𝟏𝟗│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂

Kiera

»Was denn jetzt? San Francisco oder LA?«, hakt meine Mum irritiert nach, nachdem Colin und ich uns in einer Blase des Schweigens gehüllt haben.

»Naja, eigentlich in LA, nur der Name der Bar war San Francisco«, antworte ich leicht zögerlich und versuche darüber nachzudenken, ob mein Gesagtes überhaupt Sinn ergibt. Muss es. Irgendwie. Denn sofort springt Colin auf den mit Lügen bepackten Zug auf.

»Genau, die Bar in LA. Ihr Name war San Francisco«, pflichtet er mir bei, wenn auch mit einem nicht sehr überzeugten Ton. Seine braunen Augen fixieren mich.

-Weißt du eigentlich, was du da für einen Scheiß deiner eigenen Familie erzählst?

-Halt die Klappe und lächele!

-Noch ein Lächeln und ich kriege einen Krampf.

Tatsächlich beobachte ich ihn dabei, wie er wieder seine Mundwinkel nach oben wandern lässt. Wenn auch gequält.

»Okay und weiter?«, fordert Stressica, die langsam die Geduld verlieren zu scheint. Abwartend zupft sie an einer ihrer schwarzen Extensions.

»Ja, am besten du erzählst es, Schatz«, schlägt Colin vor und will sich schon erheben, doch ich presse ihn mit meinen beiden Händen wieder schön zurück in seinen Stuhl.

Verpissen ist nicht, Walker.

Was glaubt er denn? Dass er mich jetzt hier einfach so allein zurücklassen kann? Im Leben nicht! Wenn das Schiff untergeht, dann reiße ich ihn mit in die Fluten, sollte er sich auch noch so stark am Anker festhalten.

Und momentan sieht alles danach aus, als hätten wir ein Leck, das Wasser in unsere Liebesjacht reinspült und Colin sich kurzerhand dazu entschlossen hat, vorzeitig an Land zu gehen. Zu dumm, dass Kiera am Steuer ist und ohne mein Einverständnis niemand das sinkende Schiff verlässt.

Gespielt verwundert sehe ich ihn daher an.

»Was ich? Nein, nein. Neulich hast du mir doch noch erzählt, dass es dir so wahnsinnig viel Spaß macht unsere Geschichte zu erzählen«, sage ich und lächle. Colin zieht unwissend eine Augenbraue nach oben.

»Ach, habe ich das?«

Ich nicke überschwänglich, beuge mich zu ihm herunter und schlinge meine Arme von hinten um seinen Hals, während ich lauthals der Runde vor uns verkünde:

»Ja, während ich deine vielen Herzchenhemden gebügelt habe, die du so liebst. Erinnerst du dich jetzt?«

Zur Verdeutlichung löse ich den obersten Knopf seines weißen Hemdes, fahre lächelnd mit meiner Hand kurz über die entblößte Haut und lasse dann wieder von ihm ab. Andere Verlobte wären sicherlich angetan von so einer fast schon erotischen Geste. Colin dagegen schießt einen imaginären Todespfeil nach den nächsten auf mich ab.

Ich kann sehen, wie er seine Hände unter den Tisch zu Fäusten ballt.

Oh, verliert da jemand etwa gerade die Fassung?

»Lass mich kurz überlegen...«, sagt Colin gepresst. Nach wenigen Sekunden erscheint auf seinen Lippen jedoch ein gekräuseltes Lächeln, was mich erahnen lässt, dass er das eben eröffnete Schlachtfeld nicht einfach kampflos räumen wird. »War das da, wo die Feuerwehr kommen musste, weil du mit dem Bügeleisen das Bügelbrett in Brand gesteckt hast?«

Seine Augen funkeln mich diabolisch an, triefen vor bloßem Selbstbewusstsein, das ich eigentlich vorhatte mit meinen Worten zu ersticken. Irgendjemand muss ihn ja mal von seinem hohen Ross runterholen. Wer, wenn nicht seine Verlobte, huh?

