𝟑𝟗│𝑪𝒐𝒍𝒊𝒏

Colin

»Die Frau heißt Gloria.« Wie dumm, dass ich mir ausgerechnet den Namen der Eheschänderin merken kann oder ist das Ironie des Schicksals?

»Sie hat in der Firma meines Vaters als Buchhalterin in der Verwaltung angefangen, bis sie irgendwann in seinem Ehebett gelandet ist.«

Das ist alles so abgefuckt. Wieso erzähle ich ihr den Mist überhaupt?

Weil sie ihn hören wollte, erinnert mich eine vage Stimme in mir.

Genau wie viele andere vor ihr will auch sie die „Geschichte" hören, um zu verstehen, warum ich so ein penetranter Idiot bin, der seinen Vater nicht leiden kann und ihm die Krätze an den Hals wünscht. Sie erhoffen sich dadurch, mich zu „heilen" und mir zu „helfen" mich mit meiner „Familie" zu versöhnen, obwohl ich ihnen schon mehrere Male klipp und klar gemacht habe, dass meine einzige Familie nur aus zwei Personen jemals bestehen wird.

Und dennoch glauben die selbst erwählten Zuhörer, die ich zu keinem Zeitpunkt gebeten habe, in meinem Privatleben herumzustöbern, immer noch an ein Wunder, doch wie viele andere vorher, wird auch Kiera rein gar nichts an meiner Einstellung und Haltung ändern können.

Aber es beschert mir doch jedes Mal aufs Neue Vergnügen, wie ich durch ihre Intention, das Vater-Sohn-Verhältnis aufzubessern, nur sie selbst davon überzeuge, das besser nicht zu tun, weil sie erkennen, was für ein selbstsüchtiger und rücksichtsloser Arsch der feine William Walker eigentlich ist.

Fein, schön. Darf ich mit der „Geschichte" fortfahren? Seid ihr auch wirklich bereit dazu?

Denn ich werde es nie sein.

»William durfte ein paar Mal mit seinem Golfschläger in ihr Loch einlochen und zack-sie wurde befördert zur Sekretärin. Was für ein Aufstieg!«

Wäre das nicht die Realität, müsste ich fast darüber lachen.

»Sie hatte in meiner Achtung schon verloren, weil sie sich hochgeschlafen hat, aber sich an einen verheirateten Mann ranzumachen mit zwei Söhnen, genau dann, wenn die Ehefrau sterbenskrank und hilflos im Krankenhaus liegt-«Ich schüttele den Kopf. »Das werde ich dieser Frau nie verzeihen und ihm erst recht nicht. Nicht nur meine Mum ist damals gestorben. Er ist es für mich auch.«

Und ich meine jedes Wort so, wie ich es sage. Mein Vater ist tot. Ich habe ihn damals an dem Tag beerdigt, als der Sarg meiner Mutter in die Erde niedergelassen wurde.

Ich werde diesen Tag nie vergessen.

Es war an einem Montag. Vollkommen lächerlich. Mum hatte Montag gehasst, weil sie für sie immer den Start der Woche symbolisierten und das Abreisen ihres Ehemannes für die nächsten sechs Tage bis zum Sonntag, um Geschäfte zu regeln. Das Wetter war überraschenderweise gut gewesen. Bester Sonnenschein, milde Temperaturen, kein Anzeichen von Regen den ganzen Tag und das im Oktober. Sie hatte immer gesagt, wenn sie nicht mehr da ist, dann brauche ich nur in den Himmel zu schauen, um ihr Lachen und ihre Wärme in den Sonnenstrahlen zu finden.

Zu dumm, dass es nicht immer sonnig ist, Mummy.

Die Realität holt mich schneller als gedacht wieder ein. Ich brauche nicht einmal in Kieras Gesicht zu schauen, um ihr die Frage von den Lippen abzulesen, die in ihrem Kopf jetzt herumschwirren muss wie ein riesiges Fragezeichen. Es ist immer dieselbe Frage. Jedes Mal.

