Kapitel 70 - Epilog
2 Jahre später
Skàdi saß genervt an einem Tisch und nahm einen großen Schluck aus der Whiskeyflasche. Vor ihr saß ein junger Mann. Sein Aussehen ließ vermuten, dass er zur Fraktion Nerd gehörte. Brille, weiße Haut, Sommersprossen. Sein Körperbau würde man wohl als schlaksig bezeichnen und er schien sichtlich mit der Geduld von Skàdi zu spielen.
»Ohne Scheiß, das kann doch nicht dein Ernst sein, Timmy«, raunte sie ihn an und nahm den nächsten Schluck.
Timmy hob vorsichtig den Blick und sah sie entschuldigend an. Ein Kichern war zu hören und Alice trat neben den Tisch.
»Na, Startschwierigkeiten?«, sagte sie und sah zwischen Timmy und der Kerze, die vor ihm stand, hin und her.
Skàdi seufzte.
»Wir versuchen seit einer Stunde diese Kerze zum Brennen zu bringen. Erfolglos«, raunte Skàdi und Timmy sackte förmlich in sich zusammen.
Tränen stiegen ihm auf und Skàdi rollte die Augen.
»Nein, nein. Nicht schon wieder. Nicht heulen. Geh. Mach Pause und fackle dabei nichts ab«, sagte sie verzweifelt und Timmy sprang sofort auf und verschwand.
Alice sah ihm kurz nach und setzte sich dann zu Skàdi.
»Vielleicht liegen wir falsch und er kann gar keine Flammen erzeugen«, sagte sie und nahm sich die Whiskeyflasche.
Skàdi zog eine der Brauen nach oben und sah sie an.
»Und wie erklärst du dann, das brennende Pub?«, fragte Skàdi.
Alice schmunzelte.
»Zufall«, sagte diese schulterzuckend, doch ehe Skàdi etwas erwidern konnte, hörte man Schreie aus dem Flur.
»Timmy hat es schon wieder getan!«
Skàdi ließ ihren Kopf in die Hände fallen und seufzte.
»Zufall also. Dann ist es auch Zufall, dass er erst seit drei Tagen hier ist und wir bald keine verdammten Vorhänge mehr haben, weil Timmy sie alle abfackelt?«, fragte Skàdi und sah Alice verzweifelt an.
Die lachte nur.
»Vielleicht steht er auf Vorhänge«, sagte sie und drehte sich.
Am anderen Ende des Raumes saß eine junge Frau in einem Sessel und las gerade ein Buch am Kamin.
»Sindy, geh bitte mal das Feuer löschen, bevor Skàdi noch durchdreht«, sagte Alice und Sindy sah sie lächelnd an.
»Vielleicht sollte ich mich als Schatten an Timmy hängen. Feuer und Wasser, dann ist das Schloss wenigstens sicher«, sagte sie, während sie das Buch beiseitelegte und den Raum verließ.
Alice nickte.
»Ja, vielleicht gar keine so dumme Idee, Zweiergruppen zu bilden, bis sie ihre Fähigkeiten im Griff haben«, sagte Alice zu sich selbst.
Skàdi schnaubte nur und hob den Blick, als sie Schritte vernahm.
»Zweiergruppen also? Na hoffentlich läuft das dann besser, als bei Klaus und Alfred«, sagte Milano lachend.
Skàdi sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
»Was haben Dumm und Dümmer jetzt wieder angestellt?«, fragte sie.
Milano grinste und rieb sich über den Nacken.
»Sagen wir einfach, wir brauchen dringend einen Gärtner und vielleicht ein neues Gewächshaus.«
Alice sah ihn jetzt ebenfalls fragend an, was Milano zum Lachen brachte.
»Der eine Idiot hat eine Miniwindrose entstehen lassen und der andere wollte sie stoppen«, erklärte Milano und Skàdi beendete seinen Satz.
»Lass mich raten, er hat sie nicht gestoppt, sondern verstärkt?«
Milano nickte und Skàdi stöhnte auf.
