𝟏𝟏│𝑪𝒐𝒍𝒊𝒏
Colin
Die Sache stinkt. Ich stehe auf dem Vorplatz, bin der Sonne vollkommen ausgeliefert, die auf uns alle niederknallt und heute anscheinend den Hitzerekord brechen will. Braut und Bräutigam lassen sich gerade von jeglichen Gästen beglückwünschen und umarmen. Zum Glück habe ich dieses ganze Prozetere schon durch und stehe etwas abseits von der Menge, um einen guten Überblick zu haben.
Das hat zwei Gründe. Grund A; mein Vater treibt hier irgendwo sein Unwesen und ich habe nicht die Absicht ihm zu begegnen. Grund B; bevor Tante Tessie mich vorhin in ihre Fittiche nehmen konnte, habe ich es gerade noch so geschafft, Reißaus zu nehmen. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass sie erst Ruhe geben wird, wenn sie ihren Begrüßungskuss-alias Schlabberkuss erhalten hat. Das bedeutet wiederum für sie, dass sie mich heute gar nicht mehr zu Gesicht bekommt.
Wie von allein wandern meine Augen wachsam über die Menge, suchen nach dem kleinen zierlichen Körper und dem braunen Vogelnest, welches ich in dem ganzen Trubel verloren habe. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie mit ein paar bedeutungslosen Worten so aus der Fassung bringen kann, dass sie die Kontrolle verliert. Aber mal ehrlich; Sie wäre nicht gefallen.
Zumindest nicht auf den Boden, dafür hätte ich gesorgt. Meine Reflexe waren schnell, sehr schnell. Ich hatte schon meine Hände nach ihr ausgestreckt, aber jemand kam mir zuvor.
Er kam mir zuvor.
Derselbe Typ neben dem sie jetzt vor dem Kircheneingang steht und plaudert. Er sagt irgendetwas, daraufhin lacht sie. Eindeutig unsympathisch dieser Typ.
Ich kenne Männer wie ihn. Nicht nur, dass er aussieht wie ein typischer Golfer, der in seiner Freizeit Polohemden trägt, abends Wein trinkt und Porsche fährt, nein. Er braucht nur dieses Prince Charming Lächeln aufzusetzen, sich nervös durch die dunkelblonden Haare fahren, ein bisschen zwinkern und zack- hat er sie um den Finger gewickelt.
Das Dumme daran ist, dass sie nicht mitbekommt, wie der Typ sie in sein Netz von Flirtkünsten verstrickt, getarnt als strahlend weißes Unschuldslächeln.
Wieder lacht sie. Mein Blick verfinstert sich.
Das muss sowas von aufhören! Er muss aufhören, ihr schöne Augen zu machen und sie muss aufhören, auf seinen betörenden Charm reinzufallen. Ich meine, was ist an ihm so besonders? Er sieht durchschnittlich aus, okay vielleicht ein wenig über den Durchschnitt, aber er schafft es noch lange nicht auf die Colin-Schönheitsskala, klar?!
Die ist nämlich Dimensionen über ihn. So hoch kann er gar nicht schauen!
Trotzdem muss irgendetwas an ihm sein, was sie fasziniert. Vielleicht seine Ausstrahlung?
Ich mustere ihn. Er ist nicht besonders groß, ungefähr auf Kieras Augenhöhe. Obwohl er lässig versucht da zu stehen, hat er etwas an sich, dass mich Gähnen lässt.
Ausstrahlung ist es schon mal nicht. Der Typ schreit nach L-A-N-G-W-E-I-L-I-G.
Seine Muskeln?
Also, wenn die kleinen Wölbungen um seine Arme Muskeln sein sollen, dann kann ich Geld kacken.
Vielleicht seine Augen?
Ich kann zwar von der Entfernung nicht erkennen, welche Augenfarbe er hat, aber er hat Glubschaugen. Irgendwie erinnern mich die an einen Frosch. Mal ehrlich, wenn sie das schön findet, dann weiß ich auch nicht.
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es nichts Besonderes an dem Typen gibt, aber dennoch habe ich das Bedürfnis zu ihnen rüber zu stapfen und sie von ihm weg zu zerren.
Was?
Natürlich nur, um sie wieder zur Besinnung zu bringen. Sie gefährdet die Mission 'Stressica von Colin fernzuhalten'.
Wegen ihr fliegt noch unsere ganze Tarnung auf!
»So wie du schaust, hast du auch kein Bock mehr auf diese Hochzeit«, stellt eine Stimme neben mir fest und als ich mich rumdrehe, sehe ich, dass Kieras Mum hinter mir steht. Gedankenverloren schweift ihr Blick über die Masse, während sie sich geistesabwesend eine Zigarette in den Mund steckt und diese anzündet. Ich brauche nicht mal etwas zu sagen, da hält mir Amy schon ihre Zigarettenpackung hin. Zögernd betrachte ich die aufgedruckten Großbuchstaben auf der Verpackung.
