ᴋᴀᴘɪᴛᴇʟ 14 - ʀɪɴɢ ᴏғ ғɪʀᴇ

Kurz nach sieben klopfte Nora leise an Freyas Zimmertür.

Keine Antwort.

Also drückte sie behutsam die Klinke nach unten und betrat das Zimmer. Der Fernseher dudelte leise vor sich hin und das Flackern erleuchtete das Zimmer. Schleichend lief Nora auf die Couch zu und als sie Tom und ihre Tochter in einer festen, umschlungenen Umarmung vorfand, durchströmte sie eine innere Zufriedenheit.

Sie liebte die beiden und sie liebte es, wie die zwei miteinander umgingen. Auch sie war eine von denen, die lange Zeit gehofft hatte, dass sich zwischen ihnen mehr als nur Freundschaft entwickeln würde. Nun, das passierte auch, aber nicht so, wie Nora es sich erhofft hatte. Sie liebten sich aus tiefster Seele, daran bestand kein Zweifel. Aber es war nicht diese Art von Liebe. Nicht diese, die einem die Luft nahm, wenn der andere nicht in der Nähe war. Nicht die Art, die einen kritisch aufschauen ließ, wenn sich jemand, dem anderen zu sehr näherte. Nicht die Art, die Nora sich für die beiden gewünscht hätte.

Zwischen ihnen war etwas Tieferes, Unvergleichliches entstanden.

Familie.

Sie vermissten sich nicht, sie litten ohneeinander.

Sie lebten nicht miteinander, sie lebten füreinander und würde einer der beiden jemals sterben, dann würden sie nicht trauern, sie würden daran zugrunde gehen.

Ein leichter Seufzer entfuhr Nora, bei dem Gedanken daran, dass sie wenigstens einander hatten. Liam und Freya waren Menschen, die Schwierigkeiten hatten, jegliche Art von Vertrauen aufzubauen. Was unweigerlich dazu führte, dass keiner der beiden bis jetzt eine ernsthafte Beziehung geführt hatte. Natürlich waren sie noch jung und standen eigentlich erst am Anfang ihres Lebens. Dennoch, nach allem, was sie bereits erlebt hatten, wusste Nora, dass die beiden es niemals einfach haben werden.

Vorsichtig lehnte sich Nora über die Couch und weckte die beiden sanft.

»Aufstehen, ihr Schlafmützen.«

Freya regelte sich und öffnetet blinzelnd die Augen.

»Du kannst das ja richtig liebevoll. Liegt daran, dass Tom da ist, oder?«

Nora schmunzelte ihre Tochter an.

»Vielleicht«, gab sie zwinkernd zurück und verließ das Zimmer.

Tom stöhnte auf, zog Freya noch einmal fester an sich und lächelte sie an.

»Was ist los?«, fragte sie, als sich ihre Blicke trafen.

Tom schüttelte gedankenverloren den Kopf.

»Nichts«, sagte er leicht seufzend.

Freya runzelte die Stirn und sah ihn fragend an.

»Du lügst und das auch noch ziemlich schlecht«, gab Freya zurück und stützte sich auf.

Fast schon widerwillig ließ Tom von ihr ab und setzte sich ebenfalls auf.

»Ach, ich genieß es nur, dich im Arm zu halten. Dir nah zu sein. Wer weiß, wie lange ich dieses Privileg noch habe.«

Freya runzelte die Stirn und sah ihn irritiert an.

»Was meinst du damit?«

Tom rieb sich übers Gesicht und streifte dabei seine Haare nach hinten.

»Irgendwann wirst du einen Partner an deiner Seite haben und ich denke, dem wird es nicht gefallen, wenn du mit mir in einem Bett schläfst«, erklärte sich Tom.

Freya schüttelte sofort den Kopf.

»Ich denke, da machst du dir umsonst Gedanken. Ich habe nicht vor mir so eine Klette ins Leben zu holen und falls doch, dann muss er das hier akzeptieren«, sagte sie und zeigte zwischen ihnen hin und her.

Doch auch wenn Tom es versuchte zu verbergen, sah Freya den Hauch Traurigkeit, der sich in seinen Augen widerspiegelte. Vorsichtig legte sie ihre Hand an seine Wange und streichelte ihm mit dem Daumen darüber.

