𝟏𝟐│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂

Kiera

Mein Kopf glüht. Eigentlich alles an mir glüht. Vor Wut. Vor Scham. Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ist, dass der Moment, indem meine Mutter vor allen offenbart hat, dass Colin und ich zusammen, ja gar verlobt sind, definitiv zu einen den peinlichsten und unangenehmsten Momenten in meinem Leben zählt. Ich habe mich vorhin gar nicht getraut, mich um zu sehen, nicht gewagt, in Christians Gesicht zu schauen, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde.

Ich bin einfach mit gesenktem Kopf geradeaus gegangen, habe Colin am Ärmel gepackt und ihn unter den vermutlich höchst neugierigen und zum Teil sprachlosen Gesichtern einiger Hochzeitsgäste hinter mir her geschliffen in Richtung Parkplatz.

Ich kann nicht glauben, dass das gerade passiert ist! Alle wissen es. Alle denken, er und ich... wir... Argggh!

Was habe ich mir nur dabei gedacht? Wie konnte ich auch nur eine Sekunde mit seinem verkorksten Vorschlag einverstanden sein? Diese ganze Aktion war doch von Anfang an zum Scheitern verurteilt!

Ich hasse ihn!

Ich hasse ihn so dermaßen und ich hasse mich, weil ich das alles nicht verhindert habe. Ich habe zu gesehen, wie er den Zug erfolgreich gegen die Wand fährt.

Was hat er sich nur dabei gedacht?

Wie konnte er nur meine Mutter in das Ganze miteinweihen und wieso zur Hölle hat er es nicht verhindert, dass sie mich, uns, vor allen so bloßstellt? Mag sein, dass das für ihn ein Spiel ist, aber für mich nicht. Ich hatte nie vor, alle um mich herum zu belügen, allen voran meine Mutter und seht mich jetzt an! Alle denken, ich wäre mit einem Spinner wie ihm verlobt!

Sobald wir einigermaßen aus dem Blickfeld sind, lasse ich ihn los und stapfe einfach stumm weiter, direkt auf mein Auto zu. Ich bin mir noch nicht sicher, wo ich hinfahren werde. Vielleicht verlasse ich auch noch heute das Land-bei dieser ganzen Geschichte wäre es wohl das Beste, wenn ich mich für eine Zeit verkrieche und erst wieder rauskomme, wenn diese ganze Hochzeit vorbei ist.

»Chiara...«

Seine Stimme ist ganz in meiner Nähe. Irgendwo neben mir, aber in meinen Tunnel der Wut sehe ich nur die vielen Autos und mich, wie ich geistig schon mal über mein Handy ein Flugticket in die Wüste Afrikas buche.

»Chiara...«

»Ich rede nicht mehr mit dir!«, fauche ich bestimmend und vollkommen entschlossen dieses Faktum auch umzusetzen.

»Chiara, es tut mir leid. Das war echt nicht so gep-«

Bevor er zu Ende sprechen kann, wirble ich zu ihm herum und hebe drohend meinen Zeigefinger. Meine Augen verformen sich zu schmalen Schlitzen und mustern ihn abfällig, mit einer so großen Abneigung wie man sie nur gegenüber jemanden haben kann.

»Wenn du jetzt sagst, das war echt nicht so geplant, dann zieh ich diese beigen Monsterschuhe aus und ramme deren Absatz in dein Gesicht!« Mit meiner anderen Hand deute ich auf meine High Heels und signalisiere ihm, dass ich es ernst meine. Ich mache keinen Spaß. Ein weiteres Wort und die Spitze des Keils küsst sein Gesicht!

Aufgebracht fährt Colin sich durch die Haare, wodurch ihm eine braune Locke ins Gesicht fällt. Seine braunen Augen sehen mich entschuldigend an.

Oh, für Entschuldigungen ist es zu spät, Colin Walker.

»Der Plan war es nicht weiter zu erzählen. Nur für Stressica es vorzuspielen, aber du musstest ja meine Mutter mit reinziehen!«, stelle ich klar und merke wie meine Stimme Stück für Stück lauter wird, während meine Wut mehr brodelt denn je. Ich habe es so satt, mich mit ihm zu streiten und das ich durch ihn von der einen Sache in die nächste Sache reingeschleppt werde! Überall wo er ist, ist Chaos! Und überall wo wir zusammen sind, ist noch größeres Chaos!