»Sie hatte Lungenkrebs im Endstadium«, erkläre ich mit Blick auf den See gerichtet. Ein paar Glühwürmchen tanzen anmutig über der Wasserfläche, machen dem Mondlicht, das sich      majestätisch wie ein weißer Schleier auf dem Wasser spiegelt, Konkurrenz. Grillenzirpen schmückt die Nacht aus. Ein Frosch quakt auf einer entfernten Seerose und schaut den kleinen leuchtenden Insekten bei ihrer Lichtershow zu. Eigentlich eine zu schöne Nacht, um sie mit einer solchen Story zu vergiften.

»Ich war 12 als die Diagnose kam, Josh gerade 13. Die Ärzte haben ihr noch 12 Wochen zum Leben gegeben. Sie hat nur die Hälfte davon geschafft.«

Ich schlucke hart, versuche die schlimmen Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen, die mich seit jeher plagen. Dennoch spult sich immer und immer wieder dasselbe Bild vor meinem inneren Auge ab und das seit Jahren. Mum wie sie im Bett liegt. Abgemagert. Dünn. Zu dünn.

Neben ihr ein Eimer, in dem sie sich ständig erbricht. Das Kopfkissen voller blonder Haare. Nur wenige noch auf ihren Kopf. Eingefallene Wangen. Kein lebenslustiger Glanz mehr in den braunen Augen. Nur ein mattes Lächeln auf den Lippen, wenn sie gesehen hat, dass ich an ihrem Bett gestanden habe.

Mum war immer ehrlich zu mir. Sie konnte nie schummeln bei Mensch-ärgere dich-nicht und hat es nie geschafft, die Weihnachtsgeschenke heimlich ins Haus zu schmuggeln.

Sie hat nie gelogen. Nie.

Also habe ich ihr auch geglaubt, als sie gesagt hat, alles würde wieder gut werden.

Das war das erste Mal, dass meine Mutter mich angelogen hat und für diese Lüge konnte ich sie nie zur Rechenschaft ziehen.

Sie hat sich einfach davon gemacht, mich zurückgelassen. Wie konnte sie nur...

Grübelnd beobachte ich den Frosch dabei, wie er plötzlich zum Sprung ansetzt und bevor er im dunklen Wasser mit einem lauten »Plupp« verschwindet, sein Maul weit aufreißt und eines der Glühwürmchen aus der Luft mit sich in die Tiefe zieht.

Fressen und gefressen werden. Ein Naturphänomen. So wie der Krebs meine Mum gefressen hat. Sie war wie das Glühwürmchen-einfach zu schön für diese Welt, sodass der Frosch das Licht nicht ertragen konnte und es stattdessen ausgelöscht hat.

Ich wende den Blick ab. Metaphern in Mischung mit dem Tod gefallen mir nicht.

»Weißt du eigentlich, was das Schlimmste an der ganzen Sache war?« Ich schaue abwartend Kiera an und dass, obwohl ich eigentlich keine richtige Antwort von ihr erwarte. »Es war nicht die Tatsache, dass meine Mum tot war, dass sie einfach gegangen ist und Josh und mich zurückgelassen hat bei dem Mann der 24/7 nur seine Firma im Kopf hatte. Damit hatte ich mich inzwischen schon abgefunden. Es war die Tatsache, dass sie vierzehn Tage, vierzehn Tage nach ihrem Tod bei uns eingezogen ist! 14 Tage! Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe? Er hat sie ausgetauscht wie ein kaputtes Radteil! Und damit hat er alles kaputt gemacht.«

Man könnte meinen, ich würde jetzt in Tränen ausbrechen, mir einen abheulen und emotional werden. Doch inzwischen bin ich abgehärtet und empfinde eher Wut als Trauer. Galle steigt in mir hoch, wenn ich daran denke, wie die vielen Umzugskartons plötzlich in unserem Wohnzimmer standen und diese Frau angefangen hat, Mums Lieblingsgeschirr auszusortieren, und zwar in den fucking Müll.

Der Gedanke an meine Mutter schmerzt noch mehr als der stechende Schmerz meiner fast schon tauben Fäuste, aber es ist ein abflauender Schmerz, der zwar nie ganz weggehen wird, aber mit der Zeit nachlässt so wie auch die Erinnerung an sie verblassen wird.

