Kapitel 41 - Liebe oder Tod
Die Sonne ging bereits auf, als Skàdi den Wagen vor einem älteren Mehrfamilienhaus parkte. Silas saß auf dem Beifahrersitz, den Kopf an die Scheibe gelehnt und schlief. Alice hatte es sich auf der Rücksitzbank bequem gemacht und ihren Kopf unter ihrer Jacke vergraben. Die Fahrt hatte tatsächlich fast fünf Stunden gedauert, aber da die beiden relativ schnell gepennt hatten, war es erträglich gewesen. Abgesehen von dem kurzen Moment, an dem sie dachte, sie würde gleich ersticken. Ihr schoss ein Brennen in die Lunge, was sie zum Anhalten zwang, doch so schnell, wie es gekommen war, war es auch wieder vorbei gewesen.
Sie schüttelte den Kopf und rieb sich über das Gesicht. Vielleicht war sie auch einfach nur zu überreizt die letzten Tage gewesen. Was auch immer es war, es wurde an der Zeit, dass es endete. Sie sah noch mal kurz auf Alice und Silas und überlegte, ob sie die beiden wecken sollte. Ließ es aber bleiben und stieg leise aus dem Auto aus. Sie würde sie nicht brauchen und außerdem war es nur ein Zwischenstopp vor ihrem eigentlichen Ziel.
Sie lief über den Gehweg und sah sich suchend um.
»Narcos?«, rief sie.
Nichts.
Die Straße war völlig leer. Wo war er? Er entfernte sich nie, von seinem Ziel. Natürlich hatte Skàdi ihn nachgeschickt, um Milano und Tamo zu finden. Sie konnte es nicht erklären, aber aus irgendeinem Grund wusste sie plötzlich, wo die zwei sich befanden. Wahrscheinlich eine weitere Fähigkeit, von der sie keine Ahnung hatte und die sie wahrscheinlich, wie auch den Rest, nie verstehen würde.
Sie sah sich ein letztes Mal suchend um, bevor sie das Haus betrat. Leise stieg sie die alte Holztreppe nach oben und etwas fühlte sich eigenartig an. Als sie die letzte Treppenstufe hinter sich gebracht hatte, blieb sie schlagartig stehen und starrte auf die Tür, hinter der Milano und Tamo sein sollten.
Sie stand offen.
Vorsichtig ging sie darauf zu und drückte sie langsam auf. Plötzlich nahm es ihr erneut die Luft und sie griff sich an die Kehle. Wieder war da dieses Brennen in ihrer Lunge und wieder war es sofort wieder verschwunden. Sie lehnte sich für einen Moment an den Türrahmen und atmete tief ein.
Nichts.
Als wäre nie etwas gewesen.
Was zur Hölle?, dachte sie sich, wurde aber unterbrochen, als sie sich in der Wohnung umsah.
Leere Bierflaschen auf dem Tisch. Aber ansonsten, war hier nichts zu finden. Vor allem keiner der beiden. Sie lief durch die Wohnung, doch als sie sah, dass sowohl Tamos als auch Milanos Handy auf dem Tisch lagen, wurde ihre klar, dass hier etwas nicht stimmte. Sie rannte aus der Wohnung, die Treppen nach unten und sprang schon fast auf die Straße.
Skàdi rannte zu ihrem Auto, doch auch hier standen beide Türen offen und Silas und Alice waren verschwunden. Sie knurrte und vor lauter Wut, krachte sie die Türen des Wagens zu. Sie spürte selbst, wie ihre Augen sich bereits weiß einfärbten, aber sie unterdrückte ihre Wut, denn die würde hier jetzt weder helfen, noch würde es dafür sorgen, dass einer von diesen Idioten wieder kommen würde. Nach ein paar Minuten stieg sie in das Auto und überlegte, was sie als Nächstes machen sollte.
Hier stehen und warten würde wohl nicht helfen. Nur einer konnte sie sich geholt haben und es wurde Zeit, dass sie sich dieses Arschloch holte. Scheiß auf das Leben oder Tod Ding. So nicht.
Sie startete den Wagen, doch sofort platzen die Airbags auf und ein weißer Nebel knallte ihr ins Gesicht. Da war es wieder. Dieses Brennen in der Lunge und noch bevor sie auf irgendeine Art reagieren konnte, verlor sie das Bewusstsein.
