𝟑𝟔│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂
Kiera
Norm hat uns tatsächlich mitgenommen, nachdem ich ihm tausendmal versprechen musste, nie wieder einen Fuß in das Gartencenter als auch in den Supermarkt zu setzen, wenn er dort arbeitet. Pech gehabt! Ich war immerhin eine profitable Kundin gewesen!
Um ehrlich zu sein habe ich immer noch keinen blassen Schimmer, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass der Ausgang dieses Abends und die Wiederherstellung von Colins Ehre in den Händen eines zutiefst unsympathischen Supermarktmitarbeiters lag, mit dem ich mich-nebenbeigemerkt-vor wenigen Minuten noch im Krieg befand.
Und dennoch hatten wir keine andere Wahl, weshalb sich meine Wenigkeit einige Sekunden später, eingepfercht zwischen etlichen Schallplatten und CDs, auf der Rückbank in Norm's kleinen Auto wiederfand.
Hatte ich meine Bedenken, ob dieses Fahrzeug überhaupt fahrtüchtig ist, als ich auf dieses äußere Stück von Schrotthaufen zugegangen bin? Ja, ja hatte ich.
Haben Colin und ich uns gestritten, wer hinten auf der Rückbank sitzen darf anstelle des Ehrenplatzes vorne neben Norm?
Ja, ja haben wir.
Haben wir dann anschließend Schere-Stein-Papier wie Fünfjährige gespielt und ich habe Colin geschlagen, weil er so doof war, dreimal hintereinander Stein zu nehmen?
Ja, ja haben wir.
Und ist Colin dann wie eine beleidigte Leberwurst auf den Beifahrersitz abgezogen?
Ja, ja ist er.
Tja, wer taktisch nicht klug bei Schere-Stein-Papier agiert, der ist einen Platz auf der Rückbank eben nicht wert!
Sobald das Auto hält, öffne ich schwungvoll die Tür, die dabei ein hässliches Quietschen von sich gibt, und grätsche im Schlepptau mit etlichen Tortenpackungen auf die Straße. Sofort werde ich empfangen von einer rauen Nachtbrise und den vertrauten Bass im Hintergrund, welcher von der Partylocation zu uns herüberdröhnt.
Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie froh ich bin dieses Auto endlich zu verlassen, denn die Fahrt war alles andere als...normal.
Nicht nur, dass sich Norm als übermäßiger Fanatiker von Schallplatten und CDs entpuppte, die er in seinem Auto zu horten und hüten schien wie Gollum seinen Ring, sondern es stellte sich auch heraus, dass er einen Hang dazu hatte, sein Auto zu verkitschen bis zum Geht-nicht-mehr.
Besonders imposant fand ich das mit rosa Stoff und Glitzersteinen überzogenen Lenkrad, gefolgt von der chinesischen Winkekatze, welche die Fahrt um einiges bereichert hat. Der asiatische Glücksbringer war mit einer kleinen Kordel am Innenspiegel angebracht und wurde, wann immer Norm abgebremst hat, kraftvoll gegen Colins Kopf geschleudert. Einmal so doll, dass Colin sie wütend zurückgekickt hat und die kleine Minzekatze dann anschließend mit doppelter Geschwindigkeit zurückkam.
Haha. Das nenne ich Karma.
Ich grinse bei dem Gedanken daran, wie Colins Flüche den Innenraum plötzlich gefüllt hatten und wie er es kurz darauf war, der der Katze gewunken hat und zwar als er sie mit Karacho aus dem geöffneten Fenster befördert hat.
Norm war daraufhin mehr als nur angepisst, weil Colin seine liebste Mrs. Twinkie umgebracht hatte. Demnach angespannt war auch die Stimmung im Auto gewesen.
Erst recht, als Colin auf der Hälfte des Weges beschlossen hatte die Heizung einzuschalten und das im Hochsommer! Als ich ihn gefragt habe, was das soll, war seine Antwort nur: »Ich taue die Torten auf, Chiara. Was denn sonst?«
Ja, was denn sonst, Kiera?
Dass diese Art des Auftauens genauso wenig funktionierte, wie wenn man einen Föhn benutzen würde, schnallte Colin erst nach ungefähr zehn Minuten, in denen ich den Spaß meines Lebens hatte, ihn dabei zu zusehen, wie er mehrere Armkrämpfe hintereinander erlitt, weil er die Torte nicht länger vor die Lüftung halten konnte und sich bei Norm durch das plötzlich tropische Klima im Auto erste Schweißperlen auf der Stirn bildeten.
Ich umrunde das Auto und komme neben Colin zum Stehen, der ebenfalls die Hälfte der Torten auf seinen Armen balanciert und völlig genervt aussieht.
