𝟐𝟏│𝑪𝒐𝒍𝒊𝒏
Colin
Okay, zuallererst muss ich etwas zu meiner Verteidigung sagen: Ich leugne nicht, dass ich eventuell rumgeschrien habe wie ein pubertierender Teenager, der schreiend die Flucht vor einer Minispinne ergriffen hat.
Aber soll ich euch mal was sagen? Ihr hättet in meiner Situation auch so geschrien!
Stellt euch mal vor, ihr wollt in eurem Auto nach einem Karton suchen. Draußen dämmert es, ihr seid allein auf dem Parkplatz und habt eventuell schon so manche Horrorfilme geschaut. Dann ist das Auto plötzlich offen, aber ihr denkt euch nichts dabei. Dann schaut ihr nach dieser Kiste und es fällt plötzlich so ein unheimlicher, dunkler Schleier über euch. Jetzt kommt euch langsamer schon der Gedanke: Oh Shit, gleich steigt der rote Luftballon vor der Windschutzscheibe auf.
Und dann schaut ihr plötzlich nach hinten und das Nächste, was ihr seht, sind grüne blutunterlaufene Augen und eine wilde Lockenmähne im Schatten der Sonne. Also wie ich das sehe, hat nur noch die Axt gefehlt und wir wären in dem Blockbuster eines Horrorfilms gewesen. Mein Schrei war also vollkommen berechtigt, klar?
Ehm...Das bleibt trotzdem unter uns, ja?
»COLIN?«
»FIETE?«
Mein kurzzeitiger Herzkasper ist überstanden, wenngleich mein Puls immer noch über 100 zu sein scheint. Meine Fresse, was muss er mich auch so erschrecken!
Wütend starre ich den blonden Lockenschopf auf der Rückbank an, der mich mit seinen grünen Augen genauso argwöhnisch mustert. Auf seinem Kopf herrscht ein einziges Chaos. Seine Haare stehen ungebändigt in alle Richtungen ab, während er sich über sein zerknirschtes Gesicht fährt und kräftig gähnt. Eine höchst unangenehme Duftfahne weht daraufhin aus den Tiefen seines Mundes zu mir herüber, lässt mich innerlich würgen. Jetzt weiß ich auch, woher dieser modrige Geruch beim Einsteigen kam.
»Hey, Mann. Aber immer noch Finn. Du hast nicht zufällig eine Ahnung, wieso ich in Kieras Auto liege? Ich kann mich nämlich an nichts mehr erinnern, außer dass ich vor ein paar Minuten hier aufgewacht bin.«
Es braucht ein paar Sekunden, bis ich sein Gesagtes registriere und dann schlägt es bei mir ein wie ein Blitz.
Er erinnert sich an nichts mehr?!
Oh, das ist gut. Also, dass er sich an nichts mehr erinnern kann, nicht dass er hier im Auto geschlafen hat. Das bedeutet nämlich, dass Kiera ihn hier hingeschafft haben muss. Und das wiederum bedeutet, dass ihr jemand geholfen haben muss, weil Kiera es wohl kaum mit ihren dünnen Ärmchen geschafft hat, Fiete allein auf den Parkplatz zu schleifen. Sie muss Hilfe gehabt haben und ich kann mir schon ganz genau ausmalen, welcher Idiot sich als Retter in Not aufgespielt hat.
Verdammt, vielleicht hätte ich sie doch nicht allein lassen sollen.
»Wie weit geht deine Erinnerung noch zurück?«, hake ich sicherheitshalber nochmal nach. Shakira runzelt angestrengt die Stirn.
»Heute ist Kaitlyn und Joshs Hochzeitstag.«
Ich nicke. »Positiv.«
»Kiera hat falsche Blume mitgebracht und ich sollte sie ins Gartencenter begleiten.«
»Positiv.«
»Ich habe im Auto gewartet und als sie nicht kam, bin ich rein gegangen.«
»Positiv.«
»Ich habe dich mit ihr gesehen. Ihr habt euch gestritten.«
»Ehm...negativ«, korrigiere ich ihn, »Ich habe ihr einen Antrag gemacht, Fiete. Du warst doch dabei und warst der Erste, der uns gratuliert hat!«
Mensch, ich bin so gut im Lügen. Meine Worte würde ich mir ja beinahe selber abkaufen, würde ich nicht die Wahrheit kennen.