Inzwischen fällt es mir leicht die „Geschichte" von ihr zu erzählen, ohne jegliche Emotionen oder Tränen dabei zu vergießen, weil ich es schon zu oft getan habe. Damals bei den unzähligen Therapeuten, zu denen mich William geschleppt hat, die auch mit mir über die „Geschichte" meiner Mutter reden wollten. Was ist das für ein behinderter Ausdruck „Geschichte"?

Das ist keine Geschichte.

Geschichten haben für mich etwas mit Fantasie und Happy Ends zu tun. Das was meiner Mutter passiert ist, war das knallharte Leben und meilenweit entfernt von einem Happy End.

Und überhaupt-Es gibt keine Happy Ends. Vielleicht in Geschichten, aber nicht im wahren Leben. Wenn es ein Happy End gibt, dann ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Man macht nur einen vorzeitigen Cut, um die Menschen von den Schattenseiten der Geschichte fernzuhalten. Wäre schließlich übel, wenn die böse Fee nach Dornrösschens Hochzeit zurückkehren und die Herrschaft wieder an sich reißen würde, oder?

Wäre doch zu schön gewesen, wenn nach dem Tumor in Mums Magen, keine Metastasen in die Lunge gestreut hätten? Wo war da das Happy End? Die gute Fee, von denen in Märchen immer die Rede ist? Wo war sie, als ein 12-jähriger Junge vor dem Grab seiner Mutter stand und mit ansehen musste, als sein Vater kurz darauf in das Auto der Eheschänderin eingestiegen ist?

Ich hasse Geschichten mit Happy Ends.

»Colin, hätte ich gewusst, dass...« Kiera, die mir die ganze Zeit schweigend zu gehört hat, legt mir nun ihre Hand auf die Schulter und versucht wahrscheinlich mich zu trösten. Dabei brauche ich alles andere als Trost. Ich brauche überhaupt kein Mitleid von anderen Menschen. Reflexartig schüttele ich ihre Hand ab und schaue in ihre braunen Augen, von denen ich mir gewünscht hätte, dass sie mich nicht auf diese Weise ansehen würden. So bedauernswert. Denn das lässt meinen Puls enorm in die Höhe schießen.

Ich hasse es, wenn sie diesen Mitleidsblick draufhaben wie die alten weißhaarigen Männer mit dicker Hornbrille in den riesigen Ohrensesseln. Sie schauen mich dann immer an wie ein bemitleidenswertes Hundebaby, das gerade vor dem Ertrinken gerettet wurde.

Ich will nicht gerettet werden. Von niemanden.

Und erst recht nicht will ich, dass mich irgendjemand tröstet.

Das gebe ich ihr auch deutlich zu verstehen: »Du wolltest die Geschichte hören, Kiera. Da hast du sie. Das Leben ist nicht immer rosig rot. Das Leben ist auch mal beschissen. Und damals war es das. Sicher verstehst du jetzt auch, warum ich nicht gerade Luftsprünge mache, wenn man mich auf mein Verhältnis zu William anspricht. Und schon gar nicht will ich die Mitleidsbekundungen anderer Leute! Sie ist tot. Ende.«

Danach verstumme ich. Das Thema ist durch. Wir sind fertig.

Indessen hat Kiera einen undefinierbaren Blick aufgelegt und mustert mich auf eine merkwürdige Art und Weise. Vielleicht klang ich eine Spur zu harsch, zu kaltherzig. Vielleicht denkt sie jetzt, ich bin ein gefühlsloser Egoist, dem alles am Arsch vorbei geht. Vielleicht bin ich das auch. Aber kann man es mir verdenken?

Ich bin überzeugt davon, dass andere in meiner Position noch viel schlimmer agiert hätten und der Kontakt zu der Familie ganz abgebrochen wäre. Ich habe wenigstens noch den Arsch in der Hose, mich zusammen zu reißen, gute Miene zum bösen Spiel vor allen Augen zu machen, während William mit diesem Flittchen herumstolziert als wäre er der Größte.