»Danke und Tschüss!«, sagt er an Norm gewandt und stößt daraufhin mit seinem Fuß die geöffnete Beifahrertür zu. Keine zwei Sekunden später wird diese jedoch von innen wieder geöffnet. Norm's blonder Haarschopf lugt heraus. Was will er denn noch? Haben wir was vergessen?
»Ich will eine Belohnung.«
Huh?
»Wir hatten vereinbart, dass du uns mitnimmst und absetzt«, erinnere ich ihn und sehe ihn eindringlich an. Doch Norm zuckt nur unbeirrt mit den Schultern: »Eventuell habe ich meine Meinung soeben geändert. Ich will mit.«
»Gesundheit?«
»Ich will mit«, wiederholt Norm. »Das ist meine Belohnung.«
Ja klar. Der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank!
»Das geht nicht«, sage ich und schüttle entgeistert den Kopf. Das ist völlig ausgeschlossen, vollkommen absurd. Wir können doch keinen fremden Mann einfach so auf die Hochzeit von Kaitlyn und Josh mitnehmen...
...oder?
»Wieso nicht? Es ist Ewigkeiten her, dass ich mein Tanzbein geschwungen habe und unter Leuten war. Ich würde doch noch nicht einmal auffallen!«, erwidert Norm daraufhin nur.
»Nein«, sage ich entschieden. Es geht einfach nicht.
»Gut, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als eine Anzeige aufzusetzen wegen Körperverletzung und beabsichtigter Tötung von Mrs. Twinkie.«
Meine Augenbraue wandert skeptisch in die Höhe. Tut er gerade das, was ich denke, dass er tut? Soll das etwa eine Drohung sein?
Ich will schon etwas erwidern, werde jedoch übertönt von meinem Nebenmann.
»Sie sollten sich freuen...«, mischt Colin sich plötzlich von der Seite ein. »Mrs. Twinkie hat dank meiner Hilfe fliegen gelernt. Jetzt winkt sie Ihnen vom Himmel aus zu!«, sagt er und ahmt dabei die Winkbewegung der Katze nach, was meine Mundwinkel unwillkürlich nach oben zucken lässt.
Mein Blick fällt wieder auf Norm, dessen Augen uns beinahe schon durch die dicken Brillengläser flehend ansehen. Die Hände hat er bittend vor der Brust zusammengefaltet. Seine untere Lippe ist leicht nach vorne geschoben wie bei einem Kleinkind, das sich nicht mit einer Kugel Eis zufriedengeben will.
Ich mag ihn nicht. Tue ich wirklich nicht, aber einerseits lassen mich seine großen Kulleraugen vergessen, dass ich eigentlich vorhatte hartnäckig zu bleiben. Und anderseits hat er Colin und mir den Gefallen getan, uns hierher zu fahren, als wir nichts außer einen billigen Fetzen Papier mit den Daten des Abschlepphofes und das halbe Kühlregal im Schlepptau hatten. Er hätte uns auch einfach stehen lassen können, aber hat sich dagegen entschieden. Vielleicht wäre es angebracht, unseren Dank in Form eines Stück Kuchens zu zeigen. Vielleicht ist das aber auch einfach nur eine wahnsinnig bescheuerte Idee und der nächste Fauxpas, den Colin und ich uns leisten, wenn wir mit einem neuen Hochzeitsgast aufkreuzen.
Unsicherheit macht sich in mir breit. Ich schwanke. Das ist der Moment, indem ich mich selbst dafür verfluche, die Gutmütigkeit meiner Mutter geerbt zu haben. Automatisch schweifen meine Augen zu Colin. Ich muss einfach wissen, was er darüber denkt.
-Was sagst du?
Colin zuckt mit der Schulter und deutet mit seinem Kopf in Richtung Kirche.
-Ich sage, der Typ ist gaga und wir zischen ab.
Ich beiße mir auf die Lippe, hadere noch mit mir selbst.
-Oh, fuck. Ich kenne diesen Blick. Denkst du gerade ernsthaft darüber nach, ob wir ihn...?
-Eventuell.
-Nein!
-Abstimmung!
-Nein!
-Ja!
Ich drehe mich zu Norm. »Okay, du kannst mitkommen.«
Colin schnauft neben mir verächtlich. »Wann, bitte, haben wir beschlossen, dass deine Stimme doppelt zählt?«
Mit dem allerliebsten Grinsen in Colins Richtung, beobachte ich wie der mitternächtlichen Hochzeitszuwachs freudig aus dem Auto springt und zu uns kommt.
Jeden Tag eine gute Tat, Kiera, rufe ich mir ins Gedächtnis.
Heute helfe ich dabei die sozialen Kontakte eines unfreundlichen Mitarbeiters aufzuwerten-besser als zu der Tat gestern, wo ich einer schwangeren Frau meinen Platz im Bus anbieten wollte, sie sich aber als fett herausgestellt hat und fast explodiert ist, als ich sie als 'schwanger' betitelt habe. So schnell bin ich noch nie aus einem Bus geflüchtet...
