Kapitel 43 - Travis

Die Kälte kroch durch den Raum und sofort schien es, in dem eigentlich lichtdurchfluteten Raum, dunkler zu werden. Skàdi stand regungslos an der Tür des Raumes und hatte den jungen Mann fest im Blick. Ein Wasserglas, welches neben ihm auf einem kleinen Tisch stand, fing an, sich milchig weiß zu färben. Stück für Stück kristallisierte sich das Wasser zu kleinen Eiskristallen.

Tamo und Silas wichen langsam zurück, denn auch ihnen kroch die Kälte in jede Faser ihres Körpers und ihr Atem bildete schon kleine, feuchte Wolken, die langsam vor ihnen aufstiegen. Selbst Milano überzog es mit einer Gänsehaut, gegen die er versuchte anzukämpfen. Alice reagierte sofort und drehte sich vor ebendiese und ließ einen golden, schimmernden Schleier entstehen, der sich um Silas und Tamo legte.

Sofort verschwand die Kälte und wurde durch beruhigende Wärme ersetzt. Beide sahen dankbar zu Alice, doch auch diese hatte ihre Augen fest auf die Personen vor sich gerichtet. Milano atmete schwer und seine Augen begannen langsam an Blau zu glühen.

Sie waren kampfbereit und warteten nur auf Skàdis nächsten Schritt.

Der junge Mann vor ihnen hatte seine braunen Augen vor Angst weit aufgerissen und an seiner Schmerz verzogenen Miene konnten sie sehen, dass er schon voll in dem Sog von Skàdis Kälte steckte. Schwarze Fragmente stiegen um Skàdi auf und bildeten einen grauen Schleicher, der sich um sie wappte und Milano, Alice und Silas zunehmend die nicht nahm.

Deren Blick war fest auf den Mann gerichtet, der nicht gut aussah. Seine Augen waren tief eingefallen, ebenso wie seine Wangen. Seine Wangenknochen stachen deutlich hervor und gemeinsam mit den fast schon schwarzen Augenringen, sah er mehr tot als lebendig aus. Seine Haut wirkte blass, dünn und schon fast Pergament ähnlich. Er war mager, schon fast dürr und schien einen schweren Kampf hinter sich zu haben. Seine schwarzen Haare waren bereits völlig ausgedünnt und seine gekrümmte Haltung zeigte, dass er Schmerzen litt, und das nicht nur dank Skàdi.

Tamo stand unruhig neben Silas, der völlig versteinert wirkte. Erst glaubte Tamo, dass Alice ihre Wärme keine Auswirkungen auf ihn hatte, aber, sein Blick verriet ihm, dass es an dem jungen Mann lag, der vor ihnen stand. Tamo lehnte sich leicht zu Silas und flüsterte ihm zu.

»Wer ist das? Was ist hier los?«

In Silas' Blick tobte Wut. Wut, welche von Angst und Sorge untermauert wurde. Er schluckte hart, bevor seine Lippen sich langsam bewegten und Tamo fast in Ohnmacht warfen.

»Das ist mein Bruder, Travis«, antwortete er kalt.

Tamo sah Silas mit großen Augen an, denn er verstand nicht, was hier gerade passierte. Sollte Silas sich nicht freuen, seinen Bruder zu sehen? Und warum um alles in der Welt hatte Skàdi so einen Hass auf ihn. Doch Tamo kam nicht dazu, weitere Fragen zu stellen, denn schon zerriss Skàdis mehr als raue Stimme, den Raum.

»Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, dich jemals wiederzusehen!«

Travis lehnte bereits zusammengekrümmt an der Wand hinter sich. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, sodass seine Fingerknöchel schon weiß, durch seine leicht bläulich schimmernde Haut brachen.

»Bitte ...«, flehte Travis.

Mehr brachte er nicht hervor, was Skàdi nur bitter auflachen ließ.

»Bitte? Dein Ernst? Deinetwegen, du verfluchtes Arschloch, wurde ich 365 Tage massakriert und du kommst mir mit Bitte?«

Das Grollen am Himmel wurde lauter und man konnte durch das große Fenster bereits sehen, wie sich dicke, rabenschwarze Wolken immer weiter auf sie zubewegten. Grelle, fast schon lila leuchtende Blitze schoben sich durch die Wolkenwand und das Grollen, welcher der Donner von sich gab, ließ die alten Steinmauern erzittern.

