Kapitel 12 - Eine Seele
Skàdi fuhr schon seit zwei Stunden durch das scheinbar endlose Nichts.
»Fick dich«, raunte sie dem Fahrer entgegen, der die Kurve zu eng genommen hatte und ihr fast den Spiegel streifte. Sie war mehr als nur genervt, denn anstatt auf der Couch zu gammeln, und sich von Netflix berieseln zu lassen, war sie auf der Suche nach Antworten. Und genau damit hatte sie vor drei Jahren eigentlich aufgehört. Sie hatte sich mit ihrem Schicksal arrangiert und war mittlerweile zufrieden mit ihrem Leben. Aber nein, da taucht dieser Pisser auf und reißt sie förmlich wieder zurück in ihre Vergangenheit.
Tja, und jetzt war sie sich nicht sicher, ob sie angepisst auf Silas war, weil er ihn zu ihr gebracht hatte oder auf sich selbst, weil sie damals aufgegeben hatte. Vielleicht würde sie schon längst die Antworten kennen, welche sie nun erneut suchte. Wieder war sie gezwungen, alte Wunden aufzureißen. Musste Menschen treffen, die sie lieber Tod sehen würde und das Schlimmste daran war. Sie musste sich ihren eigenen Problemen stellen.
Sie sah auf ihr Handy und starrte auf die Anzeige. Eine Stunde Fahrt trennte sie noch von ihrem Ziel. Einer Kirche. Sie schnaubte verächtlich, denn sie konnte es immer noch nicht fassen, dass er sich gerade dort versteckte. Verwunderlich, dass er beim Betreten nicht direkt in Flammen aufgegangen war. Dieser Pisser machte einen auf Pfarrer, obwohl er wohl eher der Hölle persönlich entsprungen war. Vielleicht wurde es Zeit, ihn in ebendiese zurückzuschicken.
Sie atmete tief ein und rollte genervt die Augen, als ihr klar wurde, dass sie genau das nicht tun konnte.
Was für eine verfluchte Scheiße!
Ihr Navi zeigte ihr nach einer Ewigkeit an abzubiegen und nachdem sie weitere, nicht enden wollende Minuten, über einen Feldweg gehobelt war, tauchte plötzlich eine riesige Kirche vor ihr auf.
Alt, abgefuckt und auf den ersten Blick leer stehend. Umzäunt von einem klapprigen Holzzaun, mitten auf einer ebenen, nichtssagenden Einöde aus verdorrtem Gras.
Sie schüttelte fassungslos den Kopf, als sie ihr Auto vor dem Gebäude parkte und ausstieg.
»Am Arsch der Welt und trotzdem für alle Augen sichtbar. Er hatte noch nie Angst, dass er gefunden wird«, murmelte sie vor sich hin.
Der Kies unter ihren Schritten gab leise knirschende Geräusche von sich, während sie durch das offene Holztor lief. Die alten Gemäuer hatten vor Jahren sicher etwas Prunkvolles an sich. Heute hingegen wirkten sie geächtet, heruntergekommen und völlig nutzlos.
»Wie ihr es verdient«, murmelte sie erneut und stieg schon fast widerwillig die verschlissenen Steinstufen nach oben.
Die Eisentür, welche sich vor ihr auftat, zeigte tiefe Kratzer auf, was Skàdi nicht so sehr interessierte, wie die Tatsache, dass sie einen Spalt offen stand.
Na ja, wenigstens schien er tatsächlich auf sie zu warten.
Sie stieß die Tür auf und versuchte nicht einmal in Ansatz einen Hehl daraus zu machen, dass sie absolut keinen Bock hatte, hier zu sein.
Eine eisige Kälte kroch ihr aus dem leeren, trostlosen Raum entgegen und setzte sich an ihrer Haut fest. Doch mehr als ein belangloses Lächeln brachte es nicht in ihr hervor. Ihr Blick schweifte durch die Dunkelheit und als sie niemanden erkennen konnte, erhob sie die Stimme.
»Ich bin da. Sparen wir uns das Bla Bla und lass uns zur Sache kommen.«
Ihre emotionslose Stimme zerriss die Totenstille, die hier herrschte und das Echo drang gespenstisch durch den Raum. Doch so, wie dieses erloschen war, lag die Kapelle sofort wieder in völliger Stille. Sie rollte genervt den Kopf und pustete lautstark die Luft aus.
