Kapitel 49 - Hauch der Vergangenheit

4 Jahre zuvor

Skàdi, Milano und Alice hatten es geschafft, der Hölle auf Erden zu entkommen. Es war tatsächlich Duke, der ihnen geholfen hatte. Nachdem die drei sich durch die Kellergewölbe gekämpft hatten, stand er plötzlich vor ihnen und sah sie voller Mitleid an.

»Es tut mir leid, was er euch angetan hat«, flüsterte Duke damals und streckte seine Hände langsam über den Kopf.

Milano knurrte, doch da er die bewusstlose Alice im Arm hatte, konnte er nicht zu viel ausrichten. Ganz abgesehen davon, dass er selbst noch keine Ahnung hatte, was ihm gerade widerfahren war. Skàdi hingegen neigte ihren Kopf und lächelte.

»Wenn das so ist, dann hilf uns«, sagte sie mit leiser Stimme.

Duke nickte.

»Folgt mir. Schnell«, sagte er und schon rannte er die Treppe nach oben.

Skàdi folgte ihm und Milano dachte nicht lange darüber nach und tat es ihr gleich. Duke schaffte sie durch einen Hintereingang nach draußen, gab ihnen einen der Wagenschlüssel und half Milano dabei, Alice vorsichtig auf den Rücksitz zu legen. Milano setzte sich an das Steuer und Skàdi sah ein letztes Mal zu Duke.

»Danke«, hauchte sie und schenkte ihm ein weiteres Lächeln.

Er nickte eifrig und griff in seine Tasche.

»Komm her«, sagte er und Skàdi schreckte zurück.

Er hielt in seiner Bewegung inne und zog langsam seine Hand aus der Tasche. Darin ein Stift.

»Meine Handynummer. Lass sie mich aufschreiben«, sagte er zögerlich.

Skàdi begriff sofort, was er meinte, nickte und hielt ihm ihren Arm entgegen. Schnell schrieb Duke ihr die Nummer darauf und schon sah er sie an, bevor er wieder in seine Tasche griff. Er holte seine Geldbörse heraus und kramte einiges an Geldscheinen heraus. Er steckte es Skàdi einfach zu und ignorierte ihren mürrischen Blick dabei.

»Schnell. Er ist gerade nicht hier. Verschwindet und versteckt euch. Er wird euch suchen«, sagte Duke.

Skàdi nickte, sprang auf den Beifahrersitz und schon startete Milano den Wagen und ab diesen Moment, begannen knappe zwölf Monate der Flucht.

Die ersten drei Tage fuhren sie unentwegt quer durch das Land. Sie hielten nur an, um etwas zu essen oder zu tanken. Alice kam immer mal wieder zu sich, aber nur für Minuten und Skàdi und Milano machten sich mittlerweile ernsthaft Sorgen um sie.

»Wir müssen eine Pause machen. Wir alle benötigen Ruhe«, sagte Skàdi, als sie sah, dass Milanos Augen immer und immer wieder zu fielen.

Er nickte, denn auch wenn er am liebsten noch tausend Kilometer zwischen sich und diese Hölle gebracht hätte. Er brauchte Schlaf und am besten eine ganze Wagenladung davon. Sie kamen an einem kleinen Motel vorbei. Sie checkten ein und während Alice weiterschlief und Skàdi unter die Dusche sprang, versteckte Milano den Wagen in einem Waldstück in der Nähe.

Sie verbrachten einige Tage in diesem Motel. Alice wachte endlich wieder auf und gemeinsam versuchten sie, zu verarbeiten, was sie da die letzten Tage, Wochen oder halt auch Monate erlebt hatten. Es dauerte einiges an Zeit, bis sie realisierten, dass ihre Leben sich verändert hatten. Dass sie plötzlich so eine Art Superkraft besaßen, welche keiner von ihnen wirklich kontrollieren konnte.

Doch viel Zeit zum Verdauen des Ganzen blieb ihnen nicht. Sie hatten die Warnung von Duke nicht vergessen und so zogen sie von Motel zu Motel. Monatelang, bis sie zufällig auf ein altes Farmhaus mitten im Nirgendwo stießen. Das war der Ort, an dem sie sich nach sechs Monaten Flucht endlich niederließen. Ihre Kräfte waren erschöpft und so gingen sie das Risiko ein, an ein und demselben Fleck zu bleiben.

