𝟏𝟎│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂

die Trauung

Ich bin fix und fertig. Hochzeiten sind anstrengender, als ich ursprünglich gedacht hatte und dabei hat diese Hochzeit erst richtig seit zwei Minuten angefangen. Lächelnd sehe ich zu, wie Finn Kaitlyn stolz seinem Vater überreicht, der sie die letzten Meter zu ihrem Angebeteten begleitet. Ich habe noch nie eine Person gesehen, die so über beide Ohren strahlt wie Josh, als er dankend die Hand von Kaitlyn überreicht bekommt und Onkel John ihn mit einem Schulterklopfen seine Anerkennung zeigt.

Josh scheint ein guter Kerl zu sein. Er wird Kaitlyn glücklich machen, daran habe ich nicht die geringsten Zweifel. Die Beiden sind füreinander geschaffen, einfach perfekt und ihre Liebe endlich zu besiegeln, erscheint mir der passende Höhepunkt ihrer Beziehung zu sein.

Zufrieden stelle ich fest, dass meine Anstrengungen sich heute ausgezahlt haben. Das Trauungsgesteck mit den richtigen Blumen in der richtigen Farbe pimpt den kargen Altar etwas auf, vor dem der Priester steht und von Kaitlyns und Josh's ersten Kennenlernen erzählt. Ein paar Anekdoten fallen, dann wird ein Absatz aus der Bibel vorgelesen.

Mir fallen gleich die Augen zu, obwohl der fast glatzköpfige Priester sich alle Mühe gibt, die Trauung schnell und möglichst ohne große Umschweife von statten zu ziehen.

Ich versuche meinen Blick auf irgendetwas zu fokussieren, mir einen Punkt zu suchen, denn sonst döse ich wirklich gleich ein. Doch das erweist sich als nicht so einfach. Nach vorne schauen kann ich nicht, weil mich dann mehr als ein Dutzend Augenpaare ebenfalls anstarren werden und insbesondere auf Gran Grans eiskalten Blick kann ich heute getrost verzichten. Wenn ich nach links schaue, dann begegne ich Stressicas Blick, der mich unweigerlich dazu verleitet, meinen Blick auf ihn zu richten.

Überrascht stelle ich fest, dass er mich auch anschaut. Seine braunen Augen funkeln frech.

-Wie ist die Luft da drüben, Chiara?

-Wir atmen dieselbe Luft ein, Walker. Sie ist also nicht gerade angenehm.

Seine Mundwinkel zucken und auch meine wandern zwangsläufig ein Stückchen höher. Nur ein Stückchen.

Colin deutet mit seinem Kopf auf das Brautpaar.

-Schau es dir an, das sind wir bald.

Ich schüttle den Kopf.

-In deinen Träumen vielleicht.

-Oh, meine Träume handeln von ganz anderen Sachen, Chiara.

Ich blase meinen Mund mit Luft voll und tue so, als würde ich würgen. Zum Glück werde ich von der bulligen Tara aka Brautjungfer Nr. 4 verdeckt. Wenn ich als Brautjungfer vor den Augen aller Gäste neben dem Altar kurz vor dem Ja-Wort anfange zu würgen, macht das vielleicht keinen so guten Eindruck. So bekommt aber niemand mit, wie ich Colin die besten Kotzgrüße zu sende.

Lächelnd streicht er sich eine braune Locke aus dem Gesicht und grinst mich süffisant an.

Manchmal frage ich mich wirklich, was in der Kommandozentrale seines Hirns vor sich geht. Und manchmal bin ich einfach froh, es doch nicht zu wissen.

Unsere telepathische Kommunikation ist der beste Beweis dafür, dass Colin kein Mauerblümchen ist, aber auch ohne merkt man sehr schnell, dass seine Gedanken definitiv nicht jugendfrei sind. Keine Ahnung, wann wir uns angewöhnt haben, den anderen wortlos zu verstehen. Wir kennen uns zwar erst ein paar Minuten, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich ganz genau weiß, was er mir sagen will. Es ist, als hätte jemand auf seiner Stirn eine Leinwand befestigt, auf der seine Gedanken aufblitzen und ich sie einfach nur ab zu lesen brauche. Als hätten wir uns nie anders verständigt und das macht mir Angst. Sowas ist mir bei noch keinem passiert. Selbst meine Mutter scheint meine Gedanken schlechter zu erfassen als Colin es kann und die kennt mich seit 24 Jahren!

