Kapitel 46 - Erleuchte uns
Skàdi nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und rollte dann genervt die Augen.
»Nette Geschichte. Aber wie soll uns das jetzt helfen?«, fragte sie und starrte dabei Elisabeth an.
Milano gab auch nur ein genervtes Schnauben von sich und Alice hatte damit zu kämpfen, dass ihr die Augen nicht gleich zufielen.
»Ich war noch nicht fertig«, erwiderte Elisabeth und versuchte sich erneut in ihrem Bett aufzurichten.
»Wir sind ganz Ohr«, sagte Skàdi und lehnte sich wieder zurück.
Elisabeth räusperte sich und sprach weiter.
»Ich habe meine Tochter mit nach Hause genommen und meinen Sohn zur Adoption freigegeben.«
Milano rieb sich genervt über das Gesicht.
»Das heißt, es gibt noch mehr von diesen Freaks da draußen?«
Elisabeth zuckte mit den Schultern, was Skàdi echt anpisste.
»Du musst doch wissen, ob deine Kinder noch leben?«, fuhr sie garstig los.
Elisabeth schluckte und ihre Augen wurden plötzlich glasig. Wieder rollte Skàdi mit den Augen. Da hatte sie wohl einen Nerv getroffen. Doch Elisabeth sprach mit zittriger Stimme weiter.
»Meine Tochter, Hope, ist tot. Samuel scheint noch zu leben und was mit Hopes Bruder passiert ist, weiß ich nicht.«
»Sicher, dass Hope tot ist? Meine, nach allem, was ich so erlebt habe ...«, doch weiter kam Skàdi nicht, denn Elisabeth unterbrach sie.
»Sie ist tot. Ich war dabei, als sie starb«, sagte sie schon fast giftig.
»Wie ist sie gestorben?«, fragte Alice und musterte Elisabeth dabei.
Deren Blick wurde starr und trüb. Sie schluckte und man sah ihr den Selbsthass an, der gerade durch ihren Körper kroch und ihren Geist einnahm.
Ihre dünnen Lippen bebten leicht und ihre Stimme klang plötzlich belegt.
»Samuel hat seine eigene Schwester umgebracht.«
Eine seltsame Stille drang durch den Raum und alle schienen einen Moment zu benötigen, um das zu verarbeiten. Na ja, alle bis auf Skàdi. Die stellte ihre Tasse beiseite und band sich ihre langen, grünen Haare zusammen.
»Okay. Er war als Kind also schon ein Hurensohn. Ist jetzt nicht sonderlich überraschend. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich denke, wir haben genügend Zeit verschwendet.«
Skàdis Blick ging um sich und Silas und auch Milano nickten zustimmend. Tamo saß einfach nur da und schien mal wieder etwas länger zu brauchen, um alles zu verstehen. Skàdi aber blieb auf Alice hängen, die wie gebannt auf Elisabeth starrte und einfach weitersprach, als hätte sie Skàdi gar nicht verstanden.
»Warum hat er sie getötet?«, fragte sie und zog so wieder Elisabeths Aufmerksamkeit auf sich.
Sie schenkte ihr ein sanftes Lächeln.
»Du bist geduldiger als deine Freundin«, sagte sie.
Alice zuckte mit den Schultern.
»Würde ich jetzt so nicht unterschreiben. Aber ich hätte gern eine Antwort auf die Frage«, forderte Alice und jetzt drehte sich auch Skàdi wieder zu dem Bett.
»Hope hatte Fähigkeiten. Von Geburt an und Samuel wollte sie.«
Und damit ließ auch Skàdi sich wieder auf den Stuhl fallen. Alice grinste wie ein Honigkuchenpferd und den Männern klappte synchron der Kinnladen auf.
»Wie kam sie an diese Fähigkeiten?«, fragte Alice.
»Ich bin mir nicht sicher. Eine Vermutung ist, dass mein Vater es weitervererbt hat. Er wurde als Kind mit dieser schwarzen Flüssigkeit behandelt«, sagte Elisabeth.