Nobody hatte bis dahin ihren Weg nicht gekreuzt und sie hofften einfach, dass es so bleiben würde. Die Farm wurde nicht nur zu einem vorübergehenden zu Hause, sondern war auch, dank ihrer Abgeschiedenheit, der perfekte Ort, um, die neu gewonnenen Kräfte, zu studieren.

Milano hatte seine Fähigkeiten schnell im Griff, ebenso wie Alice.

Skàdi hingegen fiel das Ganze schwerer. Es war nicht so, dass sie diese nicht hervorrufen konnte. Das war kein Problem. Sie aber zu kontrollieren, stellte sich als wirkliche Herausforderung dar.

Der erste Wirbelsturm, den sie heraufbeschwor, riss fast das Farmgebäude auseinander. Der Wald, welcher weit hinter der Farm lag, sah auch schnell aus, als wäre er abgeholzt worden und Skàdi wurde immer genervter. Von sich und von allen anderen.

Es war ein Freitagabend, als sie gerade auf der alten morschen Holzterrasse saßen. Alice hatte es sich in einem Schaukelstuhl bequem gemacht und zog gerade an ihrer Zigarette. Milano saß auf dem Boden und nahm einen Schluck von dem Whiskey, den er im Supermarkt, nennen wir es, umgelagert hatte und Skàdi - die starrte in den Sonnenuntergang und seufzte plötzlich.

»Wie lange soll das so weitergehen?«

Milano hob die Brauen.

»Was meinst du?«

Skàdi lehnte sich frustriert in ihrem Stuhl zurück und sah über die Schulter zu Alice und Milano.

»Na das hier. Wollen wir unseren Lebensabend hier verbringen? Allein. Auf der Flucht?«

Alice griff nach der Whiskey Flasche und nahm einen Schluck. Ihr war mittlerweile alles egal. Das Leben hier war ebenso gut, wie das Leben, bevor sie in Nobodys Hände gekommen war. Bei Milano sah es nicht so viel anders aus. Skàdi war die Einzige, die aus einem normalen Leben gerissen worden war. Dass sie also etwas vermisste, verstanden die beiden.

Milano zuckte mit den Schultern.

»Du kennst unsere Meinung. Sag, was du vorhast, und wir sind dabei.«

Skàdi schwieg für einen Augenblick, bevor ihre Miene ernst wurde.

»Lasst ihn uns töten.«

Alice verschluckte sich an dem Whiskey und Milano fiel sein entspannter Gesichtsausdruck aus dem Gesicht.

»Wen?«, fragte Milano, was Alice zum Aufstöhnen brachte.

»Na wen wohl. Sicher nicht den Weihnachtsmann«, erwiderte sie und nahm direkt den nächsten Schluck.

Milano schnaubte. Eigentlich wäre er echt froh darum, endlich ein normales Leben zu haben. Nein, normal würde es nie wieder sein. Er wollte ein Leben ohne Alice, denn dafür, dass sie am Anfang so verletzlich gewirkt hatte, nervte sie ihn mittlerweile ganz schön.

»Dich hat doch niemand gefragt. Zicke«, sagte Milano genervt.

Alice sprang sofort aus ihren Schaukelstuhl und funkelte Milano giftig an.

»Wie hast du mich genannt?«, fragte sie und ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

Milano sprang ebenfalls auf, doch ehe mehr passieren konnte, stöhnte Skàdi.

»Leute. Nicht schon wieder. Hört auf mit der Scheiße oder muss ich erst pissig werden.«

Schlagartig war Ruhe, denn Alice und Milano hatten schnell gelernt, dass man Skàdi nicht zu sehr reizen sollte. Zum Schutz des Hauses, des Waldes und für die eigene Gesundheit.

Sie warfen einander einen letzten bösen Blick zu und ließen sich wieder auf ihre Plätze fallen.

Milano griff nach dem Whiskey und legte seinen Hinterkopf an die Wand des Hauses.

»Wie willst du es anstellen?«, fragte er.

Skàdi drehte sich samt ihrem Stuhl zu den beiden um.

»Wir finden ihn und machen ihn kalt. Immerhin haben wir diese Kräfte.«

Alice hob die Braue.

