𝟎𝟑│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂
noch 30 Minuten bis zur Trauung
Zugegebenermaßen muss ich sagen, dass ich meinen brillanten Plan nicht wirklich zu Ende gedacht hatte.
Keine Frage, mein Sprung war grandios.
Richtig Spiderman-mäßig.
Aber die Wucht, mit der ich auf ihn gesprungen bin, war definitiv nicht so eingeplant gewesen. Außerdem hätte ich niemals gedacht, dass es so viel Körperspannung braucht, sich dann anschließend auf dem Rücken zu halten. Vielleicht sollte ich doch mal öfters das Fitnessstudio besuchen...
...oder neee. Fitnessriegel reichen.
Wie ein Äffchen schlinge ich die Beine um die Hüfte meines Opfers und kralle meine Hände in seinen harten Oberkörper.
Ulala, er scheint Muskeln zu haben.
Moment, was? Konzentration!
Muskelman alias der Dieb torkelt von der Wucht und dem plötzlichen Ballast auf seinem Rücken unkontrolliert nach vorne.
Dann verliert er das Gleichgewicht und ehe ich mich versehe, liegen wir beide auf den Boden.
Er wie eine madige Raupe - pardon muskelige madige Raupe- die beiden Arme nach vorne ausgestreckt, die zu meiner Erleichterung die Pflanze unversehrt umschlossen halten, die Beine leicht strampelnd, während ich triumphierend auf seinem Rücken sitze.
Seltsamerweise kommt mir ausgerechnet jetzt das Lied »Hoppe, hoppe Reiter« in den Sinn, aber ich unterdrücke den Drang ihn als mein Pferd zu missbrauchen, mit meinen Händen ein Cowboy-Lasso zu formen und einmal laut »Yew-haw!« zu schreien.
Der braunhaarige Mustang ähhh braunhaarige Mann hebt währenddessen unter mir seinen Kopf leicht an, kann diesen aber nicht ganz zu mir rumdrehen.
»Was zum Teufel...?«, schimpft er und ich kann deutlich den Zorn in seiner Stimme heraushören.
»Geh runter von mir, du Gestörte!«, fordert er grimmig und versucht sich aufzurichten. Erfolglos. Der Reiter hat das Pferd gekonnt unter Kontrolle. Yew-haw!
Ich beuge mich zu ihm nach vorne, sodass meine Lippen direkt über seinem Ohr schweben.
»Du hast meine Nelke geklaut...«, wispere ich in einem bedrohlichen Unterton und lehne mich mit verschränkten Armen wieder nach hinten.
Er schnauft verächtlich.
»Und deswegen fällst du mich an? Jeder normale Mensch würde versuchen, erstmal mit dem Gegenüber zu kommunizieren«, antwortet er fassungslos.
Unbeirrt fixiere ich mit meinen Augen seinen wirklich schönen Hinterkopf.
»Ich war noch nie ein kommunikativer Mensch und du hast schließlich auch nicht mit mir kommuniziert, als du die Pflanze aus meinem Einkaufwagen genommen hast!«, werfe ich erbost ein und grinse zufrieden über meine schlagfertige Antwort.
Doch der Kommunikationsexperte unter mir räkelt sich nur und erwidert in einem genervten Tonfall:
»Dafür kommuniziere ich jetzt mit dir: Verpiss dich von meinem Rücken! Du bist nämlich schwer wie ein Walross!«
Anstelle beleidigt über seine Wertung bezüglich meines Gewichts zu sein, lache ich nur laut auf.
»Gut, dann merk dir: Das Walross wird erst freie Bahn geben, wenn es die Pflanze in den Händen hält!«, feixe ich und versuche nach vorne zu greifen, doch er hat die Arme soweit ausgestreckt, dass ich nicht drankomme, ohne dabei von ihm runter zu gehen.
Verdammt!
Wieder versucht er sich auf zu richten, aber ich presse ihn mit meinem vollen Körpergewicht von stolzen 66 kg gekonnt nach unten.
»Geh runter, verdammt!«, jammert er wutschnaubend.
»Erst die Pflanze!«, erwidere ich stur.