Ich kann es außerdem nicht glauben, dass er mich gerade indirekt damit herausgefordert hat, indem er meine Bügelkünste schikaniert! Dass ich es wirklich mal geschafft habe, ein schwarzes Loch in den Stoff des Bügelbretts rein zu brennen, lassen wir jetzt mal außer Acht, aber meine haustätigen Fertigkeiten vor allen Augen in Frage zu stellen, stimmt mich in Unmut.

...und Wut.

Colin Walker, das bedeutet Krieg!

Ich dachte, ich hätte ihn heute mehr als deutlich gemacht, was passiert, wenn man Dinge sagt, die mich betreffen und nicht vorher mit mir abgesprochen wurden.

Meine Hand langt wieder auf seine Schulter. Meine Fingernägel gefeilt zum Angriff, bohren sich tief in Colins Fleisch, während ich ihn süßlich grinsend ansehe.

»Ja, genau. Da wo du der Feuerwehr die Tür mit diesem riesigen Kuschelteddy vor lauter Angst aufgemacht hast.«

Colins Augen werden groß, weiten sich erschrocken, aber darauf nehme ich keine Rücksicht. Stattdessen wende ich mich zu den anderen und sage bedauernd: »Mein Verlobter-rettet zuerst die Tiere, bevor er seine zukünftige Frau rettet.«

Daraufhin lachen alle und ich lache mit.

Lauthals.

Colin direkt in seine schöne Fresse.

»Tja.« Mit einem Ruck schiebt er meine Hand sichtlich angepisst von seiner Schulter herunter und klatscht in die Hände, während er die Weisheit des Tages herausposaunt, die mich zur Weißglut des Tages bringt: »Wie sagt man so schön-In Notsituationen immer erst die wichtigen Dinge retten.«

Daraufhin ist er es, der mir aus vollem Halse mit den anderen am Tisch ins Gesicht lacht.

Vernichtende Blicke werden ausgetauscht.

Oh, das wird er bitter bereuen.

»Ihr wollt die Kennenlerngeschichte von mir und Kiera hören?«, fragt Colin plötzlich in die Runde, was alle heftig nicken lässt und mich in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Er plant irgendetwas. Ich bin mir sicher zu 99, 9999999998 %. Hundert Pro führt er etwas im Schilde und das muss ich auf jeden Fall verhindern. Nur leider fällt mir momentan überhaupt nichts ein und Colins Mund ist viel zu schnell, als das ich ihn unterbrechen könnte.

»Es war ganz einfach: Ich kam in diese Bar...«

»Die San Francisco hieß«, fügt Tante Josie wissend hinzu, woraufhin Colin ihr charmant zu zwinkert und sie sogar zurück mit den Wimpern klimpert.

Woah, werden hier gerade Allianzen geschmiedet?

»Genau, und da sah ich diese junge, wunderschöne, sexy Frau im roten Kleid an der Bar sitzen.«

Überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch. Wunderschöne, sexy Frau?

Absolut ich, aber das aus dem Mund von Colin?

Mensch, da werde ich doch glatt ganz rot! Vielleicht ein erster Anfang auf ein Friedensangebot?

»Sie hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Ich meine, da war diese Aura und ich konnte die Augen nicht von dieser Schönheit abwenden.«

»Du übertreibst, Schatz«, sage ich lächelnd und tätschle ihn auf die Schulter. Doch Colin schüttelt nur mit dem Kopf.

»Nein, ehrlich. Ich war hingerissen von der Frau, neben der du saßt.«

Moment, WAS?

»Die Frau war nicht Kiera?«, fragt meine Mum mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich fahre zu ihm herum. »Ja, genau. Die Frau, von der du redest, war nicht ich?«

Colin schüttelt nur eifrig den Kopf.

»Nein, du warst die Frau, die mir Wodka auf mein Hemd geschüttet hat, weil sie so sturzbetrunken war, dass sie nicht mehr aufrecht gehen konnte.«

Jegliche Gesichtszügel entgleiten mir.

»WAS?« Fassungslos sehe ich ihn an. Diabolisch grinst er. Was redet er da!

»Kiera!«, ruft Tante May empört und sieht mich anklagend an.