~~~
Plötzlich stand sie wieder mitten im Wald. Barfuß, mit den Füßen auf verdammten Kieselsteinen.
Ach, nicht schon wieder, war das Erste, was ihr durch den Kopf schoss.
Sie sah an sich herunter, na wenigstens trug sie diesmal mehr als ein langes Shirt.
Sie seufzte und starrte in die Dunkelheit vor sich.
»Ich höre«, sagte Skàdi genervt.
Ihre Stimme hallte durch den Wald und es dauerte nicht lange, bis sie ein leises Kichern hinter sich vernahm. Automatisch drehte sie sich herum, um genau nichts zu sehen. Wie auch, sie steckte schon wieder in diesem verdammten Traum fest.
»Na, wieder hier?«, sagte die Stimme leise hinter ihr.
Skàdi rollte die Augen.
»Scheint so. Also, ich höre«, wiederholte sich Skàdi.
Sie spürte einen Lufthauch, der sich um sie zu bewegen schien. Allein schon aus Reflex folgte sie ihm, aber natürlich war da nichts.
»Was meinst du? War unser letztes Treffen nicht von Erfolg gekrönt?«, flüsterte die Stimme.
Skàdi zog automatisch eine Braue nach oben.
»Erfolg? Welcher Erfolg? Der ist wohl an mir vorbeigegangen«, erwiderte sie launisch.
Die Stimme stöhnte auf.
»Du bist nur zu dämlich, es zu erkennen. Erinnere dich. Kieselsteine, die dir in die Füße stachen ... Glasscherben.«
Skàdi schnaubte.
»Ach komm schon. Wer bitte soll denn da bitte drauf kommen?«, fragte sie augenrollend.
Wieder hörte sie ein belustigtes Lachen.
»Jeder, der in der Lage ist, sein Gehirn zu nutzen, meine Liebe.«
Skàdi winkte ab und lief los. Sie wusste zwar nicht warum, aber es fühlte sich richtig an. Tja, nur die Stimme wurde sie nicht los.
»Hast du das nächste Rätsel auch so erfolgreich gelöst wie das Erste?«, fragte die Stimme und kicherte.
»Du meinst gar nicht? Dann ja«, erwiderte Skàdi.
Wieder zog ein Lufthauch an ihr vorbei und sie hatte das Gefühl, dass er sich vor ihr aufbaute. Aber das war verrückt. Aber war es das nicht ohnehin? Sie blieb stehen und wartete.
»Findest du das witzig?«, flüsterte die Stimme plötzlich dunkel.
Sie schien tatsächlich unmittelbar vor ihr zu sein. Skàdi seufzte und antwortete ziemlich monoton.
»Ja, zum Schießen. Siehst du nicht, wie ich mich schon kringle vor Lachen.«
Sie vernahm das Schnaufen, machte einen Schritt zur Seite und ging weiter. Völlig bescheuert. War sie gerade vor etwas ausgewichen, was gar nicht vorhanden war? Sie schob den Gedanken rasch zur Seite und lief weiter.
»Warum stellst du dich so dumm an?«, fragte die Stimme enttäuscht.
»Dumm fickt besser«, maulte Skàdi.
Natürlich war das eine saublöde Antwort, aber was sollte sie denn sonst sagen. Es war ein beschissener Traum.
»Das heißt, dumm fickt gut«, verbesserte die Stimme.
»Klugscheißer«, murmelte Skàdi vor sich hin.
Sie folgte dem Weg, der gerade einen Bogen nach links machte und so wie sie um die Ecke bog, blieb, sie stehen und stöhnte.
»Ach, nicht schon wieder.«
Erneut teilte sich der Weg in zwei Richtungen. Sie hörte das Lachen, was immer näher kam und ihr dann ins Ohr flüsterte.
»Links oder rechts. Das ist hier die Frage. Immer noch.«
So langsam war Skàdi ernsthaft genervt davon.
»Lass das, verfluchte Scheiße. Ich weiß es nicht. Ich werde es nie wissen, also halt die Fresse und hau ab.«
Wieder vernahm sie ein Kichern.
