𝟏𝟖│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂

Kiera

Colins erste Reaktion nach der kurzen Kennenlernrunde mit den Chaoten am Tisch, die darauf brennen 'unsere Geschichte' zu hören, ist, die Kellnerin zu sich zu winken und eine Flasche Whiskey zu bestellen. Ihr habt richtig gehört: Er hat kein Glas bestellt, sondern eine ganze Flasche.

Gott stehe mir bei.

Erst dachte ich, dass ich die Zügel in die Hand nehmen müsste, aber nach drei Drinks und der schon verdächtig halbleeren Whiskey Flasche hat Colin das Gespräch erfolgreich in seinen Händen und lügt, dass seine Nase bereits bis nach China wächst.

Seit zwei Minuten schwärmt er ununterbrochen von unseren Zoo-Besuch, bei dem er angeblich geholfen hat, einen ausgebrochenen Alligator wieder einzufangen. Wer's glaubt, wird selig.

Das Dumme daran ist nur, dass es tatsächlich alle zu glauben scheinen! Tante Mays Augen sind voller Staunen geweitet und Onkel Jeff ist sichtlich beeindruckt, nur meine Mum beäugt die ganze Sache etwas misstrauisch, tut es aber mit dem Übertreibungshang des männlichen Geschlechts und ihrer Heldentaten ab.

»Erzählt uns jetzt etwas vom Antrag!«, bittet Tante Josie und sofort dreht sich mein kompletter Mageninhalt um. Bis jetzt sind wir der ganzen Verlobungsgeschichte gut mit Colins heldenhaften Erzählungen aus dem Weg gegangen. Doch jetzt scheint unsere insbesondere meine Schonungspause vorbei zu sein.

Missmutig trete ich hinter Colin, der sich auf seinen Sitzplatz niedergelassen hat. Wie gerne würde ich jetzt in meinem Stuhl versinken, aber den Platz hat leider Tante May belegt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu stehen und der abwartenden Meute direkt vorgeführt zu werden, allen voran Stressica, die sich die ganze Zeit still im Hintergrund gehalten hat und jetzt fröhlich aus dem Nähkästchen plaudert.

»Die Verlobung ist ja noch ganz frisch, deswegen sind sie so spät zur Trauung gekommen«, erklärt sie munter und reitet uns damit ziemlich tief in die Scheiße.

Auch ihr süßliches Lächeln lässt meine Wut in diesem Moment auf sie nicht tilgen. Erst recht nicht, als sie sich gekünstelt die Hand vor den Mund schlägt und theatralisch ausruft:»Ups, das sollte ich ja für mich behalten. Sorry.«

So viel zum Thema 'Sie schweigt wie ein Grab'.

Nicht wirklich bedauernd mustern mich ihre grünen Augen und ich will schon etwas erwidern, doch da klinkt sich Colin ein.

»Ja, das war heute. Eigentlich wollten ich ihr den Antrag auch im Stillen machen, aber dann habe ich meinen Engel im Gartencenter getroffen und ich wusste, wenn nicht jetzt, wann dann!« Er blickt mir tief in die Augen und würde ich nicht dieses altbekannte teuflische Funkeln in dem unergründlich dunklen Braunton ausmachen, dann würde ich ihm die Verlobten-Masche eventuell abkaufen. Aber nur eventuell. Wie gut, dass es bei mir keine Rolle spielt, solange es bei den anderen klappt.

»So romantisch...«, seufzt Tante Josie verträumt. Meine Mum und Tante May nicken ihr beipflichtend, nur Stressica scheint der ganzen Sache noch nicht richtig Glauben schenken zu wollen.

»Und wo ist der Ring?«, hakt sie immer noch wenig überzeugt nach und deutet skeptisch auf meine leeren Finger.

Ich schlucke.

Daran hatte ich gar nicht gedacht. Zu jeder Verlobung gehört normalerweise ein Verlobungsring.

Das ist logisch.

Das ist glasklar.

Wer verlobt sich schon und kriegt dabei keinen Ring an den Finger angesteckt?

Allen Anschein nach ich.

