Kapitel 14 - Blaue Augen

Das heiße Wasser bahnte sich den Weg über Skàdis angespannte Muskeln und ließ diese nach und nach weicher werden. Behutsam nahm es die blutigen Spuren von ihrer Haut und verband sich mit diesen zu einer rot schimmernden Masse, welche in den Abfluss sickerte. Skàdi legte die Stirn an die kalten Fliesen vor sich und genoss für einen Moment, die ummantelnde Wärme des Wassers. Müdigkeit kroch durch ihren Körper und den einzigen Wunsch, welchen sie noch vernahm, war, tiefer erholsamer Schlaf. Sie stellte das Wasser ab, griff nach einem der Handtücher, umwickelte sich damit und stieg langsam aus der Dusche.

Die Nebelschwarte, die das heiße Wasser erzeugt hatte, zog sich durch das Badezimmer und legte sich als undurchsichtiger Schleier auf den Spiegel, vor dem Skàdi jetzt stand.

Sie wischte mit der Handfläche über diesen, um einen kurzen Blick hinein zu riskieren. Bereute es aber im selben Moment.

Tiefe Augenringe begrüßten sie, gefolgt von blasser Haut und müden Augen. Stöhnend wirbelte sie ihre Haare zu einem lockeren Dutt zusammen und betrachtete ihren Anblick für einen weiteren Moment. Wie konnte man so fertig aussehen?

»Weil die hier scheinbar alle nur eins im Sinn haben. Wie mache ich Skàdi am besten fertig?«, murmelte sie vor sich hin.

Sie senkte den Blick wieder, schnappte sich die Zahnbürste und während sie diese unachtsam durch ihren Mund kreiste, drehte sie sich und hielt schlagartig inne. Sie sah zu der Tür, welche einen Spalt offen stand. Mit gerunzelter Stirn wandte sie sich ab, spuckte die Reste, der Zahnpasta aus und drehte sich dann zurück in Richtung des Schlafzimmers.

»Narcos?«

Keine Reaktion.

Sie zog das Handtuch fester um ihren Körper und schlich auf die Tür zu. Langsam drückte sie diese auf und richtete den Blick in die Dunkelheit. Umrisse ihres Bettes zeichneten sich ab. Es war leer.

»Narcos?«, rief sie ein weiteres Mal in die Stille.

Doch erneut gab es keine Reaktion.

Skàdi trat einen Schritt in ihr Schlafzimmer und sah sich um. Nichts. Außer regungslose Dunkelheit. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich.

Irgendwas stimmte nicht.

Sie verbannte das Rauschen ihres Blutes aus ihren Ohren und ließ ihren eigenen Atem flach werden.

Sekunden vergingen, in denen sie einfach nur regungslos dastand. Sie vernahm den Geruch von Blut, welcher am stärksten durch das Zimmer schwebte. Doch darunter mischte sich etwas anderes. Etwas Vertrautes.

Erde. Feuchte, schwere Natur.

Ein leichtes Zucken umspielte ihre Mundwinkel, als sie es endlich hörte. Einen gleichmäßigen, langsamen Herzschlag.

Sie öffnete die Augen, schüttelte den Kopf und lief durch die Dunkelheit auf ihren Kleiderschrank zu.

»Hatten wir das Thema nicht schon hundertmal? Kein Einschleichen in mein Schlafzimmer und Gnaden dir die Götter, wenn du mir wieder Schlamm in die Hütte geschleppt hast«, knurrte sie plötzlich.

Ein dunkles Lachen drang aus einer der hinteren Ecken und eine unscheinbare Gestalt trat hinter Skàdi aus dem Schatten. Mit einen Wimpernschlag waren die blau leuchtenden Punkte wieder da und entpuppten sich als Augen.

Sie seufzte und öffnete den Kleiderschrank vor sich.

»Lass es, Milano. Damit beeindruckst du vielleicht kleine Mädchen und verängstigte Männer!«

Er lachte auf und schon verschwand das Leuchten in seinen Augen. Zurückblieben eisblaue Pupillen, die nur noch durch den Schein des Mondes erhellt wurden. Langsam lief er auf Skàdi zu, welche sich durch ihre Klamotten wühlte.

