𝟒𝟎│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂

Kiera

Colin und ich haben etwas Dummes getan.

Naja, wir haben mehrere dumme Sachen hintereinander getan.

Alles hat damit angefangen, dass wir gemeinsam die Bar erobert und uns einmal quer durch das komplette Alkohol-Repertoire des Gutshauses probiert haben. Angefangen mit Bier. Dann Tequila. Dann Whiskey und spätestens als Colin eine ganze Wodka Flasche angefordert hat, die wir später aus irgendeinem mir nicht mehr erklärbaren Grund »Calisha« getauft haben, habe ich aufgehört zu denken und stattdessen wahllos alles heruntergekippt, was mir in die Hände kam.

In unserem gleichermaßen berauschenden Zustand kam uns die geniale Idee, Strip Poker in abgewandelter Form mit Fragen, statt Karten zu spielen, was dazu führte, dass keine halbe Stunde später Colin in Boxershorts und ich nur bekleidet mit Slip und BH an der Bar saßen und uns einen abgelacht haben, während der Ober uns im hohen Bogen aus dem Gutshaus rausgeworfen hat.

Netterweise hat uns danach irgendjemand ein Taxi gerufen, auf das wir bis jetzt vor der Kirche warten.

Es ist ein Wunder, dass ich es unversehrt bis zum Parkplatz geschafft habe, was nicht zuletzt Colin zu verdanken ist. Ihm scheint nämlich der Alkohol nicht ganz so zuzusetzen wie mir. Ich könnte schwören, ich kippe jede Sekunde um, einfach zur Seite auf den Boden wie ein nasser Waschlappen. Die Müdigkeit und die Schmerzen meiner erschöpften Gelenke von diesem langen Tag hat mit einem Mal so zugenommen als wir die Partylocation verlassen habe, dass ich von da an am liebsten schlafend in mich zusammengesunken wäre. Egal wo. Egal, was um mich herum geschieht.

Dabei hatte ich so sehr gehofft, dass mir die kühle Nachtluft guttun würde, mir wieder Klarheit verschafft, sowohl geistig als auch körperlich. Doch nichts dergleichen ist geschehen. Momentan bin ich ein einziges Wrack.

Mein Kopf dröhnt so dermaßen. Mir ist schwindelig und kotzübel, dabei bin ich mir mittlerweile ziemlich sicher, dass mein Mageninhalt nur aus säureartiger Galle besteht und es nicht mehr viel zum Entleeren gibt. Den Großteil habe ich bereits auf dem Weg durch den Park verloren. Dennoch fühlt sich mein Magen an als säße ich in dem Wagon einer Achterbahn, vor mir die zwanzigste Fahrt mit Aussicht auf jede Menge Loopings und steilen Kurven. Ich würge. Colin neben mir stöhnt.

Zum wiederholten Male ist er es, der meine Haare zurückhält, als ich nichts als Galle auf den grauen Asphalt erbreche und mich an ihn kralle als wäre er mein Rettungsanker. Denn das ist er. Ausnahmsweise mal.

Beschämt wische ich mir mit meinen Handrücken über meine Lippen, habe jedoch das Gefühl, eine noch breitere Schleimspur in meinem Gesicht zu hinterlassen, als wenn ich es nicht getan hätte.

Colin kniet neben mir und durch das matte Licht einer Straßenlaterne direkt neben uns beobachte ich ihn dabei, wie er kurzerhand ein Taschentuch aus seiner Hosentasche zieht und damit wortlos über meine Wange fährt. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie ich aussehen muss. Wahrscheinlich sehe ich schrecklich aus, mit einem riesigen Kranz verschmierter Wimperntusche unterhalb meiner Augen und mit zerzausten und quer abstehenden Haaren wie eine Vogelscheuche.

Und wahrscheinlich mustern mich seine braunen Augen deswegen so aufmerksam, fliegen rastlos über mein Gesicht wie als wäre sie auf der Suche nach etwas. Auch ich lasse meinen Blick bedächtig an ihm herabschweifen. Sein Hemd hängt unordentlich aus seiner Hose, ist schief und nur bis zur Hälfte zugeknöpft ist, was wahrscheinlich unserem kleinem Spielchen zu verdanken ist. Die braune Mähne ist ganz verwuschelt und im Schein des Lichtes könnte man beinahe denken, dass das dunkle Braun seiner Haare dem Rehbraun seiner Augen ähnelt. Beinahe.