Hat eigentlich irgendjemand eine Ahnung, wie verdammt schwer es ist, nicht vor versammelter Mannschaft auszurasten, wenn er ihr einen Kuss auf ihre beschissene Wange haucht? Wie verlockend dagegen der unwiderstehliche Drang ist, ihn mit meiner göttlichen Faust seine Fresse zu polieren?

Um das mal klar zu stellen: Ich habe genau das nicht getan, auch nicht, als er mir vorhin am Pavillon nach meiner kleinen Auseinandersetzung mit Terrice einen ellenlangen, lächerlichen Vortrag über mein mangelhaftes Benehmen gehalten hat.

Als ob er jemals an meiner Erziehung beteiligt war. Ihm ist es doch am Arsch vorbei gegangen, was wir gemacht haben. Er war ja nie da.

Wenn dann sollte er sich also selbst Vorwürfe machen, nicht mir.

Warum ich trotzdem nicht zugeschlagen habe, hängt eng mit dem Grund zusammen, warum ich heute überhaupt zu dieser dämlichen Hochzeit angetanzt bin.

Ich habe das nur für ihn getan, für Josh.

Der Einzige, der jemals in dieser Familie wirklich für mich da gewesen ist. Und beinahe hätte ich ihn auch noch verloren...

Kieras Stimme reißt mich plötzlich aus meinem wilden Gedankenstrudel und lässt mich meine Aufmerksamkeit wieder auf sie richten. Sie hat schon eine ganze Weile ihre Hände über ihren Schoß zusammengefaltet und wedelt mit den Beinen in der Luft wie ein kleines Kind beim Schaukeln, während sie nachdenklich ihren Blick über den See schweifen lässt. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst.

Ich erwarte, dass sie mich zurechtweist, irgendein Stuss faselt von wegen Es tut mir leid für dich, aber es ist so viel Zeit vergangen und du solltest dich wieder mit deinem Vater vertragen bla bla bla, doch stattdessen nimmt sie plötzlich meine Hand und drückt diese leicht, während sie sagt: »Danke, Colin. Ich weiß es zu schätzen, dass du mir das anvertraut hast.«

Zugegebenermaßen bin ich überrascht und muss sie in diesem Moment anschauen wie der letzte Volltrottel, weil ich so überrumpelt von dieser einfachen und netten Geste bin. Ist das ihr Ernst? Sie drückt meine Hand und bedankt sich? Das ist alles? Wo bleiben die wertenden Kommentare, die unzähligen Nachfragen und die moralischen Ratschläge?

»Du rätst mir nicht mich mit William zu vertragen? Die ganze Sache hinter mir zu lassen? Du willst gar nichts mehr sagen über meine Familie oder mich?«, hake ich verwirrt nach, denn bisher war es immer so. Alle wollten noch mehr Hintergrunddetails, haben mir den Moralapostel in Person vorgespielt bis ich sie daran erinnert habe, keine Therapiestunde bei ihnen bestellt zu haben. Noch nie hat sich bei mir jemand bedankt für mein Vertrauen.

Doch Kiera zuckt nur unbeirrt mit den Schultern.

»Warum sollte ich? Mir steht es nicht zu über deine Familie und eure Verhältnisse zu urteilen. Vor allem jetzt, wo ich ein paar Hintergrunddetails kenne. Ich wollte nur den Grund wissen, warum du dich mit deinem Vater nicht verstehst. Nicht mehr, nicht weniger. Wenn deine Entscheidung ist, den Kontakt weiterhin so minimal zu halten, dann bitte. Ich respektiere das...und jetzt kann ich es auch nachvollziehen. Deswegen tut es mir auch leid, als ich vorhin zu dir gesagt habe...«

Ich winke ab. »Schon gut. Schon vergessen.«

Kiera wirkt erleichtert und das Braun ihrer Augen strahlt plötzlich so eine unnatürliche Wärme und Vertrautheit aus, dass es fast schon gruselig ist. Langsam habe ich das Gefühl, ihr Blick wirkt hypnotisierend und löst etwas im Unterbewusstsein aus, dass einen dazu verleitet, noch mehr persönliche und private Dinge auszuplaudern, ohne dass man es wirklich bemerkt. Bestimmt hat sie das während ihres Psychologie-Studiums gelernt und obwohl es mir missfällt gerade die Opferrolle einzunehmen, muss ich gestehen, dass sie ne super Therapeutin geworden wäre.