Lächelnd klopfe ich Shakira gegen die Schulter, doch er sieht mich nur ungläubig an.
»In meiner Erinnerung war das aber...«
»Es kann schon mal vorkommen, dass, wenn man zu tief ins Glas guckt, die Erinnerung verrücktspielt«, falle ich ihm ins Wort und sehe ihn zutiefst bedauernd an. Grübelnd beißt er sich auf die Lippen.
»Du sagst, ihr habt euch verlobt?«, fragt er unsicher, nicht wirklich überzeugt nach.
»Ja« Ich nicke eifrig und summe zwinkernd die Melodie, die die Mädchen immer früher beim Seilspringen gesungen haben. Keine Ahnung, was momentan mit mir durchgeht. Vielleicht war das Wasser im See ja verpestet oder so.
»Du weißt doch: Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, wie viele Kinder werden wir kriegen oder werden wir der Scheidung erliegen?!«
Bin ich nicht ein Poet? Der letzte Teil ist von mir, Colin Walker. Ich weiß, dass ich genial bin. Der kräftige Applaus wäre also nicht nötig gewesen.
Obwohl... Applaus schadet nie! Applaudiert, Freunde, für euren Gott der Poesie!
In mir stecken ungeahnte, nie erforschte Talente. Das sind auch die Momente, wo ich mich frage, warum ich mich nochmal dazu entschlossen habe, Sportwissenschaften zu studieren- ich scheine ja ein zweiter Goethe zu sein!
»Komisch, irgendwie meine ich mich zu erinnern, dass ihr euch überhaupt nicht leiden könnt«, funkt Finn mir dazwischen, wo ich gerade am Überlegen war, was Goethe nochmal während seiner Lebzeiten fabriziert hat. Romeo und Julia? Ne, das war Schiller, ger?
Ich sehe wie Shakiras Blick plötzlich an meinen Klamotten haften bleibt. Er blinzelt und blinzelt. Dann reibt er sich über die Augen.
Bro, das sind keine Halluzinationen. Das sind die Machenschaften meiner verfeindeten Verlobten.
Erst sagt er nichts und ich tue es vorerst auch nicht, weil ich es irgendwie amüsant finde, ihn dabei zu zuschauen, wie er mit sich ringt, ob er mich darauf ansprechen soll oder nicht. Schließlich gibt er doch nach.
»Sag mal, bist du nass?«
Seufzend lasse ich mich auf den Beifahrersitz zurücksinken.
»Eventuell war ich im See baden«, antworte ich grummelnd und spüre wie die Wut wieder in mir hochkriecht, mich daran erinnert, wer für all das verantwortlich ist.
Chiara.
Mein Blick verfinstert sich schlagartig.
»Am besten ich frage nicht nach, was?«, kommt es nur von hinten, woraufhin ich genervt murmle: »Wäre, glaube ich, nicht schlecht, wenn du das für dich behalten könntest.«
Ich wiege den Autoschlüssel in meiner Hand hin und her.
»Vielleicht auch das mit deiner Sauftour«, füge ich nachdrücklich hinzu. Josh Worte, heute ja kein Chaos anzurichten, habe ich geflissentlich übergangen. Ihm sollte daher definitiv nicht zu Ohren kommen, dass ich den Bruder der Braut abgefüllt habe. Die Furie sollte es erst recht nicht erfahren. Sonst garantiere ich heute Abend noch für einen Mord. Meinen Mord.
»Woah, meine Sauftour?« Die grünen Augen von Shakira weiten sich beleidigt. »Warst du nicht derjenige, der mich abgefüllt hat?«
Oha, er kann sich an nichts erinnern, aber an DAS schon?
»Wo war der Karton mit den Wechselklamotten noch gleich?«, weiche ich flüchtig aus und kratze mich am Nacken. Irgendwie verspüre ich das dringende Bedürfnis diese Unterhaltung zu beenden.
Sobald Shakira etwas von »Kofferraum« nuschelt, bin ich auch schon auf und davon, lasse den stinkenden Innenraum des pinken Cupcakes hinter mir und widme mich stattdessen wieder der Suche nach den Wechselklamotten.
Der Kofferraum ist wirklich klein, was nicht anders zu erwarten war bei Kieras kleiner Saftkarre. Für sie ist das aber scheinbar kein Hindernis, um ihn vollzustopfen bis obenhin mit allerlei Sachen.