Colin schnauft verächtlich. Auch seine Stimme ist zunehmender gereizter und lauter, als er schreit: »Woher sollte ich denn bitte wissen, dass deine Mutter so ein Plappermaul ist, huh?«

Fassungslos sehe ich ihn an. Seine braunen Augen weisen jegliche Schuld von sich. Das soll doch jetzt ein Scherz sein, oder?

»Sie ist eine Mutter, Colin!« Meine Worte sind verachtungsvoll, ein einziges Gezische. »Die plappern immer zu gern und zu viel. DAS! WEIß! DOCH! JEDER!«

»Sorry, dass ich das nicht wusste!«, entgegnet er noch gereizter als zuvor und mindestens genauso, wenn nicht noch lauter, »DENN FALLS ES DIR NOCH NICHT AUFGEFALLEN SEIN SOLLTE: MEINE MUM IST NICHT HIER! DIE LIEGT NÄMLICH SEIT 10 JAHREN UNTER DER FUCKING ERDE!«

Nachdem er den Satz vollendet hat, trete ich einen Schritt zurück und starre ihn einfach nur an. Seine Brust hebt und senkt sich ungleichmäßig, scheint zu beben, genau wie seine Stimme. Ergriffen, fast schon verletzt, wendet er den Blick ab und fasst sich mit seiner Hand an den Kopf. Die andere stützt er in die Hüfte.

Verdammt.

Ich bereue meine Worte und hätte das doch nie gesagt, wenn ich gewusst hätte, dass seine Mum...Aber woher sollte ich das denn auch wissen? Er hat mir nie etwas davon erzählt und wir kennen uns erst seit weniger als zwei Stunden!

Sag irgendetwas, Kiera!

Ich schlucke und denke angestrengt nach. Was sagt man in so einem Fall?

Sorry, dass deine Mutter tot ist?

Es tut mir leid?

Ohne dass ich weiter drüber nachdenke, lege ich meine Hand tröstend auf seine Schulter. Ich will ihm zeigen, dass es mir leid tut, dass ich ehrliches Mitgefühl habe.

Meine Stimme ist ganz dünn und zittert leicht als ich flüstere: »Colin, ich wusste nicht...«  Doch bevor ich den Satz beenden kann, streift er meine Hand von seiner Schulter und tritt einen Schritt zurück.

Seine Mimik ist unergründlich. Er wirkt unerreichbar, fast schon zurückgezogen. Auf seinen sonst so vollen Lippen hängt jetzt nicht sein gewohntes Lächeln, sondern ein trauriger Schleier, der die Mundwinkel nach unten zu ziehen scheint. Alles an ihm wirkt plötzlich so unfassbar verschlossen und kalt. Was habe ich da nur angerichtet?

»Schon okay, mir geht's gut«, weist er mich ab, als er sieht, wie ich ihn skeptisch mustere.

Mir geht's gut. Pah, wem willst du hier was vorspielen, Walker?

Mag sein, dass er versucht seine bedröppelte Miene wieder aufzupolieren und mit einem gepressten Zucken seiner Mundwinkel versucht ein Lächeln zu imitieren, aber seine Augen verraten ihn. Ich vermisse das teuflische Funkeln in dem tiefen Braunton, das Aufblitzen vor Schadenfreude. Stattdessen wirken sie jetzt glanzlos, als hätte man ihnen jegliche Strahlkraft entzogen.

Scheiße, ich fühle mich schuldig. Verdammt schuldig. Ich will es wieder gut machen, will ihm zeigen, dass ich es nicht so gemeint habe. Wieder mache ich einen Schritt auf ihn zu.

»Wenn du reden willst, dan-«, versuche ich es erneut, doch diesmal geht er schon zwei Schritte zurück und in seinem Blick liegt auf einmal eine unerklärliche Wut.

»ICH SAGTE MIR GEHT'S GUT, KIERA! OKAY?«, brüllt er und kickt mit voller Kraft eine leere Blechdose auf den Boden gegen ein unbekanntes Auto.

Scheppernd prallt die Dose an dem blauen Metall des kleines Fabias ab und schlittert ein paar Meter weiter über den Asphalt.

»Fuck!«, flucht er laut und ich bin so überrumpelt von seinem plötzlichen Wutanfall, dass ich nichts weiter mache, als wie versteinert da zu stehen.

Wütend funkeln mich Colins Augen an, was mich dazu veranlasst automatisch einen Schritt nach hinten zu gehen. Doch als ich sehe wie er sich weiter nach möglichem Tretpotenzial umsieht, hebe ich augenblicklich meinen Finger.

