Kapitel 21 - Fettnapf

Tamo zuckte zusammen, als ihm etwas Nasses ins Gesicht klatschte. Er zog scharf die Luft ein und starrte in das grinsende Gesicht von Milano.

»Ich glaube, der Scheißer ist wieder da.«

Milano trat zurück und stellte den Eimer, in dem scheinbar vor wenigen Sekunden noch Wasser gewesen war, zur Seite und nahm sich ein Bier. Tamo spürte, wie die Feuchtigkeit langsam durch sein Shirt drang und er war dankbar dafür, dass es ein verdammt warmer Tag war. Sein Blick wanderte zu Alice und dem Rest und sofort schoss sein Puls wieder nach oben. Schlagartig wurde ihm bewusst, was er alles erfahren hatte, und das war verrückt. Mehr als das. Seine Atmung wurde sofort wieder flach und er sah zwischen ihnen hin und her. Angst war es, die erneut in ihm aufstieg. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

Tamo setzte sich langsam auf und rutschte etwas zurück. Silas beobachtete seine Reaktion und ein Grinsen legte sich auf sein Gesicht.

»Neue Wette?«, fragte er und sah zu Milano, dessen Blick sofort zurück zu Tamo ging.

Milano nickte grinsend, Alice hingegen stand schnaubend auf und ging zu Tamo. Dieser hielt den Atem an und versuchte weiter zurückzuweichen, doch Alice schüttelte den Kopf.

»Ach komm, lassen wir den Scheiß. Du kommst hier ohnehin nicht weg.«

Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. Ihre Augen glühten sanft golden auf. Umgehend spürte er ihre Wärme und entspannte sich. Das beklemmende Gefühl und die Angst verschwanden. Er hob den Blick und sah Alice an. Dieses Gefühl der Sicherheit, welcher er gerade empfand, war absurd. Alles war absurd.

»Ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll, aber danke«, sagte er und stand dabei langsam auf.

Sie zuckte mit den Schultern und ging zurück zu dem Tisch.

»Glaub nicht, dass ich das für dich mache. Ich will einen entspannten Abend und ich bin mir ziemlich sicher, dass du mir genau diesen versauen würdest«, raunte sie und ließ sich auf einen der Stühle fallen.

Er nahm diese Aussage hin, auch wenn sich etwas Enttäuschung in ihm breitmachte, doch so langsam musste er wohl akzeptieren, dass es hier niemanden interessierte, wie es ihm ging. Geschweige denn, wie er sich fühlte. Und er würde wohl auch vorerst hinnehmen müssen, dass er hier einfach nur geduldet war. Warum auch immer.

Seine Hände wanderten schon automatisch zu den Kippen und nachdem das Nikotin in seinen Kreislauf gedrungen war, sah er zu den anderen.

Alice und Milano saßen jeder mit einem Bier in der Hand an dem Tisch. Silas stand etwas entfernt an einem Grill und erst jetzt nahm Tamo den göttlichen Geruch wahr. Sofort knurrte sein Magen lautstark auf. Milano drehte sich zu ihm und zog die Brauen nach oben.

»Komm schon her und setz dich.«

Tamo zögerte kurz, sah sich um, ließ sich aber dann doch neben Milano nieder. Der schob ihm direkt ein Bier rüber, welches Tamo dankend annahm. Sein Blick schweifte über den Tisch, der voller Essen stand. Salate, verschiedene Baguettes, Dips und der Grill lag voller Fleisch. Erneut knurrte sein Magen, doch es drängte sich eine weitere Frage in den Vordergrund.

»Wie lange war ich weg?«

Milano zuckte mit den Schultern.

»Gute Stunde.«

Tamo nickte und nahm einen Schluck von seinem Bier. Sie konnten scheinbar auch ziemlich schnell Essen zubereiten. Er lehnte sich zurück und sah zwischen Milano und Alice hin und her. Das machte er sogar eine ganze Weile, bis Alice genervt stöhnte.