Ich greife erneut danach und schreie erschrocken auf, als Erde plötzlich in mein Gesicht geschleudert wird.
Das hat er nicht gemacht!
Dieser verdammte Spin-
Bam!
Kreischend springe ich von ihm runter, als die zweite Ladung Erde volle Kanne in mein Haar befördert wird.
»Du Idiot!«, schreie ich entrüstet und wuschle so kräftig durch meine Haare, dass nicht nur mein Dutt in Schieflage gerät, sondern die Blumenerde auch noch ungehindert auf mein Kleid rieselt und dort hässliche braune Flecken auf dem apricotfarbenen Chiffon hinterlässt.
Oh Gott! Kaitlyn wird mich von den Hochzeitsfotos verbannen, wenn ich so aufkreuze!
Nein, nein, nein!
Und dann auch noch meine Haare! Gereizt puste ich mir einige meiner braunen Locken aus dem Gesicht. Dieser Spinner!
»Jetzt muss ich meine Haare nochmal vorher waschen!«, meckere ich und betrachte meine Hände, die ganz dreckig von der Erde sind.
Mein Gegenüber hat sich indessen aufgerichtet und lächelt mich zufrieden an. Seine Augen, die diesen unendlich tiefen, dunklen Braunton haben, trotzen nur so von Gehässigkeit und Schadenfreude.
»Dann bedank dich gefälligst bei mir. Das sah nämlich aus als hätte ein Vogel auf deinen Kopf genistet. Und soll ich dir mal was sagen?«
Er verharrt einen Moment. Abwartend ziehe ich eine Augenbraue nach oben.
»Die Erde lässt das Nest noch viel authentischer wirken!«, entgegnet er schließlich und auf seinen vollen Lippen ziert das schönste und beschissenste Lächeln zu gleich, was ich je gesehen habe.
Schön, weil er wirklich schön ist. Diese braunen verwuschelten Haare würden bei jedem anderen aussehen wie als wäre man gerade aufgestanden. Bei ihm dagegen sieht es nahezu perfekt aus. Genauso wie sein Gesicht mit der langen Nase, dem Schmollmund und selbst die kleine Narbe darüber macht seine Schönheit nicht wett-im Gegenteil. Es macht ihn besonders und geheimnisvoll.
Und wer hätte es gedacht, natürlich hat er auch Muskeln! Ziemlich viele sogar. Sein weißes Hemd ist am Kragen leicht aufgeknöpft und schmiegt sich perfekt an den Ärmeln um seinen Bizeps, genau wie um seine breite, durchtrainierte Brust.
Er ist wirklich ein Augenschmaus, wenn man A von der Tatsache absehen würde, dass er mit seinen großen Pranken meine geklaute Nelke in den Händen hält. Die Betonung liegt auf meine Nelke und von dieser Tatsache werde ich ganz bestimmt nicht absehen. Zum anderen sieht er solange gut aus, bis man ihn B nicht in seine Augen schaut.
Diese dunklen Rehaugen, die auf den ersten Blick so unschuldig wirken. So verdammt unschuldig.
Schaut man aber ganz genau hin, dann erkennt man das teuflische Funkeln dahinter. Eben jenes Funkeln, was jetzt die Oberhand gewonnen hat und nun vollends zum Vorschein kommt.
Da hilft ihm sein makelloses Aussehen auch nicht. Es zeigt nur, dass der Teufel Geschmack hat und sich wenigstens einen schönen Körper aussuchen wollte, den er besudeln kann.
»Das ist meine Blume«, stelle ich ein für alle Mal klar und zeige auf den schwarzen Topf in seiner Hand.
»Na und jetzt ist es meine!«, erwidert er lächelnd und am liebsten würde ich die Gartenschaufel, die links in dem Regal von mir steht, nehmen und ihm damit eins überziehen. Aber ich glaube, auf ihn drauf zu springen und ihn auf dem Boden in Schach zu halten, war genug Kraftaufwand für einen Tag.
Stattdessen versuche ich zu kommunizieren. Ha Ha.
»Ich hatte sie zuerst«, werfe ich ein und verschränke die Arme.