Travis versuchte sich aufzurichten, doch sofort knurrte Skàdi und es folgte ein Schmerzensschrei, der durch Haut und Haar drang. Er fiel auf seine Knie, hob dennoch den Blick und versuchte, sie anzusehen.

Seine Augen glänzten feucht und waren tiefrot verfärbt.

»Bitte, es ... tut ... mir leid ... ich wusste doch nicht ...«, flehte er.

Doch Skàdi unterbrach ihn und schickte ihm einen neuen Schmerzimpuls in den Körper, während sie auf ihn zuging. Ihre Stimme bebte vor Hass und jedes Wort wurde durch das Grollen am Himmel fast schon untermalt.

»Du wusstest was nicht? Dass er mich gefangen nehmen wird? Dass er mich quälen wird? Dass er mich brechen wird? Dass er ein Monster aus mir machen wird?«

Travis riss es vom Boden und er schlug hart in die Wand hinter sich. Ein dumpfes Knacken war zu vernehmen. Ein erbärmlicher laut verließ seinen Mund.

»Stimmte es? Stimmt es, dass ich die verdammte Bezahlung war, für die Heilung deines Krebses?«, fauchte Skàdi und ballte ihre Fäuste.

Travis krümmte sich an der Wand.

»Ja«, hauchte er kaum hörbar.

Skàdis Hass auf diesen Menschen stieg ins Unermessliche.

Sie hatte sich schützend vor ihn gestellt. Ihr Leben gegeben aus Liebe zu ihm und er? Er hatte sie als Bezahlung an diesen Hurensohn verkauft. Und damit nicht genug. Er hatte sie als wahnsinnig verkauft, als sie sich befreit hatte. Silas hatte ihm mehr vertraut als ihr. Er hatte sie als Spinnerin abgetan. Sie als unglaubwürdig beschimpft und letztlich dazu beigetragen, dass ihre Schwester ebenfalls in Nobodys Händen gelandet war. Die Erinnerung daran, dass sie zu spät kam, um ihre Schwester zu schützen, um sie zu retten, ließen den Hass in ihr förmlich explodieren.

Das Gebäude begann zu beben und ein Blick durch das Fenster zeigte, dass sich ein riesiger Wirbelsturm gebildet hatte, welcher um das Haus tanzte. Alles, was ihm im Weg stand, riss er gnadenlos mit sich und es war nur eine Frage der Zeit, wann auch das Gebäude zu seinen Opfern zählen würde.

Alice wich instinktiv zurück, denn sie wusste, dass Skàdi keine Hilfe benötigen würde. Milano schien dasselbe durch den Kopf zu gehen, denn schlagartig drehte er sich herum, packte Tamo und Silas und Alice begriff, was er vorhatte. Sie legte ihre Hand auf Milanos Schulter und schon waren sie verschwunden.

Sekunden später standen sie einige Kilometer entfernt auf einem Berg und sahen sich um. Sie waren hoch oben, in einem Gebirgspass. Die eisige Luft, welche um sie zog, ließ sie erschauern und sofort ließ Alice Flammen entstehen, an denen sie sich wärmen konnten. Sie standen auf dem Gipfel eines Berges und starrten ungläubig auf das Bild vor sich. Das Gebäude, in welchen sie eben noch waren, schien tatsächlich ein weit abgelegenes Kloster zu sein. Es war ein recht großes Gelände und man konnte nur noch erahnen, wo sich die alten Gemäuer befanden, denn diese waren bereits verschlungen in einen Sturm, der sich wie ein grau, schwarzer Schleier um dieses legte. Der Himmel darüber war schwarz - lila eingefärbt und die Blitze schlugen im Sekundentakt in den Boden ein.

Tamo stand fassungslos da. Dieser Anblick faszinierte und verängstige ihn zu gleiche Teilen. Immer wenn er dachte, er konnte die Ausmaße von Skàdis Fähigkeiten einschätzen, wurde er eines Besseren belehrt und plötzlich kam ihm der Gedanke, dass es einen weiteren Menschen mit denselben Fähigkeiten gab.

Nobody und langsam begriff er, warum diese beiden nicht aufeinandertreffen sollten. Es konnte der Untergang aller sein. Nicht nur für die, die mit Skàdi verbunden waren. Es konnte jeden treffen, denn er hatte verstanden, dass selbst das, was er gerade sah, noch lange nicht das ganze Ausmaß ihrer Fähigkeiten war.