Schon wieder eins dieser Spielchen.
Schlendernd lief sie auf den Altar zu, auf dem eine einzelne Kerze brannte. Es war also auf jeden Fall jemand hier. Ihre Schritte hallten durch den hohen Raum und das Tippeln ihrer Finger, auf den Holzbänken, an denen sie vorbeilief, bildeten schon fast eine Melodie.
Sie stoppte erst vor den Stufen des Altars, sah sich ein letztes Mal um und stiegt sie dann nach oben. Es wäre eine Lüge, wenn sie behaupten würde, dass sie diese Orte nicht abgrundtief hasste.
Verlogenheit. Hass. Schmerz.
Das war es, was sie mit diesem Ort in Verbindung brachte. Nicht wie einst Glauben, Hoffnung und Schutz.
Ihr Blick wanderte über den Altar und das, was sie sah, ließ sie kalt auflachen. Ein Kreuz, Weihwasser in einer silbernen Schüssel und eine beschissene Kerze mit Schutzsymbolen. Immer noch lachend, nahm sie das Kreuz in die Hand und spielte damit herum.
»Sag mal, ist das dein Ernst? Haben sie dir die letzten Jahre ins Hirn geschissen? Oder hast du wirklich Hoffnung, dass dir etwas von dieser Scheiße hier hilft?«, rief sie lautstark durch die Kirche.
Wieder breitete sich mit dem Abschwächen ihres Echos Stille aus und langsam war sie nicht nur genervt, sondern angepisst.
Was sollte der Scheiß?
Er wusste, dass sie da war. Er wusste, dass das hier alles keinen Einfluss auf sie hatte und er wusste, dass sie es auf die Palme brachte, wenn sie gezwungen war zu warten.
Sie nahm das Kreuz und krachte es zurück auf die Steinplatte vor sich. Die Wut in ihr begann zu brodeln.
Er wollte ihr keine Aufmerksamkeit schenken? Sie würde dafür sorgen, dass sie diese bekam!
Mit einer schnellen Bewegung räumte sie den Altar leer. Die Kerze ging zu Boden und ihr Feuer erlosch durch das Weihwasser, welches auf sie fiel. Das laute Krachen hallte durch den Raum und drang, dank seiner Lautstärke bis in die letzten Winkel der Kapelle.
Skàdi stützte sich rücklings auf dem Altar ab, hob sich auf ihn und setzte sich im Schneidersitz auf diesen. Nach hinten gelehnt und an die Decke starrend, fing sie leise an zu pfeifen und endlich vernahm sie eine Bewegung. Sie hörte Schritte, die auf sie zu kamen, aber die Gestalt, die sich näherte, war nicht das, was sie erwartet hatte.
»Mit solcher Respektlosigkeit zieht man den Zorn Gottes auf sich«, raunte diese ihr entgegen.
Skàdi senkte den Blick, musterte den Mann, der neben sie trat und gähnte provokativ.
»Den Zorn Gottes also? Hm, ... nun ... das Problem ist, dass mich genau das nicht interessiert ... Gott ... soweit es diesen wirklich geben sollte, kann mir nichts antun, was ich nicht schon erleiden musste. Also geht er mir so ziemlich am Arsch vorbei. Was du wüsstest, wenn du der wärst, den ich hier eigentlich treffen wollte. Also, wo ist er und wer bist du? Sein neuer Lakai?«, fragte sie spöttisch.
Ihre Worte ignorierend, bückte er sich und sammelte die am Boden liegenden Dinge auf, stellte sie erneut auf den Altar und zündete die Kerze wieder an. Skàdi beobachtete ihn und runzelte die Stirn. Er war in der typischen Robe eines Gläubigen bekleidet und das allein reichte schon, dass ihr der Puls anstieg.
Wie sie diese heuchlerischen Affen hasste, jene welche, die einen abverlangten zu glauben, dass Gottes Willen in allem steckte.
Eine der abartigsten Lügen, die auf der Erde wandelte, zumindest wenn es nach Skàdi ging.
Ihr Blick fiel auf das hölzerne Kreuz, welches er um den Hals trug. Hängend an einer Rosenkranzkette, war es handflächengroß und trieb Skàdi direkt ein Grinsen ins Gesicht.
Nachdem der Pfarrer alles wieder säuberlich auf den Altar gestellt hatte, richtete er seinen Blick endlich zu ihr und seufzte.