Rauchen verursacht Lungenkrebs, steht da. Bei dem letzten Wort verkrampft sich für einen kurzen Moment mein Magen und die bisher verdrängten Bilder tauchen in meinen Kopf auf. Weil ich es schon so oft gemacht habe, wird es immer einfacher sie zu verdrängen. Man muss sie einfach in den hintersten Winkel seines Kopfes schieben und hoffen, dass sie irgendwann wie von selbst verschwinden. Doch das werden sie nicht und dieses Wissen lässt mich frustriert aufseufzen.
Ich hadere immer noch mit mir, ob ich zu greifen sollte oder lieber nicht. Keine Ahnung, wann ich überhaupt das letzte Mal geraucht habe. Es ist bestimmt schon eine Ewigkeit her. Früher habe ich öfters zur Zigarette gegriffen ohne großes Überlegen. Einfach sich den Rausch hingeben. Was ist schon dabei, stimmts?
Dann kam der Moment, wo sich meine Einstellung dazu komplett geändert hat und ich aufgehört habe. Ich weiß nicht, was mich jetzt dazu bewegt, zu zugreifen. Vielleicht sind es die Nerven. Vielleicht muss ich endlich mal meinen Frust, meine Unzufriedenheit rauslassen und die Zigarette scheint mir dafür momentan eine gute Möglichkeit zu sein.
Stumm rauchen wir beide vor uns hin, beobachten hier und da die Menschen, wie sie lachen, Witze reißen, die so gar nicht lustig sind. Dabei liegt die ganze Zeit eine schrecklich glückliche Harmonie in der Luft, gegen die unser erzeugter Rauch wie ein Schutzwall wirkt und abzuprallen scheint. Ab und zu erwische ich mich dabei, wie mein Blick zu einer ganz bestimmten Stelle schweift, nur um mich dann noch mehr innerlich aufzuregen. Amy scheint das auch nicht zu entgehen. Nach einer Weile des Schweigens sagt sie:
»Keine Konkurrenz für dich.«
Verdutzt sehe ich sie an und werde prompt in eine Wolke Rauch eingehüllt, die sich nach kurzer Zeit wieder lichtet.
»Was?«, frage ich dümmlich.
Sie lächelt und deutet mir ihren Kopf auf den Typen neben Kiera.
»Christian ist keine Konkurrenz für dich«, erklärt sie und ich frage mich gerade, wie deprimiert ich eigentlich aussehe.
Moment, bitte was? Ich bin nicht deprimiert.
Soll Kiera doch machen, was sie will, aber eben nicht zu viel, weil dann die Tarnung auffliegt.
Genau, die Tarnung. Das ist der einzige Grund, warum ich hier -wenn überhaupt- deprimiert sein kann. Stressica kann jeden Moment um die Ecke kommen und sehen, wie ich hier bedröppelt rumstehe, während Kiera mit Froschauge um die Wette flirtet.
Außerdem wer spricht hier von Konkurrenz? Der Typ spielt noch lange nicht in meiner Liga. Das ist ja, als würde man das Burj Khalifa neben den Berliner Fernsehturm stellen-gegen mich ist er ein verdammter Witz!
»Sag mal...«, Amy hält kurz inne und tritt ihre Zigarette aus. Ich tue es ihr gleich. »Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?«
Neugierig sieht sie mich an, wartet auf eine Antwort.
Doch ich bin offensichtlich verwirrt, weil ich im ersten Moment nicht weiß, was sie von mir will. Wie kennengelernt? Vor allem wen?
Nach einigen Sekunden dämmert es mir und mir gefriert augenblicklich das Blut in meinen Adern. Eine aufwallende Panik überkommt mich, breitet sich langsam von meiner Körpermitte bis über zu meinem Gesicht aus. Ich presse fiebrig die Lippen aufeinander und versuche meine Panik so gut es geht zu überspielen, indem ich mir einmal durch meine Haare fahre.
»Ehm, also... «
Scheiße, okay, Ruhe bewahren.
Konzentration, Colin!
Sie will wissen, wo du Kiera kennengelernt hast. Wie praktisch, dass ich so viel über sie weiß-nicht.
Scheiße, wie lernt man sich für gewöhnlich kennen?
Die Antwort ist doch eigentlich klar, zumindest für mich:
Beim. Sex.
Ich glaube nur, dass Kiera mich umbringen wird, wenn ich ihrer Mutter diese Antwort gebe. Erwartungsvoll sieht Amy mich an und das jagt mir eine Heidenangst ein.