»Himmel, fang an, deine Fragen zu stellen!«

Milano lachte auf und Silas schüttelte nur grinsend den Kopf. Tamo schnaubte, denn ihre Art kotzte ihn einfach nur noch an.

»Okay fangen wir doch damit an. Bis du immer so eine unausstehliche Zicke?«

Silas spuckte sein Bier quer über den Grill und auch Milano konnte sich sein Lachen nicht verkneifen. Alice wusste scheinbar gar nicht, wem sie zuerst einen bösen Blick zuwerfen sollte, und verteilte einfach Mittelfinger. Milano sah sie mit großen Augen an.

»Was denn, die Frage war mehr als berechtigt.«

Alice rollte genervt die Augen, nahm sich ein Stück Brot und warf es mit voller Wucht auf Milano, der es ohne zu zögern abfing und genüsslich reinbiss. Danach sah sie bissig zu Tamo, der sich mittlerweile zurückgelehnt hatte und sie anstarrte.

Jap, er hatte es satt. Er hatte keinen Bock mehr, sich dumm anmachen zu lassen. Er hatte keinen Bock mehr auf dumme Sprüche und wenn er, welche kassieren musste, dann konnte er auch welche verteilen. Töten würden sie ihn nicht, sonst wär er wahrscheinlich schon tot.

Alice musterte ihn mit gerunzelter Stirn und sie sah, dass sich seine gesamte Körperhaltung verändert hatte. Sie musste schmunzeln. Irgendwie ja niedlich, dass er immer wieder versuchte seinen Kopf durchzusetzen, aber da war er hier leider an der falschen Adresse. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und grinste ihn breit an.

»Ich bin nur unausstehlich, weil ihr mir maßlos auf den Sack geht.«

Tamo rollte die Augen und schüttelte den Kopf.

»Tja, bedanke dich bei Silas, soweit ich mich erinnere, hat er mich hier hergebracht.«

Silas hob den Blick und schüttelte den Kopf.

»Nein, vergiss es. Lasst mich aus euren Spielchen raus.«

Tamo zog die Brauen und richtete seine Aufmerksamkeit auf Silas.

»Was für Spielchen? Es ist nur die Wahrheit.«

Silas schüttelte den Kopf.

»Mag sein, aber wenn ich dich nicht hier abgesetzt hätte, dann wärst du tot.«

Tamo runzelte die Stirn. Wo er das Thema gerade ansprach.

»Was meintest du eigentlich mit, du bist gestorben? Und Skàdi hat dich zurückgeholt?«

Eine schwere Stille breitete sich auf der Terrasse aus. Silas sah unsicher zu Alice, die aber nur den Kopf schüttelte. Silas wandte den Blick von Tamo und drehte das Fleisch auf dem Grill.

»Geht das jetzt wieder los?«, fragte Tamo enttäuscht.

Alice räusperte sich und sah ihn mit kaltem Blick an.

»Wenn es um Skàdi geht, solltest du dir sämtliche Fragen sparen. Keiner von uns wird dir Antworten darauf geben. Nimm es einfach hin.«

Irgendwie schien sich hier alles um Skàdi zu drehen. Gut, dass sie diejenige war, die am unzugänglichsten war.

Er rieb sich frustriert über das Gesicht und sah dann wieder zu Alice.

»Wisst ihr eigentlich, wie es ist, aus seinem Leben gerissen zu werden, ohne zu wissen warum? Alles, wirklich alles hat sich auf einen Schlag geändert und keiner von euch scheint mir erklären zu wollen, warum. Ich habe mir die Scheiße nicht rausgesucht. Ich will nicht bei euch sein, aber scheinbar habe ich keine andere Wahl«, er stockte, denn er sah, wie Alice förmlich in sich zusammensackte.

Ihr Blick wurde weich und auch Milano sah aus, als hätten ihn seine Worte tief getroffen. Tamo schluckte und sah die beiden unsicher an. Es war doch nur die Wahrheit, die er ausgesprochen hatte. Gerade als er weitersprechen wollte, stellt Silas einen Teller mit gerilltem Fleisch auf den Tisch und sah Tamo dabei tief in die Augen.