»Moment, ich glaube mein Verlobter vertauscht da etwas«, klinke ich mich ein. Er will spielen?

Gut.

Dann aber nach meinen Regeln.

»Nicht ich war diejenige, die stock besoffen war, sondern er«, erkläre ich und sehe von der Seite wie Colin gehörig sein Lächeln vergeht. Unbeirrt fahre ich fort: »Ich habe ihn gesehen, wie er wie ein Häufchen Elend in diese Bar reingestolpert ist. Verzweifelt und hilflos. Mein Helfersyndrom ist sofort angesprungen. Ich habe schnell ein Glas Wasser bestellt und wollte auf ihn zu kommen, aber dann sind wir gegeneinandergeprallt und zack-war sein Hemd...«

»... ruiniert. Mein Lieblingshemd. 200 Dollar an der Stelle«, unterbricht mich Colin, was mich empört aufschnaufen lässt.

»Nass. Ich wollte nass sagen!« Finster starre ich ihn an.

-Ich rede jetzt, Walker!

-Ich weiß ja nicht, ob du es schon mitbekommen hast, aber wir sind nicht mehr in der dritten Klasse, wo man einen Redeball braucht, um etwas zu sagen.

-Wären wir es, dann hätte ich ihn jetzt in der Hand.

-Pflupp. Dir ist er gerade aus der Hand gefallen und ich habe ihn aufgefangen. Colin am Redeball, Chiara hat Funkstille!

-EINWAND, EUER NICHT EHREN!

-Ich habe dir schon mal gesagt, dass du keine Stimme in dieser Beziehung hast, Chiara.

-NOCHMAL EINWAND, EUER NICHT EHREN!

-Ach, halt die Klappe.

-EINWAAANDDDDDD!!!!!

»Wie auch immer habe ich sie zur Rede gestellt und ich war nicht stock besoffen«, stellt Colin klar.

»Wir haben geredet und dann...«, füge ich hinzu.

»...haben wir uns geküsst, verliebt, Ende der Geschichte. Sie ist die Frau meines Lebens bla bla bla.«, vervollständigt Colin unser schrecklich unglaubwürdiges Kennenlernen. Die Einzige, die daraufhin etwas sagt, ist Tante Josie und das ist:

»Interessant.«

Mehr nicht. Nur dieses eine Wort gepaart mit einem grübelnden Gesichtsausdruck.

Also soweit ich das beurteilen kann, sind wir gerade erfolgreich durch die erste Prüfung durchgerasselt. Wessen Schuld das ist, ist ja wohl klar.

Am Tisch ist es inzwischen ruhig. Alle mustern uns stumm, scheinen abzuwägen, ob unsere Geschichte einer kitschigen Story gleicht oder doch Mülltonnenpotential aufweist. Ich bin eindeutig für letzteres.

Ein stechender Schmerz zuckt durch meine Schläfe. Mein Kopf dröhnt. Diese ganze Lügerei zerrt jetzt schon an meinen Nerven. Ich halte das einfach nicht mehr aus, kann nicht länger ihren wachsamen Blicken ausgeliefert sein und so tun, als wäre ich auch nur ansatzweise in Colin verliebt.

»Schatz, wie wär's wenn ich dir jetzt die Blumendeko draußen zeigen?«, frage ich an Colin gewandt und weite meine Augen bedeutend weit, in der Hoffnung, dass Colin einmal seine Gehirnzellen arbeiten lässt und die Nachricht dahinter versteht.

Aber das ist Colin. Und Colins Gehirnzellen sind momentan anscheinend in den Flitterwochen. Zumindest vermute ich das, als er mich verwirrt anstarrt und genervt nachhakt: »Wieso willst du mir die beschissene ähh wahnsinnig tolle Blumendeko zeigen?«

Ich reiße meine Augen noch weiter auf. Und noch weiter. Gleich fliegt mein Augapfel noch raus, aber Colin steht dennoch auf den Schlauch und macht nicht die geringsten Anstalten, seinen Arsch in Richtung Ausgang zu schwingen- weg von diesem verdammten Tisch. Stattdessen fragt er:

»Hast du irgendetwas im Auge?«

Ich seufze.