»Und wenn er auch welche hat?«, fragte sie skeptisch.

Skàdi zuckte mit den Schultern.

»Dann hoffen wir, dass unsere stärker sind.«

»Klingt jetzt nicht wirklich überzeugend.«

»Aber hier rumgammeln und hoffen, dass es besser wird?«, fragte Skàdi und sah dabei genervt zu Alice.

Diese musste sich wohl eingestehen, dass Skàdi nicht ganz Unrecht hatte. Klar war es hier okay, aber für immer? Na ja.

Alice setzte sich aufrecht in ihren Schaukelstuhl und räusperte sich.

»Du hast ja recht. Aber einfach so blind da rein laufen? Ich weiß nicht.«

Milano nickte.

»Wir benötigen einen Plan und vor allem Informationen«, sagte er und sah zu Skàdi.

Die nickte nur und versank in ihren Gedanken. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf und fixierte ihren Blick wieder.

»Ich denke, wir sollten zurück in die Zivilisation gehen. Untertauchen. Beobachten und wenn wir eine Übersicht haben, von dem, was auf uns zukommen könnte, holen wir ihn uns.«

Beide schienen sich die Worte durch den Kopf gehen zu lassen, bis schließlich beide nickten.

»Okay und wohin soll die Reise gehen?«, fragte Milano.

Skàdis Blick veränderte sich. Schmerz, Trauer und Verzweiflung überschwemmte ihren Körper plötzlich. Sie hatte sie über ein Jahr nicht gesehen und am liebsten wäre sie direkt nach ihrer Flucht zu ihnen gefahren. Aber wie konnte sie? Sie hätte sie einfach nur in Gefahr gebracht und so hielt sie Abstand und quälte sich mit den Gedanken, ob die beiden sich überhaupt noch an sie erinnerten. Doch sie waren die einzigen Menschen, denen sie wirklich noch vertrauen konnte.

Langsam hob Skàdi ihren Blick wieder und sah Milano an.

»Wir werden zu Silas und meiner Schwester gehen. Ihnen können wir vertrauen.«

Milano, Alice und Skàdi packten am nächsten Morgen ihre wenigen Sachen zusammen und verstauten sie im Auto. Während Alice schon auf der Rücksitzbank Platz genommen hatte, stand Skàdi noch an das Auto gelehnt und starrte in die Ferne. Milano verschloss gerade die Tür des Farmhauses, als Skàdi ihm in den Blick fiel. Langsam ging er auf sie zu und stellte sich vor sie. Sie starrte weiter durch ihn hindurch und er lächelte. Vorsichtig nahm er ihr Gesicht in seine Hände und kreiste ihr mit den Daumen über die Wangen.

Ihr Blick schärfte sich und sie sah in seine beruhigenden Augen.

»Was ist los, Süße?«, fragte er, ohne sie dabei loszulassen.

Sie legte ihre Wange tiefer in seine Handfläche und seufzte.

»Ich weiß nicht. Was ist, wenn sie mir nicht glauben? Wenn sie mich nicht sehen wollen?«, fragte sie leise.

Milano nahm ihr Gesicht etwas fester in die Hände und drückte ihren Kopf so weit nach oben, dass sie ihn wieder ansehen musste.

»Wenn sie dich so lieben, wie du sie, dann werden sie dich nicht wieder gehen lassen. Warum sollten sie dir denn nicht glauben?«

»Weil ich es auch nicht glauben würde«, erwiderte sie.

Er schüttelte leicht den Kopf und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn, bevor er von ihr abließ und zu der Fahrertür lief.

»Du meine Liebe, bist auch einfach zu stur für vieles und jetzt. Einsteigen. Denn selbst wenn sie dich nicht wollen oder böse auf dich sind. Was soll passieren? Notfalls können wir sie ja in Rauch aufgehen lassen«, sagte er und öffnete die Tür.

Skàdi lachte auf und das, obwohl sie das Ganze eigentlich gar nicht lustig fand. Aber Milano schaffte es immer wieder, sie zum Lachen zu bringen. Eigentlich der perfekte Mann. Aber das würde wohl nur in einem anderen Leben passieren, denn wenn Skàdi sich bei einer Sache sicher war, dann, dass Liebe für sie gestorben war.

