Kapitel 17- Du hast ihn kaputt gemacht
Skàdi saß schwer atmend neben Tamo. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus, als er ihren mahlenden Kiefer vernahm. Erst das Knarren der Holzdielen ließ ihn den Blick zurück auf Silas richten.
Fuck.
Silas sah genauso beschissen aus wie Skàdi. Blass, tiefe Augenringe und sein langsamer Gang sowie die leicht gekrümmte Haltung, zeigten deutlich, dass auch er unter Schmerzen litt.
Waren sie zusammen unterwegs gewesen? Nein, das war zeitlich doch völlig unmöglich.
Mit gerunzelter Stirn beobachtete er, wie Silas langsam näher kam. Sein Blick wanderte zwischen den drei Ankömmlingen hin und her. Alice und Silas waren ihm mehr als bekannt und so verweilte er schließlich bei dem Neuen. Etwas sagte ihm, dass ihre Wege sich bereits gekreuzt hatten. Doch seine Erinnerungen brachten keinen brauchbaren Zusammenhang zustande. Er würde sich an so einen Typen erinnern. Seine Tattoos, diese eisblauen Augen.
Nichts. Er kannte ihn nicht. Tamo gab auf. Es machte einfach keinerlei Sinn. Nichts von alledem, was er die letzten Tage erlebt hatte. Antworten würden helfen, doch langsam bezweifelte er, dass er diese jemals erhalten würde.
»Ist was oder warum glotzt du mich so an?«, raunte es Tamo plötzlich entgegen.
Unbewusst lag sein Blick immer noch auf dem Tätowierten, der mittlerweile vor ihm stand. Augenrollend schüttelte Tamo den Kopf.
Prima noch solch ein Sonnenschein.
Er richtete seine Aufmerksamkeit zu Silas, welcher sich an den großen Holztisch stützte. Getrocknetes Blut klebte ihm an Kinn und Hals und wirkten gespenstisch auf seiner blassen Haut.
»Hätte nicht erwartet, dass wir uns so schnell wieder sehen. Siehst scheiße aus«, sagte Tamo.
Silas schnaubte.
»Danke. Arschloch.«
Doch ehe Tamo etwas erwidern konnte, richtete Silas den Kopf auf und sah an ihm vorbei. Seine Augen fixierten sie. Skàdi. Eine eigenartige Spannung baute sich auf und schickte Tamo ein beklemmendes Gefühl in den Magen. So dass, er das erste Mal erleichtert darüber war, als Alice sich zu Wort meldete.
»Kaffee?«
Der Tätowierte nickte und lief in Richtung Küche. Tja, er hatte den Wink verstanden, im Gegensatz zu Tamo. Der hatte zwar genickt, verstand jetzt aber nicht, warum Alice ihm mit forderndem Blick ansah.
»Was denn?«, fragte er.
Alice seufzte, lief auf ihn zu und packte ihm am Arm.
»Komm mit du Vollidiot«, knurrte sie und zerrte ihm unsanft hinter sich her.
Tamo griff nach seiner Kaffeetasse und versuchte ihr zu folgen, doch als sie ein weiteres Mal an seinem Arm riss, geriet er aus dem Gleichgewicht, stolperte und natürlich ging die Tasse samt restlichem Inhalt zu Bruch.
Alice stöhnte auf und Tamo verlor die Geduld.
»Meine Fresse, was ist denn jetzt schon wieder los? Kommunikation würde helfen«, maulte er und stieg über die Scherben.
Ein dunkles Lachen hallte durch den Raum und ließ Tamo zu dem Tätowierten blicken.
»Nicht gerade einer von der schlauen Sorte, was?«, fragte dieser und verschränkte die Arme vor der Brust.
Alice winkte ab.
»Na dann solltet ihr euch doch bestens verstehen«, gab sie genervt zurück.
Ein gestreckter Mittelfinger beendete das Gespräch. Tamo, der mittlerweile einfach nur noch gefrustet war von seiner Unwissenheit, lief zu der Kücheninsel und ließ sich auf einen der Hocker fallen.
»Und du bist?«, fragte er mit erhobenen Augenbrauen.
Ein eigenartiger Moment der Stille entstand, als die beiden einander anstarrten, welcher erst mit dem Aufstellen einer Tasse vor Tamo beendet wurde.
»Milano und wir hatten bereits die Ehre«, raunte er und streckte Tamo die Hand zum Gruß entgegen.
Dieser ergriff sie und erwartete schon beinahe, dass irgendetwas folgen würde. Aber außer einem festen Handdruck und einem Lächeln schien Milano einfach nur ein Mensch mit Anstand und nicht ganz so übler Laune zu sein.
»Tamo und ich denke, du irrst dich. Ich würde mich an dich erinnern.«
Ein breites Grinsen legte sich in Milanos Gesicht und ein wissender Blick durchbohrte Tamo.
»Ich irre mich niemals. Wir sind uns im Wald begegnet!«
Tamo ließ seine Hand los und sah ihn fragend an. Milano hingegen musterte diesen und plötzlich kam ihn die Erkenntnis. Er wusste von nichts. Sein Grinsen wurde breiter und nahm gehässige Züge an, bevor er sich ein Stück näher an Tamo heran lehnte.
»Sorry mein Fehler, so kannst du mich ja gar nicht erkennen.«
Ehe Tamo in irgendeiner Art reagieren konnte, stockte ihm der Atem. Milanos Augen begannen weiß zu glühen und verfärbten sich zu eisblauen Fragmenten. Erschrocken rutschte er zurück.
Der Wald. Die Augen. Die Gestalt.