»Ich finde nackt am besten«, raunte er, was sie nur den Kopf schütteln ließ.

»Sag mal, ziehen solche Sprüche wirklich bei den Weibern?«

Er stand mittlerweile unmittelbar hinter ihr und ließ seine Hände sanft auf ihre Schultern gleiten.

»Meistens schon«, erwiderte er.

Skàdi senkte den Kopf unter seinen Berührungen und ließ für wenige Augenblicke seine massierenden Bewegungen zu, bevor sie nach seinen Händen griff, sie von ihren Schultern schob und sich zu ihm drehte.

»Tja, dann brauche ich mich nicht wundern, warum die Menschheit vor die Hunde geht.«

Sie schnappte sich ein langes schwarzes Shirt und grinste, als sie sah, wie er ihren Körper abscannte.

»Vergiss es. Keinen Bock«, raunte sie und tippte ihm auf die Nase.

Er gab ein leises Knurren von sich.

»Aber weißt du«, murmelte Skàdi und ließ im selben Moment das Handtuch fallen »Strafe muss sein«, schob sie nach.

Sie genoss es dabei zuzusehen, wie das Verlangen in Milanos Augen tobte und bevor dieses noch auf sie übergreifen würde, wandte sie sich schnell ab und ließ das Shirt über ihren Körper gleiten.

Es wäre auch nicht das erste Mal, dass sie am Ende doch übereinander herfielen, denn zum Leidwesen von Skàdi, war er attraktiv. Milano war breit gebaut und gut einen Kopf größer als sie. Sein markantes Gesicht war verziert mit auffälligen Tattoos und kleinen Narben. Seine stechend blauen Augen strahlten ihr gierig entgegen. Seine braunen schulterlangen Haare hatte er locker zusammengebunden und seine Lippen schrien förmlich nach ihrer Nähe.

»Du kannst doch nicht ... ich meine ...«, stotterte er.

»Kann ich und hab ich und hör auf zu sabbern«, sagte sie lachend.

Milanos Augen wurden zu schmalen Schlitzen.

»Elendiges Miststück«, raunte er sie an.

Skàdi nickte, kramte sich einen Slip auf der Kommode und nachdem sie auch diesen endlich anhatte, zeigte sie auf das Bett.

»Wo ist Narcos?«

Milano gab ein enttäuschtes Seufzen von sich und sah ihr dabei zu, wie sie sich auf das Bett setzte.

»Hab ihn rausgelassen. Er wird den Wölfen auf den Sack gehen, nehme ich mal an.«

Skàdi nickte und ließ sich nach hinten fallen.

»Was willst du hier? Und komm mir jetzt nicht mit Sex. Wir wissen beide, dass das gelogen wäre.«

Er starrte sie an und zog eine Grimasse, bevor er seine schwere Lederjacke auszog und zu Boden warf. Mit wenigen Schritten schloss er zu dem Bett auf und ließ sich neben Skàdi fallen, welche es mit einem verächtlichen Schnaufen billigte.

»Ich wollte wissen, was das letztens im Wald war? Erst versaust du mir den Spaß und meinen Wölfen ihr Abendbrot und dann verpisst du dich einfach. Wer ist dieser Typ, der unten im Gästezimmer liegt?«, fragte er und sah sie dabei an.

Skàdi zog fassungslos die Brauen nach oben.

»Alter, wie lange schleichst du schon um das Haus?«

Mit den schulterzuckend zog Milano sich eins der Kissen unter den Kopf und grinste sie breit an.

»Eine Weile, aber ich habe dich nicht zu greifen bekommen und dann warst du verschwunden. Na ja, und ich hatte keinen Bock Alice zu fragen, die zickt immer so rum«, erklärte er.

Skàdi schmunzelte.

»Sie zickt nur, weil deine Wölfe das letzte Mal ihr ganzes Blumenbeet auseinander gewühlt haben.«

Milano rollte mit den Augen, während sich Skàdi auf die Seite drehte und sich die beiden jetzt unmittelbar gegenüberlagen.

