Kapitel 59 - Genickbruch
Skàdi riss es aus dem Schlaf. Ihre Lungen brannten und sie hatte, das Gefühl zu ersticken. Panisch nach Luft ringend, griff sie sich an die Kehle und bäumte sich gegen die Bettdecke. Ihre keuchenden Geräusche holte Alice aus dem Schlaf, diese riss sich die Decke vom Kopf und wirbelte zu Skàdi.
»Fuck«, raunte Alice durch das Zimmer und legte ihre Hände sofort auf Skàdi, doch ehe sie ihre Fähigkeiten auf die übertragen konnte, wurde Skàdi plötzlich still.
Ihre weit aufgerissenen Augen schlossen sich für einen Moment und sie atmete tief durch. Sie rieb sich vorsichtig über die Kehle und sah dann in Alices Augen. Sie sah die Sorge, die ihr entgegengebracht wurde und lächelte.
»Alles okay«, flüsterte Skàdi.
Alice nickte und nahm die Hände von Skàdi.
»Was war los?«, fragte Alice leise.
Skàdi ließ den Blick durch den Raum schweifen und schien nach etwas zu suchen. Aber das Zimmer war leer und Tamo lag immer noch friedlich schlafend am Boden. Nur Narcos sah sie mit eindringlichem Blick an.
»Alles gut, Großer«, flüsterte sie und schon legte er den Kopf wieder auf seinen Pfoten ab und schloss die Augen.
Skàdi sah zu Alice, welche sie immer noch mit ihrem Blick fixiert hatte.
»Ich weiß es nicht. Aber ich habe dasselbe Gefühl empfunden, wie damals, als wir hierher entführt wurden«, flüsterte Skàdi ganz leise.
Alice sah sie fragend an.
»Du hast es gespürt, als wir entführt wurden?«, fragte Alice schlussfolgernd.
»Ich glaube ja«, sagte Skàdi und ihr Blick wanderte langsam zu der Tür.
Ihre Augen weiteten sich, ebenso wie die von Alice.
»Hörst du das?«, fragte Skàdi und Alice nickte.
»Spürst oder riechst du was?«, fragte Alice.
Skàdi schüttelte den Kopf.
»Nein, dieser verfluchte Weihrauch nimmt mir gefühlt alle Sinne«, raunte Skàdi.
»Geht mir genauso«, erwiderte Alice.
Beide hörten die leisen Schritte näher kommen und ihre Körper spannten sich langsam an. Narcos hob den Kopf und nur Sekunden später, sprang er auf und stellte sich schützend vor Tamo. Alice und Skàdi stiegen leise aus dem Bett und positionierten sich links und rechts von der Tür. Sie warfen sich einen letzten Blick zu und schon sprang ihre Tür auf. Skàdi wirbelte herum und griff den Eindringling sofort an. Doch noch während sie ihn in den Raum zog und ihr Blutdruck anstieg, er kannte sie ihn.
»Himmel, Skàdi. Ich bin es«, raunte er ihr entgegen.
Skàdi hielt inne, doch der Schwung, ließ ihn gegen das Bett prallen und hineinfallen. Skàdi und Alice sahen ungläubig auf das Bild vor ihnen. Milano lag rücklings auf dem Bett und in seinen Armen, Silas. Scheinbar bewusstlos.
Alice kicherte leise.
»Niedlich«, flüsterte sie und schloss die Tür hinter ihnen.
Skàdi hingegen sah Milano mit großen, fragend Augen an.
»Was ist mit ihm passiert?«, fragte sie.
Doch Milano schob Silas einfach achtlos zur Seite und rappelte sich aus dem Bett auf. Schnell ging er auf Skàdi zu.
»Dem geht es gut, aber wir müssen hier weg. Du hattest recht. Mit allen. Sie lügt, seitdem sie das erste Mal die Fresse aufgemacht hat«, raunte Milano ihr entgegen.