»Ich denke, jeder an diesem Tisch, kann mehr als nachvollziehen, wie es dir geht, und vielleicht solltest du anfangen über deinen Tellerrand hinaus zudenken.«

Ein komisches Gefühl zog sich durch Tamos Magen. Wieder sah er Milano und Alice an, die immer noch schweigend vor sich hinstarrten. Er hatte wohl eine unsichtbare Grenze übertreten.

»Ich ...«, er stockte und rieb sich über den Nacken.

»Es tut mir leid, es ist alles nur so ... fremd«, sagte er schließlich.

Silas setzte sich neben Milano und eine unangenehme Stimmung breitete sich aus. Doch plötzlich hob Alice den Blick, nahm einen Schluck von ihrem Bier und sah zu Tamo.

»Wir können dir keine Antworten geben, weil wir selbst keine haben. Zumindest nicht, was dich betrifft. Und was uns und diese Fähigkeiten betrifft. Es war eine ziemlich beschissene Zeit und keiner von uns redet gern darüber.«

Milano sah sie mit traurigem Blick an. Mitgefühl lag in seinen Augen. Es schien, als würde plötzlich ein völlig anderer Milano an dem Tisch sitzen.

»Und was Skàdi angeht. Sie redet auch mit uns nicht sonderlich viel und keiner von uns, wird seinen Arsch in die Nesseln setzen und dir etwas erzählen, was sie vielleicht nicht will. Also nehm es einfach so hin«, ergänze Milano plötzlich Alices Erklärung.

Tamo schluckte und wusste nicht so richtig, was er erwidern sollte. Hatte er darüber nachgedacht, dass sich vielleicht eine nicht so schöne Geschichte hinter all dem verbarg? Nein. Mit keiner Silbe und jetzt hier zu sitzen und ihre traurigen Blicke zu ertragen, traf ihn, obwohl er eigentlich keinen Bezug zu diesen Menschen hatte. Aber den hatten sie auch nicht zu ihm und wenn er sich es recht überlegte, hatten sie die letzten Tage nichts anderes getan, außer ihm zu helfen, wenn vielleicht auch auf eine komische und verdammt schräge Art und Weise.

Ein schlechtes Gewissen setzte sich in seinen Nacken.

»Okay, ich glaube, ich muss mich einfach auch erst an all das gewöhnen. Also vergesst meine Worte einfach und lasst uns essen?«

Alice und Milano sahen erst sich an und dann Tamo, bevor sie nickten. Tamo fühlte sich wirklich mies. Tausende Fragen hingen ihm im Kopf, aber er wusste, dass jetzt einfach der falsche Zeitpunkt für diese war. Also musste ein anderes Thema her.

Er nahm einen Bissen von seinem Steak und nachdem er diesen hinter gekaut hatte, sah er zu Alice.

»Blöde Frage, aber seid ihr Geschwister?«

Alice verschluckte sich fast an ihrem Salatblatt, hustete und sah dann zu Tamo.

»Wer?«, fragte sie mit aufgerissenen Augen.

Tamo zog den Kopf schon fast ein.

»Du und Milano.«

Beide rümpften zeitgleich die Nase.

»Gott, nein«, sagte Alice abwertend.

Milano schüttelte ebenfalls den Kopf.

»Wie kommst du denn darauf?«

Ja, Tamo, das war wohl ein Fettnapf. Ein ziemlich Großer sogar. Er lächelte verlegen.

»Na, ihr habt beide so blaue Augen, da dachte ich«, stammelte er.

Milano schüttelte den Kopf.

»Nein, purer Zufall«, gab er barsch zurück.

Und gerade als Tamo etwas erwidern wollte, hob Alice die Hand und zeigte ihnen an zu schweigen. Tamo sah sie fragend an, denn ihre ganze Körperhaltung hatte sich verändert. Sie hatte sich angespannt und starrte auf den Wald.

Milano und Silas folgten ihrem Blick, als sie sich plötzlich räusperte.

»Milano, sag mir, dass ich mich täusche.«

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