»Das ist zwar jetzt eine richtig tiefsinnige Frage, aber...«, fängt sie an und beißt sich nachdenklich auf die Lippen, »Was würdest du bereuen, wenn du heute Nacht sterben würdest?«

Sie blickt mich abwartend an, bekommt jedoch schneller als ich selbst von mir erwartet hätte eine Antwort.

»Nichts. Ich würde gar nichts bereuen«, gebe ich offen und ehrlich zu, bin gleichzeitig selbst über meine schnelle Reaktion überrascht. Stimmt das überhaupt? Würde ich wirklich nichts bereuen?

Nein, ich denke nicht. Ich habe schon einige Fehler in meinen Leben gemacht, tiefgreifende Fehler, bin nach dem Tod meiner Mutter auf die schiefe Bahn geraten und habe Dinge getan, auf die ich sicher nicht stolz bin, aber ich weiß nicht, ob ich diese tatsächlich bereuen sollte. Wenn es eine Uhr geben würde, mit der ich meine Fehler rückgängig machen könnte, dann glaube ich, würde ich es dennoch nicht tun. Sind es nicht die Fehler, die wir am meisten bereuen, die, die uns gleichzeitig am meisten prägen? Die uns zu den Menschen machen, der wir sind?

Obwohl...

»Es gibt da eine Sache, die ich bereuen würde, wenn der Sensenmann mir heute Nacht seine Aufwartung machen würde...«

Gespannt sieht Kiera mich an. Obwohl mir in den letzten Minuten wenig zum Lächeln zumute war, muss sich jetzt ein ziemlich großes auf meinem Lippen breit machen. Galant fahre ich mir durch die Haare, bevor ich zum Reden ansetze: »Ich würde es bereuen, dass hier keine heißen Chics rumlaufen, die ich vor meinen Tod nochmal so richtig durchnehmen ka-Aua!«

Kiera verpasst mir einen kräftigen Schlag gegen meinen Arm, der wirklich nicht ohne ist. Die Frau kann echt zu schlagen.

Vor der Hochzeit wird eine Versicherung abgeschlossen und ein Info-Katalog zu häuslicher Gewalt bestellt, das steht schonmal fest.

»Ich versuche gerade ein ernsthaftes Gespräch mit dir zu führen, Colin Walker!«, beschwert sie sich und ich sehe sie empört an.

»Und ich habe dir eine wahrheitsgemäße Antwort gegeben!«

Wie kommt sie nur darauf, dass ich, ehrenwerter Gentleman, lügen könnte?

Sie will schon wieder ausholen, als ich beschwichtigend die Arme hebe und einlenke:

»Na gut, na gut!«, gebe ich klein bei, »Ich ehm... ich glaube, ich würde es bereuen, dass ich heute zu dir gesagt habe, dass ich es bereue, dich getroffen zu haben. Macht das Sinn?«

Sie überlegt kurz, nickt dann aber mit einem Grinsen im Gesicht.

»Ja.«

Keine Sekunde später wird mir bewusst, was ich da eigentlich von mir gegeben habe. Fuck, habe ich das gerade ernsthaft gesagt?!

Oh mein Gott, das ist jetzt bestimmt voll falsch rübergekommen. Hätte ich doch nur meine Klappe gehalten. Jetzt denkt sie wahrscheinlich, dass ich sie vielleicht mögen könnte. Denn das kann ich nicht. Wirklich nicht. Ohne Scheiß.