Skàdi schüttelte angewidert den Kopf. War ja nicht so, als hätte sie was anderes erwartet. Ihr Blick wanderte zurück zu Tamo, der immer noch friedlich schlief. Dem konnte man scheinbar das Bett unter dem Arsch klauen und er würde es nicht merken. Doch Alice holte sie aus ihren Gedanken.
»Was ist passiert?«, fragte sie leise.
Milano räusperte sich.
»Wir sind ihr die letzten drei Nächte gefolgt. Doch nichts passierte, doch heute hat sie uns endlich ihr wahres Gesicht gezeigt. Sie hat uns bemerkt und wollte uns betäuben. Silas hat den Lockvogel gespielt, so konnte ich mich schützen.«
»Ich hatte nicht viel Zeit, um mich umzusehen. Sie kann das Ganze nicht allein geschafft haben. Wir sollten hier verschwinden«, raunt er.
Skàdi nickte.
»Lebt sie?«
Milano nickte.
»Ja, hab sie in ihre eigene beschissene Zelle gesperrt«, raunte er.
»Okay. Was glaubst du, wie viele du mit einmal wegbringen kannst?«, fragte sie.
Er runzelte die Stirn.
»Kommt darauf an, wohin. Bis zu dir ins Haus schaffe ich es nicht mit allen gleichzeitig«, sagte er.
Skàdi schüttelte den Kopf.
»Nein, ich denke, dass wir dahin nicht zurückkönnen«, sagte sie.
Alice sah sie fragend an.
»Wo soll es dann hingehen?«, fragte sie.
»Nach Hause«, raunte Skàdi bitter.
Milano zog eine Braue nach oben.
»Ich denke, da soll es nicht hingehen.«
Skàdi seufzte, doch ehe sie etwas sagen konnte, schüttelte Alice den Kopf.
»Sie meint nicht das Haus im Wald. Sie meint, ihr richtiges Zuhause«, sagte Alice.
Milano riss die Augen auf.
»Sicher?«, fragte er.
Skàdi nickte.
»Bring Alice, Tamo und Silas hier weg und dann komm mich holen. Ich werde mich derweilen mit Elisabeth unterhalten.«
Milano sah sie an und wusste nicht so recht, ob es ihr Ernst war. Sie hatte sich geschworen, dieses Gebäude nie wieder zu betreten. Aber schließlich nickte er.
»Pack, wenn du es schaffst, alles zusammen, ich sollte spätestens in einer Stunde wieder hier sein«, sagte Milano.
Sie sah ihn fragend an.
»Was meinst du?«, fragte sie.
Milano sah sie mit traurigem Blick an.
»Siehst du, wenn du in dem Raum bist«, sagt er und schon schnappte er sich Skàdi und beide waren verschwunden.
Augenblicke später standen sie in den Kellergewölben vor der Tür.
Milano schenkt Skàdi ein leichtes Lächeln und strich ihr sanft übers Gesicht.
»Pass auf dich auf«, raunte er ihr entgegen.
»Was soll mir noch passieren? Und jetzt schaff die anderen hier raus«, raunte sie zurück.
Milano nickte und Skàdi drehte sich zurück zu der Tür. Sie atmete tief ein und stieß die Tür auf und der Anblick, der sich vor ihr auftat, ließ sie grinsen.
Elisabeth hing gefesselt in der Zelle an der hinteren Wand. Der süßliche Verwesungsgeruch zog Skàdis Aufmerksamkeit sofort auf dem am Boden liegenden Leichnamen, über dem Elisabeth hing. Sie lief langsam durch den Raum und Elisabeth schien noch bewusstlos zu sein. Skàdi sah über den Schreibtisch und wusste augenblicklich, was Milano meinte. Unzählige Bücher lagen hier verteilt. Sie schlug einige davon auf.
Forschungen.
Und dem Ausmaß zur Folge war es die gesamte Forschung der Jones. Skàdi schluckte und sah sich weiter um. Über den Schreibtisch hingen unzählige Fotos. Fotos von ihnen. Milano, Alice, Silas, Tamo und sie. Sie waren tatsächlich nicht älter als ein halbes Jahr, was demnach bedeuten konnte, dass zumindest dieser Teil von ihrer Aussage stimmte. Sie hatte sie scheinbar erst dank Travis gefunden.
