𝟎𝟐│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂

Noch 45 Minuten bis zur Trauung


»Woah, das ist dein Auto?«, fragt Finn und wirft einen skeptischen Blick auf das pinke Gefährt vor uns.

»Firmenwagen«, korrigiere ich ihn und laufe lächelnd um den kleinen Smart herum, den ich sonst nur für die Lieferungen meiner Bäckerei benutze, aber so liebgewonnen habe, dass ich mit ihm ab und zu auch privat los düse. 

»Der ist ganz schön...pink«, stellt er fest, die beiden Hände in die Hüfte gestützt, immer noch einige Meter von der Autotür entfernt.

Wow, wenn das so weiter geht, schaffen wir es gerade rechtzeitig zur Silberhochzeit von Kaitlyn und Josh!

»Finn« Ich gehe auf ihn zu und schiebe ihn in Richtung Auto. »Steig einfach ein!«

Ergeben seufzt er und trottet zur hinteren Autotür. Prüfend sehe ich ihn an, als er die Tür öffnen will.

»Was machst du?«, frage ich ihn.

Sein blonder Lockenschopf wirbelt zu mir herum.

»Äh, das nennt sich einsteigen?«, entgegnet er mit einem verdutzten Gesichtsausdruck.

Ich rolle mit den Augen.

»Du kannst vorne sitzen, wenn du willst«, biete ich ihm an und deute mit meinem Kopf zum leeren Beifahrersitz. Ein Lächeln bildet sich auf seinen schmalen Lippen.

»Wirklich? Sonst darf ich nie vorne sitzen!«

Bitte was?

»Du bist fast 17, Finn«, sage ich ungläubig, »Da kann man auch schon mal vorne sitzen.«

Ein weiteres Strahlen huscht über sein Gesicht.

»Ich habe aber auch noch einen Kindersitz von meiner Kollegin im Kofferraum, wenn du wil-«

»Nein, nein, schon gut!«, winkt er eilig ab und ich könnte schwören, dass er einen kleinen Hüpfer hinlegt, als er vorne einsteigt.

Oh Gott, das kann ja ne super Fahrt werden...

·•●❀●•·

Zwei Minuten mit Finn im Auto und schon hatte er den Titel als »Schlimmsten Beifahrer des Jahres« sicher.

Angefangen damit, dass er meinen heimlichen Kaugummi-Bunker gefunden und diesen erfolgreich geleert hat.

Gefolgt von der Radio-Katastrophe, an dem er herumgefuchtelt hat, weil er der Meinung war, Musik schaffe eine »bessere Atmosphäre« im Auto. Die Tatsache, dass er mit seinen ungeschickten Wurstfingern überhaupt einige Tasten davon treffen konnte, fand ich schon ziemlich beeindruckend.

Nicht so beeindruckend fand ich dagegen, dass er es geschafft hat, dass A; mein Lieblingssender weg war und B; einen Kanal draufzuschalten, der in Dauerschleife Hard Rock Musik vom Feinsten spielt.

Damit war nicht nur ich am Steuer überfordert, sondern auch das Radio, welches sich kurzerhand aufgehangen hat und sich nicht mehr ausstellen, geschweige denn leiser stellen ließ.

Als wäre das noch nicht genug des Guten, kam er auf die grandiose Idee die Klimaanlage anzuschalten.

Dann wurde es dem Herrn aber plötzlich zu kalt und er hat sie wieder ausgeschaltet. Keine 10 Sekunden später hat er festgestellt, dass sich Schweißflecken auf seinem blauen Hemd schlecht machen und so hat er wieder die Klimaanlage angeschaltet.

Argggghh!

Jetzt weiß ich auch, warum er nie vorne sitzen darf! Genau deswegen frage ich mich auch, ob es so eine gute Idee war, ihm im Auto warten zu lassen.

Habe ich den Schlüssel gezogen? Nicht das ich zurückkomme und mein pinkes Auto liegt im Graben!

Erleichtert atme ich auf, als ich den kleinen Schlüsselbund in meiner Stofftasche zu fassen kriege.

Hoffentlich hält er die Hände still. Vielleicht hätte ich ihn doch anketten sollen?

Ein wenig Garn von der Schnur, die nachher gespannt wird, wenn Kaitlyn und Josh als frisch vermähltes Paar aus der Kirche schreiten, wäre immerhin noch da gewesen.

Egal.

Beim nächsten Mal.

Bewaffnet mit einem Einkaufwagen betrete ich das kleine Gartencenter, das an einem so schön sonnigen Samstagmittag fast wie leergefegt ist.

Eilig marschiere ich auf den Außenbereich mit den Blumenbeeten zu und hoffe bei jedem Schritt, den ich tue, dass irgendwo in diesem Blumenmeer apricotfarbene Nelken warten und meinen Namen schreien.

Konzentration, Kiera!