Leute, ich geb's auf. Ehrlich. Dieser Typ ist ein hoffnungsloser Fall.

Kurzerhand kralle ich mir Colin am Ärmel, murmle irgendeine lahme Ausrede in Richtung des Tisches und schleife ihn dann einige Meter hinter mir her, bevor er anfängt zu protestieren und mich knurrig darauf hinweist, dass er auch ohne, dass ich ihn an seinen Ärmel festhalten muss, mir folgen wird.

Wir überqueren die Terrasse zum See, steigen die Holztreppe zum Steg hinab, der wie ein brauner Balken über das Ufer hinausragt.

Ein kleines Tretboot wurde am Rand des Steges verankert und sieht schon ziemlich in Mitleidenschaft gezogen aus. Ursprünglich war das sichermal als ein Schwan gedacht gewesen, doch die weiße Farbe ist inzwischen vergilbt und die kleinen schwarzen Knopfaugen sind an manchen Stellen zerkratzt.

»Teddybär? Dein fucking Ernst? Du hast mich lächerlich gemacht vor deinen Verwandten, Chiara!«, murrt Colin neben mir, was mich wütend zu ihm herumfahren lässt.

»Ich habe dich lächerlich gemacht? Du hast mich lächerlich gemacht!«, fauche ich ihn an und stapfe wütend weiter nach vorne.

Der Green Lake erstreckt sich vor uns. Die Sonnenstrahlen brechen sich an der Wasseroberfläche und lassen das Wasser verlockend schimmern. Bäume ragen von allen Seiten in den See hinein, zirkeln das stille Gewässer ab.

»Dieses ganze Verlobungsding war deine Idee, schon vergessen?«

Colin schnauft verächtlich hinter mir und ich kann mir ganz genau vorstellen, wie er dabei die Arme aufgebracht in die Luft wirft.

»Ja, fuck, aber nicht so!«

Ich rolle mit den Augen und nähere mich den Rand des Steges. Gerade frage ich mich, wie herrlich es wohl wäre, wenn ich meine Füße aus diesen Monsterhacken befreien könnte und meine wunden Ballen bei den anherrschenden heißen, fast schon tropischen Temperaturen in das kalte Wasser tunken könnte. Doch als ich neugierig nach unten schaue, sehe ich, dass es mehr als ein guter Meter ist, bis meine Füße auf die Wasseroberfläche treffen würden.

Also doch keine Abkühlung.

Colin ist inzwischen auch neben mir, schaut genauso fasziniert nach unten. Für einen kurzen Augenblick entspannen sich seine Gesichtszüge, doch als sich unsere Blicke begegnen, spannt sich sofort alles an.

Auch meine Miene verhärtet sich wieder. Anklagend richte ich den Finger auf ihn.

»Weißt du, wie das für mich ist? Mhh?« Ich bin so wütend. So verdammt wütend. »Alle denken, ich wäre jetzt mit so einem Arsch wie dir verlobt!«

»Guttausehender Arsch!«, korrigiert Colin mich, was mich ihn ungläubig anschauen lässt.

»Arsch ist Arsch, Freundchen!«

Ich bohre meinen Zeigefinger in seine stahlharte Brust, einfach weil es Spaß macht und ich weiß, wie sehr er es hasst, wenn ich meine Nägel in seine Haut bohre.

»Ich lüge wegen dir meine ganze Familie an, meine Mum, meine Tanten, meine Cousine. Für dich ist das vielleicht ein Spiel, in das du mich unfreiwillig reingepackt hast, aber ich sag dir jetzt mal was...«

Ich verharre einen Moment, sehe wie Colin mich abschätzig ansieht.

Du hast in dieser Beziehung keine Stimme. Seine Worte hallen in mir wieder wie ein Echo und steigern meine Wut ins Unendliche.