»Nun mein Kind. Gott gibt jeden von uns eine Aufgabe, die einen haben es leichter, die anderen schwerer und ...«, Skàdi unterbrach ihn und sprang dabei von dem Altar.
»Spar dir den Rums ... interessiert mich noch weniger als dein Name. Also, noch mal. Wo ist er?«, fragte sie genervt.
Der Pfarrer trat einen Schritt auf sie zu. Er war jung. Skàdis Meinung nach zu jung, um hier am Arsch der Welt zu leben.
»Er ist nicht mehr der, den du in Erinnerung hast. Er hat zu Gott gefunden und versucht, seine Sünden wiedergutzumachen«, sagte er mit leiser, sanfter Stimme.
Na und das schlug ihr fast den Boden aus. Sie zog eine Braue nach oben und sah ihn irritiert an.
»Klar hat er das und ich bin ein Feenstaub kotzendes Einhorn. Siehst du, meine Haare sind schon ganz grün davon.«
Der Pfarrer gab keine Regung von sich, sondern sah sie weiterhin mit einem durchdringenden Blick an.
Gut, das reichte!
Sie richtete sich auf, straffte ihre Schultern und trat näher an ihn heran. Sie sah seine Neugierde in den Augen weichen. Angst flackerte schlagartig in ihnen, was ihr ein Zucken in die Mundwinkel jagte.
»Ich frage dich ein letztes Mal. Wo ist er?«, knurrte sie ihm entgegen.
Sie vernahm, wie er seine Lippen leicht aufeinander presste und einen winzigen Schritt zurücktrat. Kopfschüttelnd entzog er sich ihrem Blick.
»Er ist für dich nicht mehr greifbar. Sage mir, was dein Anliegen ist, und ich werde es ihm übermitteln.«
Skàdi, die ihm immer noch anstarrte, trat neben ihn und lehnte ihren Kopf leicht in seine Richtung. Angst. Der Geruch von tief, verwurzelter Angst, drang in ihre Nase.
Sie schmunzelte und legte den Kopf schief.
»Er hat dir gesagt, dass du mir mit Vorsicht entgegentreten sollst, oder?«, fragte sie und verschränkte dabei ihre Hände hinter dem Rücken.
Der Pfarrer nickte und räusperte sich.
»Das hat er wohl, aber ich denke nicht, dass Gefahr von dir ausgeht.«
Skàdi lief schleichend, im engen Kreis, um ihn herum. Wie ein Raubtier, welches seine Beute bereits umzingelt hatte und sich nur noch etwas Spaß gönnte, bevor es zum tödlichen Angriff überging.
»Warum? Weil ich eine Frau bin?«, fragte sie, während der Pfarrer sich um seine eigene Achse drehte, um sie im Blick zu behalten.
Er schmunzelte, trotz der Angst, die sie in ihm auslöste.
»Nein nicht, weil du eine Frau bist. Ich glaube daran, dass egal, wie dunkel eine Seele ist, es immer einen letzten Rest Güte in ihr gibt. Und ebendiese wird immer über die Dunkelheit siegen. Ich glaube fest daran, dass jede Seele zu retten ist.«
Skàdi rieb sich genervt durch das Gesicht, blieb stehen und drehte sich zu ihm.
»Daran glaubst du wirklich, oder?«, fragte sie.
Wieder nickte er.
»Ja, daran glaube ich.«
Skàdi schien für einen Moment innezuhalten. Ihr Blick wurde für den Bruchteil einer Sekunde weicher.
Er war jung. Zu jung, versuchte sie sich ins Gedächtnis zu rufen, doch es war zu spät.
Die Wut in ihr tobte und hatte sich bereits in all ihre Zellen gefressen und trieb sie unaufhaltsam voran. Ohne, dass der Pfarrer auch nur den Hauch einer Chance zur Reaktion hatte, griff sie ihn mit beiden Händen fest in die Robe, drehte sich und krachte seinen Körper gegen die Altarplatte.
Ein schmerzliches Wimmern verließ seine Lippen, während er die Augen zusammenkniff.
Skàdi trat näher und verpasste ihm einen harten Schlag in den Magen, was ihm sich krümmen ließ. Doch sie packte in seinen Nacken und zog ihn, wie eine wehrlose Puppe, zurück auf den Altar. Ihre Hand wanderte zu seiner Kehle und sie lehnte sich so nah zu seinem Gesicht, dass sie seinen zitternden Atem auf der Haut vernahm.