Ich will ihn nicht anstarren, weil das seinem Ego den Rest geben wird. Er weiß, dass er gut aussieht, dass er verdammt gut aussieht und ich kann es nicht mal leugnen. Egal wie oft ich versuche mich auf eines der Gesichter der Steinfiguren an der Wand zu konzentrieren, immer wieder schnellt mein Blick zu ihm rüber. Er beobachtet mich immer noch und macht noch nicht mal einen Hehl daraus. Wieso starrt er mich denn so an?

-Was ist? Wieso klotzt du so?

-Nichts, nichts. Ich versuche nur rauszufinden, was deine Frisur darstellen soll. Die Haare so offen. So anders zu dem Vogelnest von vorhin.

Innerlich könnte ich ihn für diesen Kommentar erwürgen. Äußerlich lächle ich süß und setze zum Angriff an:

-Danke...übrigens hübsches Hemd. So anders zu dem weißen Fummel von vorhin.

Ich sterbe gerade.

Mehrfach.

Qualvoll.

Zumindest zeugt davon Colins mordlustiger Blick. Dann fährt er mit einem Finger, einem ganz bestimmten Finger, langsam entlang seiner Schläfe. Für Außenstehende wirkt es als würde sich Colin etwas aus dem Gesicht wischen. Für mich jedoch ist die Nachricht eindeutig. Dennoch bewegen sich seine Lippen passend zu der Bewegung.

-Fick. Dich.

-Aha, keine sexuellen Aktivitäten vor der Ehe!

Ungläubig sieht er mich an.

-Aus welchen Mittelalter-Brocken stammt das denn?

-Katholische Kirche.

-Wir heiraten bei Burger King.

Meine Augen weiten sich erschrocken.

-Einen Scheiß werde ich tun!

-Du hast in dieser Beziehung keine Meinung, Chiara.

-Wird sich zeigen, Walker.

Wieder dieses Grinsen, welches auf seinen vollen Lippen erscheint und mich dazu veranlasst, ebenfalls zu lächeln. Gleichzeitig habe ich das Gefühl mein Puls rast davon, das Blut rasselt durch die Rennbahnen meiner Venen und erreicht sein Ziel überall, aber nicht in meinen Beinen, die plötzlich ganz schlapp sind. Wie Wackelpudding. Was zur Hölle ist mit mir los? Ich werde doch nicht etwa schwach bei einem dämlichen Grinsen meines größten Feindes! Das ist sicher nur der ganze Stress. Definitiv.

Sofort verbiete ich mir ihn so anzuschauen. Ich bin immer noch sauer auf Colin und sollte ihn eigentlich überhaupt keine Beachtung mehr schenken. Stattdessen grinsen wir beide wie zwei Dumme um die Wette. Das muss definitiv aufhören!

Entschlossen fixiere ich also meinen Blick auf das Gesicht einer Steinfigur, welches seltsamerweise immer wieder die Züge Colins annimmt. Die lange Nase, braunen Augen, sogar das schiefe Lächeln und die kleine Narbe über den schmalen Mund der Statue glaube ich zu erkenne. Ich blinzle. Mehrmals. Doch es ändert sich nichts. Verdammt, er bringt mich noch um den Verstand!

Nicht nur, dass ich jetzt sein Gesicht in der Steinfigur sehe, ich spüre ganz genau, wie sein brennender Blick immer noch auf mir ruht. Ich hasse so etwas. Nicht, dass es oft vorkommen würde, dass mich jemand anstarrt, aber wenn es dann doch jemand tut und ich es weiß, verleitet es mich ebenfalls zum Hinschauen, obwohl meine innere Stimme mir zu schreit, ich soll es nicht tun. Das wäre Bestätigung. Und er soll keine Bestätigung bekommen, schon gar nicht von mir, wo ich ihn doch überhaupt nicht leiden kann.

Es kostet mich einiges an Überwindung an ihn vorbei zu starren und noch mehr Überredenskunst als ich geglaubt habe. Aber ich bin zäh.

Ich werde nicht nachgeben.

Ich werde nicht hinschauen.

Ich werde nicht hinschauen.

Ich werde definitiv nicht noch mal zu ihm rüber schauen.

Ich.

Werde.

Nicht.

Hinschauen.

Ich schaue zu ihm.