»Und ich als zweitens.«
»Sie stand in meinem Wagen.«
»Dein Wagen? Wüsste nicht, dass dein Name auf dem Wagen draufstand«, gibt er mir zu Bedenken und grinst dabei süffisant.
»Natürlich nicht, aber ich...«, fange ich an, werde jedoch unterbrochen.
»Ha! Also gibst du zu, dass es nicht dein Wagen ist?«, hakt er nach und bringt mich mit dieser Frage leicht aus dem Konzept.
»Das meinte ich nicht, sonde-«
»Ach, Schätzchen...«, winkt er galant mit dem Kopf ab, »Jeder weiß doch: Hast du keinen Namen auf dem Wagen, darfst nicht über fehlende Blumen klagen. Wow, das hat sich sogar leicht gereimt!«, verkündet er freudestrahlend und ich frage mich wirklich, ob ich das alles hier nicht gerade träume.
»Applaus, Applaus du Poet!« Ich klatsche matt in die Hände, woraufhin der Idiot doch tatsächlich einen kleinen Knicks macht und anerkennend seinem nicht existierenden Publikum zunickt, das aus Gartenwerkzeug und verschiedenen Grills besteht.
Nachdem er seinen imaginären Applaus vollständig ausgekostet hat, beugt er sich plötzlich nach vorne und spitzt die Ohren.
Was ist denn jetzt los?
»Hast du das gehört?«, fragte er ernst.
Ich beuge mich ebenfalls nach vorne und lausche, höre aber nichts.
»Nein«, flüstere ich leise, um die anhaltende Stille nicht vollständig zu zerstören.
Er strafft seine Schulter und ein Grinsen erscheint auf seinen Lippen.
»Tja, ich schon. Das war mein Leben, was nach mir gerufen hat! Arrivederci!« Er will sich schon zum Gehen wenden, aber da hat er die Rechnung ohne mich gemacht. So leicht kommt er mir nicht davon!
»Na, na, na! Nicht so schnell, Freundchen!«
Mit ein paar Schritte bin ich bei ihm, packe ihn an den Schultern und zerre ihn wieder zu mir zurück.
»Weißt du was?« Ich stütze meine Hände in die Hüfte und sehe ihn dabei direkt in die Augen.
»Ich bin gnädig und mache dir ein Angebot«, schlage ich vor, während er überrascht seine linke Augenbraue nach oben zieht.
»Du gibst mir die Pflanze, ich lasse dir die Chance freiwillig und unversehrt abzuzischen und dann sagen wir Schwamm drüber! und ich vergesse, dass du so ein selbstsüchtiger Arsch warst. Na, wie findest du das?«, sage ich stolz über mein wirklich großzügiges Angebot.
Er runzelt die Stirn und sieht mich unbeeindruckt hat.
»Mmhh...lass mich kurz darüber nachdenken...öhm...Nö!« Mein Blick verfinstert sich.
»Ich habe aber auch ein Angebot für dich! Wie wär's, wenn die Vogelscheuche erstmal einen Schritt zur Seite geht, mich bezahlen lässt und wir sagen Schwamm drüber! und wir vergessen, dass du so eine Geistesgestörte warst, die mich beinahe umgebracht hätte«, entgegnet er und ich muss mich zusammenreißen, um nicht laut los zu lachen.
»Mmhh lass mich kurz darüber nachdenken...«, äffe ich ihn nach und lege meinen Finger auf mein Kinn. »Öhm...Nö!«
Er zuckt mit den Schultern.
»Tja, dann tut es mir leid. Wer mein Angebot verwehrt, ist der Blume nichts mehr wert. Ich Schlaufuchs, das hat sich schon wieder gereimt!«, freut er sich und am liebsten würde ich ihm eine reinhauen. Doch stattdessen entgegne ich:
»Ich glaube, du verwechselst da was! Es heißt: Wer den fremden Einkaufswagen leert, ist der Blume nichts mehr wert!«
Anerkennend feiere ich mich selbst mit einem Schulterklopfen für diesen grandiosen Spruch, während er mich kopfschüttelnd anschaut.