»Du willst mein Anliegen? Kannst du haben«, knurrte sie und sah ihm mit aufgerissenen, leeren Augen an.
Der Pfarrer griff panisch nach ihrer Hand, welche sich langsam um seine Kehle schloss, doch die war nicht ihr Ziel. Unbeirrt hielt sie ihm fest und ließ ihre andere Hand über seine Brust wandern. Sie spürte die Muskeln darunter und wie sie sich verkrampften.
Gegen jeden hätte er eine realistische Chance gehabt. Gegen jeden außer sie.
Sie wanderte weiter zu der Rosenkranzkette und ließ die einzelnen Perlen durch ihre Handfläche gleiten. Weiter und tiefer, bis ihre Haut das schwere Holzkreuz berührten.
Mit einer schnellen Bewegung riss sie ihm dieses vom Hals und drückte ihn fester auf den Altar. Er schnappte nach Luft und das weiß in seinen Augen trat schmerzhaft nach außen. Panisch kratzte er ihr über die Hand und versuchte ihren Griff zu lockern, doch abgesehen das Skàdi anfing zu lachen, brachte ihm dieser klägliche Befreiungsversuch nichts.
»W...as bi...st du ...?«, röchelte er.
Sie lehnte sich an sein Ohr.
»Zu spät für Fragen«, sagte sie und schloss ihre Augen.
Sie neigte ihren Kopf noch etwas tiefer zu ihm und endlich roch sie das, was sie die ganze Zeit vermisst hatte.
Todesangst.
Sie war intensiver als normale Angst. Diese begegnete ihr viel öfter als man es für möglich halten würde. Doch Todesangst war das Juwel unter den Düften des Folgenden.
Ein Gefühl, welches Zufriedenheit ähnelte, durchströmte sie.
Schlagartig befiel den Pfarrer eine durch das Mark dringende Kälte. Sie kroch bis in seine Knochen und ließ ihn erstarren.
Was zum Teufel passierte mit ihm?
Skàdi lehnte sich zurück und sah ihn ausdruckslos an.
»Mein Anliegen an ihn«, knurrte sie leise, zwinkerte und holte mit der Hand, in der sie sein Kreuz hielt, Schwung und trieb es ihm in den Brustkorb.
Es zerschmetterte sein Brustbein, als wäre es aus weichem Gewebe. Das Blut spritzte ihr ins Gesicht und ihre weißen Zähne, die durch ihr breites Grinsen freigelegt waren, standen schon fast in einem künstlerischen Kontrast, zu der roten Farbe seines Lebenssafts. Er gab nur einen erstickten Schrei von sich, welcher der Schmerz in ihm ausgelöst hatte. Zuckend unter ihr an den Altar gepresst, verlor sein Körper langsam sämtliche Anspannung. Seine Augen flackerten und versuchten sich immer wieder auf Skàdi zu richten.
»Ich denke, du wirst ihm schon zu verstehen geben, was ich von ihm erwarte«, sagte sie erkennbar zufrieden.
Sie zog das Kreuz aus seiner Brust und ein neuer Blutschwall drang aus der Wunde hervor. Das Röcheln des Pfarrers verriet ihr, dass seine Lungenflügel sich gerade mit Blut füllten und er nur noch wenige Sekunden auf dieser Erde verweilen würde. Sie lehnte sich wieder etwas tiefer zu ihm.
»Und dein Glaube in allen Ehren, wahrscheinlich hast du sogar recht damit, dass man dunkle Seelen wieder ins Licht führen kann, aber weißt du, was man dafür benötigt? Eine Seele«, flüsterte sie ihm dunkel zu.
Mit diesen Worten zog sie sich zurück und stieß ihm das Kreuz ein weiteres Mal in die Brust. Diesmal so tief, dass es nur noch wenige Zentimeter aus seinem Körper hervorstach. Sein Röcheln wurde leiser, sein Blut lief in einem Rinnsal langsam den Altar hinab und kroch so Stück für Stück über die Steintreppe nach unten.
Sie ließ ihren Blick einen Moment auf ihrem Kunstwerk ruhen. Ein Lächeln zuckte über ihre Lippen, bevor sie sich abwandte und leise pfeifend die Kirche verließ.
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