hatte, in sein Auto zu steigen und die lange Reise auf sich zu nehmen. Hunderte Kilometer für eine Konversation und das, obwohl es heutzutage so viele andere Möglichkeiten gab, Informationen auszutauschen ohne sich persönlich gegenüber zustehen.
Alles hätte ihn warnen sollen. Dieser Ort. Diese Kommunikationen und die Tatsache, dass er nichts über seinen Auftraggeber wusste. Dieser aber im Gegenzug alles über ihn. Gefangen, wie eine verdammte Fliege saß er in einem klebrigen Spinnennetz und wartete darauf, dass der tödliche Angriff kam.
Und doch hatte er ihn angenommen und stand nun bereits das dritte Mal hier.
Er hoffte darauf, keinen Fehler zu begehen, und betete mittlerweile zu Göttern, an welche er nicht glaubte, über ihn zu wachen. Götter, ein Sinnbild der menschlichen Angst. Eine Angst, die er nie verspürt hatte. Eine Angst, die er niemals geglaubt hatte, kennenzulernen und eine Panik, die sich jetzt gerade durch seine Adern fraß.
Er schloss die Augen für einen Moment und zog die Luft tief in seine Lunge, als wäre es die letzte Chance dafür. Ein salziger Geschmack legte sich auf seine Schleimhäute und ließ ihn unwillkürlich schlucken. Ein letztes schützendes Gebet verließ murmelnd seine Lippen, bevor er kraftvoll gegen die Tür klopfte.
Seine Schläge hallten gespenstisch durch den leeren Gang hinter ihm, bis sie schließlich von den Gemäuern verschlungen wurden. Er hielt die Luft an und wartete.
Ein Herzschlag. Ein weiterer.
Schon beinahe wollte die Hoffnung, auf ein Vertagen der Angelegenheit, in ihm aufkeimen, als die Tür ein leises Klicken von sich gab und mit einem lauten Quietschen sich einen spaltbreit öffnete. Der Windzug, welcher ihm entgegenschlug, wehte um die Flamme seiner Kerze, die ihm das einzige Licht spendete.
»Fuck«, entfuhr es ihm, und er drehte sich schnell um seine eigene Achse, um das glimmende Licht vor dem Ersticken zu retten.
Der Gedanke dem Bösen in völliger Dunkelheit gegenüber zutreten, jagte ihm eine lähmende Angst in seine Gedanken. Die simple Möglichkeit, die Kerze einfach erneut anzuzünden, schien Welten entfernt zu liegen. Sein fixierter Blick galt der Flamme, welche sich langsam erholte und als sie ihre volle Stärke zurückerobert hatte, seufzte er erleichtert auf. Ein letztes Mal ließ er seine Hand prüfend zu dem Holster seiner Waffe gleiten. Das Gefühl des kalten Metalls ließ seinen Herzschlag etwas ruhiger werden und doch nagte eine tiefe, erschütternde Angst an seinen Nerven.
Doch es war zu spät. Das Böse wartete bereits auf ihn und die erneute Chance auf Rückzug hatte er vertan. Er straffte seine Schultern, dehnte ein letztes Mal den Nacken und drehte sich zurück zu der Tür.
Wie ein gieriges Maul, welches nur darauf lauerte, dass sein Opfer endlich hineinsprang, lachte ihm der Türspalt entgegen und bevor seine Gedanken noch stärker nach Flucht anfingen zu schreien, drückte er die Tür vollständig auf und trat durch den Türbogen.
Sofort kroch ihm der Geruch von Angst in die Nase, vermischt mit der eisenhaltigen Note von Blut. Sein Magen zog sich zusammen, denn die letzte Hoffnung auf ein normales Aufeinandertreffen starb soeben. Langsam bahnte sich die Säure ihren Weg durch seine Kehle und ließ den Speichel aus all seinen Poren kriechen.
Er schluckte unter Zwang, denn er durfte alles, aber auf keinen Fall Schwäche zeigen.
Schritt um Schritt ging er tiefer in den Raum und wieder hallten seine Bewegungen als Echo auf ihn zurück. Der bittersüße Geruch des Todes wurde mit jedem Herzschlag intensiver und langsam drangen die ersten Geräusche zu ihm durch, auch wenn er liebend gern darauf verzichtet hätte. Ein leises Röcheln traf auf die feinen Härchen seines Ohres und veranlasste seinen Körper, ihn mit einer schmerzhaften Gänsehaut zu bestrafen.