»Du sagtest doch, es verliert seine Wirkung nach der Zeit«, warf Skàdi dazwischen.
»Deswegen halte ich es für wahrscheinlicher, dass Hope diese Fähigkeiten einfach hatte und dank ihres freien, kindlichen Geistes, sie einfach nach außen treten konnte«, erwiderte Elisabeth.
Wieder wurde es still, bis Tamo plötzlich aufstand und zu dem Fenster ging.
»Was für eine Fähigkeit hatte sie?«, fragte er.
Elisabeths Augen fingen an zu leuchten und die pure Liebe lag darin.
»Wir nannten es wahre Liebe.«
Skàdi seufzte auf.
»Was auch sonst! Und wie äußerte sich diese Liebe?«
»Immer wenn Samuel einen seiner Ausbrüche bekam, ging sie zu ihm und legte ihre kleinen Hände auf seine Schultern. Ein hellroter Nebel entstand und sofort beruhigte er sich. Die Wirkung hielt nicht ewig an, aber es half. Dennoch wurde er immer unausstehlicher. Ich denke, er hatte Angst davor und war gleichzeitig neidisch.«
Silas rieb sich über die Stirn und seufzte.
»Was ist passiert?«, fragte er und Eli atmete schwer ein.
»Ich erwischte ihn eines Tages in den Kellergewölben, wie er gerade die Unterlagen meiner Vorfahren las. Ich dachte mir nichts dabei. Er war erst zehn. Doch es sollte mein größter Fehler gewesen sein. Eine Woche später stritt er mit Hope und verlangte ihr Blut. Die Kleine verstand nicht, was er wollte, denke ich. Aber sie wollte, wie immer, dass er sich beruhigte. Also gab sie ihm, was er wollte. Ich habe es viel zu spät bemerkt, da hatte er ihr schon die Pulsader aufgeschnitten und sammelte das Blut in einem Reagenzglas ein. Als ich ihr helfen wollte, schubste er mich die Treppe runter. Ich brach mir das Rückgrat. Als ich wieder zu mir kam, lag Hope neben mir. Er hatte sie ebenfalls nach unten gestoßen. Sie hatte ein Lächeln im Gesicht, als sie starb, weil sie glaubte, etwas Gutes getan zu haben.«
Alle sahen Elisabeth fassungslos an.
»Was war mit Samuel?«, fragte Skàdi.
»Verschwunden und nicht aufzufinden«, gab Elisabeth trocken zurück.
»Was passierte danach?«, fragte Skàdi weiter.
Elisabeth begann zu sprechen, ohne sie anzusehen.
»Ich lag drei Tage neben meiner toten Tochter, als Thomas kam. Er war zwar gegangen, kümmerte sich aber um seine Kinder. Er rief den Notarzt. Ich kam ins Krankenhaus und wurde halbwegs zusammengeflickt. Thomas habe ich nie wieder gesehen und als ich entlassen wurde, bin ich geflüchtet und hier gelandet. Ich denke, Samuel glaubt fest daran, dass er mich getötet hat, und dabei sollte es auch bleiben. Bis vor einem Jahr konnte ich mich noch mit einem Rollstuhl fortbewegen. Jetzt allerdings bin ich an dieses Bett gefesselt.«
Skàdi hob den Blick.
»Krebs?«, fragte sie und Elisabeth nickte nur.
»Okay. Eine echt tragische Geschichte, aber ich verstehe immer noch nicht, wie das ganze helfen soll, ihren Penner von Sohn aufzuhalten. Er hat uns erschaffen. Er will uns töten und aus irgendeinem Grund, glaubt er, dass Tamo ihm dabei helfen kann. Also. Erleuchten Sie uns«, sagte Skàdi und trat an das Bett.
Elisabeth schnaubte.