Nervös streiche ich den Stoff meines Kleides glatt und versuche nicht daran zu denken, wie sechs hungrige Augenpaare mich anstarren und nach einer sinnvollen Antwort verlangen.

Was wäre eine sinnvolle Antwort?

Dass Colin und ich in Wirklichkeit gar nicht verlobt sind und nur so tun? Mähhhhh.

In der Panik fällt mein Blick auf Colin, um den es plötzlich ganz ruhig geworden ist. Stumm hat er den Kopf nach unten gesenkt und starrt in die braune Flüssigkeit seines Glases.

Oh, vorher große Töne spucken, aber wenn schwierigere Fragen kommen, kann Kiera die Scheiße ausbaden? War er nicht derjenige, der sich vor wenigen Sekunden noch so groß aufgespielt hat? 4 Meter Alligator blabla?

Ja, ich denke, er hat rumgeprotzt.

Wieso also muss ich die Frage beantworten, wenn mein Zukünftiger doch allzu gern Pinocchio spielt?

Bestimmend lege ich meine Hand auf seine Schulter, meine Krallen schon geschärft, falls er auf dumme Ideen kommt.

»Ja, wo ist der Ring, Schatz?«, frage ich vorwurfsvoll und ziehe meine Augenbrauen bedeutend hoch. Colins braune Augen fixieren mich.

-War klar, dass du die Scheiße bei mir ablädst.

-Oh, hat da bei jemanden der Alligator ins Hirn geschissen, huh?

Er schließt für einen kurzen Moment die Augen und ich sehe ihn förmlich an, wie er mit sich ringt meiner Wenigkeit nicht vor allen Augen die schlimmsten Beleidigungen an den Kopf zu werfen.

Sein Gesichtsausdruck ist stockduster. Zumindest für ein paar Millisekunden, dass ich doch noch die Befürchtung habe, ihm platzt gleich der Kragen und er könnte uns vor allen auffliegen lassen. Doch nach ein paar ungleichmäßigen Atemzügen und meiner vorerst nachhinten geschobenen Ermordung erscheint das wie schon vorher perfekt aufpolierte Lächeln auf seinen Lippen wieder. Mit einem bedauernden Blick wendet er sich den anderen zu und verkündet:

»Es gibt keinen Ring.«

Es folgt ein empörtes Aufschnaufen am Tisch, das sich sehr bald legt, als Colin hinzufügt: »Zumindest noch nicht. Wie schon gesagt, war die Aktion heute sehr spontan und für meine zukünftige Frau gibt es nur das Beste.«

Ab dem Moment werde ich hellhörig, kann Colins plötzlich euphorischen Redeschwall aber auch nicht unterbrechen.

»Deswegen habe ich auch einen personalisierten Verlobungsring mit den Initialen »Colin forever« bestellt.«

Colin forever?! Das ich nicht lache. Sowas Dämliches habe ich noch nie gehört. Als ob ich sowas tragen würde!

»Er ist aber leider noch nicht fertig«, erklärt Colin weiter, »Sonderanfertigung. Außerdem muss der Diamant erst angeliefert werden. Ein Karat. Aber ein besonderer Diamant.«

Er beugt sich über den Tisch und flüstert in einem geheimnisvollen Unterton: »Die Prinzessin von Arabien soll ihn bei der Verlobung ihrer Schwester getragen haben. Für meinen Schatz ist mir eben nichts zu teuer.«

Zufälligerweise verschlucke ich mich just in diesem Moment an meiner eigenen Spucke und veranlasse damit, dass ich ausgiebig husten muss und mein Arm beim Ausholen leider, leider aus Versehen gegen Colins Hinterkopf klatscht.

Ups.

Und eventuell huste ich auch so stark, dass Colin ein paar Speichelfäden ins Gesicht geschleudert bekommt.

Ups.

Innerlich lache ich mich gerade schlapp, weil Colins Gesichtsausdruck so grandios ist, dass ich mich dafür auf den Boden vor Lachen kugeln könnte. Er steht kurz davor an die Decke zu gehen. Das sehe ich. An seinen Lippen, die vor Wut beben und die er stumm zusammengepresst hat, bevor noch irgendwelche abfälligen Schimpfwörter seinen Mund verlassen können. Ich sehe es an seinen angespannten Kiefer und an seiner Halsschlagader, die ungewöhnlich stark heraustritt und wie wild zu pochen scheint. Und ich sehe es an seinem Blick und der Art wie er mich anschaut.