»...also eigentlich...«, druckse ich herum.
Scheiße, mir fällt nichts ein. Mir fällt echt nichts ein! Panisch schaue ich mich um und sehe in diesem Moment Josh, der auf uns zu gesteuert kommt.
»Josh! Wie schön dich zu sehen, Mann!«, rufe ich schon, da ist er noch mehr als 5 Meter von uns entfernt.
Ich klopfe meinen Bruder munter auf die Schulter, als er sich zu uns gesellt und mir ein glatter Stein vom Herzen fällt.
Junge, ich war noch nie so glücklich ihn zu sehen.
Ich muss wie über beide Ohren strahlen und sichtlich erleichtert aussehen, denn Josh mustert mich misstrauisch und macht sein Was-hast-du-wieder-ausgefressen-Gesicht. Ruhig schüttle ich den Kopf.
Nicht fragen, Bro. Einfach nicht fragen.
Er kneift die Augen zusammen und scheint immer noch nicht überzeugt, hakt aber nicht weiter nach, sondern teilt mir stattdessen mit:
»Ich habe gerade mit dem französischen Monster gesprochen.« Keine Frage, ich weiß direkt wer mit dem französischen Monster gemeint ist, während Amy nur fragend die Augenbraue hochzieht.
»Er meinte, es passe besser in den Zeitplan, wenn du deine Trauzeugenrede zum Abendessen anstelle zum Kaffee hältst«, fährt er fort und mir sackt augenblicklich mein Herz in die Hose. »Du hast doch an die Rede gedacht, oder?« Josh sieht mich prüfend an und ich nicke zögerlich.
»Ja-aa, natürlich habe ich an die Rede gedacht.«
Fuck, ich habe nicht an die Rede gedacht.
»Puh, ich dachte schon.« Erleichtert fasst er sich an die Brust und atmet beruhigt aus. Dann wendet er sich zu Kieras Mum. »Sie waren Amy, stimmts?«
Diese nickt und schüttelt Joshs Hand. »Ja, ich bin Kaitlyns Tante. Wie schön, dass wir uns jetzt alle kennenlernen.«
Entzückt klatscht sie in die Hände und ich habe gerade die schlimme Vorahnung, dass dieses Gespräch nicht so gut ausgehen wird. Für mich.
Nur leider realisiere ich das viel zu spät und kann ihre Worte nicht mehr rückgängig machen, die ungehindert nacheinander aus ihrem Mund raussprudeln: »Es ist ja auch schön, dass Colin gleich mal sieht, wie so eine Hochzeit abläuft. Da wird es später einfacher mit der Planung, wenn wir ein paar Experten haben. Wird ja nicht unsere letzte gemeinsame Hochzeit bleiben, die wir zusammen feiern.« Sie zwinkert Josh verschwörerisch zu, was er mit einem verständnislosen Blick auf mich erwidert.
Doch ich bin nur damit beschäftigt Amy eins zu signalisieren:
Abbruch, Abbruch!
Vielleicht hätte ich meine Hände noch dazu nehmen sollen. Vielleicht hätte ich ihr aber einfach den Mund zu halten müssen, aber für beides ist es jetzt ohnehin zu spät. Irritiert sieht Josh uns beide an.
»Wovon reden Sie?« Josh versteht die Welt nicht mehr, genauso wie Amy, die kurzzeitig ebenso verwirrt drein ausschaut, sich dann aber geschockt die Hand vor den Mund hält.
»Oh Gott, er wusste es noch nicht? Ich dachte, ihr hättet es offiziell gemacht!«, erklärt sie und sieht mich entschuldigend an.
Ich kann nichts weiter tun, als stumm da zu stehen und mir im Stillen einen Kopfschuss zu verpassen.
Das läuft hier gerade anders als geplant. Das läuft hier alles verdammt schief! Scheiße, wo ist Kiera?
»Verdammt, das tut mir leid. Jetzt ist der Sack wohl aus der Katze! Ha!« Amy, die nicht weiß, dass sie hier gerade eine hochexplosive Bombe platzen lassen hat, strahlt übers ganze Gesicht. Wenigstens scheint sie sich über unsere 'Verlobung' zu freuen. Bei Kiera und mir ist das ja weniger der Fall...
»Ehm...irgendwie komme ich gerade nicht ganz mit. Was ist noch nicht offiziell?«, hakt Josh nach, der noch immer im Unwissenden ist und das auch eigentlich bleiben sollte. Er sollte es bleiben, Amy! Vielen Dank!