»Nur Tamo und du kennst die Antwort. Also. Erleuchte du uns doch bitte«, erwiderte Elisabeth.
Skàdi sah aus Reflex zu Tamo, der das selbige tat, und das erste Mal schienen die beiden keine Ahnung zu haben, was hier gerade abging.
Diesmal war es Tamo, der schnaubte und aufgeregt vor dem Fenster auf- und ablief. Seine Hände warf er vor sich hin und her.
»Nein. Nein. Nein. Damit fangen wir gar nicht erst an. Es hat schon ...«, er winkte ab.
»Nein, darüber reden wir besser gar nicht erst. Es hat ewig gedauert, bis ich überhaupt irgendeine Antwort bekommen habe. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sparsam diese. ...«, er zeigte zu Skàdi, Alice, Milano und Silas, »Idioten damit sind.«
Wieder winkte er ab, als er hörte, dass Alice gerade nach Luft schnappte.
»Egal, sei es drum. Wir wissen mittlerweile, dass wir uns begegnet sind. In einen Pub. Kurz bevor Skàdi entführt und ich von meiner Freundin betrogen wurde. Das war es. Mehr gibt es nicht, was unsere Wege verbindet.«
Er hielt inne und die Ader an seiner Stirn pulsierte, so sehr regte er sich auf. Skàdi hingegen schob ihre Unterlippe vor, verschränkte die Arme und sah zu Elisabeth.
»Hätte ich tatsächlich nicht besser sagen können.«
Tamo zog die Augenbrauen nach oben.
»War das gerade ein Kompliment?«
»Eher eine Zustimmung«, erwiderte Skàdi und sah ihn an.
Tamo schnaubte.
»Was auch immer.«
Sein Blick ging wieder zu Elisabeth, die mittlerweile tief in ihr Bett gerutscht war und kalten Schweiß auf der Stirn hatte.
»Was ist denn jetzt?«, bollerte Skàdi hervor.
Sofort richteten sich alle Blick in das Bett und Milano war es, der das Wort ergriff.
»Der Krebs. Sie wird Schmerzen haben und der Stress hier mit uns, wird ihr den Rest geben.«
Skàdi runzelte die Stirn und sah zu Alice. Ihre Blicke sagten mehr als tausend Worte.
»Bist du dir sicher?«, fragte Alice, während sie aufstand.
Skàdi sah zurück zu Elisabeth, die bereits zitterte.
»Ja, ich habe da noch ein paar Fragen.«
Alice nickte nur, stand auf und lief auf das Bett zu. Skàdi trat dabei hinter Alice und legte unbemerkt ihre eigenen Hände auf Alices Hüfte. Langsam hob Alice ihre Hände und ein helles, leuchtendes Licht entsprang ihren Handflächen. Sie sah ein letztes Mal zu Skàdi, die ihr gegenüberstand, doch die nickte nur. Alice sah zu Elisabeth, welche ungläubig auf das Licht starrte. Langsam ließ Alice ihre Hände auf den kalten, zitternden Körper von Elisabeth gleiten. Ein goldener Schleier entstand und wanderte langsam über den alten, müden Körper. Er kroch in jede Zelle ihres Körpers ein und nur wenige Momente, nachdem Elisabeth völlig ummantelt gewesen war, riss sie plötzlich die Augen weit auf.
Der müde, graue Schleier auf ihrer Netzhaut war verschwunden und ihre Augen strahlten Alice förmlich entgegen.
»Na dann. Willkommen zurück«, sagte Alice und taumelte zurück.
Silas sprang förmlich auf und fing Alice auf.
»Was ist los?«, fragte er besorgt.
Alice stöhnte leise auf.
»Zu viel Krankheiten auf einmal.«
Silas nickte und gerade als er sie auf den Boden legen wollte, sprang Elisabeth aus dem Bett und sah ihn an.
»Nein, hier. Leg sie in das Bett«, sagte sie und Silas tat, was sie verlangte.