Schummriges Licht, welches verzogene Fratzen an die hohen Steinmauern warf, erweckte seine Aufmerksamkeit. Er starrte auf die schemenhafte Gestalt, welche ihm den Rücken zugewandt hatte. Langsam schritt er weiter auf sie zu, ummantelt von der Dunkelheit, welche sich in die Tiefe des Raumes legte.
Wie sehr wünschte er sich sein Handy herbei oder wenigstens eine Taschenlampe, doch im Gegensatz zu seiner Waffe musste er dies im Auto liegen lassen. Einem Auto, welches fast einen Kilometer vor der Steilküste geparkt stand.
Das Röcheln wurde lauter und entwickelte sich zu einem Gurgeln. Er presste die Zähne aufeinander, als er spürte, wie ein leichtes Zittern durch seinen Körper kroch. Er musste nicht sehen, was vor ihm passierte. Diese Geräusche waren ihm nur zu bekannt. Selbst war er es, der sie unzählige Male ausgelöst hatte. Erinnerungsfetzen schossen durch seine Gedanken. Bilder von klaffenden Wunden, zerfetzten Kehlen, trüben Augen und Lungen, denen der letzte Atemzug entwich, flimmerten vor seinem inneren Auge auf und ließen ihn fast die wichtigste Regel dieses Auftrages vergessen.
Übertritt niemals die Kreidelinie.
Schlagartig stockte er in seiner Bewegung und riss seinen leeren Blick von der Gestalt vor sich. Sein Blick wanderte zum Boden und ein Schauer der Todesangst kroch ihm in den Nacken. Sein Körper spannte sich schmerzhaft an und ihm stockte der Atem. Die Spitze seines Fußes berührte bereits den Rand der schmalen, weißen Linie auf dem abgenutzten Steinboden.
Er schloss die Augen und ein junger Mann, welcher ihn rein körperlich um das doppelte überragte, tauchte vor seinem inneren Auge auf. Er stand hier, in diesem Raum. Sein Körper bebte vor Angst und sein Gesicht war überzogen mit einer feinen Schicht von Schweiß. Es war das erste Treffen. Unbekümmert, wenn auch mit einem seltsamen Gefühl im Magen, schritt er durch diesen Raum. Er war in dieselbe Dunkelheit gehüllt wie heute und doch fühlte er sich damals sicher. Er hatte keine Ahnung davon, dass dieser Raum ihn lehren würde, was Angst bedeutete.
Doch es dauerte nur Bruchteile von Sekunden. Die von Panik geweiteten Augen des Mannes, der Geruch von Todesangst der von ihm ausging und der schwere Atem, ließen ihn erahnen, dass er einen Fehler mit diesem Auftrag gemacht hatte.
Der Mann zeigte auf den Boden und zwischen ihnen lag der weiße Strich. Verwischt von einem unachtsamen Schritt. Wortlos reichte der verängstigte Mann ihm eine Akte und mit der anderen Hand ein Handy. Zögerlich nahm er es. Er erinnerte sich an die Falten auf seiner Stirn und auf sein Missverstehen.
»Übertritt niemals diese Linie«, wurde ihm mit zitternder Stimme entgegen geraunt.
Und ehe er auch nur die Chance zum Verstehen bekam, sah er, wie die Augen des Mannes sich weiteten und im selben Moment die Spitze eines Pfeils aus seiner Brust herausragte. Blutspritzer legten sich auf seinem Gesicht nieder. Röchelnde Geräusche verließen seine Kehle, während seine Augen jeglichen Glanz verloren und wie zwei trübe Linsen auf ihn herabsahen. Sekunden später lag der Mann tot vor seinen Füßen. Das Blut breitete sich über die weiße Linie aus und kroch langsam unter seine Schuhe. Er hob den Blick und sah auf die dunkle Gestalt, welche die Armbrust noch in den Händen hielt. Er hätte laufen sollen. Es wäre vielleicht der letzte Zeitpunkt gewesen, in dem ein Rückzug noch möglich gewesen wäre.