»Wenn du willst, dass das Spiel weitergeht, dann spielen wir nach meinen Regeln. Keine peinlichen Stories mehr. Keine abwertenden Kommentare über mich. Und deine Hände bleiben bei dir. Hast du das verstanden?«

Ein einfaches »Ja« hätte mir gereicht. Oder dass ich in Colins Augen so etwas wie Reue oder Vertrauen gefunden hätte. Doch nichts davon ist da. Seine Augen sind ein einziger tiefer Ozean aus Brauntönen und in der Mitte davon ist ein tödlicher Strudel, der alles andere vorhat, als sich mir unterzuordnen. Colin ist kein Teamplayer und solange er das nicht ändert, werde ich es auch nicht.

All meine Befürchtungen bestätigen sich und das nur mit dieser einen Aussage seinerseits: »Oh, Chiara«, säuselt er. Erst jetzt bemerke ich, wie nah wir uns sind. So nah, dass sein heißer Atem gegen meine hitzige Wange schlägt.

»Du sagst, ich soll die Finger von dir lassen, dabei sind es gerade deine Finger, die sich in meine Brust bohren.«

Er grinst, grinst sein beschissenes Colin-Grinsen mit den schiefen Mundwinkeln, den breit gezogenen Lippen.

Und irgendetwas löst dieses Grinsen in mir aus.

Einen Reflex.

Einen ganz bestimmten Reflex.

Und zwar den, ihn zu schubsen, ihn voller Wucht von mir weg zu drücken, bevor ich noch komplett den Verstand in seiner Gegenwart verliere. Zu dumm, dass ich nicht bedacht habe, dass wir uns am Ende des Steges befinden und Colin eventuell gerade einen Abgang in den Green Lake gemacht hat.

Ups.

Mit einem lauten »Platsch« verschwindet er für einen Moment in dem leicht grünlichen Gewässer, dann taucht er nach ein paar Sekunden auf.

Andere würden jetzt wahrscheinlich unverzüglich zum Ufer schwimmen und sich an Land retten. Aber das ist Colin Walker und das erste, was Colin Walker in so einer Situation macht, ist, seine Haare erstmal zu richten, beziehungsweise die braunen Strähnen aus seinem Gesicht zu streichen.

Dann schreit er laut »Fuck!«.

Dann schlägt er wie wild auf die Wasseroberfläche ein und katapultiert Wasserspritzer in die Luft, was mich einige Meter weiter nach hinten vom Stegrand wegspringen lässt.

Dann fällt ihm ein, dass ich es war, die ihn gerade eine gratis Schwimmstunde beschert hat.

Und dann fixieren seine braunen Augen mich zornig, kurz bevor er den Mund zu einer Beleidung öffnet.

Ich kneife die Augen zusammen, mache mich auf den Hagel von Schimpfwörtern gefasst, der jede Sekunde über mich nieder prasseln wird.

Das Einzige, was ich jedoch zu hören bekomme, ist eine freundliche Stimme neben mir, die sagt: »Ihr bestellter Champagner, Ma'am«

Zaghaft öffne ich die Augen, mustere die Kellnerin neben mir, die mich nett anlächelt und auf ihr vollgestelltes Tablett deutet.

Ich stehe immer noch unter Schock, versuche zu registrieren, was da eigentlich gerade passiert ist, was ich eigentlich gerade getan habe. Meine Stimme ist wie weggeblasen, kein Ton kommt mir über die Lippen, sondern ich stehe einfach nur starr da, glotze auf den See mit geöffnetem Mund.

Was, wenn Colin nicht schwimmen kann?

Dann hat sich die Verlobung immerhin erledigt und ich habe ein Problem weniger...

Ich zucke zusammen und kann gerade nicht glauben, dass ich das wirklich gedacht habe. Eine Welle der Panik übermahnt mich.

Was, wenn Colin wirklich nicht schwimmen kann?

Ich meine, er hat doch bestimmt Seepferdchen oder so? Oder das andere? Pinguin-Abzeichen hieß das in meiner Schule, glaube ich. Genau, Colin wird bestimmt das Pinguin-Abzeichen haben. Mit Sicherheit.

Warum ist es dann so unsagbar still geworden um das Gewässer?

Was, wenn Loch Ness doch nicht in Schottland lebt, sondern im Green Lake und Colin gerade in die Tiefen des Sees gezogen hat?

Ach, du Scheiße, ich muss mich zusammenreißen!