»Schau nicht so. Es ist alles gut«, beteuerte sie.

»Ich will einfach nur, dass du glücklich bist«, erwiderte Tom und legte seine Hand auf ihre.

Sie schenkte ihm ein Lächeln.

»Bin ich, versprochen. Ich habe alles, was ich brauche in meinem Leben.«

Sie drückte Tom einen Kuss auf die Stirn und machte sich dann auf den Weg ins Bad.

Tom sah ihr einen Augenblick nach und ließ sich wieder nach hinten fallen. Wie gern würde er ihr glauben.

Nach einer guten Stunde waren beide frisch gemacht und bester Laune. Freya trug eine enge, schwarze Jeans, ein hellgraues Shirt und schnürte gerade ihre Doc Martens. Tom, der es ihr gerade gleichtat, hatte sich ebenfalls in eine weite, schwarze Jeans und ein weißes Shirt geworfen.

»Fertig?«, fragte Tom und Freya nickte.

»Kann losgehen.«

In der Küche angekommen, trat ihnen Liam entgegen, was Freya direkt grinsen ließ.

»Na, ausgenüchtert?«, fragte sie spitz.

Liam rieb sich durchs Gesicht.

»Alter, ich dachte heute, wirklich ich muss sterben. Nie wieder Tequila! Ich weiß gar nicht, wie oft ich heute zum Kotzen gerannt bin.«

Tom lachte und Freya schob ihre Unterlippe leicht nach vorn.

»Armer kleiner Liam«, sagte sie im besten ironischen Ton, den sie zu bieten hatte.

Liam kniff die Augen zusammen und streckte ihr seine Zunge entgegen.

»Euch ging es wohl besser?«

»Ich habe zumindest nicht gekotzt«, erwiderte Freya und schnappte sich ihre Jacke.

Liams Blick ging zu Tom, der immer noch grinste.

»Kann mich nicht beschweren, aber ich durfte ja auch ausschlafen und wurde nicht mit Lärm begrüßt.«

Liam schüttelte den Kopf.

»Unfassbar, irgendwas mach ich falsch. Ich sollte mir wohl auch eine Ausbildung weit weg suchen, dann wird man hier scheinbar behandelt, wie ein König«, raunte er, winkte ab und sah wieder zu den beiden.

»Können wir?«, fragte Freya, welche schon an der offenen Tür stand.

Tom nickte und auch Liam hatte ihren genervten Unterton vernommen. Er warf noch schnell sein Handy auf die Küchentheke und folgte den beiden nach draußen.

Die Sonne war dabei unterzugehen und deren letzten Strahlen tauchten das Gelände in eine gemütliche Atmosphäre. Das leise Knistern der Feuerstelle war zu hören, welches von dem Stimmengewirr der Menschen, welche sich schon eingefunden hatten, untermalt wurde. Jedes Jahr um dieselbe Zeit fand diese Party statt, denn die Member hatten sich die letzten fünf Wochen nicht gesehen.

Fünf Wochen ohne Club. Fünf Wochen ohne Verpflichtungen. Die einzigen fünf Wochen in einem Jahr, in denen der Club nicht an oberster Stelle stand.

Sommerferien. Zeit für die Familie und nur für diese. Doch, verflucht, das waren fünfunddreißig Tage und für die meisten, war der Club die einzige Familie, die sie hatten, und so war natürlich die Freude, dass sie endlich wieder vereint waren, umso größer. Und genau diese spürte man, sobald man das Gelände betrat. Egal, wo man hinsah, strahlten einem zufriedene Gesichter entgegen. Den heutigen Abend verbrachten sie untereinander. Morgen würden befreundete Clubs, Bekanntschaften, Freunde sowie, nennen wir es, Geschäftspartner dazukommen.

Freya, Liam und Tom warfen sich in den herzlichen und endlosen Begrüßungsmarathon. Jeder lachte und jeder hatte etwas zu erzählen, was ihm die letzten fünf Wochen passiert war. Freya löste sich gerade aus der Umarmung von Albert, einem der ältesten Mitglieder, als ein breiter, muskulöser Rücken vor ihr auftauchte. Unter der schwarzen Kutte stach ein rot-grau kariertes Hemd heraus. Sie lächelte, denn es gab nur eine Person, welche diese Dinger trug.