Dennoch: Jeden Tag eine gute Tat.
»Herzlichen Glückwunsch!«, sagt Colin in einem monotonen Tonfall und so gar nicht begeistert als er auf Norm zu geht. »Du bist jetzt offizieller Teil dieses verkackten Liebesturteleifestes und hast dich somit qualifiziert Torten zu schleppen« Dann lädt er die Hälfte seines Stapels bei Norm ab, welcher die Torten kommentarlos entgegennimmt, das zufriedene Strahlen nicht aus seinem Gesicht wegzukriegen.
Gemeinsam treten wir den Weg zur Partylocation an. Norm folgt uns brav wie ein Schoßhündchen auf Schritt und Tritt durch den Park, während Colin und ich nebeneinander herlaufen.
»Sollte er Ärger machen...«, raunt Colin mir zu und wirft einen skeptischen Blick nach hinten, »...dann ist das auf deinen Mist gewachsen.«
»Er wird keinen Ärger machen«, flüstere ich und schiele möglichst unauffällig zu Norm, der sich neugierig in der Gegend umblickt und fröhlich dabei summt. Wie könnte jemand wie er schon Ärger machen?
»Gut«, kommt es nur von der Seite und dann einige Sekunden später: »Dann bin ich mal gespannt, welche Lüge du jetzt Josh auftischen willst.«
Wie auf Kommando schnellt mein Blick, der bis jetzt auf Colin gelegen hat, nach vorne. Der Kieselweg mündet in Pflastersteinen. Daraufhin kommt die Veranda des Gutshauses, welche von zwei riesigen Strahlern angestrahlt wird, zwischen den Bäumen zum Vorschein. Ich schlucke, als ich sehe, wie Josh die Treppenstufen heruntergeilt kommt und direkt auf uns zu steuert.
Die Hände hat er in den Taschen seines Anzugs vergraben. Ein undefinierbarer Ausdruck ziert sein Gesicht. Seine Augen sind zusammenkniffen. Er scheint uns schwer zu erkennen, weil die Dunkelheit der Bäume uns einhüllt wie ein wolliger Mantel. Seine Schritte jedoch sind zielstrebig und entschlossen. Seine Stimme fest und sicher.
»COLIN ANGUS WALKER!«
Colin verkrampft sich schlagartig neben mir und auch ich werde hellhörig, als Josh die Stimme erhebt. Es liegt nicht daran, was er sagt, sondern wie er es sagt. Ich erkenne seine Stimme kaum wieder. Sie hat nichts mehr mit der sanftmütigen und fröhlichen Stimme gemein, welche Josh sonst an den Tag legt. Viel mehr klingt sie vorwurfsvoll und so verdammt wütend.
Ich ahne Schlimmes.
Immerhin hat Colin sich einfach so davongeschlichen, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen und ich gleich mit. Zwar wusste Kaitlyn, dass ich ihn suchen gehe, aber ob wir wiederkehren würden, stand bis dato noch in den Sternen. Ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob er wirklich vorhatte, ab zu hauen und der Hochzeit den Rücken zu kehren oder zu bleiben und das ganze Schlamassel wieder in Ordnung zu bringen. An Joshs Stelle wäre ich ziemlich schlecht auf uns zu sprechen. Wir haben ihm die Hochzeit ruiniert.
»Warte hier, ich regle das«, sagt Colin eine Spur zu gelassen und noch bevor ich mein Veto einlegen kann, hat er schon die restlichen Tortenverpackungen auf Norms Arm abgeladen und ist zu Josh in den Lichtkegel getreten.
Und dann passiert das, womit ich am wenigsten gerechnet habe, erst recht, weil es sich bei der Person, der Colin gegenübersteht, um Josh handelt.
Denn dieser schlägt zu.
Und zwar einmal kräftig mit seiner Faust mitten in Colins Gesicht.
Uhhh, wer hätte das gedacht? Josh scheint irgendwie ganz schön wütend auf Colin zu sein🤔😮 Und letzterer hatte sicherlich auch eine andere Begrüßung erwartet, vor allem jetzt, wo er es doch mit den Torten wieder gutmachen wollte😬 Ob's dafür vielleicht schon zu spät ist?
Übrigens habe ich mir jetzt auch festgenommen jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen😌 Meine gute Tat heute? Aufhören den Kühlschrank andauernd zu belästigen😂😂
By the way mir fällt gerade auf, dass wir uns so langsam dem Ende nähern😢Deshalb die Frage:
Hättet ihr Lust auf eine Lesenacht?
Wenn ja, dann würde ich nämlich nach einem passenden Termin suchen😃💗
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