Ich scanne die Reihen von Blumen ab.

Blau, Gelb, Rot, Orange.

Rosen, Tulpen, Lilien, Nelken.

Moment, Nelken? Nelken!

Mein Blick bleibt an dem grauen Stand in der Ecke hängen, auf dem Nelken in verschiedenen Farben platziert wurden. Halb stürze, halb renne ich mit meinem Wagen darauf zu.

Bitte, apricot. Bitte apricot. Bitte... apri-Ha!

Zwischen all den Nelken scheint es auf den ersten Blick keine einzige apricotfarbene Nelke zu geben und ich will mich schon auf den Boden hinschmeißen und heulen wie ein kleines, trotziges Baby, als ich plötzlich den kleinen, hellorangenen, nein, apricotfarbenen Blattzipfel versteckt zwischen zwei blauen Nelken entdecke.

»Nants ingonyama bagithi baba!«, trällere ich und halte triumphierend die Pflanze empor.

Ich fühle mich heilig wie Rafiki, als er Simba zum ersten Mal der Welt präsentiert, nur dass mein Simba aus einer apricotfarbenen Nelke besteht und der Wachmann, der das Videoband mit mir sehen wird, sich denken wird, dass ich eine an der Meise habe.

Aber das ist mir scheiß egal. Das ist eine fucking apricotfarbene Nelke! Steht sogar auf dem Preisschild, dass ich Kaitlyn nachher erstmal ordentlich unter die Nase reiben werden. Denn ich sag's mal so:

Kiera ist wieder im Rennen, Bitches.

Überglücklich stelle ich den kleinen Topf mit der Pflanze in meinen Wagen, bedacht darauf, dass ja keine Blätter oder Blüten abknicken.

Ich will Kaitlyn nicht noch einen Grund geben, um mich erneut loszuschicken. Deswegen pflücke ich auch ein paar hässliche, verschrumpelte Blätter an den Rändern raus, sodass die Pflanze makellos wirkt, obwohl das natürlich reine Zeitverschwendung ist.

Nachher werden wir sowieso die Blumen abschneiden müssen und mit den anderen Nelken aus dem Blumenbouquet austauschen.

Nichtsdestotrotz wende ich mich wieder dem Stand zu. Habe ich doch tatsächlich die letzte apricotfarbene Nelke bekommen, ich Glückspilz!

Gerade als ich mich freudestrahlend in Richtung Kasse begeben will, trifft es mich jedoch wie ein Blitz.

Was ist, wenn die einzige Blume nicht ausreichen wird?

Hastig zähle ich die apricotfarbenen Blüten durch. Eins, zwei, drei...sieben.

Sieben? Sind das zu wenig? Wieviel Blüten waren gleich auf dem Gesteck? Oh Gott, ich war nie gut in Mathe!

Pi mal Armlänge mal Anzahl Blüten, Hä?

Scheiße, wenn das nicht reicht, dann, dann ... kriegt Kaitlyn einen Herzinfarkt im Kirchengang! Ich brauche noch eine Pflanze. Ich brauche noch eine Pflanze!

Eilig wende ich mich dem Heiligtum in meinem Wagen zu und sage: »Nicht weggehen, Darling. Mama kommt gleich wieder.«

Sobald die Worte jedoch raus sind, würde ich mir am liebsten selbst eine klatschen.

Super, ich quatsche schon mit einer Pflanze und das obwohl ich 0 Promille intus habe. Diese Hochzeit bringt mich noch um den Verstand!

Hastig sprinte ich durch den kompletten Laden und suche nach einer Bedienung. Wo sind denn die orangenen Männchen immer, wenn man sie braucht?

Ein paar Sekunden später mit ein paar Kalorien weniger werde ich schließlich in der Abteilung für Gartenmöbel fündig. Der arme Mann kriegt es mit der Angst, als ich auf ihn keuchend zu renne und schreie:

»Orangener Mann!«

Schnaufend komme ich vor ihm zum Stehen und muss feststellen, dass der Mann, der mich gerade anschaut als wäre ich geistesgestört, Norm heißt.

Norm hat braune nachhinten gegelte Haare, eine schwarze Hornbrille und sieht viel mehr aus wie ein intelligenter Wissenschaftler, der ein Heilmittel gegen Krebs erfindet, als eine Servicekraft im Gartencenter. Trotzdem schreckt mich das nicht davor ab, ihn anzusprechen.

»Hallo, Norm. Haben Sie vielleicht noch eine Blume?«, frage ich immer noch leicht aus der Puste und ignoriere seinen penetranten Blick in Richtung meines Outfits. Das apricotfarbene Kleid mit dem fetten Glitzergürtel und der daran befestigten Kunstblume hat Kaitlyn ausgesucht, okay?!

Nachdem er seinen Blick ein weiteres Mal abschätzig über mich schweifen lassen hat, mustern mich seine grünen Augen kalt. 