Doch ich habe ihm heute schon zu oft in die Augen geschaut, sie zu häufig studiert, abgesucht nach Antworten auf Fragen, unausgesprochenen Gedanken, um es besser zu wissen. Selbst mit verschlossenen Augen und ohne in sein Gesicht zu blicken weiß ich, dass das Braun seiner Augen unverkennbar heller ist. Es hat diese anziehende, fast schon hypnotisierende Wirkung auf einen, vielleicht auch nur auf mich. Ich weiß es nicht.

Sie ziehen mich jedes Mal aufs Neue in ihren Bann, genauso wie jetzt. Und bevor ich meine allerletzte Kraft aufstemmen kann, um mich von seinen Augen loszureißen, bin ich ihnen bereits verfallen, verloren in dem Strudel aus Brauntönen.

Am Rande nehme ich wahr, wie Colin mit dem Tuch über meine Lippen fährt.

Langsam. Zu langsam.

Ich spüre den Druck seiner Finger durch das hauchdünne Papierstück. Ich spüre, wie er sich Zeit lässt. Und ich spüre, wie das, was er da gerade tut, etwas in mir auslöst.

Etwas, dass meinen Atem beschleunigen, meinen Puls nach oben und mein Herz mehrere Aussetzer verpassen lässt. Ganz klar der Alkohol. Es muss der Alkohol sein.

»Wieso...«, murmelt Colin und legt seinen Kopf leicht schief zur Seite, während sein eindringlicher Blick mich gefesselt hält, »...ist niemand von euch in dieser Familie trinkfest?«

Ich kann nicht antworten, weil Colins Finger immer noch auf meinen Mund ruhen und selbst wenn ich es könnte, wüsste ich nicht, was ich hätte antworten sollen. Mein Magen rebelliert wieder. Aber diesmal nicht wegen des Alkohols.

Es ist kein Krampf. Es ist ein Schwarm Libellen, deren Flügel ungezügelt und ständig gegen die Innenseite meiner Magenwand klatschen.

Und plötzlich ist das Tuch weg. Er hat es einfach fallen gelassen.

Seine Finger dagegen hat er nicht weggenommen. Sie liegen immer noch bestimmend auf meinen Lippen. Wieso nimmt er sie nicht weg?

Panik überkommt mich plötzlich. Das geht nicht. Wir dürfen nicht...Wir haben uns heute schon einmal auf die verbotene Seite unseres selbstkreierten Spielfeldes begeben. Noch einmal darf das nicht passieren!

Wie ich meine innere Vernunftstimme kenne, würde sie mir jetzt raten, ihn weg zu stoßen, aufzustehen oder ihm eine zu verpassen. Sie würde mir klar machen, dass das gerade in die falsche Richtung läuft und Colin aufhören sollte mit dem, was er tut und ich mit dem, was ich nicht tue. Doch mein innerer Vernunftschreihals wurde mit der hochprozentigen Mischung aus Tequila und Wodka schon vor Minuten abgetötet und ins absolute Nirvana befördert.

Stattdessen bewege ich mich nicht, habe das Gefühl, dass mir jemand schon die ganze Zeit die Sauerstoffzufuhr abzapft und sie ab den Zeitpunkt, wo Colin anfängt seinen Daumen langsam entlang meiner Unterlippe gleiten zu lassen, endgültig abgedreht wird.

Diese Berührung macht mich irre, schreit nach mehr. Er ist so sanft, so vorsichtig wie er mit seinen rauen Fingern die kleinen Einkerbungen meiner Lippen nachfährt. Stück für Stück. Langsam. Bedächtig. Als wäre mein Mund aus zerbrechlichem Glas. Als wäre ich zerbrechlich.

Und ich lasse ihn passieren.

Vielleicht weil ich immer noch zu benebelt bin von dem vielen Alkohol. Für diese Antwort haben in meinem Inneren im Nachhinein alle abgestimmt aus einer.

Vielleicht aber auch, weil er es ist, von dem ich benebelt bin. Für diese Antwort hat nur einer Partei ergriffen; Mein Herz.

Zu behaupten, es würde mir nicht gefallen, wäre, wie als wenn ich mich selbst belügen würde. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr es mich anturnt, wie sehr er mich reizt, mit dem was er tut. Mit diesem Blick erst.

Seine Augen sind zwar auf meinen Mund gerichtet, aber die Art wie er jedes noch so kleine Detail in sich aufzusaugen scheint, lässt mich erahnen, dass er gierig ist. Er ist hungrig. Er ist heiß.

Doch keine zwei Sekunden später sind seine Finger weg und meine Lippen leer.