Wir erinnern uns: Sie ist immer noch der Feind. Diejenige, die meinen Rücken geschändet, mich gedemütigt hat mit diesem Albtraum von Hemd, mich mit Mandel vergiften und im See ersaufen wollte und versifftes Blumenwasser über mich gegossen hat, sodass ich heute ganze dreimal mein Outfit wechseln musste und obendrein meine Frisur ruiniert war, nicht zuletzt durch den Eichhörnchenangriff, der mir beinahe mein Leben gekostet hätte!

Kiera ist skrupellos, herrisch und stur. Sie ist vollkommen abgedreht und verrückt.

Sie ist einfach anders.

Und vielleicht ist sie deswegen ja doch nicht so übel.

Okay, wartet. Streicht den letzten Satz.

Chiaras plötzlich genugtuender Gesichtsausdruck gefällt mir auch nicht. Sie strahlt regelrecht, als sie sich nach vorne beugt und mit einem höchst zufriedenen Lächeln murmelt: »Colin Walker, hast du gerade eben in einer anderen Art und Weise gesagt, dass du froh bist, mich getroffen zu haben?«

»Ehm...also...«, stottere ich. Fuck. Fuck. Fuck!

Jetzt gibt es kein Entkommen. Ich sitze schon viel zu tief in der Scheiße. Ich könnte zwar lügen, versuchen mich herauszureden und das Gegenteil behaupten, tue ich aber nicht und das aus zwei einfachen Gründen:

1.    Man soll nicht lügen. Hust Hust.

2.    Ich will nicht noch einmal im See landen.

»Mach einfach kein großes Ding draus, okay?«, bitte ich sie schließlich, was das Grinsen auf ihrem Gesicht nur noch breiter werden lässt.

»Du bist vielleicht auch nicht ganz so schlimm«, lenkt sie daraufhin ein, was mich entrüstet die Augenbraue hochziehen lässt.

Was soll das heißen Ich bin nicht ganz so schlimm? Ich bin ja wohl Gentleman, Poetiker, Eichhörnchenbekämpfer, Modeikone und Gott der Coolness und Sexiness in Person. Wie kann man mich denn bitte nicht gut finden?

»Auf einer Skala von 1 bis 10...«, beginnt sie und ich hasse es allein schon, dass sie eine Skala versucht mit mir zu messen. Ich dachte, wir hätte das geklärt. Das klappt nämlich nicht. Man kann unendlich schließlich nicht in eine Zahl fassen. Wieso also die Mühe machen?

»...mit zehn „ganz ertragbar" und eins „absoluter Horror", bist du eine glatte -2.«, verkündet sie.

Ihr Ernst?

»Haha«, sage ich matt, während Kiera sich totlacht.

»Was hattest du denn gedacht?«, will sie wissen und rechtfertig das knausrige Ergebnis mit folgender Aussage: »Ich war sogar noch gnädig gewesen und habe nur die letzten zwei Stunden mit einberechnet.«

»Wie wahnsinnig rücksichtsvoll von dir«, brumme ich und versuche mich nicht von einer billigen Zahl aus der Bahn werfen zu lassen, obwohl es mein Ego doch schon ein wenig verletzt. Nur ein ganz, ganz kleines bisschen, versteht sich. Nicht, dass ich mir groß über so etwas Lächerliches Gedanken machen würde. Eine -2! Pah!

»Ja, rücksichtsvoll-so bin ich eben«, wiederholt sie strahlend und fügt mit Nachdruck hinzu: »Solange es sich nicht um meinen Verlobten handelt.«

Sie lacht und ich muss ebenfalls lachen, denn diese Aussage ist eine ganz treffende dafür, was dem armen, armen Mann bevorstehen wird, der vorhat diese Frau zu bändigen. Ein Tag hat mir ja schon gereicht. Wie soll es der arme Knecht an ihrer Seite sein ganzes restliches Leben aushalten?

Vielleicht sollten wir ihn vorwarnen. Vielleicht sollten wir aber auch nur das Spiel genießen.

Und vielleicht sollten wir selber mitspielen.

Okay, streicht das Letzte wieder.