Die Fahrt zu Silas dauerte mehrere Tage. Sie glaubte, dass ihre Schwester bei ihm war. Warum wusste sie nicht so genau. Es war so ein Gefühl. Kurz vor ihrem Ziel stieg langsam die Angst und Unsicherheit in Skàdi auf. Nervös an ihrer Unterlippe zupfend, saß sie auf dem Beifahrersitz und starrte auf die Umgebung, in der sie einst zu Hause war. Sie hatte diesen Ort immer geliebt. Doch diesmal fühlte sich alles so kalt und fremd an.

Milano ließ seinen Blick zu ihr gleiten und als er ihre Zweifel erkannte, griff er nach ihrer Hand und drückte sie leicht. Skàdi ließ direkt von ihrer Lippe ab und schenkte ihm ein unsicheres Lächeln.

»Alles wird gut werden«, sagte er.

Skàdi nickte nur leicht, ließ ihren Kopf wieder an die Stütze gleiten und kämpfte dabei gegen die aufsteigende Übelkeit an.

Sie standen über eine Stunde vor dem Gebäude, in dem Silas wohnte. Skàdi war zu einem starren Haufen Masse geworden, der sich nicht bewegte und keinen Ton von sich gab. Alice hatte die ersten Minuten noch versucht auf sie einzureden, gab dann aber auf, zog ihre Kopfhörer auf und ließ sich mit AC/DC beschallen.

Sie hatte schnell gelernt, dass Skàdi zwar immer noch die Feinfühligste von ihnen war, aber definitiv auch die sturste. Milano hatte sich die Worte gleich gespart, das Fenster einen Spalt geöffnet und rauchte die dritte Zigarette.

»Hätte ich das gewusst, hätte ich eine Flasche Whiskey mit genommen«, sagte er lachend und sah zu Skàdi.

Doch die zuckte nicht mal mit den Lidern. Milano lehnte sich wieder zurück und stöhnte leicht auf. Er fand sich bereits damit ab, dass hier nicht mehr viel passieren würde, und machte sich schon mal auf die Suche nach einem Motel, als Skàdi, wie aus dem Nichts die Tür öffnete und aus dem Wagen sprang.

Milano ließ vor lauter Schreck sein Handy fallen und selbst Alice nahm die Kopfhörer ab.

»Was war das denn jetzt?«, fragte sie irritiert.

Milano schüttelte den Kopf, griff in den Fußraum, um sein Handy wieder aufzuheben, und sah dann Skàdi nach.

»Scheiße«, brüllte er und sprang ebenso schnell, wie Skàdi kurz davor, aus dem Auto.

Skàdi war bereits über die Straße gelaufen, die Wut pulsierte durch ihre Adern und es kostete sie alles an Kraft, keinen Weltuntergang hervorzurufen. Wie konnte es sein, dass sich dieser menschliche Abschaum hier herumtrieb? Nicht einen Gedanken hatte sie daran verschwendet, dass er es wagen würde sein normales Leben, weiterzuführen, und doch lief er gerade mit einem beschissenen Lächeln die Straße entlang.

Doch dieses Lächeln verging ihm, sobald er realisierte, wer da auf ihn zu gestürmt kam. Travis blieb schlagartig stehen und sah sich panisch um. Doch eher er handeln konnte, packte Skàdi ihn am Kragen und presste ihm an die Steinwand.

»Du elendiges Arschloch. Ich bringe dich um.«

Ihre Augen flackerten vor Wut und Travis rang bereits nach Luft. Sie drückte ihn mittlerweile mit ihren bloßen Händen die Kehle zusammen, als sie plötzlich von hinten gepackt wurde. Sie strampelte und versuchte sich, gegen die starken Arme zu wehren, ohne dabei völlig auszurasten.

»Lass mich los. Ich bringe ihn um«, fauchte sie.

Der Druck um sie wurde stärker, aber als sie die Stimme vernahm, verschwand die Wut plötzlich.

»Skàdi?«, hörte sie leise und hielt sofort inne.

Sie drehte den Kopf langsam nach hinten und als sie in die warmen, hellgrauen Augen von Silas sah, war Travis sofort vergessen.

»Silas«, hauchte sie ihm entgegen.