Und ich würge ein weiteres Mal.

·•●❀●•·

Wir warten immer noch auf das Taxi. Ich weiß gar nicht, wie lange wir hier schon in der Kälte stehen und erst recht weiß ich nicht mehr, wer uns überhaupt gesagt hat, dass ein Taxi auf uns warten würde, denn ansonsten würde ich zu dieser Person gehen und ihr ordentlich eins auf die Nuss hauen. Ich kann es nicht fassen!

Ich will doch nur in mein Bett, meine Beine hochlegen und endlich meine Ruhe haben. Vor allem von ihm. Keine Ahnung was da vor wenigen Minuten passiert ist, aber es zerrt an meinen letzten übriggeblieben Nerven und ich bin es leid, mir den Kopf zu zerbrechen oder mir Gedanken darüber zu machen, was das zu bedeuten hat.

Ich habe ohnehin schon Kopfschmerzen des Todes und bin so hundemüde, dass ich mich momentan schwer daran tue, meine Augen überhaupt noch offen zu halten.

Ich bin geschafft, einfach fertig. Das Hochgefühl, was mir der Alkohol für eine kurze Zeit beschert hat, ist längst vergangen und nichts als ernüchternde Leere zurückgeblieben.

Mittlerweile habe ich es aufgeben, erwartungsvoll wie Colin am Straßenrand zu stehen und darauf zu hoffen, dass Scheinwerfer eines gelben Autos in der Dunkelheit auftauchen. Stattdessen hocke ich zusammengesunken an der Bordsteinkante neben einer Laterne und vegetiere vor mich hin, während ich versuche nicht einzuschlafen oder zu erfrieren oder beides zusammen.

Wieso ist es auf einmal so kalt geworden? Den ganzen Tag war es herrlich warm gewesen und dann hat es sich plötzlich so runtergekühlt. Die Temperatur scheint ordentlich gesunken zu sein im Vergleich zu der knalligen Wärme vor der Trauung und mindestens genauso frostig ist die Stimmung zwischen Colin und mir. Er hat kein Wort mehr mit mir gewechselt seit...seit...ihr wisst schon seit wann...

Knurrig schlinge ich meine Arme um meine Taille, als eine kalte Nachtbrise einsetzt und mein angekratztes Gemüt noch mehr in Aufruhr versetzt. Der plötzliche Wetterumschwung kann auch nicht der atemberaubende Sternehimmel über uns wett machen, der sich wie gekleisterte Tapete über unseren Köpfen entlang erstreckt.

Ich verfluche mich dafür, meine Jacke im Auto liegen gelassen zu haben, die jetzt seelenruhig auf dem Rücksitz meines Babys beim Abschlepphof vor sich hinschlummert.

Was ein Segen und Fluch gleichzeitig, dass ich mich vorhin nochmal umgezogen habe. Dadurch bin ich zwar diese schrecklichen High Heels losgeworden und meine Füße stecken nun in bequemen Sneaker, aber dennoch trage ich ein verdammtes Kleid, das mir nur knapp bis übers Knie reicht und den Rest meiner nackten Beine zum Fraß der Kälte vorwirft.

Obwohl das rote Pünktchen-Kleid zu einem meiner absoluten Lieblingskleidungsstücke gehört, würde ich es im Moment, ohne mit der Wimper zu zucken, gegen eine warme Decke und einen Wollpulli eintauschen...und eine heiße Tasse Schokolade...und eine Aspirin. Ach und wenn wir schonmal dabei sind, nehme ich eine heiße Dusche auch noch!

So fokussiert auf meine Gedanken und den eckigen Kieselstein, den ich seit einigen Minuten auf dem Boden mit meiner Schuhspitze hin und herschiebe, bemerke ich Colin erst, als er schon vor mir steht und seine Hand zu mir herunter streckt. In dieser liegt sein Jackett. Zögernd beäuge ich es. Meint er das ernst?

Wie als könnte er meine Gedanken lesen, verdreht er die Augen und legt den schützenden Stoff um meine Schultern.

Immer noch ungläubig sehe ich ihn an.

»Was?«, blufft er, »Ich kann auch Gentleman sein, wenn ich will.«

Das lasse ich so stehen und erwidere ausnahmsweise mal nichts.

Sobald er sich allerdings mit den Rücken zu mir gedreht hat, bildet sich ein Lächeln auf meinen Lippen.

Colin Walker ein Gentleman, ay ay ay. Es geschehen noch Wunder.