»Die beiden Deppen stecke ich bald auseinander, am besten auf unterschiedliche Kontinente. Deren Dummheit ist ja einzeln nicht zu ertragen, aber gemeinsam. Unglaublich!«
Milano und Alice mussten lachen, als sie Skàdi beobachteten.
»Sagen wir einfach, dass der heutige Tag daran schuld ist«, sagte Milano.
Sofort änderte sich die Stimmung und das Lachen verschwand aus den Gesichtern.
»Ja, wahrscheinlich«, stimmte Alice zu und sah Skàdi traurig an.
Deren Blick war bereits glasig geworden und sie wischte sich schnell die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Wir sollten wohl auch los?«, sagte sie schnell und stand auf.
»Aber es fehlt doch noch einer«, erwiderte Alice.
Skàdi sah sie an und versuchte zu lächeln.
»Er wird schon noch kommen«, sagte sie und lief los.
Milano und Alice folgten ihr und so liefen sie schweigend durch das Gebäude, was tatsächlich ein Schloss war. Weit abgelegen von der Zivilisation, um so wenig wie möglich Aufmerksamkeit zu erzeugen. Sie hatten wirklich einen Ort entstehen lassen, an denen sie Menschen aufnahmen, die Fähigkeiten besaßen. Denn Tamo sollte recht behalten. Es gab einige davon. Manche waren nur wenige Wochen hier, da sie ihre Fähigkeiten sofort im Griff hatten und es nur etwas Übung benötigte, sie unter Kontrolle zu halten. Andere werden wohl den Rest ihres Lebens hier verbringen, um nicht für den Weltuntergang verantwortlich gemacht zu werden.
Ihr fragt euch sicher, was zur Hölle mit mir nicht stimmt und wie ich jetzt hier einfach einen solchen Zeitsprung machen kann, oder? Tja, was soll ich sagen. Skàl ... und auf euch und das ihr es bis hierher durch die Unendlichkeit der Fragen geschafft habt. Auf in die letzte Runde.
Skàdi machte noch einen Abstecher durch die Küche und schnappte sich eine neue Flasche Whiskey, bevor sie sich auf den Weg nach draußen machte. Ihr Blick fiel auf den völlig verwüsteten Garten und die vielen Glasscherben, die das Gewächshaus hinterlassen hatte.
Glasscherben. Mal wieder.
Ein komisches Gefühl breitete sich in ihr aus, doch schon tauchten Alice und Milano hinter ihr auf.
»Na los«, sagte Alice und gemeinsam liefen sie auf den Wald zu, der um das Schloss lag.
Schweigend bahnten sie sich den Weg immer tiefer hinein und als die Dunkelheit um sie kaum noch stärker werden konnte, riss sie plötzlich auf. Eine kleine Lichtung tat sich vor ihnen auf und mittig auf dieser konnte man einen Grabstein sehen. Skàdis Herz wurde augenblicklich schwer. Zwei Jahre war es her, dass sie ihn verloren hatte und immer wenn sie hierherkam, war es, als wäre nicht ein Tag vergangen.
Sie fröstelte, was nicht nur daran lag, dass heute ein recht kühler Tag war. Nein, sie vermisste ihn, auch wenn sie niemals daran geglaubt hätte, diese Gefühle erneut zu durchleben. Aber Tamo hatte die volle Bandbreite an Gefühlen in ihr ausgelöst und so vernahm sie auch wieder den Schmerz des Verlustes. Die Schuld, die sie mit sich trug. Die Einsamkeit.
Als Skàdi immer langsamer wurde, legte Alice ihr den Arm um die Hüfte.
»Wir sind bei dir«, flüsterte sie und vernahm den dankbaren Blick von Skàdi.
Schritt, um Schritt gingen sie auf den Grabstein zu und kurz bevor sie endlich den Blick heben wollte, um sich der bitteren Realität zu stellen, stieg ihr sein Duft in die Nase. Unwillkürlich legte sich ein Lächeln in ihr Gesicht und ein Kribbeln zog sich durch ihren Körper. Sie vernahm bereits seine Wärme und als er seine Arme von hinten um sie legte und sie fest an sich zog, fühlte sie sich sicher und geborgen. Er legte seinen Kopf vorsichtig über ihre Schulter und drückte ihr einen sanften Kuss in die Halsbeuge.