Dieser ließ sie sofort los, aber nur um sie zu drehen und sie in eine tiefe enge Umarmung zu ziehen. Umgehend schossen ihm Tränen in die Augen und er vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge. Sie schlang die Beine um seine Hüfte und presste sich, sosehr sie nur konnte, an ihn.

»Du lebst«, schluchzte er ihr leise ins Ohr.

Sie war nicht mehr in der Lage zu sprechen, also nickte sie nur. Ihr Körper wurde überschwemmt mit Liebe und Wärme. So viel Angst hatte sie vor diesem Moment gehabt und jetzt? Jetzt fühlte es sich an, als würden nicht bald zwei Jahre zwischen der letzten Umarmung und dem hier liegen. Sie verlor sich darin und alles, was sie die letzten Jahre in ihr angestaut hatte, brach aus ihr heraus. Sie weinte und steigerte sich immer weiter hinein. Mittlerweile bebte ihr ganzer Körper.

Silas spürte ihren Schmerz und es zerriss ihm bald das Herz sie so zu sehen. Er wollte wissen, was ihr passiert war, aber schwieg, hielt sie und streichelte ihr vorsichtig über den Rücken.

Milano war aus dem Auto gesprungen und wollte Silas schon eine überziehen, als er sah, dass er Skàdi ergriff. Doch als er sah, was danach passierte, hielt er inne und blieb auf Abstand. Sein Blick wanderte zu Travis, der auf den Boden gerutscht war und sich den Hals hielt. Milano erkannte ihn nicht und war sich nicht sicher, warum Skàdi so auf ihn losgegangen war. Dennoch stellte er sich neben ihn und als Travis sich langsam nach oben schob, grinste Milano ihn an.

»Na, geht's wieder?«, fragte er.

Travis hingegen schnaubte und wollte gerade gehen, als Milano ihn an der Schulter packte und zudrückte. Sofort stöhnte Travis unter Schmerzen auf.

»Was soll das?«, stöhnte Travis.

Milano zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht. Aber irgendwas sagt mir, dass du lieber hierbleiben solltest«, sagte Milano kalt.

Travis startete noch einen Versuch sich zu befreien, aber Milano grub seine Finger so tief unter dessen Schlüsselbein, dass er sich sofort wieder zu Boden sinken ließ.

Milano funkelte ihn böse an.

»Schön sitzen bleiben, wenn dir dein Leben etwas wert ist.«

Travis rührte sich nicht mehr und Alice hatte es auch endlich aus dem Auto geschafft.

»Was habe ich verpasst?«, fragte sie und sah zwischen Skàdi und Travis hin und her.

Milano zuckte mit den Schultern.

»Bin mir nicht sicher, aber ich würde sagen, das ist Silas.«

»Und der hier«, sagte Milano und zeigte auf Travis, »hat Skàdi scheinbar verärgert.«

Alice nickte und sah sich um. Sie stutze.

»Und wer ist das?«, fragte sie und zeigte auf eine kleine, blondhaarige, dessen Augen vor Zorn geweitet waren und direkt auf Alice und Milano zugeschossen kam.

Milano runzelte die Stirn.

»Ich habe keine Ahnung, aber es sieht nach noch mehr Ärger aus.«

Das blonde Mädchen rannte direkt auf Travis zu. Sie war schlank, hatte lange, blonde Haare und wunderschöne grüne Augen, welche vor Zorn funkelten.

»Lasst meinen Freund los, ihr Penner«, brüllte sie ihnen von weiten entgegen.

Alice zog die Brauen nach oben und sah zu Milano.

»Ich würde ja sagen, sie meint dich«, sagte sie mit einem Grinsen im Gesicht.

Milano sah zu Travis, der am Boden saß und immer noch von ihm an der Schulter gehalten wurde. Doch das Gebrüll hatte auch Skàdi und Silas aus ihrer Trance geholt und sofort schossen ihre Köpfe nach oben und ihr Blick ging in die Richtung der jungen Frau. Die hatte fast Travis erreicht, als sie den Blick auf Skàdi richtete.

Sie blieb schlagartig stehen und die Tüte, welche sie in der Hand hatte, krachte zu Boden.

»Skàdi«, flüsterte sie.

Die riss die Augen auf und eine neue Welle der Freude schoss durch ihren Körper.

»Luna«, erwiderte sie und schon ließ Silas sie zu Boden und Skàdi rannte auf ihre Schwester zu.

