𝟎𝟓│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂
Noch 5 Minuten bis zur Trauung
Colin droht damit aus dem Auto zu springen, als ich kurz davor bin auf den Vorplatz der Kirche zu fahren.
Ich brauche noch nicht einmal einen Blick in den Rückspiegel zu werfen, um zu wissen, dass ich auf seiner Mordliste momentan ganz weit oben stehe. Seit die Spitze des Kirchturmes auch nur annähernd zu erkennen war, jagen imaginäre Blitze vom hinteren Sitz gnadenlos zu mir nach vorne, prallen aber achtlos an meiner Haut ab, die hart wie Stahl zu sein scheint.
Ehrlicherweise habe ich mir schon im Geheimen ausgemalt wie ich mit heruntergelassenen Fenstern und lauten Hupen um den bepflanzten Kreisel am Vorplatz der Kirche ein paar Ehrenrunden drehe, damit auch ja jeder bemerkt, dass Colin Walker in einem knallpinken Mini-Smart vorfährt.
Doch stattdessen schaltet sich auch endlich mal mein Gehirn in dieses wirklich außerordentlich amüsante Vorhaben ein und gibt mir deutlich zu verstehen, dass der Bogen für heute mehr als überspannt ist und ich ihn nicht noch weiter provozieren sollte. Obwohl das schon lustig wäre... Nicht auszumalen sein Gesichtsausdruck!
Nein, Kiera!
Ich beiße mir auf die Lippe und widerstehe den Drang einmal laut auf die Hupe zu drücken. Ich glaube, dann wäre ich binnen weniger als zehn Sekunden tot.
Schweren Herzens lenke ich also meinen kleinen Pkw auf einen der wenigen freien Parkplätze. Kein Wunder, warum alles so voll ist; in ein paar Minuten geht schließlich die Trauung los.
Sobald mein pinker Gefährte zum Stehen kommt und ein letztes zufriedenes Abschiedsbrummen von sich gibt, ziehe ich den Schlüssel, betätige ordnungsgemäß die Handbremse und schnalle mich ab. Dann drehe ich mich zu unserem Miesepeter um, der schmollend auf der Rückbank sitzt.
Stur hat er die Arme vor dem riesigen gelben Fleck verschränkt, welches sich deutlich von dem Rest seines strahlend weißen Hemdes abhebt. Aber unsere DramaQueen und seit einigen Minuten auch noch Modeexperte hat natürlich nicht seine Kleidung gewechselt. Im Gegenteil- das stylische Wechselhemd liegt zusammengeknäult neben ihm. War ja klar.
Misstrauisch mustert er mich, doch ich räuspere mich nur, halte mir beide Hände vor den Mund, um meine Ansage noch authentischer wirken zu lassen.
»Vielen Dank für ihre Reise mit KieraAir. Wir haben unsere Liegeposition jetzt erreicht und Sie können sich ohne Weiteres abschnallen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise. Unser Willkommensgetränk haben Sie ja auch gleich am Anfang von unserer Crew erhalten.«
Mein Blick fällt belustigt auf den Fleck, woraufhin weitere tödliche Blitze in meine Richtung schießen.
Oho, da sieht aber jemand aus als wäre er angepisst. Ich verkneife mir ein Lachen und fahre stattdessen fort:
»Wir bitten vielmals um Entschuldigung für unser Entertainmentprogramm, das ansonsten so grandios ist, aber leider wurde die Musikanlage auf dem vorherigen Flug von einem unserer Gäste erfolgreich geschrottet.«
Ich werfe einen bösen Blick in Finns Richtung, dessen grüne Augen mich bedauernd ansehen.
Seine blonden Locken haben indessen auch ihr Eigenleben entwickelt und stehen in alle möglichen Richtungen wild ab. Anscheinend hat die Tonne Haargel auch nichts gebracht, die Tante May vorhin so mühevoll in sein Haar geklatscht hat. Immerhin ist sein marineblauer Anzug von jeglichen Flecken verschont geblieben.
Kann man von meinen und Colins Klamotten nicht behaupten.
Dieses Problem geht es auch schnellst möglich zu beseitigen. Ich kann ja nicht mit der gerade erst gelösten Herausforderung-der Blume- ankommen, im Schlepptau mit einem neuen Problem- ihm.
Ich weiß ganz genau, dass Kaitlyn ihn in diesem Aufzug niemals auch nur einen Fuß in die Kirche setzen lässt und ich werde ganz bestimmt nicht noch mal los düsen, um dem Herrn ein Hemd zu kaufen, welches er als »angemessen« empfindet.
Also schlage ich ihm wieder Mal ein Angebot vor und verdränge den Gedanken daran, wie er mein letztes »Angebot« abgelehnt hat. Dieses Angebot wird er nicht ablehnen. Da bin ich mir sicher.
Als wäre das mein Stichwort, versucht er genau in diesem Moment auszusteigen.
Vergeblich.
Die Tür ist verriegelt.
Hoch lebe die Kindersicherung! Muahaha.
»Was zur Hölle...? Lass mich gefälligst raus!«, protestiert er und hämmert einmal ordentlich gegen die Autotür, jault in der nächsten Sekunde jedoch empört auf, als seine Faust auf das harte Metall trifft.
Idiot.