»Sorry Baby, aber der Neue hat Probleme verursacht«, flüsterte Tamo ihr zu und verstärkte die Umarmung noch etwas mehr.
Skàdi nickte und lehnte sich gegen ihn, während ihr Blick über den Grabstein wanderte und sie zum hundertsten Mal dieselben Worte las.
Silas, gestorben für die Liebe.
~~~
Vor genau zwei Jahren hatte Silas sich für seine Liebe geopfert. Milano hatte sich entscheiden, dass Silas ebenfalls die Chance bekommen sollte, bei ihnen zu sein, wenn es endete. Also holte er ihn mit seinen letzten Kräften aus seiner Bar und machte sich mit ihm auf den Weg zu Skàdi und Samuel. Milano hatte ihm, so schnell es ging alle Informationen gegeben und Silas traf eine Entscheidung. Es nichts mehr als war eine Idee und niemand wusste, ob sie überhaupt funktionieren würde, aber da sie ohnehin sterben würden, gab es wohl nichts zu verlieren.
Als sie zurückkamen, sah Milano, das Alice schon am Boden lag, doch es blieb keine Zeit für Erklärungen, er schnappte sich Tamo und brachte ihn gemeinsam mit Silas zu Skàdi.
Der Wirbelsturm lag gerade in völliger Stille und es würde nur noch Minuten dauern, bis die Energie aussprechen und alles um sie zerstören würde. Tamo wachte sofort auf, als er in Skàdis Nähe kam und es zerriss ihm fast das Herz, sie so zu sehen. Sie kniete am Boden, sah völlig erschöpft aus und er wollte sofort auf sie zustürmen. Sein Inneres verlangte danach, sie zu retten, und sofort glühten seine Augen auf und ein roter Schleier ummantelte ihn. Doch Silas stellte sich ihm in den Weg.
»Nimm mich. Nimm mein Leben«, sagte er.
Tamo hielt inne und sah ihn an.
»Was?«, fragte er verwirrt.
Silas schluckte.
»Du kannst scheinbar Seelen übertragen. Ähnlich wie Skàdi«, erklärte Silas sich.
Tamo runzelte die Stirn.
»Ja, meins. Scheinbar. Also denke ich. Aber andere«, stotterte Tamo, denn eigentlich wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht mal, was er konnte und was nicht.
Milano stand neben ihnen und hörte den beiden fassungslos zu.
»Versuch es. Wenn du sie rettest und dafür dein Leben opferst, fällt sie wieder in dieses Loch, aus welchen du sie scheinbar gerade erst rausgeholt hast. Ich liebe sie. Das habe ich schon immer und so kann ich wenigstens etwas meiner Schuld begleichen«, raunte Silas und sah Tamo flehend an.
Der sah völlig hilflos zu Milano.
»Tamo, ich weiß es nicht. Aber egal, was ihr tut, tut es schnell, denn hier knallt es gleich«, sagte Milano und sah voller Sorge in den Wirbelsturm.
»Aber du bist mit Skàdi verbunden«, sagte Tamo.
Silas nickte.
»Das mag sein, aber wenn du den richtigen Moment abpasst. Du leidest es durch deinen Körper. Deine Seele. Es könnte es klappen. Bitte. Es ist ein Versuch.«
Silas liefen die Tränen über die Wangen und er ließ sich auf die Knie fallen.
»Bitte. Tamo. Versuch es.«
Tamo blieb keine Zeit mehr, um darüber nachzudenken, denn in diesem Moment passierte es. Der Wirbelsturm brach auf und sie standen unmittelbar daneben. Ohne darüber nachzudenken, ließ Tamo eine Art Schutzwall entstehen, welcher der Druckwelle tatsächlich standhielt. Von sich selbst überrascht, packte er Silas und zog ihn zu Skàdi, die bereits bewusstlos am Boden lag. Sie ließen sich neben sie fallen.