Neben irgendwelche Bänder, langen weißen Rollen (ich nehme an Tischdecken), einer kleinen Kiste mit skurrilen Accessoires und pinken Flyer mit komischen Törtchen drauf, kommt schließlich die braune Pappe des Kartons zum Vorschein. Halleluja! Unsanft stoße ich den ganzen Krimskrams beiseite und traue meinen Augen nicht, als ich neben dem Karton einen weißen Kleidersack erspähe. Hastig ziehe ich den Reißverschluss runter und schnaufe empört auf, als ich sehe, was sich darunter verbirgt.
Das glaube ich jetzt nicht!
»Ihr hattet die ganze Zeit einen fucking frischen Anzug in diesem Auto mit einem fucking weißen, einfachen Hemd?!«, brülle ich und halte den marineblauen Anzug ein paar Zentimeter entfernt vor mir sauer in die Höhe. Sakko, eine lange blaue Hose und ein weißes Hemd! Zwar ein wenig zerknittert, aber hallo!
Die wollen mich doch verarschen!
Ich laufe hier den ganzen beschissen Tag mit einem Hemd herum, das aus behinderten roten Flecken besteht, welche angeblich 'Herzchen' darstellen sollen, während im Kofferraum ein nagelneuer Anzug schlummert! Bin ich der Einzige, der sich gerade verarscht fühlt?
»Der ist von meinem Dad« Finn lunzt vorsichtig von der Rückbank aus hervor und lächelt gekräuselt. »Er hat die Gabe, sich mit Rotwein zu übergießen. Deswegen der Ersatz-Anzug.«
Ich kneife meine Augen missbilligend zusammen. »Und ihr seid nicht mal früher auf die Idee gekommen, mir das eventuell mitzuteilen?«
»Eventuell haben wir das vergessen«, entgegnet er nur und als er daraufhin meinen zutiefst wutgeladenen Blick begegnet, verkrümelt er sich schnellstens schweigend wieder.
Ohne der Kiste einen weiteren Blick zu würdigen, pfeffere ich sie zu den anderen Sachen zurück, schlüpfe aus meinen Schuhen raus und fange an mich umzuziehen. Die Klamotten sind zwar etwas groß, weil Mr. Stuart wohl kaum so einen durchtrainierten Body hat wie ich, aber wenn ich die Hosenbeine ein paar Mal umschlage und das viel zu lange und weite Hemd in den Hosenbund reinstopfe, denke ich, dass ich doch ganz passabel aussehe. Schon allein, weil das Hemd jetzt weiß ist und von keinem hässlichen Herzchenmuster geziert wird.
»Weißt du, was ich mich die ganze Zeit frage?«
Ich rolle mit den Augen, bin gerade dabei das Wasser aus meinen Schuhen auszuleeren, als Finn nach einiger Zeit aus dem Auto steigt.
»Warum das Auto noch nicht verschrottet ist? Warum ich so unfassbar gut in diesem viel zu großen Anzug aussehe?«, rate ich und sehe zu, wie das ausgeleerte Wasser die hellgrauen Kieselsteine auf dem Boden dunkler werden lässt. Anschließend greife ich nach der Sonnenbrille, die ich in der Kiste mit den Accessoires gefunden habe.
»Nein, ich habe mich gefragt, was Kiera genau an dir findet.«
Mein Blick schnellt nach oben. Ich versuche gelassen auszusehen und mir nicht anmerken zu lassen, dass er mich mit seiner Aussage kurz aus dem Konzept gebracht hat. Stattdessen setze ich eine unbeteiligte Miene auf und lasse so viel Desinteresse in meiner Stimme mitschwingen wie nur möglich, als ich nachfrage: »Und? Schon was rausgefunden?«
Nicht, dass es mich wirklich interessieren würde.
Finn schüttelt den Kopf. »Nein, ihr seid komplett unterschiedlich wie Ying und Yang, Tag und Nacht, einfach wie komplette Gegenpole von Magneten, die sich voneinander abstoßen und rein gar nichts miteinander gemeinsam haben.«
Ich grinse und setze die Sonnenbrille auf.
»Das, Shakira, sind die besten Paare.«
So, aber in Wirklichkeit natürlich noch viel, viel cooler setzt Colin seine Sonnenbrille auf haha😎😎😎
Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen💗😄
Bis dannimanski!👋🏻
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