Abschätzig.

Wütend.

Hasserfüllt.

Beste Voraussetzungen für eine Partnerschaft oder was sagt ihr?

Seine Augen verformen sich zu schmalen Schlitzen, erdolchen, ermorden und zerstückeln mich in jeglicher Art und Weise.

-Wehe du spuckst mich noch einmal an, Chiara.

Herausfordernd blicke ich ihn an.

-Was dann?

Colins Finger klammern sich an den Ansatz seines Glases, laufen sofort weiß an. Doch entgegen meiner Erwartungen hebt er plötzlich sein Glas in die Höhe, prostet mir stumm zu und setzt anschließend zum Trinken an.

Entschlossen verschränke ich die Arme, versuche nicht auf seine vollen Lippen zu achten, die den Rand des Glases umschließen und mit einer unstillbaren Gier die braune Flüssigkeit in sich aufsaugen. Die Tatsache, dass er mich dabei unentwegt anschaut, macht mich genauso wuschig wie die Tatsache, dass alle anderen überhaupt keine Notiz davon nehmen, wie Colin mich gerade herausfordert. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, mich zu beneiden für diesen wahnsinnig tollen Mann, der mir einen noch tolleren Verlobungsring anfertigen lässt.

Wenn die nur wüsste, dass wenn man zukünftige Ehemänner auf einem Markt versteigern könnte, dann würde ich bei Colin noch nicht mal auf das erste Gebot abwarten, sondern ihn gleich in die „Zu verschenken"-Ecke packen.

Doch alle sind wahnsinnig begeistert von Colin. Allen voran Tante Josie.

»Ein Charmeur, Kiera!«, ruft sie entzückt aus und schaut im nächsten Augenblick ihren Ehemann vorwurfsvoll an. »Hast du das gehört, Jeff! Ein Karat! Wie viel war mein Ring wert? Ein T-Shirt bei Primark?«

Onkel Jeff, die Ruhe in Person, wenn man ihn denn nicht gerade mit Mathefragen belatschert, guckt daraufhin nur mies drein und schweigt.

Die Stimmung ist plötzlich umgeschlagen von heiterer Begeisterung zu angespannter Stille. Wie gut, dass es da meine Mum gibt, die sofort das Thema wechselt, wenn auch nicht wirklich zu meinen Gunsten.

»Jetzt endlich raus mit der Sprache!«, fordert sie aufgeregt, während ihr blauen Augen vor bloßer Neugierde nur so strahlen. »Wo habt ihr euch kennengelernt?«

Erst jetzt kommt mir in den Sinn, was für eine schlaue Idee es doch gewesen wäre, wenn wir uns vorher auf eine Geschichte geeinigt hätten.
Und obwohl meine Wenigkeit einen deutlich höheren IQ hat als mein nicht-zukünftiger Ehemann, ist selbst mir dieser Einfall vor lauter Aufregung und Stress entfallen. Es sei mir verziehen oder auch nicht. Denn unsere beiden Münder gehen zeitgleich auf und schließen sich genauso zeitgleich wieder erschrocken.

»In San Francisco«, lautet meine Antwort, während Colin im selben Moment glorreich kundtut: »In LA.«

Daraufhin folgen mehr als verwirrte Gesichtsausdrücke und große Fragezeichen in den Augen unserer Zuhörer.

Ich ringe mir ein gepresstes Lächeln ab. Colin sinkt tiefer in den Stuhl.

Jap, wir sind sowas von am Arsch.

Ahhhh, ich musste das Kapitel leider teilen, weil es sonst vieelll zu lang geworden wäre😬🤭

Nächstes Mal erwartet euch dafür ein Monsterkapitel UND eines meiner Lieblingskapitel UND die Kennenlernstory. Ganz sicher. Versprochen😌

Wir lesen uns am Mittwoch wieder💗✨

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