Das Rauschen in seinen Ohren vereinnahmte ihn und erst das Aufeinanderschlagen von Metall auf Metall ließ seinen Blick panisch zurück zu der Gestalt schießen. Ein schrillendes Klirren hallte durch den Raum.
Besteck, welches auf ein Tablett fiel, schoss ihm durch den Kopf und schon senkte er den Blick neben die Gestalt. Ekel stieg in ihm auf und fraß sich durch jede seiner Zellen, als er auf das blutverschmierte Messer starrte. Im Augenwinkel vernahm er, wie die Gestalt sich langsam zu ihm drehte. Das Gesicht tief verborgen unter einer Kapuze. Der Körper versteckt unter einem weiten, schwarzen Gewand. Die Entfernung war zu groß, die Form zu verschleiert, um Mutmaßungen über Geschlecht, Größe oder überhaupt jeglicher Art von menschlichen Zügen zu erkennen.
Vorsichtig ging er einen Schritt zurück und richtete seinen Blick zum Boden. Er fixierte die weiße Linie und ließ seine Augen immer wieder über diese gleiten. Ein leises Klicken, sagte ihm, dass seine Stimme erwünscht wurde.
»Wir haben sie. Wie gewünscht. Gibt es weitere Anweisungen?«, fragte er mit zitternder Stimme.
Schweigen. Unendliches Schweigen so wie jedes Mal, wenn er hier war. Vorsichtig hob er den Blick und sah, wie die Gestalt langsam die Hand hob und neben ihn zeigte. Das schwache Licht der Kerze reichte gerade so aus, um den schmalen Beistelltisch zu erleuchten. Ein dunkler Umschlag lag für ihn bereit. Behutsam tat er die zwei nötigen Schritte, um ihn in seinen Besitz zu bringen. Mit zitternden Händen ließ er ihn in die Tasche seiner Jacke verschwinden. Zögernd drehte er sich zurück zu der Gestalt, doch diese hatte ihm bereits wieder den Rücken zugewandt.
Er schluckte, als das Röcheln erneut seine Ohren erreichte, gefolgt von einem markerschütternden Schmerzensschrei. Sofort senkte er den Blick und wandte sich in Richtung der Tür. Schnellen Schrittes ließ er alles hinter sich. Sein Puls schoss erneut in die Höhe, sein Herzschlag nahm an Fahrt auf, ebenso, wie seine Schritte. Er wollte nur noch eins. Verschwinden.
Kaum hatte er die Tür passiert und sie mit all seiner Kraft verschlossen, wechselte er in einen schnellen Sprint über. Er hatte keine Energie mehr seine Angst zu unterdrücken. Sie kroch durch seinen Körper und ließ ihn immer schneller und schneller werden. Blind, denn die Kerze war längst erloschen, rannte er durch die Dunkelheit, bis er endlich den erhofften Lichtstrahl der offenen Eingangstür sah. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, rannte er aus dem Gebäude und wurde mit prasselnden Regen, welcher ihm scharf in das Gesicht fiel, begrüßt. Der stechende Schmerz und die Kälte zeigten ihm, dass er lebte.
Trotzdem hielt er erst inne, als er an seinem Auto ankam und sich in diesem eingeschlossen hatte. Zweimal prüfte er, ob der Wagen auch wirklich verschlossen war, wohl wissend, dass es nichts helfen würde, wenn das Böse ihm das Leben nehmen wollte.
Die Minuten verstrichen und nachdem sich sein Atem allmählich beruhigt hatte, griff er nach dem Umschlag in seiner Tasche. Unachtsam riss er ihn auf und zog das säuberlich gefaltete Stück Papier heraus. Er legte den Kopf in den Nacken und spürte, wie sich eine unendliche Schwere in ihm ausbreitete. Eine Schwere, welche sich schlagartig in eine reißende Panik verwandelte. Sein Blick schweifte zum zweiten Mal über die Zeilen des Papiers.
Einer von drei...
Ich will die Kinder, nicht deren ehrenlose Erzeuger.
Seine Kehle schnürte sich zusammen, er ließ das Stück Papier achtlos fallen, startete den Wagen und raste über den aufgeweichten Feldweg.
Er hätte es wissen müssen. Es war zu einfach gewesen und das Böse war sich seinem Fehler längst bewusst.
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