Er hatte es sich nicht eingebildet, wie Skàdi es behauptete. Es war real. So real wie dieser Milano jetzt vor ihm saß. Sein Puls schoss in die Höhe und er rutschte noch weiter zurück, was dazu führte, dass er von dem Hocker fiel und mit einem lauten Knall zu Boden ging. Alice drehte sich zu den beiden und als sie die vor Angst geweiteten Augen von Tamo sah, wandte sie sich zu Milano.
»Du bist doch nicht mehr dicht. Hör auf mit der Scheiße oder ich reiße dir deinen verlausten Arsch auf«, fauchte sie ihn an.
Milano ließ das Leuchten seiner Augen sofort verschwinden und biss sich grinsend auf die Lippen.
Alice warf ihm einen wütenden Blick zu und sah wieder zu Tamo, der immer noch von Angst erstarrt auf dem Boden lag und sich nicht regte. Sie stöhnte auf.
»Toll, hast du ihn etwa kaputt gemacht?«, knurrte sie Milano zu.
Tamo befand sich in einer Art Schockstarre. Er hörte seinen Herzschlag so laut, dass er glaubte, es würde gleich explodieren. Seine Kehle schnürte sich langsam zu und Panik stieg in ihm auf. Nach Luft ringend, griff er sich an seinen Hals. Sein Gehirn sagte, lauf, aber sein Körper versagte ihm den Dienst. Was war das? Panisch sah er sich um. Seine Wahrnehmung begann in einem dichten Nebel zu versinken. Schemenhaft sah er, wie Alice und Milano sich stritten, doch außer das Rauschen seines Blutes drang nichts mehr zu ihm durch.
Plötzlich hockte sich Alice zu ihm und legte ihre Hände an seinen Hals. Wärme durchströmte ihn und schien sich wie ein Feuerball in ihm auszubreiten. Seine Kehle öffnete sich und er vernahm die angenehm warme Luft, welche sich den Weg in seine Lungenflügel suchte. Sein Herzschlag beruhigte sich und mit jeder Sekunde, die verging, verschwand die Starre seines Körpers. Ein wohlwollendes Kribbeln wanderte durch seinen Körper und ließ ihn langsam in sich zusammensacken. Die Angst und Panik, die er gerade noch verspürt hatte, war verschwunden.
Es fühlte sich an, als würde eine Blase um ihn herum aufplatzen und plötzlich war er wieder im Hier und Jetzt. Das garstige Lachen von Milano drang in seine Ohren. Der Geruch von Kaffee legte sich in seine Nase und er starrte in die endlose Tiefe von Alice dunkelblauen Augen.
»Geht's wieder?«, fragte sie sanft.
Er nickte zögerlich und schon nahm sie ihre Hände von seinem Hals. Die Wärme verschwand, doch dieses Gefühl von Geborgenheit blieb.
Alice richtete sich auf, trat auf Milano zu und streckte ihm drohend den Zeigefinger entgegen.
»Lass die Scheiße, du Penner. Wir haben genug Theater am Arsch, da brauche ich nicht noch deine Spielchen!«
Milano rollte genervt die Augen, trat aber einen Schritt zurück.
»Spielverderber«, flüsterte er und schon boxte ihm Alice auf dem Oberarm, was ihn leise Zischen ließ.
»Reiß dich zusammen!«, murmelte sie, was Milano endlich dazu brachte zu schweigen.
Tamo rappelte sich langsam auf und stützte sich auf den Barhocker.
Was war das gerade? Schlagartig begann sein Kopf zu dröhnen. Die vielen unbeantworteten Geschehnisse bereiteten ihm einen Kater. Besser hätte er dieses Gefühl nicht beschreiben können. Es war, als würde er nach einer durchzechten Partynacht aufwachen und spüren, wie sein Körper nach mehr Alkohol und Drogen schrie.
Er rieb sich die Schläfen.
»Was...?«, doch Alice unterbrach ihn.
»Später, jetzt haltet ihr beide die Klappe oder ich sorge dafür. Ich will hören, was da draußen passiert«, sagte sie und starrte durch das Fenster zu Skàdi und Silas.
Milano schüttelte den Kopf und lachte.
»Erst schleifst du uns hier rein und dann willst du lauschen?«
Alice zuckte grinsend die Schultern.
»Das war der Anstand. Jetzt will ich meine Neugierde befriedigen«, gab sie zurück und lehnte sich auf die Arbeitsplatte.
Tamo zog den Hocker näher an sich, um mehr Abstand zu Milano zu gewinnen und ließ sich dann auf diesen nieder. Seinen Kopf stützte er schwerfällig auf seinen Händen ab und seufzte.
Keine Antworten für Tamo. Mal wieder.
Sein Blick wanderte ebenfalls zurück zu der Terrasse, nur hatte sich dort nichts geändert.
Skàdi saß immer noch auf der Bank und schien in den Wald zu starren. Silas lehnte immer noch leicht gebeugt an dem Tisch und sah sie an.
Tamo rieb sich über die Stirn und sah zu Alice.
»Und was genau, glaubst du, wird da jetzt passieren?«
Sie warf ihn einen kurzen Blick zu. Doch er reichte aus, um Tamo ein neues, ungutes Ziehen in den Magen zu schicken. Er hatte sie gesehen. Die Angst, die in ihrem Blick lag.
Alice räusperte sich.
»Na ja, entweder sie reden miteinander ...«, sie stockte und Milano beendete den Satz für sie.
»Oder wir werden gleich Zeuge davon, wie Silas der Garaus gemacht wird.«
Tamo schluckte, denn irgendwas sagte ihm, dass diese Worte wohl genauso gemeint waren.
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