Sie fielen ebenso in eine tiefe Umarmung.

»Ich dachte ... ich sehe dich nie wieder«, stotterte Luna, die nicht glauben konnte, dass sie gerade ihre Schwester in den Armen hielt.

»Ich weiß. Ich auch nicht«, flüsterte sie und erneut verfiel Skàdi in eine Art Heulkrampf.

Silas wischte sich die Tränen von den Wangen und lächelte die beiden an. Wie viele Tage hatte er gehofft, dass es zu diesem Augenblick kommen würde? Über ein Jahr hatte er zusammen mit Luna und Travis nach ihr gesucht. Aber es gab nicht eine Spur von ihr. Travis glaubte mittlerweile schon daran, dass sie einfach abgehauen war und jetzt? Jetzt war sie endlich zurück.

Er beobachtet die Schwestern noch einen Moment, bis sein Blick neben sich fiel und er Travis am Boden sitzen sah. Sein Blick war unleserlich, aber sein Gesicht war aschfahl und er schien Angst zu haben. Silas runzelte die Stirn und sein Blick wanderte zu Milano und Alice.

»Und ihr seid?«

Milano sah ihn fragend an und Alice verschränkte die Arme. Denn etwas stimmte hier doch nicht. Konnten sie diesen Leuten wirklich vertrauen?

»Freunde«, sagte sie kalt.

Silas musterte sie, doch ehe er etwas erwidern konnte, schoss Skàdi an ihm vorbei und griff sich Travis erneut.

Ja, die Begrüßungszeremonie war wohl vorbei und Skàdis Wut kam sofort zurück. Milano ließ sofort von Travis ab und wich einen Schritt zurück. Skàdi zog ihn auf seine Beine und schlug ihn gegen die Steinwand.

»Was willst du Arschloch von ihnen?«, brüllte Skàdi ihn an.

Doch er kam gar nicht zum Reden, denn schon hatte Silas Skàdi umgriffen und versuchte sie von ihm weg zuziehen.

»Was soll denn das, Skàdi?«, schrie er sie an.

Wieder wehrte sie sich gegen seinen Griff und riss sich augenblicklich frei. Doch bevor sie sich Travis erneut schnappen konnte, schob sich Luna vor ihn und brüllte Skàdi an.

»HÖR AUF!!!«

Skàdi hielt inne und sah ihre Schwester an und als sie den Blick in ihren Augen sah, zog es ihr fast den Boden unter den Füßen weg. Sie liebte ihn. Ihre verdammte Schwester liebte das Monster, welches sie verkauft hatte. Ihre Kehle wurde trocken und sie wich einige Schritte zurück. Luna hob beschwichtigend ihre Hände nach oben.

»Bitte, Skàdi. Es tut mir leid, aber es ist einfach passiert auf der Suche nach dir«, sagte Luna.

Skàdis Blick veränderte sich.

»Suche? Was für eine Suche?«, fragte sie kalt.

Luna trat einen Schritt auf sie zu.

»Wir drei haben ein Jahr lang nach dir gesucht, aber es gab keine Spur von dir«, erklärte sich Luna.

Skàdi schüttelte fassungslos den Kopf und sah an Luna vorbei zu Travis, dessen Blick immer noch völlig leer war. Dieses Arschloch hatte sie die ganze Zeit belogen und jetzt war es wohl Skàdi, die am Zug war. Ein böses Lächeln legte sich in ihr Gesicht.

»Suche? Tja, vielleicht hätte dieses Arschloch nur ehrlich sein müssen, denn schließlich wusste er die ganze Zeit, wo ich war. Immerhin hatte er mich verkauft.«

Milano und Alice begriffen endlich, wer dieser Typ war. Silas sah Skàdi mit einem entsetzten Gesichtsausdruck an und Luna sah zwischen ihrer Schwester und Travis hin und her.

Dieser hob endlich den Kopf und richtete sich auf.

»Sie lügt«, sagte er und seine Stimme zitterte.

»Ich habe dich geliebt. Warum hätte ich das tun sollen?«, schob er nach.

Skàdi schnaubte.

»Liebe? War es Liebe zu wissen, was dieser Bastard mir antut?«, fragte sie kalt und zog dabei ihre Ärmel nach oben, sodass Silas und Luna ihre Narben sehen konnten.

