𝟒𝟐│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂
Kiera
Der Kuss ist wie ich ihn erwartet habe. Himmlisch und atemberaubend. Letzteres wortwörtlich, denn Colin raubt mir, mit dem was er tut, wirklich den Atem. Jegliche Sauerstoffmoleküle in der Luft scheinen durch eine unsichtbare Kraft weggesogen zu sein. Mir wird die Luft entzogen, was mich unweigerlich zum mehrmaligen Luftholen zwischen unserer wilden Knutscherei zwingt, nur um kurze Zeit später wieder meine Lippen begierig gegen seine zu pressen. Unaufhaltsam fahren seine Hände an meine Taille, pressen mich bestimmend gegen den Altar, während seine Zunge neckend an meiner Unterlippe entlangfährt.
Seit Sekunden ist mein Körper wie auf Automatik gestellt, mein Gehirn auf Standby-Modus. Wie von allein öffne ich meinen Mund, gewähre seiner Zunge Einlass, liebe es wie der einzigartige Duft von Colin mich währenddessen einlullt.
Meine Finger haben ihr Eigenleben entwickelt. Ich kralle meine Nägel in den dünnen Stoff seines Hemdes, spüre seine definierten Muskeln am Rücken. Meine Hände finden derweil ihren Weg in seine Haare. Spielerisch ziehe ich an einer seiner braunen Locken.
Colin knurrt. Unsere Zungen tanzen Tango.
Ich grinse. Die Libellen in meinen Bauch vollführen Samba.
Es ist fast schon erschreckend wie vertraut wir miteinander sind. Zumindest fühlt es sich so an. Mühelos langen Colins Hände plötzlich an meinen Po, heben mich hoch, während ich meine Beine um seine Hüfte schwinge.
Ohne den Kuss zu unterbrechen, sorgt Colin dafür, dass ich im Nullkommanichts unter ihm auf einer der Kirchenbank liege und er meinen Hals bereits mit feuchten Küssen benetzen kann. Sein blaues Jackett, das er mir vorhin so gnädig geliehen hat, hat auch schon längst seinen Weg auf den Boden gefunden. In Kürze wird auch sein Hemd folgen. Damit beauftragt wurden meine Finger, die sich nun begierig an der Knopfleiste zu schaffen machen.
Das alles fühlt so verdammt gut an. Meine Augenlider flattern vor Lust als Colin mit seinem Mund an einer ganz bestimmten Stelle hinter meinem Ohr saugt. Jetzt bin ich es die stöhnt. Wieder will ich meine Lippen auf seine pressen, doch plötzlich entzieht er sich mir.
»Was ist los?«, will ich atemlos wissen. Colins Gesicht schwebt vor meinen. Seine Lippen sind geschwollen. Seine Arme hat er links und rechts von mir abgestützt. Aber seine Augen liegen auf etwas ganz anderem als auf mir.
»Kannst du dich vielleicht rumdrehen?«, bittet er. Ich stocke.
»Was? Wieso?«
Colin deutet mit seinem Kopf hinter mich. Neugierig lege ich den Kopf in den Nacken, um zu sehen, was er meint. Erst bin ich verwirrt, weil ich außer leeren Bänken nichts erkennen kann, was ihn stören könnte. Dann fällt mein Blick auf die direkt gegenüberliegende Steinfigur, deren miesepetrige Miene unser Liebespiel allem Anschein nach nicht gutheißt und uns bitterböse dabei beobachten zu scheint. Ich rolle mit den Augen. »Dein Ernst?«
Er sieht mich mit verzogener Miene an und schiebt trotzig die Unterlippe hervor.
»Sie starrt mich an. Wirklich! Ich kann so nicht arbeiten!«, beharrt er und weil ich kein großes Drama darum machen möchte, stehe ich wie befohlen auf und lege mich so hin, dass er mit dem Kopf weg von der Steinfigur schaut.
Freudestrahlend beugt er sich daraufhin wieder über mich, nimmt mein Bein und schlingt es erneut um seine Hüfte.
»Kannst du jetzt besser arbeiten?«, hake ich nach. Ein schelmisches Lächeln taucht auf seinen Lippen auf.
»Oh ja, allerdings.«
Dann presst er seinen Mund wieder auf meinen.
Ich versuche wirklich die Augen geschlossen zu halten, mich nur auf Colins Lippen zu konzentrieren, die mich nun auf jegliche Art und Weise zu verwöhnen versuchen, aber ich schaffe es nicht. Sobald ich die Augen schließe, schiebt sich ein versteinertes Gesicht in mein Gedächtnis, das mich kritisch und empört zugleich anstarrt. Es sind nicht Colins braune Augen, die sich förmlich in meine bohren, sondern steingraue, als ich die Augen wieder öffne. So kann ich nicht arbeiten.
Gerade als Colin sich daran macht meinen Hals zu liebkosen, ziehe ich ihm am Kinn zu mir hoch und bedeute ihm zu stoppen. Denn jetzt bin ich diejenige, die sich beobachtet fühlt.
»Warte!«, unterbreche ihn. Colin sieht mich zwar daraufhin prüfend an, denkt aber in Leben nicht daran seine eben wieder aufgenommen Arbeit einzustellen, wo er doch schon so viel Zeit verschwendet hat. Lüstern schaut er mit großen Augen auf meine freigelegten Brüste herab. Auch wenn es mich selbst fuchst, ihm jetzt widerstehen zu müssen, wo seine Hände dabei sind meine Brüste zu kneten und sein Mund so kurz davorsteht, eine meiner Knospen zu umschließen, muss ich ihn von mir wegschieben. Daraufhin murrt er und versieht mich mit einem fast schon gequälten Blick.