»Beeil dich und pass auf sie auf«, presste Silas heraus und Tamo sah, dass auch er langsam an Lebenskraft verlor.
Tamo durchfuhr eine seltsame Wärme und unwillkürlich legte er eine seiner Hände auf Silas und die andere auf Skàdi.
»Ich liebe dich«, hörte er Silas noch flüstern und schon spürte er, wie die Wärme von Silas Körper durch seinen zu Skàdi ihren wanderte.
Ein roter Schleier ummantelte sie und Tamo spürte das Pulsieren des Lebens, welches durch seinen Körper wanderte.
Milano ging hinter ihnen bewusstlos zu Boden und auch Samuel rührte sich nicht mehr, während Tamo zwischen ihnen saß und wusste nicht, ob er gerade half oder nur wertvolle Zeit verschwendete. Es dauerte nicht lange und die Wärme, die von Silas ausging, verschwand und mit ihr erlosch auch der rote Schleier, der sich um beide Körper gelegt hatte.
Sekunden vergingen, die Tamo wie Stunden vorkamen. Sein Herz raste und seine Verzweiflung überschwemmte seinen Körper. Tränen stiegen ihm auf und er zog Skàdi auf seinen Schoß.
»Bitte, wach auf«, flehte er und als eine der Tränen von seiner Wangen in ihr Gesicht tropfte, vernahm er ein Knurren.
»Heulst du etwa?«, flüsterte Skàdi ihm entgegen und öffnete gleichzeitig ihre Augen.
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Skàdi seufzte und löste sich aus Tamos Umarmung, um nach der Whiskeyflasche zu greifen.
»Ich verstehe es immer noch nicht, dass das geklappt hat. Wie konnte er mir sein Leben geben?«, fragte Skàdi sich.
Tamo nahm ihr die Flasche ab und nahm ebenfalls einen Schluck.
»Ich denke immer noch, dass es an der Liebe lag. Ich glaube nicht, dass es mit jemandem anders auch geklappt hätte.«
Es würde wohl eine der Fragen sein, auf die sie nie eine Antwort bekommen würden. Fakt ist. Silas hat Skàdi das Leben gerettet und gleichzeitig das von Alice und Milano. Na ja und irgendwie ja auch das Leben von Tamo. Denn er hätte, ohne zu zögern, sein Leben gegeben.
Tamo war dankbar. Dankbar dafür, dass Silas, Skàdi und ihm die Chance auf ein gemeinsames Leben gegeben hatte.
Auch fanden sie heraus, dass Tamos Schwester kurz nach ihrer Geburt für tot erklärt wurde. Elisabeth hatte sie entführt. Warum dem nie nachgegangen wurde, sondern Tamos Eltern die Bürde des Verlustes auferlegt wurde, blieb hingegen unbeantwortet.
Sie standen noch eine Weile um das Grab, bis sie plötzlich Schritte hörten, welche sich verdammt schnell näherten.
»Skàdi ... Timmy ... Feuer ... zu groß für uns«, hörten sie heraus.
Skàdi stöhnte und sah angepisst zu Tamo.
»Du und deine beschissene Idee«, zischte sie ihn zu.
Tamo grinste und zuckte mit den Schultern.
»Dafür liebst du mich doch so.«
Skàdi rollte mit den Augen.
»Was dein einziges Glück ist, du Penner«, raunte sie ihn an und musste dabei lachen, bevor sie zu Milano sah.
»Los bring uns zum Feuer 3.0 des heutigen Tages.«
Milano nickte, packte sie und verschwand mit ihnen im Nichts.
Nur Tamo blieb zurück. Langsam hockte er sich vor den Grabstein und ließ seinen Blick über die Schrift gleiten, bevor er sich neben den Stein niederließ und in den Himmel starrte.
Ein leises Grollen aus weiter Entfernung war zu hören. Eine Unruhe ergriff Tamo, wie er sie schon die letzten Tage verspürt hatte.
»Da braut sich irgendwas zusammen«, murmelte er leise vor sich hin und für einen kurzen Augenblick verformten sich seine Pupillen zu schwarzpulsierenden Sicheln.
- Ende ... oder auch nicht -
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