Silas schluckte und wollte nach ihr greifen, aber sie wich seiner Hand aus.

»Was ist mit dir passiert?«, fragte Silas leise.

Doch Skàdi achtete nicht auf ihn, sie hatte nur noch Augen für Travis und die Wut in ihr wuchs immer weiter an.

»Skàdi, es tut mir leid, was dir passiert ist, aber ich kann nichts dafür. Ich weiß nicht, was du glaubst, aber ich habe damit nichts zu tun« sagte Travis in einer Art, dass man ihm nur glauben konnte.

Seine Worte trieften vor Mitgefühl, Sorge und Verständnis. Skàdi schüttelte wie wild mit dem Kopf und sie spürte, wie die Wut in ihr anfing zu sprudeln. Nicht mehr lange und sie würde die Kontrolle verlieren.

»Du verfluchtes Arschloch«, schrie sie und wollte auf ihn losgehen, aber wieder stellte sich Luna und diesmal auch Silas ihr in den Weg. Sie sah die beiden entsetzt an.

»Ihr ... glaubt mir nicht? Er hat mich an diesen Typen verkauft. Ich war die Bezahlung, dafür, dass er vom Krebs geheilt wurde.«

Konnte es wirklich sein, dass sie Travis mehr Glauben schenkten als ihr?

Silas schluckte und versuchte sich ihr zu nähern.

»Ich glaube dir. Aber ich glaube auch, dass du Schreckliches erlebt hast und dein Verstand ...«, doch weiter kam er nicht.

»Du glaubst, ich bin irre?«, fauchte Skàdi ihm entgegen.

Ihre Atmung war mittlerweile flach und raste. Sie hatte ihre Hände zu Fäusten geballt und in ihrem Blick funkelte der blanke Zorn. Milano lehnt sich zu Alice.

»Hast du auch das Gefühl, dass das hier nicht gut enden wird?«, flüsterte er ihr zu.

Sie nickte.

»Sie darf hier nicht ausflippen. Sie würde die ganze Stadt in Schutt und Asche legen«, erwiderte sie.

Milano nickte und schon begann sie damit sich langsam um Skàdi zu bewegen.

Diese sah Silas verzweifelt an.

»Nein. Aber ich denke, du musst einiges verarbeiten«, sagte er, doch plötzlich schlug die Stimmung um.

»Natürlich ist sie irre«, brüllte Travis und das war zu viel.

Sofort schoss Skàdi Hass durch die Adern, ihre Augen färbten sich weiß ein und sofort erstarrten Luna, Silas und Travis. Ihre Gesichter wurden blass vor Angst und Travis war der Erste, der unter Schmerzensschreien zusammenbrach.

»JETZT!«, brüllte Milano.

Alice sprang auf Skàdi zu und sofort legte sich ein goldener Schleicher um sie. Ihre Dunkelheit wurde für wenige Augenblicke zurückgedrängt und das war der Moment, indem Milano die beiden schnappte und so weit wie möglich aus der Stadt brachte.

Silas, Luna und Travis standen fassungslos in der Gasse und starten auf den Punkt, wo eben noch Skàdi gestanden hatte.

»Sagt mir, dass ich mir das gerade einbilde«, sagte Silas.

Luna schüttelte völlig perplex den Kopf und nur Travis stand mit einem widerlichen Grinsen hinter ihnen.

Skàdi, Milano und Alice strandeten auf einem frisch gedroschenen Feld. Alice und Milano machten sich sofort kampfbereit, denn sie gingen fest davon aus, dass Skàdi ausflippen würde. Doch sie stand einfach nur regungslos vor ihnen und sah sie an.

»Es tut mir leid, aber es ging nicht anders«, sagte Alice.

Skàdi nickte. Milano beobachtete sie und im Nachgang betrachtet, war dies das erste Mal, dass er diesen leeren, kalten Blick bei ihr sah.

»Such ein Motel für uns und bring mich von diesem beschissenen Feld«, forderte Skàdi.

Alice runzelte die Stirn.

»Und dann?«, fragte sie irritiert.

Skàdi sah sie an und lachte kalt auf.

»Jagen wir Nobody. Er hat mir gerade alles genommen, was ich jemals hatte. Dafür wird er bezahlen.«

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