»Es kann nicht jeder so ein gnadenloser Poet sein wie ich, Schätzchen. Find dich damit ab!«, erwidert er mit einem abschätzigen Blick.
Ich rolle mit den Augen.
»Ja klar, du Philosoph. Erzähl das deinen Therapeuten für Arschlochologie«, erwidere ich grinsend und könnte mich dafür gerade wieder auf die Schulter klopfen.
Er lacht auf.
»Ich war nicht diejenige, die wie eine Verrückte auf den Rücken eines fremden Menschen gesprungen ist. Also wer von uns beiden braucht wohl einen Therapeuten, huh?«
»Du Arsch!«, presse ich wütend hervor und mein Geduldsfaden reißt vollkommen. »Ich habe keine Zeit für deine Spielchen. Gib mir die verdammte Blume! JETZT!«
Entschlossen packe ich den Topf der Pflanze, den er ebenfalls fest umklammert hält und versuche ihn mit aller Kraft an mich zu reißen. Zu dumm, dass er genau dasselbe zu denken scheint.
»Das ist meine Pflanze!«, beharrt er stur und zehrt daran.
»Nein!«
»Doch!«
»Nein!«
»Doch!«
Er hat den Kiefer angespannt und genauso kampflustig wie ich den Blick auf die Nelke fokussiert.
»Verdammt, wieso hast du so einen festen Griff?«
»Aarrghh!« Ich zerre weiter. Ich werde nicht aufgeben. Einen Scheiß werde ich tun.
»Lass gefälligst los, du Irre!«
»Lass du doch los, du Dieb!«
»Nein!«
»Doch!«
»Nein!«
»Do-«
»Sag mal, was ist denn hier los?«
Wie von einer Tarantel gestochen, hören wir beide blitzschnell auf und richten unseren Blick auf die Person vor uns. Selbstverständlich ohne, dass einer von uns beiden den Topf loslässt.
Ich rolle mit den Augen. Der hat mir gerade noch gefehlt. Vielleicht hätte ich ihn doch anketten sollen.
»Finn, geh ins Auto! Ich bin gleich fertig. Der Idiot wollte mir gerade die Nelke überlassen«, sage ich streng an ihn gerichtet, doch Finn bewegt sich keinen Zentimeter.
Geht das schon wieder los...
»Finn...«, wiederhole ich genervt und merke erst jetzt Finns verwunderten Gesichtsausdruck. Genauso verwundert wie der meines Rivalen, der merkwürdigerweise den Griff um den Topf leicht gelockert hat und sein Blick zwischen mir und Finn hin und her pendeln lässt.
Woah, was ist hier los?
»Warte mal, ihr kennt euch?«, hakt er nach und schaut fragend Finn an.
»Ja, ich kenne sie«, antwortet Finn, »Kennst du sie denn?«
Bitte was? Sie kennen sich?
»Woah, ihr kennt euch?«, frage ich entgeistert. Das ist nicht gut. Das ist gaaaar nicht gut.
Finn zuckt mit den Schultern und erklärt unschuldig:
»Naja, irgendwie schon. In weniger als einer halben Stunde sind wir zumindest eine Familie.«
Ich glaube, ich muss mich verhört haben.
»BITTE WAS?«
Fassungslos sehe ich meinen Cousin an, der mit seinen Fingern lächelnd auf den Mann neben mir zeigt.
»Das ist Colin Walker. Der Bruder des Bräutigams.«
Dam, dam, dam. Jetzt ist es raus und ich kann euch gar nicht sagen, wie viel Spaß es mir gemacht hat, dieses Kapitel zu schreiben und das nächste und das nächste. Haha😅
Wie findet ihr Colin?
Aber vor allem: Wie findet ihr die neue Offenbarung, dass Kiera und Colin bald eine Happy Family (*hust *hust) sein werden?
Das nächste Kapitel ist übrigens aus Colins Sicht😄 (*sitzt giggelnd hinterm PC und kann es gar nicht erwarten, Colins (un-) anständige Gedanken mit euch zu teilen😏😅)
Ich hoffe doch, ihr seid am Start, guys!
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