Seine Augen funkeln schelmisch, als ich ihnen begegne. Mir bleibt nichts anderes übrig, als stumm zu beobachten, wie er quälend langsam mit seinem Blick an mir herauf und herab wandert. An einer Stelle verharrt er länger als er eigentlich sollte, wofür ich ihm am liebsten mit meinem Blumenstrauß eins auf die Mütze geben würde. Erst recht, als sein Blick offensichtlich zu derselben Stelle wandert, aber diesmal bei Tara. Empört schnappe ich leise nach Luft. Ist das sein Ernst?

-Sag mal, vergleichst du gerade unsere Brüste?

Unschuldig mustern seine braunen Augen mich.

-Nein.

Meine Augenbrauen wandern in die Höhe.

-Doch, tust du.

-Tue ich gar nicht!

Sein Blick schnellt nach unten und genauso schnell wieder nach oben. Wie kann er es wagen!

-Oh und wie du starrst!

-Nein.

-Doch!

-Und wenn es so wäre?

-Kratze ich dir die Augen aus, gleich nachdem sie »Ja« gesagt haben.

-Macht man das in einer Familie so?

-Wir sind keine Familie!

-Doch, und zwar genau in zehn....

»Erheben Sie sich, meine Damen und Herren!«, weist der Priester mit einer Handbewegung die Gäste an, worauf sich alle brav erheben, inklusive dem Brautpaar.

-Neun.

»Vor Gottes Angesicht und im Namen Gottes, werde ich euch nun fragen...«

-Acht.

»Willst du Josh Andrew Walker, die hier Angetraute Kaitlyn Anne Elisabeth Mary Stuart zu deiner rechtmäßigen Frau nehmen...«

-Sieben.

»...sie lieben und ehren, bis der Tod euch scheidet? So antworte jetzt mit »Ja, ich will.««

-Sechs.

»Ja, ich will.«

-Fünf.

»Und willst du, Kaitlyn Anne Elisabeth Mary Stuart, den hier angetrauten Josh Andrew Walker zu deinem rechtmäßigen Mann nehmen...«

-Vier.

»...ihn lieben und ehren, bis der Tod euch scheidet. So antworte jetzt mit »Ja ich will.««

-Drei.

Kaitlyns Blick schweift entschlossen zu Josh.

-Zwei.

Er lächelt ihr zu und sie lächelt zurück. Dann wendet sie sich zum Priester.

-Eins.

»Ja, ich will.«

Erleichterte und zufriedene Seufzer sind zu hören, gepaart mit dem Rascheln von Taschentüchern und dem darauffolgende Schniefen. Missmutig schaffe ich es doch noch den Blick von Colin abzuwenden und dem gerade frisch vermählten Ehepaar meine Aufmerksamkeit zu schenken, wie ich es schon die ganze Zeit hätte tun soll.

»Im Namen Gottes erkläre ich sie hiermit zu Mann und Frau«, verkündet der Priester mit einem leichten Nicken und deutet auf Josh.

»Mr Walker, Sie dürfen Mrs. Walker nun küssen.«

Das lassen sich Kaitlyn und Josh nicht zweimal sagen. Freudestrahlend hebt Josh Kaitlyns weißen Schleier hoch und drückt ihr daraufhin einen sanften Kuss auf den Mund. Ein paar Gäste johlen, als Kaitlyn sich daraufhin mit Josh zu Freunden und Verwandten dreht und lächelnd ihre Hand mit dem Hochzeitsring hochhält. Dann laufen Mr. und Mrs. Walker zum ersten Mal als getrautes Ehepaar den Kirchengang hinunter, begleitet vom kräftigen Beifall und strahlenden Gesichtern der Hochzeitsgäste.

Sobald Kaitlyn und Josh vorne weg geschritten sind, folgen Brautjungfern und Trauzeuge dem Paar in Zweiergruppen durch den Mittelgang.

Dreimal dürft ihr raten, bei wem ich mich unterhaken darf...