»Jetzt hör mir mal schön zu, Rammbock...«, sage ich drohend mit meinem Zeigefinger auf ihn gerichtet. Verachtend sieht er mich an, während er seine gerötete Faust reibt, die überzogen ist mit schwarzer Tinte. Keine Ahnung, warum mir sein Tattoo nicht vorher aufgefallen ist, obwohl es doch offensichtlich den Großteil seiner linken Handfläche ziert. Rankenartig verbreitet sich das schwarze Muster über seinen Handrücken, kriecht bis nach vorne über seine Finger zu den Nägeln. Es ist schön. Wirklich. Und irgendwie verspüre ich den Drang am liebsten seine Hand zu nehmen und mit meinen Fingern die einzelnen Linien nach zu fahren, zu schauen, wo sie enden. Doch die innere Stimme in mir schreit lauthals, protestiert und erinnert mich daran, dass ich vorhatte ihm eine Standpauke zu halten. Meine Züge verhärten sich wieder. Mein Blick gleitet von seiner lieblichen Hand in sein teuflisches Gesicht.
»Du wirst jetzt dieses Hemd...«
Ich deute auf das Knäuel in der Ecke.
»...anziehen oder du spielst weiter die beleidigte Leberwurst, aber dann...« Ich verharre, merke wie seine Miene zwar versteinert ist, aber dennoch in dem unendlich tiefen Braunton seiner Augen EINS hervorblitzt.
Unsicherheit.
Ein klitzekleines Schimmern, ein Hauch, aber es ist da.
Und das bringt mich erst richtig in Fahrt.
Unschuldig fahre ich mit meinen Fingern langsam über das Armaturenbrett, ziehe kleine Kreise auf der dünnen Staubschicht, während ich mein Angebot weiter präzisiere:
»...dann kann es sich aber auch zu tragen, dass ich mit diesem außerordentlich pinken, süßen und mädchenhaften Traum vom Auto eine Runde um die Kirche drehe und dabei leider meine Hand ständig ausrutscht und auf die Hupe kommt. Upsi.«
Meine Faust trifft so schlagartig auf das Lenkrad, dass beide Männer im Auto unwillkürlich zusammenzucken. Bingo.
Indessen ist Colin der Unmut förmlich ins Gesicht geschrieben. Gut so.
»Ich glaube, ich würde tun, was sie sagt, Mann«, bemerkt Finn neben mir leise und sinkt sichtlich eingeschüchtert tiefer in seinen Sitz.
»Wie gut, dass deine Meinung nicht zählt, Flint«, kommt es deutlich angespannt von hinten. Ich rolle mit den Augen, während Flint ihn verletzt ansieht.
Namen sind anscheinend nicht so seine Stärke.
»Ich heiße Finn.«
»Habe ich gesagt.«
»Nein, hast du nicht.«
»Doch habe ich.«
»Du sagtest: Flint.«
»Nein!«
»Doch!«
»Du denkst, dass ich »Flint« gesagt habe, aber in Wirklichkeit habe ich »Finn« gesagt. Ich schätze, du solltest mal dringend einen Termin beim Ohrenarzt ausmachen, Finn.«
»Nein, echt. Du hast »Flint« gesagt.«
»Habe ich ni-«
»Jungs!« Beschwichtigend hebe ich die Hände, damit dieses ganze Hin und Her endlich aufhört.
»Zieh jetzt dieses verdammte Hemd an, damit wir endlich zur Trauung gehen können!« ...und ich mich danach mit einer ordentlichen Portion Alkohol abschießen kann, füge ich im Stillen hinzu und spüre jetzt schon das trockene Kratzen meines Halses, das nur mit einem gekühlten Tequila zu besänftigen ist.
»Mach einfach was sie sagt, Bro«, wirft jetzt auch Finn ungeduldig ein.
Aber was macht Meister Proper da hinten?
Genau, schmollen. Wie immer.
»ICH. WERDE. DIESES. HEMD. NICHT. ANZIEHEN!«
Bockig blickt er nach draußen. Na schön, er hatte die Wahl. Seine Entscheidung.
Kopfschüttelnd schaut auch Finn ihn an und sagt knallhart:
»Falsch Antwort, Mann. Falsche Antwort.«
Allerdings. Das war die Antwort, die ein Teil von mir wollte und ein anderer Teil hatte einfach nur gehofft, dass er endlich mal sein Ego und seine Sturheit für einen Moment außer Acht lässt.
Aber mir ist es eigentlich egal. Es ist sein Ruf.
Entschlossen stecke ich den Autoschlüssel ins Schloss und erwecke den kleinen Smart erneut zum Leben.
Holt schon mal Popcorn raus, meine Lieben. Das könnte eventuell lustig werden. Und eventuell heißt hier: Auf jeden Fall.
Wer will auch dabei sein, wenn Kiera ihren Plan in die Tat umsetzt und Colin Walker tatsächlich im pinken Mädchentraum vor allen Augen vorgefahren kommt? ALSO ICH
SCHON🙋♀️🙋♀️🙋♀️
Oder denkt ihr, er kneift in der letzten Sekunde und nimmt sich doch noch dem ach so stylischem Herzchenhemd an?
Wir werden es auf jeden Fall im nächsten Kapitel erfahren...😄😉
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