»In der Hand nicht, nein«, antwortet er spitz und formt seine Lippen zu dem schrecklichsten Fake-Lächeln, was ich je gesehen habe.

Was für ein Scherzkeks, der Norm!

»Ich meine eine Nelke. In Apricot«, füge ich hinzu und schenke ihm dasselbe gekünstelte Lächeln.

»Apricot? Was genau ist das?«

Sag mal, hat überhaupt ein Mann auf dieser Welt eine Ahnung davon, was Apricot ist?

»Warte, ich zeig's Ihnen...« Ich bedeute Norm mir zu folgen und marschiere entschlossen in Richtung meines Einkaufswagens. Doch schon vom Weitem erkenne ich, dass da etwas nicht stimmt.

Das kann doch nicht...das ist doch jetzt nicht wahr!

Der Wagen ist leer.

L-E-E-R.

WO ZUM TEUFEL IST DIE APRICOTFARBENE NELKE?

Ich hatte ihr doch gesagt, dass sie warten soll!

»Nein, nein, nein...«  Bestürzt haste ich zu meinem Wagen, nur um dann entsetzt festzustellen, dass das Einzige, was mir geblieben ist, ein lausiges Blütenblatt ist.

Wer wagt es...?!

»Wie ich sehe, sehe ich nichts«, verkündet Norm kopfschüttelnd hinter mir und macht auf dem Absatz kehrt. »Spinnerin.«

Wie bitte?

Ich wurde gerade beraubt, aber ich bin die Spinnerin?!

Zum Teufel mit Ihnen, Norm!

Fassungslos starre ich von meinem leeren Einkaufswagen zu dem Blüteblatt, das ich aus dem Wagen herausgenommen habe und nun in meinen Händen betrachte als wäre es der wertvollste Gegenstand der Welt.

Nein, es ist der wertvollste Gegenstand der Welt. Zumindest für mich. Heute.

Wer hat mein Darling geklaut? Wer ist so skrupellos und nimmt einfach eine Blume aus einem fremden Wagen?

Das kann doch alles nicht wahr sein! Ich war vielleicht drei Minuten weg und dann ist jemand so dreist und schnappt sich meine Blume!

Wut wallt in mir hoch und verwandelt sich in Panik, als ich die Uhr an der Wand sehe, deren Zeiger mir sagt, dass es noch eine gute halbe Stunde bis zur Trauung ist.

Scheiße, was soll ich denn jetzt machen?

Kaitlyn bringt mich um, wenn ic- Momentchen mal...

Ich blinzele. Einmal. Zweimal. Dreimal.

Doch das apricotfarbene Blütenblatt auf dem Boden ist echt. Genau wie das grüne Blättchen ein paar Meter weiter und das danach.

Der angebliche Dieb hat anscheinend bei seiner mutwilligen Aktion nicht alle Spuren verwischt.

Idiot.

Aber besser für mich.

Neugierig folge ich den Blüten am Boden, die abgefallen sein müssen, als er sich die Blume geschnappt hat und damit davongelaufen ist. Irgendwann hört die Spur jedoch prompt auf.

Statt einer weiteren Blüte bleiben meine Augen einige Meter weiter entfernt an der braunen Hinterseite von einem Paar Schuhe kleben. Mein Blick wandert weiter über die blaue Hose, die ebenso blaue Stoffjacke, den weißen Ansatz eines Hemdkragens, den breiten Schultern, den schlanken Hals bis hin zu einem braunen Haarschopf. Doch das alles ist nur nebensächlich. Denn was wirklich die Aufmerksamkeit auf mich zieht, ist dieses apricotfarbene Schimmer, wann immer er einen Schritt macht und eine Nelkenblüte hervorblitzt.

Ha! Auf frischer Tat ertappt, Freundchen!

Der kann was erleben...

Wütend stapfe ich auf ihn zu. Merke jedoch, wie meine Schritte immer schneller werden und mein funktionierender Verstand immer weiter aussetzt, je näher ich diesem skrupellosen Blumenräuber komme.

Plötzlich gibt es da nur eins: Den Willen, diese Blume um jeden Preis zu bekommen. Koste es, was es wolle.

Also sprinte ich los.

Direkt auf den Typen zu.

Und springe.

Direkt auf den Typen drauf.

Kiera: 1 – Dieb: 0

Mit Kiera anlegen? Definitiv eine schlechte Idee😄🤭
Das bekommt auch der Dieb (verdient) zu spüren oder was meint ihr?

Und was sagt ihr eigentlich zu Finn? Zu Kiera? Soweit sympathisch oder wollt ihr sie auch schon zum Mond schießen wie Kaitlyn im Kapitel zuvor?😂🤣

Im nächsten Chap erfahren wir dann auch, ob Kiera's voller Körpereinsatz so eine tolle Idee war...

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