Sie holte Schwung und im nächsten Moment hing sie dem Muskelberg, wie ein Rucksack am Körper. Sofort drang ihr der Duft von Pomade in die Nase, gefolgt von dem süßlichen Geruch einer Vanillezigarre. Der Muskelberg gab ein leises Stöhnen von sich.

»Hat da jemand zugenommen?«, raunte ihr eine tiefe Stimme entgegen.

Freya knurrte und im nächsten Moment gruben sich ihre Finger tief in das Fleisch seiner inneren Oberarme.

Der Muskelberg zuckte zusammen und stöhnte auf.

»Miststück«, zischte er.

Freya lachte und ließ sich wieder zu Boden gleiten, während sich ihr Opfer langsam zu ihr drehte. Leuchtend braune Augen funkelten sie an.

»Du solltest doch am besten wissen, dass man einer Frau niemals unterstellt, dass sie zugenommen hat«, gab Freya lachend von sich und breitete die Arme aus.

Der Muskelberg glättete sich, die tiefen Stirnfalten und ein breites Lächeln legte sich in sein markantes Gesicht.

»Du weißt doch, dass ich gern am Limit lebe. Komm her, Kleines«, erwiderte er, ebenso wie die Umarmung.

»Ja Finn, das zeigt uns dein Leben mit Frau und Kind«, raunte Liam hinter den beiden und lachte.

Finn streckte ihm den Mittelfinger entgegen, während er Freya erneut an die Brust drückte.

»Ich hatte schon Angst, du bist verschollen. Wenn man hier niemanden sieht, aber dich immer. Wo zur Hölle warst du?«, blubberte Freya los und ließ ab von ihm.

Finn strich sich durch seine Brauen, Pomade verklebten Haare und seufzte.

»Frag nicht. Vier Wochen Rundreise mit dem Wohnmobil. Ich liebe Franzi und die Kinder, aber nicht mehr viel und ich wäre durchgedreht«, erklärte er sich, während er seinen Hemdkragen richtete und so seine Tattoos am Hals freilegte.

Freya schmunzelte.

»So schlimm?«

Finn winkte ab.

»An sich war es ganz okay. Wir sind von Land zu Land gefahren und haben viel gesehen. Außerdem war es mal nötig, nicht ständig seinen Arsch zu riskieren und einfach mal durchatmen zu können ... aber nach vier Wochen mit den kleinen Nervensägen, ist so eine Klippe nicht mehr nur schön, sondern zieht einen magisch an.«

Liam schob sich neben Freya und reichte Finn ein Glas Whiskey.

»Na dann sollten wir darauf anstoßen, dass der Club seinen Vizepräsidenten nicht an den Wahnsinn verloren hat.«

Finn lachte und schon ließen sie ihre Gläser aneinander scherbeln.

»Auf uns«, faselte Finn, bevor er das Glas in einem Zug leerte.

Freya schüttelte nur den Kopf und zwinkerte Finn zu.

»Die beiden kommen scheinbar eindeutig nach ihrem Vater.«

Finn zog die Brauen nach oben und wedelte sofort mit dem Finger vor Freyas Nase umher.

»Niemals. Ich bin ein wahrer Engel im Gegensatz zu den beiden. Die kommen nach ihrer Mutter. Eindeutig.«

Liam lachte auf, nahm ihm sein Glas ab und verschwand wieder. Freya hingegen musterte Finn und ein hinterhältiges Lächeln zeichnete sich in ihrem Gesicht ab.

»Franzi ist also nicht da?«, fragte sie lauter als nötig.

Finn rollte die Augen. Sie kannte ihn einfach zu gut, denn wäre seine Frau in der Nähe gewesen, hätte er sich diesen Spruch wohl verkniffen.

»Nein. Sie kommt morgen Abend. Ihre Eltern hatten heute keine Zeit für die Nervensägen«, murmelte er leise.

Gerade als Freya etwas erwidern wollte, sprang Tom von hinten auf Finns Schultern.

»FINN!«, brüllte Tom.