Ich sollte aufhören, meinen inneren Dialoge zu lauschen und stattdessen meinen Fokus mehr auf die Wirklichkeit legen, da Kiera mir plötzlich ihre Bierflasche hinhält und feierlich verkündet: »Auf Team Arschloch und Arschlocherin!«

Ich grinse bei ihrem Ausruf und bin froh, dass wir letztendlich doch noch einen Gruppennamen gefunden haben für Mission ImKOTZible oder wie Kieras schrecklicher Name war: Mission Turteltauben.

Ich habe gewonnen, seid ehrlich!

Voller Tatendrang suche ich ebenfalls nach meiner Flasche, um mit ihr an zu stoßen bis mir einfällt, dass diese vor wenigen Minuten beschlossen hat baden zu gehen. Also tue ich so, als würde ich in meiner Hand eine imaginäre Flasche hochhalten und stimme prostend mit ein. »Auf Team Arschloch und Arschlocherin!«

In diesem Moment schießt vom anderen Ende des Ufers eine Rakete in die Höhe und erleuchtet den klaren Sternenhimmel in schillernden Farben. Dann folgt eine weitere und eine weitere. Es ist das Feuerwerk für Kaitlyn und Josh, die, als wir uns umdrehen, eng umschlungen auf der Terrasse stehen und auf den See hinausblicken, der das grandiose Farbspiel am Himmel in sich aufsaugt und an der Wasseroberfläche widerspiegelt. Doch während alle beschäftigt sind, den Himmel zu betrachten, gilt meine Aufmerksamkeit nur einer Person.

So sehr ich versuche den Blick abzuwenden, ich schaffe es nicht. Das Bild, was sich mir bietet, ist einfach viel schöner, als es das Feuerwerk am Himmel jemals sein kann.

Fasziniert hat Kiera den Kopf in den Nacken gelegt und verfolgt die aufsteigenden Raketen mit ihren Augen, die vor Begeisterung nur so strahlen. Eine sanfte Sommernachtbrise weht durch die Bäume, lässt Kieras rotes Kleid am Ansatz flattern und veranlasst eine braune Strähne, sich aus dem Pferdeschwanz zu lösen und stattdessen am Rande ihres Gesichtes zu einer perfekten Locke zu kringeln, die dazu einlädt, sie hinter ihr Ohr zu streichen. Doch stattdessen schweifen meine Augen über ihre rosigen Wangen zu ihrem vollen Mund, den sie vor Staunen weit zu einem Lächeln geöffnet hat.

Und obwohl ich nicht weiß, was das zwischen uns ist, Freundschaft oder Hass, Liebe oder Abneigung, ist das ein Moment, denn ich mit niemanden lieber als ihr teilen würde. Meiner Arschlocherin.

Nawww, wer hätte mit so einem Ende des Kapitels bei DEM Anfang gerechnet?
Ich wollte Colin beim Schreiben einfach die ganze Zeit in den Arm nehmen🥺

Denn das Kapitel bedeutet mir sehr viel, weil es in einer Zeit entstanden ist, als jemand mir nahestehendes die Diagnose »Krebs« bekommen hat. Das hat mir klar gemacht, dass es jeden jederzeit treffen kann und das Leben viel zu kurz ist...Lebt also jeden Tag als wäre es der letzte!🙂

Da ich euch aber keinesfalls mit melancholischer Stimmung ins nächste Kapitel entlassen will, kommt jetzt tadaaa...

Runde 2
It's all about Emojis😁😃

1.Welche drei Emojis würden Colin am besten beschreiben?

2. Welche Kiera?

3. Die Hochzeit in Emojis sähe so aus...

4. Euer Gesicht beim Lesen des Kapitels...

5. Und weil ich natürlich euch als Hochzeitsgäste genauer kennenlernen möchte: Welche Emojis würden euch am besten beschreiben?

Bei mir sähe das so aus: 👱🏻‍♀️📖♊️🍕😂
(Zur Erklärung: Ich habe blonde Haare, lese unglaublich gerne, bin Zwilling vom Sternzeichen, liebe Pizza (wer bitte nicht?)  und habe zu schrägen Humor, der meistens nur mich anstelle der anderen zum Lachen bringt😂)

Read you later, alligator🐊👋🏻

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