Gerade als ich denke, dass wir wieder ins vorherige Schweigen verfallen, dreht er sich wieder zu mir herum und sagt entschlossen: »Da das Taxi noch auf sich zu warten scheinen lässt, schlage ich vor, wir nutzen die Zeit sinnvoll.«

Spätestens beim Wort »sinnvoll« werde ich hellhörig. Ich bin zwar noch nicht ganz klar bei Sinnen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Colin und ich-in welchem Zustand ich mich auch befinden mag, eine unterschiedliche Vorstellung davon haben, was sinnvoll bedeuten mag.

Gleichzeitig taste ich nach dem Laternenpfahl und versuche mich an der Metallstange hoch zu ziehen. Einen kurzen Moment gerate ich ins Torkeln. Meine Welt fängt sich plötzlich an seltsam zu drehen und zu verbiegen. Das Bild von Colin vor meinen Augen verschwimmt. Mein Gleichgewichtssinn spielt verrückt. Meine Füße suchen nach Halt auf den Boden wie sonst auch, aber finden merkwürdigerweise keine Haftung. Ich kralle mich an der Laterne fest, schüttle mehrmals den Kopf. Die Sicht klärt sich wieder.

Gerade als Colin nach meinem Arm greifen will, um mich zu stützen, hebe ich abwehrend die Hände und bedeute ihm, dass ich alles wieder unter Kontrolle habe.

»Geht schon«, presse ich mühsam hervor und ringe mir ein gequältes Lächeln ab. »Also, was schwebt dir vor, Sinnvolles zu tun?«

Forschend sehe ich ihn an. Obwohl die Laterne neben uns nur wenig Licht spendet, der Großteil meiner Gehirnzellen momentan noch nicht vollständig auskuriert ist und die Nachwirkungen meines Alkoholintus mich noch deutlich schwächen, entgeht mir nicht das teuflische Zucken um Colins Mundwinkel.

Oho, das ist nicht gut. Das ist gaarrr nicht gut.

Vielleicht bilde ich mir das auch nur alles ein.

Ja, das muss es sein. Ich bilde mir nur ein,

...dass Colin etwas mit seiner Berührung vorhin in mir ausgelöst hat. Etwas, dass mir gefällt und zugleich Angst macht.

...dass er mir sein Jackett gegeben hat, als könnte in Colin Walker jemals ein Gentleman stecken.

...das zu breite Grinsen, das ihm just in diesem Moment wie auf die Lippen gepinselt ist und mich noch mehr in Unmut stimmt.

Das alles ist nur Einbildung. Eine Illusion. Der Alkohol.

Genau wie Colin gerade, der im Inbegriff ist, in Richtung Kirche zu marschieren, auf den halben Weg sich jedoch zu mir umdreht und mit weit auseinander gerissen Armen verkündet: »Beten, Kiera. Lass uns beten!«

Ich versenke den Kopf in meinen Händen.

Oh bitte lass es nur ein böser Traum sein!

Oh je, was Colin da schon wieder vorhat?😂😂

Das war das letzte Kapitel für diesen Abend und ich bin schon ein wenig traurig, dass die Lesenacht jetzt vorbei ist😢

Aber Ladies & Gentleman, verehrte Hochzeitsgesellschaft, ein Spiel wartet noch darauf, gespielt zu werden! Mein persönlicher Favorit hihi😄

Runde 3
»Wer würde eher...?« Bei diesem Spiel müssen die Hochzeitsgäste den Namen nennen, der am ehesten die vorgeschlagene Aktivität erfüllen/nicht erfüllen würde. Ich bin gespannt auf eure Antworten😄

Los gehts!

Colin oder Kiera: Wer würde eher...?

1. ...sich 1 Stunde lang in einem Raum voll mit Spinnen sperren lassen?

2. ...nackt durch die Innenstadt laufen?

3. ...einen Geburtstag vergessen?

4. ...seinem Schatz einen Heiratsantrag machen???

Mit wem würdet ihr eher...?

5. ...für eine Stunde in einem Fahrstuhl eingesperrt sein wollen? Kaitlyn oder Stressica?

6. ...in einen Kiosk einbrechen? Colin oder Kiera?

7. ...euch mit Alkohol volllaufen lassen? Amy oder Norm?

8. ...auf einer gestrandeten Insel sein wollen? Josh oder Finn?

Tja, das war's! Ich hoffe, dass die Lesenacht euch genauso viel Spaß gemacht hat wie mir💗

Wir lesen uns am Mittwoch wieder und erfahren dann auch, ob Colin wirklich betet😂

Bye bye😉

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