»Das kann ich nicht.«
Skàdi legte den Kopf in den Nacken. Sie wollte eigentlich nicht fragen. Aber die Worte hatten ihre Lippen bereits verlassen.
»Und warum nicht?«
»Wie warum nicht?«, hörte sie die Stimme fragen.
Also ernsthaft, das war doch zum verrückt werden. Sie schnaubte.
»Lass es. Ich werde noch völlig bekloppt, deinetwegen«, sagte Skàdi bissig.
Sie sah sich dabei die beiden Wege an, doch sie waren völlig identisch. Man konnte keinen Unterschied erkennen und das dusslige Lachen hinter ihr, nahm ihr die Fähigkeit nachzudenken.
»Was ist so witzig?«, fragte Skàdi genervt.
Das Lachen verstummte.
»Na, dass du dich selbst verrückt machst«, bekam sie als Antwort.
»Nein, du machst mich alle. Nicht ich, mich selbst«
»Dir ist schon klar, dass das hier ein Traum ist?«, fragte die Stimme.
Skàdi nickte.
»Ich wills hoffen, anderen Falls müsste ich mir ernsthaft Gedanken um meinen geistigen Zustand machen.«
Die Stimme räusperte sich.
»Deinem Geist geht es gut. Denke ich. Aber es ist ein Traum. Dir ist also schon bewusst, dass du hier mit dir selbst sprichst?«, fragte die Stimme erneut.
Skàdi rieb sich über ihr Gesicht.
»Du willst damit sagen, dass ich mich gerade selbst gefragt hab, ob mir bewusst ist, dass ich mit mir selbst rede?«
Skàdi ließ sich den Satz noch mal durch den Kopf gehen und schüttelte dann den Kopf.
»Nein, das ist Blödsinn.«
Sie vernahm das Schnauben hinter sich.
»Verrückte Alte«, raunte die Stimme.
Skàdi lachte.
Klang wirklich etwas nach ihr. Sie wurde wahrscheinlich wirklich langsam wahnsinnig. Ihr Blick ging wieder zu den Wegen. Wie war das beim letzten Mal? Liebe oder Tod. Sie sah auf, aber natürlich war da keiner und die Stimme war auch verstummt. Sollte sie? Ach, scheiß drauf. Eigentlich war es gar nicht so verkehrt. Sie war ohnehin schon lange der Meinung gewesen, dass sie die besten Gespräche mit sich selbst führte.
»Liebe oder Tod also?«, fragte sie in die Dunkelheit.
Stille. Sie schnaubte.
»Komm schon«, forderte Skàdi.
Sie hörte das leise Seufzen.
»Ja.«
»Und ich soll mich jetzt entscheiden?«, fragte Skàdi.
»Ja.«
Skàdi massierte sich die Schläfen.
»Was liegt am Ende des Weges?«
»Der Tod«, sagte die Stimme melancholisch.
»Das ergib keinen Sinn«, erwiderte Skàdi.
»Sagt wer?«
Skàdi ließ den Kopf hängen.
»Na ich.«
Sie hörte ein trotziges Schnauben.
»Bin ich anderer Meinung!«, sagte sie Stimme.
Ein Grinsen legte sich in Skàdis Gesicht.
»Geht nicht, wir sind ja eins. Laut deiner Aussage!«
Stille.
Skàdi erwartete eine Reaktion, doch nichts passierte.
»Hallo? Schmollst du jetzt?«
Keine Reaktion. Bockig, wie ein Kind ließ Skàdi sich auf den Boden fallen und starrte vor sich hin. Irgendwann stand sie auf und räusperte sich.
»Tod ... weil wenn dieser am Ende ohnehin schon wartet, kann ich mir den Liebesmüll auch sparen.«
»Nur ein Dummkopf würde so entscheiden«, sagte die Stimme.
»Tja, lieber ein Dummkopf, als ein Schlaukopf mit gebrochenem Herz.«
Sie hörte förmlich das nicht vorhandene Augenrollen.
»Der war flacher als flach«, raunte die Stimme.
Skàdi nickte und als sie gerade etwas erwidern wollte, spürte sie, wie ihr Gesicht langsam warm wurde.
Sie stöhnte auf. Nicht mal mit sich selbst konnte man in Ruhe diskutieren.
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