Colin ist der Feind, rufe ich mir ins Gedächtnis.

Colin.

Ist.

Der.

Feind.

Außerdem Loch Ness hier in Kalifornien? Wenn ja, dann ist Colin das Loch Ness und ich sein Opfer, sobald seine private Schwimmstunde vorbei ist und er den Weg zum Ufer findet.

Die Einzige, um die ich mir also Sorgen machen sollte, bin ich, weil ich zum wiederholten Male heute einen Nervenkollaps habe.

Und wie beruhigt man seine Nerven am besten und am schnellsten? Genau, mit Alkohol.

Zwar habe ich keinen Champagner bestellt, aber wenn die Kellnerin schonmal da ist...

Ich will mir eines der Gläser nehmen, doch da ertönt ein Grummeln vom See, dass die Kellnerin dazu veranlasst, mir plötzlich das ganze Tablett in die Hand zu drücken, um wie von der Tarantel gestochen zum Ende des Steges zu sprinten.

Die Gute macht sie sogar die Mühe und kniet sich noch hin. Mann, es ist doch nur Colin...

»Oh Gott, alles okay? Brauchen Sie Hilfe?", fragt sie an Colin gewandt. Doch bevor dieser etwas erwidern kann, trete ich beschwichtigend neben sie und winke dankend ab.

»Alles gut. Der Herr hat nur beschlossen ein kleines Bad zu nehmen«, erkläre ich und werfe dabei einen amüsierten Blick auf unsere Wassernixe, die mich vernichtend ansieht.

Süß. Er sieht so süß aus. Wie ein hilfloses Baby im Planschbecken. Einfach Zucker.

Die Kellnerin scheint zwar immer noch nicht überzeugt, sagt aber auch nichts weiter, sondern reißt sich ihr Tablett wieder unter den Nagel und will sich zum Gehen wenden, aber die Chance lasse ich mir natürlich nicht entgehen.

»Ich nehme die dann«, sage ich und greife nach den Gläsern, die gefüllt sind mit einer rosigen Flüssigkeit. Verwundert schaut sie mich an, als ich auch das zweite Glas nehme.

»Für mich«, erkläre ich ihr und füge extra laut hinzu, sodass es auch jeder hören kann: »Mein Verlobter ist soeben auf Wasser umgestiegen.«

Ein mürrisches Grummeln vom See.

Ich gluckse, während die Kellnerin mir einen Musste-das-sein-Blick zu wirft, was mich innerlich mit den Augen rollen lässt.

Sie hat doch keine Ahnung, wie anstrengend es ist, verlobt zu sein!

Nachdem sie den Abmarsch gemacht hat, trete ich erneut an den Rand des Steges.

Colin strampelt hektisch mit dem Armen und seine Augen funkeln mich wild an, als ich lächelnd das eine Glas hochhebe und ihm munter zu proste.

»Auf unsere Verlobung, Schatz«, verkünde ich feierlich und nehme zwei tiefe Schlucke ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Die kalte Flüssigkeit prickelt angenehm auf meiner Zunge und lässt mich in einen plötzlichen Rausch des Glücks verfallen. Mit einem letzten genugtuenden Lächeln in seine Richtung drehe ich mich schließlich um und gehe.

Mein phänomenaler Walk auf dem Steg zurück zum Gebäude wird jedoch von einem nervigen Geschrei im Hintergrund begleitet.

»ICH HABE DICH AUCH LIEB, SCHATZ!«

Kiera: 3 - Colin: 2

Ein Herz und eine Seele die beiden, oder was meint ihr?💗😅

An dieser Stelle muss ich einfach anmerken, dass ich dieses Kapitel liebe und es definitiv zu meinen Top 3 favorite Chaps dieses Buches gehört!
Vielleicht liegt es auch daran, dass die See-Szene eine der ersten Szenen überhaupt war, die ich zu diesem Buch geschrieben habe! Verrückt, oder?

Was sagt ihr zu der unfassbar authentischen Kennenlern-Story?

Colins Tauchgang?🌊🌊🌊

Ach, ich liebe die beiden einfach💞

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