»Ich kann doch auch nichts dafür, dass sich so ein beschissener Hase darin versteckt hatte.«

Beide lachten auf, als ihnen das wutverzogene Gesicht von Alice in den Sinn kam, doch Milano kannte Skàdi zu gut und so sah er sie ernst an.

»Keine Ablenkung. Also, wer ist der Typ?«

Skàdi zog einen Schmollmund und drehte sich zurück auf den Rücken.

»Keine Ahnung, er wurde bei Silas in die Bar geworfen. Er trug einen Sack auf dem Schädel und in dessen war sein Zeichen eingebrannt«, erklärte sie.

Milanos Stirn legte sich in tiefe Falten.

»In seinem Schädel?«, fragte er nach.

Ach, das gab es ja nicht. Umzingelt von Idioten!

»Nein, in dem Sack, du Idiot«, fauchte sie genervt und schüttelte dabei ungläubig mit dem Kopf.

Milano verzog kurz das Gesicht. War wohl keiner seiner besten Momente.

»Und dann?«, fragte er, bevor sie sich weiter über seine fehlende Intelligenz in manchen Situationen lustig machte.

Skàdi verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah zu Milano.

»Silas hat ihn hier hergebracht.«

Mit zusammengepressten Lippen sah er zu ihr und musterte sie.

»Lebt er noch, also Silas?«, fragte er ganz vorsichtig.

Sie nickte und richtete ihren Blick wieder an die Decke.

»Der Typ heißt Tamo. Er wurde scheinbar aus einem Club entführt. Seine Eltern lagen förmlich geschlachtet in ihrem Haus. Irgendjemand muss aber an Tamo dran gewesen sein, denn er wurde ebenfalls zu dem Haus gebracht und scheinbar hat ihn dort jemand gerettet«, sagte sie und rieb sich über die Stirn.

Sie vernahm Milanos brennenden Blick auf der Haut und drehte sich zu ihm.

»Was?«

Er starrte sie fassungslos an, stützte seinen Kopf auf seiner Hand ab und sah sie von oben herab an.

»Klingt alles nach hören und sagen. Was sagt Tamo denn dazu?«

»Hab noch nicht mit ihm geredet«, gab sie zu und ahnte bereits, was jetzt kommen würde.

»Dein fucking Ernst?«, fragte er und rieb sich genervt die einzelnen Haare aus dem Gesicht, während er sich aufsetzte.

»Die Vergangenheit kracht über uns ein und du ignorierst es? Verarschst du mich?«

Das darf doch alles nicht wahr sein. Der nächste der einen Preis in Klugscheißerei gewinnen will.

Skàdi folgte Milano und setzte sich ebenfalls auf. Sie hatte eigentlich ausreichend Drama für einen Tag gehabt, aber es schien nicht abreisen zu wollen. Milanos verständnisloser Blick klebte an ihr und forderte Antworten, was in ihr langsam die Wut triggerte.

»Meine Fresse. Wann hätte ich denn mit ihm reden sollen? Entweder er war bewusstlos oder hat versucht abzuhauen, außerdem kann ich ihn nicht leiden.«

Milano sah sie an und auch wenn er es nicht wollte, bahnte sich ein Lachen über sein Gesicht.

»Das kannst du ja nun wohl nicht als Begründung nutzen. Du kannst niemanden leiden«, sagte er grinsend.

Sie sah ihn giftig an, aber sein verfluchtes Lächeln hatte sie schon vom ersten Tag an in den Bann gezogen und so blieb ihr nichts anderes übrig, als ebenfalls zu schmunzeln.

»Ja, der Punkt geht wohl an dich«, sagte sie und legte sich wieder nieder.

»Hast du eine Idee, was das Ganze soll? Ich meine, an eurem Deal hat sich nichts geändert, oder?«, fragte Milano.

Skadi schüttelte den Kopf.

»Nein, eigentlich nicht. Ich habe versucht Duke zu treffen, aber der hat mir einen Pfarrer an den Hals gejagt.«

»Dein Ernst?«, fragte Milano lachend.