Alice und Milano hatten sich gesetzt und starrten beide vor sich hin. Silas stand hinter ihnen und schien mit sich und seinen Gefühlen zu kämpfen.

Tamo räusperte sich.

»Kann sie das Ganze überleben?«

Milano sah zu ihm auf.

»Was meinst du?«

Tamo sah wieder auf den reißenden Wirbelsturm.

»Na das da. Was passiert, wenn sie das Gebäude zerfetzt? Überlebt sie das?«, fragte Tamo.

Alice lachte kalt auf.

»Wenn sich kein Loch im Boden auftut, dann kommt sie da völlig unbeschadet raus. Setzt dich und genieß einfach das Spektakel.«

Und so, wie Alice das ausgesprochen hatte, stoppte der Wirbelsturm, und ein Grollen, was selbst den Berg, auf dem sie geflüchtet warnen, erschüttern ließ, breitete sich aus.

»Game over, Travis«, knurrte Milano.

Skàdi hat wohl vernommen, dass Milano alle, die ihr mal am Herzen gelegen hatten, scheinbar in Sicherheit gebracht hatte. Nicht, dass es einen Unterschied für sie gemacht hätte. Nicht jetzt. Nicht in diesem Moment, wo nur noch die pure Dunkelheit Besitz von ihr hatte. Dennoch war das der letzte Schubs, den es gebraucht hatte.

Sie richtete ihre volle Aufmerksamkeit wieder aus Travis, der jammernd an der Wand klebte.

»Ich glaube nicht an Himmel und Hölle, aber bei dir hoffe ich tatsächlich, dass der Teufel, dich für alle Ewigkeit durch sein Fegefeuer jagt.«

Ein kreischender Schrei verließ Travis, als seine Haut begann aufzuplatzen und das Blut hervorquoll. Seine Augen presste es langsam aus seinem Schädel, gefolgt von einem Rinnsal Blut, welches ihm über die Wangen lief. Seine Schreie wandelten sich zu einem Röcheln, welches Skàdi ein breites Grinsen ins Gesicht trieb.

Stück für Stück löste sich das Fleisch von Travis Knochen und schon tauchte Skàdi mit einem Meer aus Flammen vor ihm auf.

»Du hast so viel mehr verdient, als du ertragen kannst«, raunte sie ihm zu, bevor sie die Flammen auf seinen Körper lenkte.

Travis'Gesicht verzog sich zu einer grauenhaften Fratze, bevor die Hitze ihm die restliche Haut vom Gesicht löste. Mit einer leichten Bewegung ließ Skàdi seinen Körper von der Wand zu Boden fallen, um ihm im nächsten Augenblick durch das geschlossene Fenster zu schleudern. Ein letzter Schrei, der jedoch kaum bis zu Skàdi drang, ging von Travis aus, bevor die Macht des Sturmes, seinen brennenden Körper in tausend kleine Teile zerriss.

Zufrieden trat Skàdi an das Fenster. Der Sturm wirbelte ihre Haare auf und sie genoss es. Langsam hob sie ihre Hände vor den Körper und schloss die Augen. Der Wirbelsturm stoppte und das Grollen, der aufgestauten Energie, bebte durch das Haus.

So stand sie. Um sie das Unwetter, welches schlagartig eingefroren wirkte. Stille. Absolute Stille herrschte für diesen einen Moment.

Skàdis Körper begann zu zittern, denn es war lange her, dass sie versucht hatte, diese Maße an Energie umzuleiten. Dennoch, sie brauchte Antworten und konnte diesen Ort nicht einfach dem Erdboden gleichmachen. Aus dem Zittern wurde ein Beben und es kostete sie all ihre Kraft, doch dann spürte sie den Punkt, an dem die Richtung kippte. Sie riss die Augen auf, die schwarzen Sicheln darin traten hervor und die Druckwelle, welche sie auslöste, entlud sich weg von dem Gebäude.

Die Energie ebbte ab. Das Unwetter löste sich in Sekunden im Nichts auf und Skàdi - die stand für weitere wenige Atemzüge an dem Fenster. Ihr Puls beruhigte sich. Ihre Augen wandelten sich zurück in ihre normale Form und nur kurze Zeit später, wirkte alles vollkommen friedlich. Doch schon legte sich ein dunkler Ausdruck in ihr Gesicht und sie wandte sich zurück in den Raum.

Eisblaue Augen starrten sie an. Skàdi hob den Blick und legte den Kopf schief.

»Na dann, kommen wir mal zu dir.«

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