»Na, dass Colin heiratet!«, antwortet sie, bevor ich dazwischen gehen kann. Nun ist es endgültig. Jetzt ist die Katze wirklich aus dem Sack und die Scheiße am Dampfen. Das alles war so eine beschissene Idee. Kiera hatte sowas von recht gehabt, dass das nach hinten losgehen würde. Ich kann nur hoffen, dass Josh Amy für einen gestörten Hippie hält und ihr nicht glaubt.
»BITTE WAS?«
Überraschung und Ungläubigkeit mischen sich in Joshs Gesicht. Sein Blick schwankt von Amy zu mir. Dann lacht er auf einmal drauf los und hört einfach nicht mehr auf. Er lacht und lacht und das geht Kieras Mum deutlich gegen den Strich.
»Warum lacht er?«, empört sich Amy, die die Welt nicht mehr versteht und angespannt die Hände in die Hüften stützt.
Josh lacht immer noch, dieser Arsch. Obwohl ich genauso weiß wie er, wie abwegig es ist, dass ich verlobt bin, geschweige denn in einer festen Beziehung sein soll, kränkt es mich ein bisschen.
Beleidigt verschränke ich die Arme und schon nach etlichen Sekunden erstirbt Joshs Lachen. Langsam scheint er zu realisieren.
Verblüfft sieht er erst Amy, dann mich an.
»Moment, das war kein Scherz?«
Seine grünen Augen mustern mich, fordern nach einer Antwort, die ich ihm nicht geben kann, weil ich selbst nicht weiß, ob ich darauf wirklich antworten will oder sollte.
Scheiße, ich habe mir noch nie so sehr gewünscht ein Superheld zu sein, der sich wegbeamen kann. Denn dann säße ich jetzt mit zwei heißen Chicas und einem Cocktail in der Hand an der italischen Riviera und würde la paloma tanzen. Stattdessen muss ich mich mit meinem Bruder und Amy rumschlagen-es gab schon mal bessere Tage in meinem Leben.
»Und wen, wenn ich fragen darf, heiratest du? Die Mülltonne?« Josh zeigt auf eine grüne Mülltonne unweit von uns und prustet wieder los. Als er Amys verärgerten Blick jedoch begegnet, verstummt er schlagartig. Mit Schwiegermama ist nicht zu spaßen, klar?!
Woah, das habe ich jetzt nicht wirklich gedacht! Schwiegermama? Ich bin ein verlorener Fall. Eindeutig. Diese ganze Sache macht mir zu schaffen und Schwiegermama auch. Die ist nämlich not amused über Joshs Mülltonnenvergleich. So gaaaar nicht amused.
»Junger Herr, jetzt mal halblang.« Sie tritt einen Schritt näher an Josh heran und obwohl sie einen ganzen Kopf kleiner als er ist, strahlt sie so ein natürliches Selbstbewusstsein aus, dass Josh gleich viel eingeschüchterter wirkt. Wütend bohrt sie ihren Zeigefinger in seine Brust-anscheinend eine Angewohnheit, die Mutter und Tochter teilen. »Die Mülltonne mit meiner Tochter gleichzustellen, verletzt gerade meinen Stolz. Kiera ist ein vernünftiges Mädchen, nicht zuletzt wegen meiner fabelhaften Erziehung und Colin kann sich sehr glücklich schätzen. Mal schauen, was sie dazu sagen wird.« Bevor ich sie aufhalten kann, schiebt sie Josh aus ihrem Blickfeld und brüllt, brüllt so laut, dass es wirklich jeder und mit jedem, meine ich die ganzen verkackten 60 Hochzeitsgäste, Verwandte und Freunde, mitbekommen und es wohl kaum bei dieser Lautstärke, die der eines Megaphons gleicht, zu überhören ist:
»KIERA, SCHÄTZCHEN, ERZÄHL JOSH VON DEINER VERLOBUNG MIT COLIN!«
Nicht nur, dass alle gebannt auf uns starren. Sie starren auch Kiera an, die augenblicklich rot anläuft, während ich meinen Kopf verzweifelt in meinen Händen vergrabe und am liebsten im Erdboden versinken würde.
Ich habe mich geirrt: Nicht in einem pinken Smart laut hupend vor der ganzen Hochzeitsgesellschaft vorzufahren ist das Schlimmste. Das hier toppt alles.
Auf dem Bild oben am Kapitelanfang ist auch das frischgebackene Ehepaar abgebildet. Irgendwie lustig, dass ich das Bild erst im Nachhinein gefunden habe, aber die Beiden nicht nur vom Aussehen, sondern auch von ihrer Gestik und Mimik so perfekt zu Josh und Kaitlyn passen😅😀
Nichtsdestotrotz sind sie natürlich weiterhin eurer Fantasie überlassen😉
Ich hoffe, euch hat das Kapitel
gefallen💗
Wenn ja, dann lasst doch ein 🌟 da! Das würde mich wahnsinnig freuen😁
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