»Ich warne dich...Wenn du gegen mein pinkes Baby trittst, bist du nicht nur ein unverlobter Mann, sondern auch noch ein toter. Gegen die Mülltonne dahinten habe ich allerdings nichts«, sage ich ruhig, weil ich die Vermutung habe, dass Colin eine tickende Zeitbombe ist und ich ihn besser nicht in der Nähe meines Darlings hochgehen lassen will.

Wie auf Kommando läuft Colin auch schon los und tritt ein paar Mal ordentlich gegen den kleinen Eimer. Stumm sehe ich zu, wie sein Fuß immer wieder auf das grüne Metallgitter trifft. Herrlich.

Nach ein paar weiteren Tritten und der neuerdings schiefen Mülltonne lässt er von ihr ab und dreht sich wieder zu mir. Er atmet einmal tief durch und blickt mich dann unentwegt an. Auf seinen Lippen meine ich sogar, die Ansätze seines altbekannten Lächelns zu erkennen.

Also wenn das Aggressionstraining bei ihm immer so gut funktioniert, dann lasse ich uns mal zur Hochzeit haufenweise Mülltonnen schenken.

»Wie wär's, wenn wir nochmal von vorne anfangen?«, schlage ich nach ein paar Sekunden peinlicher Stille vor. Prüfend wandert sein Blick über mein Gesicht. Die Rädchen in seinem Kopf scheinen sich wieder zu drehen und abzuwägen, meinen Vorschlag anzunehmen oder abzulehnen.

Seine Gesichtszüge sind etwas entspannter, aber er sieht immer noch leicht zerknautscht aus.

»Was soll's.« Überraschenderweise hält er mir plötzlich seine Hand hin, die ich zögerlich ergreife und schüttele.

»Hallo, ich bin Colin Walker«, brummt er, seine Lippen leicht verzogen. »Unfassbar gutaussehend, charmant und witzig. Ich hasse Hochzeiten und Frauen, die Rammbock auf meinem Rücken spielen.«

Ich rolle mit den Augen. War klar, dass er das erwähnen musste. Anscheinend hat er sich immer noch nicht von meinem Sprung erholt. Memme.

»Pardon, ich korrigiere: Ich hasse Frauen, die Rammbock auf meinem Rücken im Gartencenter spielen«, fügt er mit einem perversen Grinsen hinzu. »Im Bett bin ich da anderer Meinung.«

Wow, es hatte so gut angefangen! Wer wäre Colin, wenn er das nicht noch hinterher geworfen hätte, stimmts?

Abwartend sieht er nun mich an. Na schön, dann eben Vorstellungsrunde à la Selbsthilfegruppe.

»Hallo, ich bin Kiera McRain. Ich hasse es, wenn Menschen meinen Namen nicht richtig aussprechen. Es heißt K-ie-ra, nicht Chiara. Mehr Betonung auf dem »e« bitte!«

»Freut mich dich kennenzulernen, Chiara

»Colin!«

Verärgert verpasse ich ihm einen Klaps gegen den Arm, woraufhin ich ihm sogar ein kleines Lachen entlocke.

Jap, alles wieder beim Alten.

Als Colin daraufhin lässig seine beiden Hände in den Hosentasche des Anzugs verschwinden lässt und mir mit einem Nicken bedeutet, ihn in Richtung Kirche zu folgen, zögere ich nicht lange und folge ihm.

»Team Arschloch und Arschlocherin ist also wieder im Rennen?«, fragt er nach einer Weile im Gehen und ich kann nicht glauben, dass er tatsächlich Arschlocherin gesagt hat.

Ich meine, gibt es das Wort überhaupt? Nein, ich denke nicht.

Trotzdem nicke ich zustimmend, sodass das langersehnte Colin-Lächeln auf seinen Lippen erscheint.

»Team Arschloch und Arschlocherin ist wieder im Rennen.«

Ein kleines Kapitel, aber dafür definitiv eins, dass es in sich hat😄 Wer hätte schon gedacht, dass Colin so reagiert?

Glaubt ihr, hinter seiner Reaktion steckt mehr dahinter? Oder ist er einfach nur gestresst?🤔

Im nächsten Kapitel erfahren wir auch, welche Partylocation Kaitlyn&Josh ausgewählt haben😃💗 Schon Ideen?

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