Skàdi seufzte und wandte sich langsam zu Elisabeth. Sie hing immer noch mit dem Kopf nach unten in ihren Fesseln. Sie trat an die Gitterstäbe und schickte ihr einen Schmerzimpuls durch den Körper. Elisabeth stöhnte schmerzhaft auf und starrte in die kalten Augen von Skàdi. Die lehnte an den Gitterstäben und genoss es. Sie genoss es, die Angst in Elis Augen zu sehen, die langsam begriff, wo sie war.
Panisch begann sie an ihren Fesseln zu reißen.
»Ich nehme an, die Fesseln halten«, sagte sie kalt.
Elisabeth hielt inne.
»Was? Was ist passiert? Wo sind wir hier?«, stotterte sie los.
Skàdi zog eine Braue nach oben und legte den Kopf schief.
»Echt jetzt?«
Elisabeth sah sie mit entsetztem Gesichtsausdruck an. War das ihr verdammter Ernst? Wollte sie jetzt wirklich einen auf unschuldig machen? Skàdi stöhnte und ging einige Schritte zurück und ließ sich auf den Hocker fallen, bevor sie wieder zu Elisabeth blickte.
»Hör auf, mich verarschen zu wollen. Meine Geduld ist nach den letzten Tagen am Arsch. Du weißt ja nicht, wie anstrengend es sein kann, nett zu sein.«
Elisabeth sah sie immer noch mit geweiteten Augen an und wollte gerade anfangen, sich zu erklären, als Skàdi die Hand hob.
»Lass es. Ich werde reden. Fangen wir mal mit deinem Weihrauch Müll an. Ja, du hast es wirklich geschafft, mir damit die Sinne zu nehmen«, sagte Skàdi und sah zu der Schale, aus der immer noch weißer Qual aufstieg.
»Wobei das scheinbar gar nicht dein Ziel war, oder?«, fragte Skàdi und sah zu Elisabeth.
Die schluckte trocken und hob langsam den Blick. Scheinbar schien sie zu bemerken, dass Jammern nicht mehr helfen würde. Skàdi sah, wie sich Elisabeths Ausdruck veränderte.
»Ja, langsam scheinen wir dieselbe Sprache zu sprechen, also sag mir doch mal, was willst du wirklich von uns?«
»Ich ... ich dachte wirklich, dass Tamo mein Sohn ist und ich euch helfen kann, Samuel zu töten«, erwiderte Elisabeth.
Skàdi seufzte und drehte sich zu den Unterlagen auf dem Schreibtisch. Sie durchblätterte einige dieser und sah dann wieder zu Elisabeth.
»Also das sieht eher so aus, als würdest du dieselbe Scheiße betreiben, wie dein Arschloch von Sohn. Oder wie erklärst du das da?«, raunte Skàdi und zeigte auf den toten Körper am Boden.
Elisabeth schwieg, doch ihr Blick wanderte nach unten.
»Ja, Schweigen ist auch so eine Art Antwort. Ich glaube dir sogar, dass du nach deinem Sohn suchst. Und wenn du einen hast, der passen könnte, schleppst du ihn hier her und versuchst dann, deine Annahme zu bestätigen. Erfolglos scheinbar. Habe ich recht?«, fragte Skàdi.
Doch Elisabeth schwieg weiterhin. Skàdi starrte sie an, doch sie gab keinen Ton von sich, was Skàdi schulterzuckend hinnahm und sich wieder zu den Büchern auf den Schreibtisch drehte. Sie sah sich um und fand, das, was sie suchte. Einen alten Stoffsack. Sie griff danach und fing die ersten Bücher von dem Schreibtisch in den Sack zu werfen. Elisabeth beobachtete sie dabei.
»Was soll das werden?«, fragte sie fassungslos.
Skàdi sah sie an und lachte kalt.
»Ich nehme mir meine Antworten mit. Von dir scheint man ja nur Lügen serviert zubekommen. Aber wenn du deinen Sohn ähnlich bist ... und das scheint bei der Ansammlung von Büchern der Fall zu sein, dann finde ich meine Antworten hier drin«, sagte Skàdi und warf die nächsten Sachen in den Sack.