Alice verdrehte die Augen und wurde direkt bewusstlos. Elisabeth riss die Augen auf.
»Oh mein Gott. Was ist mit ihr?«
»Es war zu viel Energie nötig, um dich zu heilen. Nicht schlimm. Lassen wir sie einfach schlafen. Sie wird wieder.«
Elisabeth sah ungläubig zwischen den beiden Hin und Her. Ebenso wie Tamo. Er sah die beiden fragend an, aber als er gerade den Mund öffnen wollte, trat Milano neben ihn und knurrte ihm ein leises Klappe zu. Tamo sah ihn an und Milano schüttelte leicht den Kopf. Er war sich nicht sicher, was hier eben passierte, aber er würde wohl später danach fragen. Wie immer.
»Heilung«, murmelte Elisabeth plötzlich und sah an sich herunter.
Fassungslosigkeit trieb ihr die Tränen in die Augen. Ein Jahr hatte der Krebs sie fest im Griff gehabt und ihr nicht eine Sekunde ohne Schmerzen gelassen. Und jetzt? Nichts. Kein Schmerz.
Fast zwanzig Jahre war sie an den Rollstuhl gefesselt gewesen. Und jetzt? Stand sie. Sie war aus dem Bett gesprungen, als wäre nie etwas gewesen. Langsam wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und umarmte Skàdi.
»Danke«, wimmerte Eli hervor.
Milano, der so stand, dass er Skàdis angewiderten Gesichtsausdruck sehen konnte, musste sich das Lachen verkneifen.
»Ähm, ja. Lass es uns einfach nicht bereuen«, sagte Skàdi und drehte sich unter Elisabeths Arm heraus.
Elisabeth lächelte über beide Ohren und drehte sich um ihre eigne Achse.
»Ihr wisst nicht, was mir das bedeutet.«
»Ja. Nein. Ist uns eigentlich egal. Können wir jetzt bei dem - Ihr Sohn ist ein Arschloch Ding - weitermachen?«, fragte Skàdi genervt.
Elisabeth stoppte und sah sie an. Ihr Lächeln verschwand und sie nickte nur.
»Ja, natürlich. Aber können wir vielleicht hinausgehen? Ich habe dieses Zimmer seit über einem Jahr nicht mehr verlassen.«
»Ist mir egal, Hauptsache es geht voran.«
Und schon verschwand Elisabeth durch die Tür nach draußen. Skàdi kniff sich in den Nasenrücken und wieder lachte Tamo.
»Ja, so ist das mit den Antworten«, sagte er und schon verschwand er.
Ihm war klar, dass Skàdi den Spruch immer noch nicht lustig fand. Milano hingegen sah skeptisch zu Skàdi.
»Kommt dir das nicht alles komisch vor?«, fragte er und sah zu der Tür.
»Komischer, als dass ich Menschen das Leben retten kann?«, fragte sie.
Diesmal sah Milano sie ratlos an.
»Ich vertrau ihr nicht.«
»Ich auch nicht. Sonst jemand?«
Tamo und Silas schüttelten ebenfalls mit dem Kopf.
»Na, dann sind wir uns ja einig. Also wachsam bleiben, aber sie ist seit Lagen eine Möglichkeit auf Antworten«, sagte Skàdi und lief langsam auf die Tür zu.
»Was ist mit ihr?«, fragte Atmo und zeigte aus Alice, die immer noch bewusstlos in dem Bett lag.
»Geben wir ihr die Ruhe, die sie braucht«, raunte Skàdi und verließ das Zimmer.
Narcos, der bis jetzt ruhig auf dem Boden geschlummert hatte, folgte ihr.
»Du bleibst an Tamos Seite«, sagte sie und schon wechselte er die Position und gesellte sich neben den planloswirkenden Tamo.
»Und was ist mit mir?«, fragte Silas sichtlich verunsichert.
Skàdi stöhnte.
»Du bist wohl mein Problem. So wie schon immer.«
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