Lächelnd hält Colin mir seinen Arm hin, den ich wiederwillig ergreife. Nicht zuletzt, weil Stressica einen skeptischen Blick auf uns wirft. Sobald sie wegschaut und damit beschäftigt ist, eines der Blumenmädchen zusammen zu stauchen, die versehentlich den ganzen Inhalt ihres kleinen Körbchens auf einmal im Gang entleert hat, lockere ich den Griff und umfasse mit beiden Händen wieder meinen Blumenstrauß. Obwohl ich Colin damit eigentlich signalisieren wollte, dass wir den Körperkontakt nur auf das Nötigste reduzieren sollten, um unsere Schein-Verlobung in Stressicas Augen zu bewahren, scheut er sich nicht und beugt sich kurzerhand zu mir herunter. Die Ansätze seiner Bartstoppeln kitzeln an meiner Kinnbeuge und beschere mir eine wollige Gänsehaut. Ich habe Mühe mich auf meinen Schritt zu konzentrieren und nach außen hin völlig unbeeindruckt und gleichgültig zu wirken. Wie soll das auch gehen, wenn seine Lippen mein Ohr streifen und sein heißer Atem aufgeregt gegen meine Halsschlagader schlägt?

»Willkommen in der Familie, Chiara«, raunt er mir ins Ohr und raubt mir damit jegliche Kontrolle über meinen Körper. Es sind nicht die Worte, die mich so aus der Fassung bringen, sondern es ist die Art wie er es sagt. Seine raue Stimme gepaart mit diesem unfassbar lüsternen, sexy Unterton, der dazu führt, dass ich mich für einen Moment vergesse. Oder besser gesagt, vergesse ich auf meine Schritte zu achten. Meine Beine waren heute ohnehin schon wegen meines brillanten Sprungs und den Crash mit dem Boden von vorhin lädiert und nicht mehr zu 100% funktionstüchtig. Dazu kommt noch meine Tollpatschigkeit, meine Abneigung gegen High Heels und die Tatsache, dass meine Beine schon immer aus wabbeligen Spaghetti-Muskeln bestanden.

Kein Wunder, dass ich mich nicht selbst retten kann, als ich über eine Falte im Teppich stolpere. Wild strauchle ich mit dem Armen, entledige mich während des Fluges meines Blumenstraußes, der irgendwo durch die Kante fliegt und wahrscheinlich einem Hochzeitsgast auf die Nase fällt. In Zeitlupe sehe ich den Boden näherkommen, stelle mir schon innerlich vor, wie ich Gesprächsthema für den heutigen Tag und die nächsten Jahre werde.

Kiera-die Brautjungfer, die hoch hinauswollte, aber tief fiel.

Ich sehe schon den Titel der letzten Seite auf der Hochzeitszeitung vor meinem geistigen Auge. Gott, stehe mir bei-wo, wenn nicht in der Kirche!

Ich warte auf den Aufprall, doch stattdessen werde ich abgefangen ehe ich Bekanntschaft mit dem heiligen Kirchenboden machen kann.

Zwei kräftige Arme umschlingen meine Taille, ziehen mich hoch, direkt an eine stahlharte Brust, die ich im ersten Moment für die von Colin halte. Doch als ich aufblicke und meinen Retter anschaue, begegne ich nicht wie erwartet dunkelbraunen Augen, sondern schilfgrünen.

Die Tatsache löst eine ungewollte Welle der Enttäuschung in mir aus, obgleich ich keine Ahnung habe warum. Gleichzeitig beginnt mein Herz wie wild zu rasen, mir aus der Brust zu springen, als die altbekannten Grübchen auf seinen Wangen erscheinen.

»Hi, Kiera.«

Ich schlucke, presse meine Lippen stumm aufeinander. Zwar kenne ich jeden Zentimeter seines Gesichtes in und auswendig, weil es nie etwas Besseres gab, was den Chemie-Unterricht in der High School erträglicher gemacht hat als der Anblick von Christian Marks, aber es verblüfft mich doch immer wieder, wie jemand so gut aussehen kann.

Ich meine, das ist Christian! Der Christian.

Christian, der ehemalige Baseballstar der High School.

Christian, der alte Klassenkamerad von Kaitlyn und mir.

Christian, der alle Frauenherzen damals hören schlagen lassen hat.

Christian, mein heimlicher Jugendschwarm.

Vielleicht spielt die letzte Tatsache auch ein wenig mit rein, dass ich mich nicht von ihn lösen kann, sondern einfach stumm den Moment auskoste in seinen Armen zu liegen, auch wenn hinter mir ein genervtes Knurren stetig lauter wird.

Oops, Christian is in the house🤭🤗

Kiera scheint ja ganz schön hin und weg zu sein...Was der gute Colin davon denkt, erfahren wir im nächsten Kapitel! Dann gibt es auch erstmal einen kleinen Deeptalk mit der Schwiegermama😄👌🏻

Ach, ich freue mich schon😁

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