Elisabeths Stimmung schlug augenblicklich um. Zorn breitete sich in ihr aus und sie funkelte Skàdi giftig an.
»Das sind meine Sachen. Du hast nicht das Recht, dir alles unter den Nagel zu reisen«, fauchte sie und stemmte sich gegen ihre Fesseln.
»Ach, na ja. Zum einen wirst du sie nicht mehr benötigen und zum anderen ...«, sie stockte und legte den Kopf schief.
»Deine beschissene Familie quält schon seit Generationen Menschen, würde ich denken. Ich denke, dazu hattet ihr auch kein Recht.«
Elisabeth tobte.
»Lass mich hier raus. Wir tun es für einen guten Zweck!«
Skàdi glaubte, sich verhört zu haben, und sah Elisabeth entsetzt an.
»Guten Zweck? Ihr habt euch doch gerammelt. Was wollt ihr denn erreichen?«
Elisabeth knurrte ihr entgegen.
»Das Böse von der Welt vertreiben.«
Bitte was?
Skàdi sah sie entsetzt an.
»Das Böse? Sag mal, was genau läuft denn bei euch nicht richtig im Schädel? Ihr erschafft das Böse. Sieh dir deinen verdammten Sohn an. Er ist die Bösartigkeit in Menschengestalt«, fauchte sie und langsam stieg Wut in ihr auf.
Elisabeth stemmte sich weiter in ihre Fesseln und versuchte sich daraus zu befreien.
»Nein, es fehlt ihm nur sein Gegenpart und wenn er den hat, ist er unbesiegbar und kann endlich frei leben. Frei von Krankheit. Frei von seinem Wahnsinn. Frei von allem«, schrie Elisabeth ihr entgegen.
Skàdi kam nicht mehr mit und langsam glaubte sie wirklich, dass Elisabeth einfach vom Wahnsinn getrieben wurde. Sie warf einen letzten Blick auf sie und warf weiter die umliegenden Dokumente und Notizbücher in den Sack vor sich.
»Wer bist du überhaupt? Du richtest über meinen Sohn und mich, dabei bist du selbst nur ein Mensch, der blind um sich tötet«, raunte Elisabeth ihr entgegen.
Skàdi riss gerade die letzten Bilder von der Pinnwand über den Schreibtisch und ignorierte Elisabeth ihr Gebrüll, als die Tür hinter ihr aufflog und Milano plötzlich vor ihnen stand.
»Sie lebt ja noch«, sagte er überrascht.
»Ja, ich dachte, da kommt noch was Sinnvolles dabei rum, aber das war ein Irrglaube«, raunte Skàdi und warf das letzte Notizbuch in den Sack.
Elisabeth war plötzlich verstummt, starrte auf Milano und langsam schien sie zu begreifen, was sich die letzten drei Tage abgespielt hatte. Sie hob den Blick und sah Skàdi an.
»Du hast mich von Anfang an belogen!«
Mit glühenden Augen sah Skàdi sie an.
»Da haben wir ja was gemeinsam«, flüsterte sie.
Elisabeth wich zurück und schluckte.
»Was hat mich verraten?«, fragte sie leise.
Skàdi zog einen Mundwinkel leicht nach oben und trat noch näher an die Gitter.
»Niemand, der ein Jahr im Bett gelegen hat und davor zehn Jahre an einem Rollstuhl gebunden war, kann einfach so aus dem Bett springen und loslaufen. Auch nicht, wenn ich ihn heile«, und mit diesen Worten, drehte sich Skàdi ab und sah zu Milano.
»Viel Spaß mit ihr und brich ihr, wenn du damit fertig bis, das Genick«, sagte Skàdi emotionslos zu ihm und verließ den Raum.
Als sie die Tür hinter sich zuwarf, hörte sie bereits die ersten Schmerzensschreie durch die Gänge schallen. Skàdi grinste und bog pfeifend um die erste Ecke.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top