»Jap, hab Duke eine Botschaft in Form eines toten Pfarrers da gelassen. Aber ich denke, ich werde ihn wohl suchen müssen. Irgendwas sagt mir, dass er nicht freiwillig aus seinem Versteck kommt«, erwiderte sie seufzend.

Milano sah sie tadelnd an.

»Liegt sicher nicht an den letzten Worten, die du ihm an den Kopf geworfen hast? Wie war das? Wenn du mir noch mal über den Weg läufst, reiße ich dir dein beschissenes Herz raus«, wiederholte er ihre Drohung.

Skàdi zuckte mit den Schultern.

»Ja, meine Fresse. Ich war an dem Tag halt nicht sonderlich gut gelaunt, der soll sich mal nicht so haben.«

Wieder entfuhr Milano ein Lachen, während er sie ansah.

»Du bist nie gut drauf, aber sei es drum. Also, was machen wir jetzt?«

Sie spannte sich automatisch an und holte bereits tief Luft, doch ehe auch nur ein Wort über ihre Lippen kam, hatte Milano schon das Wort ergriffen.

»Lass es. Ich habe die Diskussion von dir und Alice gehört. Zusammen nicht anders.«

»Und warum zur Hölle, lässt du mich dann alles erzählen, wenn du die Antworten schon kennst, Arschloch?«

Milano lehnte sich über sie und grinste breit.

»Weil ich es von dir hören wollte, Schnucki. Also. Gemeinsam?«, wiederholte er sich.

Sie stöhnte zwar genervt, aber nickte. Milano ließ sich zufrieden neben sie auf die Matratze fallen, als Skàdi sich plötzlich mit einer schnellen Bewegung auf seinen Schoß setzte.

»Wow ... was denn jetzt los?«, fragte er überrascht und griff nach ihren Hüften.

Sie zuckte mit den Schultern.

»Du hast mich gestresst. Jetzt sorg gefälligst für meine Entspannung.«

Das musste sie Milano nicht zweimal sagen und schon wanderten seine Hände in ihren Nacken. Fordernd zog er sie zu sich und ließ seine Lippen auf ihre gleiten. Ein leises Knurren entwich ihr und ihre Hände verschwanden unter seinem Shirt. Der Kuss wurde tiefer, zügelloser und Milanos Finger hakten sich in ihren Slip ein, während sie sich fester an seine Hüfte drückte.

»Fuck«, raunte er, als sie seinen Gürtel förmlich aufriss.

Doch Skàdi hielt mitten in der Bewegung inne. Starren Blickes und völlig regungslos saß sie auf Milano und keuchte schlagartig.

Es dauerte einen Augenblick, bis Milano die Situation begriff.

»Skàdi, was ist los?«, fragte er besorgt und ließ seine Hand langsam zu ihrem Gesicht gleiten.

Doch so, wie seine Finger ihre weiche Haut berührten, stöhnte sie schmerzerfüllt auf, kippte von seinem Körper und krümmte sich neben ihm zusammen.

Sofort schoss Milano die pure Angst in den Leib. Er drehte und lehnte sich über sie.

Sie bebte und er vernahm ihren rasenden Puls. Nach luftringend, Schmerzen leidend, quälte sich Skàdi vor ihm und als er das Rinnsal Blut aus ihrer Nase laufen sah, packte er sie.

»Rede mit mir. Was ist los? «, flehte er.

Ihre Augen flackerten und dennoch sah er, dass sie versuchte sich zusammenzureißen. Ihre Lippen schienen Worte zu formen, aber ihr fehlte die Kraft sie auszusprechen. Er lehnte sich tiefer zu ihr.

»Hol ... Alice ...«, presste sie kaum hörbar hervor.

Milano riss die Augen auf. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was hier gerade vor sich ging. Sofort ließ er ab von ihr und sprang aus dem Bett.

»Wer?«

Skàdi keuchte und hustete zur gleichen Zeit. Ein Schmerzensschrei verließ ihre Kehle, während sie sich erneut krümmte. Milano zerriss es fast das Herz, aber er brauchte eine Antwort.

»Skàdi, wer?«

»Silas«, flüsterte sie kaum noch hörbar, bevor eine neue Schmerzwelle ihren Körper sich aufbäumen ließ.

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