»Was ist denn?«, brummt er. Seine Augen verharren gierig auf meinem Dekolleté. Ich tue mich ohnehin schon schwer daran, nicht gleich wild über ihn herzufallen und Colin ist dabei keine große Hilfe. Er denkt nicht im Leben daran seine Hand von meiner Brust wegzunehmen und macht mich damit ganz wuschig.
Aber so kann ich auch nicht weiter machen. Genervt deute ich auf die Steinfigur.
»Jetzt starrt sie mich an«, meckere ich, woraufhin sich sein Gesicht schlagartig verfinstert und die Steinfigur mit mehr als mordlustigen Blicken seinerseits abgeschossen wird.
»Boah, ich geh gleich hin und zerdeppere dieses Scheißteil!«, droht er, »Jetzt reichts!« Er lässt endgültig von mir ab.
Eine plötzliche Kälte empfängt mich, löst Colins hitzige Wärme, die mich eben noch umhüllt hat wie ein kuscheliger Mantel, prompt ab. Meine Nippel werden schlagartig hart. Eine Gänsehaut überzieht mich. Seufzend sinke ich zurück auf die Bank, beobachte wie Colin stattdessen sein Jackett vom Boden aufhebt.
Prüfend wandert meine Augenbraue in die Höhe.
Unter wachsamen Blicken beäuge ich ihn von der Seite, als er plötzlich anfängt das Kleidungsstück wie ein Lasso in der Luft herum zu wedeln und dabei mit fettem Grinsen im Gesicht laut »Yee-Haw!« schreit.
Das ist doch jetzt nicht sein Ernst!
Anschließend wirft er es gen die Statue...und verfehlt.
Fail.
Ich schlage mir meine Hand vor den Kopf. Colin hebt derweil erneut das Jackett auf, beschließt nach seinem kläglichen Wurfversuch es diesmal jedoch der Steinfigur einfach über den Kopf zu hängen, wie das schon von Anfang an jeder andere getan hätte.
Die strengen Blicken der Statue verfolgen uns nun nicht länger. Das stellt auch Colin fest und wendet sich mit einem höchstzufriedenen Gesichtsausdruck wieder in meine Richtung.
»Besser?«
Ich nicke. »Besser.«
Bald schon finden wie uns in derselben Position wie zuvor wieder und machen dort weiter, wo wir zuletzt aufgehört haben. Und bald schon wird die gespenstige Stille der Kirche durch lustvolles Stöhnen und das Klatschen nackter Haut erfüllt.
Für einen winzigen Moment schiebt sich ein alarmierender Gedanke in meinen Kopf. Ich habe das Gefühl, dass wir etwas vergessen haben, etwas falsch machen, aber spätestens als Colin mit einem weiteren Stoß in mich eindringt, setzt mein Gehirn endgültig aus und ich schmelze dahin, werde fortgetragen auf einer Welle voller freigesetzter Endorphine.
Mir wird plötzlich klar, dass Colin mich etwas fühlen lässt, dass tiefer ist als alles andere, was ich jemals vorher empfunden habe. Er ruft in mir jede Menge negative Emotionen vor.
Wut.
Frust.
Trauer.
Doch was sind diese, gemessen auf einer Waage mit all den anderen Gefühlen, die er in mir hervorruft, wenn er mich ansieht, wenn er mich mit seinem Colin-Grinsen beglückt, wenn wir gemeinsam lachen? Ich kann es euch sagen: Im Gegensatz zu all diesen Emotionen sind die negativen, doch nur eine hauchdünne Feder auf der goldenen Waagschale.
Zwar denke ich, dass es zu früh ist, um von so etwas wie der großen Liebe zusprechen, aber ich kann nicht länger leugnen, dass ich nichts für diesen egoistischen und arroganten Dussel empfinde. Er ist nicht perfekt. Aber ich bin es auch nicht. Kein Mensch ist es.
Wisst ihr, im Nachhinein gibt es viele Dinge, die ich bereue, an diesem Tag getan zu haben. Vielleicht habe ich es später auch manchmal bereut, Colin in die Kirche gefolgt zu sein. Vielleicht gab es aber danach auch Momente, in denen ich froh war, es kein bisschen anders getan zu haben.
Ich weiß nicht, ob es so etwas wie Schicksal im Leben gibt. Aber wenn ja, dann war es Schicksal, dass Colin und ich uns auf diese Weise im Gartencenter kennengelernt haben. Hätten wir das nicht, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Sicherlich wären wir uns auf der Feier begegnet, aber der Tag hätte gewiss einen anderen Verlauf genommen. Für alle Beteiligten.
Ob besser oder schlechter, das steht in den Sternen, aber eins ist klar: Sollte es wirklich das Schicksal geben, dann hat es vorgesehen, uns nach dieser Nacht nicht mehr zu trennen. Stattdessen hat es einen Bund zwischen uns geknüpft, innig und tief, von dem wir bis zu einem bestimmten Punkt selbst keine Ahnung hatten, er uns jedoch für die nächste Zeit begleiten sollte.
Denn anscheinend sah das Schicksal vor, Colin und mein Leben in den darauffolgenden neun Monaten komplett umzukrempeln. So richtig.
Aber alles was danach kam, lag in unseren Händen.
-ENDE-
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