Finns Augen weiteten sich und sofort drehte er sich herum.

»Ich glaub es nicht. Du hier? Ich werde nicht mehr. Komm her.«

Und schon zog Finn Tom an sich und klopfte ihm herzhaft auf den Rücken, was Tom direkt aufhusten ließ.

»Ich wusste gar nicht, dass du kommst«, sagte Finn und entließ Tom.

Der lachte und seine Augen strahlten vor lauter Glück.

»Du rufst ja nie an. Erzähl, wie geht es dir?«, fragte Tom und schon war Freya abgeschrieben.

Sie lächelte und wandte sich dann ab. Finn und Tom hatten sich seit Monaten nicht mehr gesehen und würden sich wohl einiges zu erzählen haben. Die beiden verband ebenfalls eine besondere Verbindung. Während Nora und Jaxon fast, schon als Toms Eltern durchgehen konnten, war Finn so etwas, wie ein großer Bruder für Tom gewesen. Na ja, was heißt gewesen. Eigentlich war es immer noch so, denn auch wenn man sich vielleicht nicht jeden Tag sah oder voneinander hörte, war das Band der Verbundenheit immer noch da und würde es auch immer bleiben.

Freya kämpfte sich durch den Rest der Member und kam irgendwann im Clubhouse an. Harte Gitarrenriffe schlugen ihr entgegen, gefolgt vom Bass, welcher ihr sofort auf die Brust drückte.

»Love is the burning thing and makes a fiery. Bound by wild desire. I feld into a ring of fire. I fell in to a burning ring of fire. I went down, down, down and the flames went higher. And it burns, burns, burns. The Ring of fire. The ringe of fire«, schlug ihr nicht nur von der Liveband entgegen, sondern von jedem, der in dem Raum war.

Gänsehaut legte sich auf Freyas Haut, während sie sich den Weg zur Bar bahnte. Sie liebte es. Sie liebte dieses Leben und für nichts auf der Welt würde sie dieses aufgeben.

Sie ließ sich an der Bar auf einen Hocker fallen und rauschte von einem Gespräch ins andere. Die Stimmung wurde ausgelassener, der Ton rauer und es dauerte nicht lange, bis die ersten Gläser nicht mehr nachgefüllt worden, sondern am Boden zu Bruch gingen. Na, die Prospects sollten ja am nächsten Tag auch noch was zu tun haben.

Die Band betrat gerade wieder die kleine Bühne, welche sich in einer der Ecken befand, als Tom sich hinter Freya stellte und sich zu ihr lehnte.

»Alles okay?«, fragte er.

Freya lächelte ihn an und hielt ihm ihr Glas entgegen.

»Könnte nicht besser sein«, erwiderte sie.

Tom nickte und als die Band das nächste Lied anspielte, stellte Tom sein Glas ab und reichte Freya die Hand.

»Tanz mit mir«, raunte er, doch ehe sie seine Hand greifen konnte, wurde er zur Seite geschoben.

»Sorry, aber noch gehört der erste Tanz mir«, raunte Jaxon, griff Freyas Hand und zog sie hinter sich her.

Diese sah lachend zurück zu Tom und murmelte ein leises »Sorry«. Der lachte nur und winkte ab.

»Männer und ihre Töchter«, sagte Nora, die plötzlich neben Tom aufgetaucht war.

»Ja und Mütter und ihre Söhne«, kam es plötzlich von Liam, der seine Mutter packte und mit ihr, Freya und Jaxon, auf die Tanzfläche folgte.

Tom verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete die Vier, wie sie über den alten Holzfußboden schwebten. Es war kaum zu beschreiben, wie viel Freude und Liebe in diesen Moment durch den Raum wanderte. Einem Raum, der gewöhnlich von schweren Entscheidungen geprägt war. Indem es meistens rau und laut zuging.

Doch jetzt gerade zählte bei allen nur eins, die wenigen Augenblicke in denen, das Lachen und die strahlenden Augen, der Shields sich in die Herzen ihrer Familie brannte und ihnen zeigte, dass bei all der Dunkelheit, von welcher sie umgeben waren, es immer ein Licht geben würde, wenn man es nur zuließ.

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